Sonntag, 28. Juli 2019

Schloßgarten & Sonntag






Giovanni Antonio Canuti, Sonate Nr. 10 in F-Dur (Largo)




Johann Ludwig Krebs, Fantasia à gusto italiano, in F-Dur




Philbert de Lavigne, Flûtes soprano, alto et sopranino


Philibert De La Vigne, Op.2 n.2 "La d'Agut"







Unmaßgebliche Anmerkungen

Die Arbeiten am Schloßgarten sind offenkundig beendet (ein paar Zäune versperren nur mehr symbolisch den Weg), am 14. August soll die öffentliche Übergabe sein. So lange mochte ich nicht warten. Ursprünglich sollten die obigen Bilder nur für sich selbst sprechen, aber ein paar spärliche Erläuterungen mögen insonderheit dem Ortsfremden hilfreich sein.

Zu den eingestreuten Musikstücke: Am späten Nachmittag gab es im Rahmen des Grüneberg-Orgelsommers in der Neustrelitzer Stadtkirche ein Konzert für Flöte und Orgel, und bei vieren der mir unbekannten Komponisten habe ich ein wenig herumgesucht, was sich denn so findet.

Doch zurück in den Schloßgarten, genauer zur Haupt-Achse. Wir beginnen am Hebe-Tempel, dem verlorenen Schloß gegenüber der andere Endpunkt derselben. Der Name spricht für sich, er ist hier auch schon gelegentlich aufgetaucht. Nur soviel, daß der Entwurf der Statue der Göttin auf Antonio Canova zurückgeht (1796, die Kopie ist von 1856, das Original befindet sich in der Berliner Alten Nationalgalerie). Auf dem letzten Bild weist sie gewissermaßen schon die Richtung.

Wir halten an der sogenannten Drake-Vase. Das Bildprogramm ist vom Sockel des Denkmals für Friedrich Wilhelm III. im Berliner Tiergarten übernommen. Es gibt sie noch einmal in Bad Pyrmont, und wer mehr dazu sehen will, folge einfach den beiden Verweisen.

Wir sind schon wieder bei einem preußischen Thema. Und wenn sich an den Skulpturen des Schloßgartens zwei Dinge ablesen lassen, dann die Nähe zu Preußen und zur Bildwelt der Antike.

An der eindrucksvollen Gestalt der römischen Siegesgöttin Viktoria wandern wir vorbei, die Zinkgußkopie von 1854 (ein Geschenk König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen an Großherzog Georg) ist sozusagen zum Original geworden. Denn der große Christian Daniel Rauch, von dem auch die tatsächlichen Originale auf dem Hirschtor zum Tiergarten stammen, hatte sie für eine Denkmalssäule geschaffen, die bis 1945 an die Schlacht von Leuthen erinnerte. Es gibt sie nicht mehr.

Heidau/Provinz Schlesien:
Siegesdenkmal zur Erinnerung an die Schlacht des preußischen Heeres und den Sieg über die Österreicher bei Leuthen am 5. Dezember 1757, hier gefunden

Zur sog. Ildefonso-Gruppe habe ich mich vor nicht so langer Zeit in epischer Breite ausgelassen (man muß nur die garstigen Eingangsbemerkungen überspringen).

Ich will mit zwei Stücken von David Plüss enden, einem zeitgenössischen Schweizer Musiker und Komponisten, von dem einiges in o.g. Konzert erklang. Man mag ihn gelegentlich als etwas arg glatt empfinden, aber vielleicht sind das genau die Art von Harmonien, derer man in diesen Zeiten bedarf.


David Plüss, Paradiso


David Plüss, Winterstille


nachgetragen am 29. Juli

Freitag, 19. Juli 2019

Luisens gedenken

Königin Luise von Preußen, 
Gemälde von Josef Maria Grassi, 1802, hier gefunden

Wer sich einmal das Vergnügen bereitet hat, in den Briefen der Königin Luise zu lesen, weiß, wie viel lebensvoll Unterhaltames, charmant Selbstironisches, Verspieltes wie Geistreiches sich darin findet.

Für ihren Todestag wäre das aber wohl unpassend. Ich habe daher zwei Stücke herausgesucht, die einen gänzlich anderen Ton anschlagen. In dem ersten Brief, an ihren Vater, hält sie sich in Königsberg auf, noch immer auf der Flucht vor Napoleon, in völliger Ungewißheit über die unmittelbare Zukunft, dabei aber eine eine unglaubliche Seelenstärke beweisend.

Der zweite Brief klingt zunächst weniger schwermütig. Doch wenn man weiß, daß es der letze an ihre Schwester Therese sein wird, erscheint er wie ein geahntes Vermächtnis. Zu beiden wird es am Ende ein paar Anmerkungen geben, ob sie nun nötig seien oder nicht.

Friedrich Georg Weitsch: Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise
im Park von Schloß Charlottenburg, 1799, hier gefunden

Aus 2 Briefen der Königin Luise von Preußen

Luisens „politisches Glaubensbekenntnis“ in einem Brief an ihren Vater vom April 1808 aus Königsberg

„Mit uns ist es aus, wenn auch nicht für immer, doch für jetzt. Für mein Leben hoffe ich nichts mehr. Ich habe mich ergeben, und in dieser Ergebung, in dieser Fügung des Himmels bin ich jetzt ruhig und in solcher Ruhe, wenn auch nicht irdisch glücklich, doch, was mehr sagen will, geistig glückselig. Es wird mir immer klarer, dass Alles so kommen mußte, wie es gekommen ist. Die göttliche Vorsehung leitet unverkennbar neue Weltzustände ein und es soll eine andere Ordnung der Dinge werden, da die alte sich überlebt hat, und in sich selbst als abgestorben zusammen stürzt. Wir sind eingeschlafen auf den Lorbeern Friedrich des Großen, welcher, der Herr seines Jahrhunderts, eine neue Zeit schuf. Wir sind mit derselben nicht fortgeschritten, deshalb überflügelt sie uns. Das siehet Niemand klarer ein, als der König. Noch eben hatte ich mit Ihm darüber eine lange Unterredung und er sagte in sich gekehrt wiederholentlich: das muß auch bei uns anders werden.“

"Von ihm [dem Feind] können wir Vieles lernen, und es wird nicht verloren sein, was er gethan und ausgerichtet hat. Es wäre Lästerung zu sagen, Gott sei mit ihm; aber offenbar ist er ein Werkzeug in des Allmächtigen Hand, um das Alte, welches kein Leben mehr hat, das aber mit den Außendingen fest verwachsen ist, zu begraben.

Gewiß wird es besser werden; das verbürgt der Glaube an das vollkommenste Wesen. Aber es kann nur gut werden in der Welt durch die Guten. Deßhalb glaube ich auch nicht, daß der Kaiser Napoleon Bonaparte fest und sicher auf seinem, jetzt freilich glänzenden Thron ist. Fest und ruhig ist nur allein Wahrheit und Gerchtigkeit, und er ist nur politisch, das heißt klug, und er richtet sich nicht nach ewigen Gesetzen, sondern nach Umständen, wie sie nun eben sind. Damit befleckt er seine Regierung mit vielen Ungerechtigkeiten. Er meint es nicht redlich mit der guten Sache und mit den Menschen. Er und sein ungemessener Ehrgeiz meint nur sich selbst und sein persönliches Interesse. Man muß ihn mehr bewundern, als man ihn lieben kann. Er ist von seinem Glück geblendet und er meint Alles zu vermögen. Dabei ist er ohne alle Mäßigung, und wer nicht Maß halten kann, verliert das Gleichgewicht und fällt.

Königin Luise und Napoleon in Tilsit, 
Denkmalentwurf von Gustav Eberlein, 1899, hier gefunden

Ich glaube fest an Gott, also auch an sittliche Weltordnung. Diese sehe ich in der Herrschaft der Gewalt nicht; deßhalb bin ich in der Hoffnung, daß auf die jetzige böse Zeit eine bessere folgen wird. Diese hoffen, wünschen und erwarten alle besseren Menschen, und durch die Lobredner der jetzigen und ihres großen Helden darf man sich nicht irre machen lassen.

Ganz unverkennbar ist Alles, was geschehen ist und was geschieht, nicht das Letzte und Gute, wie es werden und bleiben soll, sonderfn nur die Bahnung des Weges zu einem bessern Ziele hin. Dieses Ziel scheint aber in weiter Entfernung zu liegen, wir werden es wahrscheinlich nicht erreicht sehen, und darüber hinsterben. Wie Gott will; Alles, wie Er will. Aber ich finde Trost, Kraft und Muth und Heiterkeit in dieser Hoffnung, die tief in meiner Seele liegt. Ist doch alles in der Welt nur Übergang! Wir müssen durch.

Sorgen wir nur dafür, daß wir mit jeden Tage reifer und besser werden. - Hier, lieber Vater! haben Sie mein politisches Glaubensbekenntnis, so gut ich, als eine Frau, es formen und zusammensetzen kann. Mag es seine Lücken haben, ich befinde mich wohl dabei."

Gedenktafel in Memel an den Aufenthalt
von Königin Luise und ihres Ehemanns Friedrich Wilhelm III., 
1807 - 1808 während der Flucht vor Napoleon, hier gefunden

Luise an ihre Schwester Therese, Fürstin von Thurn und Taxis, Potsdam 8. Juni 1810

"Meine Seele ist grau geworden durch Erfahrungen und Menschenkenntnis,  aber mein Herz ist noch jung. Ich liebe die Menschen, ich hoffe so gern und habe allen, ich sage, allen meinen Feinden verziehen. Die Menschen sind dennoch recht schlecht, und es sitzt hier ein Nest Menschen, die so arg und ärger sind als die Kienraupe; diese fressen die Wurzel des Baumes ab, so daß er sterben muß, und jene nagen an jedem guten Namen, bis der Mensch für Herzenskränkung stirbt. Hardenberg ist wieder unser, durch und mit Napoleons Bewilligung. Es ist ein Engel in der Not."

"Gern hätte ich der Heilquelle, die mir das Leben wieder gab und stärkte, eine Träne der Dankbarkeit gebracht. Tränen der Freude kann ich ihr nicht weinen, aber der Dankbarkeit, wie gesagt, mit aufrichtigem Herzen. Ich habe gelebt und gelitten, das ist wahr, es mußte aber so kommen, um mich zu läutern und festzustellen, im Glauben und Demut vor Gott, die die wahre Erkenntnis ist. In diesen wenigen Zeilen hast Du mein ganzes Bild, und wenn du mir folgst, so wirst du immer in allen meinen Handlungen diese Grundlinien meines Seins wiedererkennen."

Porträt der Königin Luise von Preußen, 
Biskuitporzellan auf blauem Grund im Goldrähmchen, 
Königliche Porzellan-Manufaktur, Berlin um 1810, hier gefunden

Anmerkungen zum Brief an ihren Vater:

Die  Authentizität des Briefes ist bezweifelt worden. Dagegen zunächst ein allgemeinerer Gedanke: Nicht daß ich die Königin mit unserem Herrn und Heiland oder gar der allerseligsten Jungfrau vergleichen will, aber die Methode kommt einem doch bekannt vor. Solch originelle Gedanken könne Er unmöglich gehabt haben, das müßten spätere Gemeindebildungen sein, was, nebenbei gesagt, das Bemerkenswerte nach hinten verschiebt. Die späteren Redakteure sind also die eigentlichen Helden.

Es ist die gleiche merkwürdig umgekehrte, gewissermaßen rückwirkende Kausalität: Zuerst kommt die Person, die überraschend beeindruckt und unerwartete Folgen auslöst, und diese Folgen wiederum haben sich dann sozusagen ihren Ursprung herbeigeschrieben. Das ist die Art von Unsinn, der neuzeitlich über uns hereingebrochen ist.

Die Königin hat ihre Zeitgenossen tief beindruckt und vermutlich nicht nur durch ihre Aura und ihre Wallegewänder. Ihr bevorzugtes Mittel der Kommunikation war, neben dem persönlichen Gespräch, Briefe, viele davon.

Seelengröße, Widerstandskraft, Anteilnahme und Bestärkungswille zeichneten die Königin aus, um nur einige ihrer Tugenden zu nennen. Und all das sprcht sich in ihren Briefen aus.

In den schweren Zeiten der Napoleonischen Bedrückungen und seines unaufhaltsam scheinenden Erfolges richteten sich Menschen an ihr auf. Die ungebrochene Seelenkraft des Landes sprach aus ihr und gewann in ihr eine viele bezaubernde Gestalt. Wenn Menschen auch ihre eigenen Erwartungen  und Sehnsüchte in sie hineintrugen, was gäbe es Natürlicheres.

Nun konkreter. Der Brief, der nur in Auszügen oben wiedergegeben wurde, ist vom Potsdamer Hofprediger und Bischof Rulemann Friedrich Eylert wiedergegeben (in seinem umfänglichen Werk - „Charakterzüge und historischen Fragmente aus dem Leben des Königs von Preußen, Friedrich Wilhelms III.“) und bei Caroline von Berg. Welche sich als „aufrichtige Freundin“ der Königin bezeichnete, von der Friedrich Wilhelm III. in seinen eigenhändigen Aufzeichnungen allerdings meinte: „Es war eine gefährliche Frau in ihrem Gemisch von Enthusiasmus und hoher Poesie mit Trivialität“, die „manches Üble gestiftet“ habe. Caroline Friederike Gräfin von Berg war Hofdame und engste Vertraute der Königin, in ihren Armen verstarb Luise am 19. Juli 1810 in Hohenzieritz. Sie war ihre erste Biographin. Das ist an Nähe kaum zu überbieten.

Beiden kann man wohl vorhalten, daß sie das vorgefundene Material in gewisser Weise bearbeitet hätten (mit Glättungen etc.). Da nun eben das Original nicht vorliegt, kann man nur mutmaßen, inwieweit, aber für freie Erfindungen fehlt eben ebenso ein Beleg, wie auch immer. Im Kontext ihrer sonstigen, im Original überlieferten Briefe, spricht dafür eher nichts.

Anmerkung zum Brief an ihre Schwester Therese:

Es ist der letzte Brief an ihre Schwester, den diese erst nach ihrem Tode empfing. Die Fürstin von Thurn und Taxis hatte daran mitgewirkt, daß der Freiherr von Hardenberg schließlich zum „Staatskanzler“ berufen werden konnte.

Königin-Luise-Gedenkstätte, Schloß Hohenzieritz, 2014

2 Stimmen zur Königin

Der Tod der Königin löste in ganz Deutschland und natürlich sehr stark in Preußen eine ungemeine Betroffenheit aus. Eine Trauer, die überraschenderweise nicht zu lähmendem Verstummen führte, sondern sich in ungekanntem Maße dann auch vielfach aussprach.

Das wohl schönste Gedicht, das für Luise Auguste Wilhelmine Amalie, Herzogin zu Mecklenburg, spätere Königin von Preußen geschrieben wurde, stammt von Heinrich von Kleist, es ist zwar vor ihrem Tode entstanden, allerdings im Todesjahr:


An die Königin von Preußen

Zur Feier ihres Geburtstages den 10. März 1810

Erwäg ich, wie in jenen Schreckenstagen,
Still deine Brust verschlossen, was sie litt,
Wie Du das Unglück mit der Grazie Tritt
Auf jungen Schultern herrlich hast getragen,

Wie von des Kriegs zerrißnem Schlachtenwagen
Selbst oft die Schar der Männer zu dir schritt,
Wie trotz der Wunde, die Dein Herz durchschnitt,
Du stets der Hoffnung Fahn‘ uns vorgetragen:

O Herrscherin, die Zeit dann möcht‘ ich segnen!
Wir sahn Dich Anmut endlos niederregnen -
Wie groß Du warst, das ahndeten wir nicht!

Dein Haupt scheint wie von Strahlen mir umschimmert;
Du bist der Stern, der voller Pracht erst flimmert,
Wenn er durch finstre Wetterwolken bricht!


Eine andere poetische Erfindung gewissermaßen stammt von Schinkel. Dieser hatte noch 1810 den Entwurf eines Mausoleums für die Königin Luise vorgelegt, von dem er wußte, daß er nicht verwirklicht werden würde. Schließlich war durch Friedrich Wilhelm III. längst der Auftrag an Heinrich Gentz ergangen, ein solches zu erbauen. Schinkel hatte sogar am Entwurf mitgewirkt.

Anton von Werner, Wilhelm I. am Sarkophag 
seiner Mutter Königin Luise im Charlottenburger Mausoleum 
(am 19. Juli 1870), 1881, hier gefunden

Dennoch lieferte er diesen aufwendigen Entwurf mit drei großen aquarellierten Zeichnungen von Grundriß, Außenansicht des Eingangs und Innenraum und gab dazu Anmerkungen, die über das technische weit hinausgehen.

Folgen wir ein wenig seinen Beschreibungen. Er ging den entgegengesetzten Weg, den wir einschlagen wollen, und hatte zuvor den Innenraum beschrieben:

Entwurf für ein Mausoleum der Königin Louise, Außenansicht

„Vor dieser Halle ist eine Vorhalle, die von den dunkelsten Bäumen beschattet wird, man steigt Stufen hinan und tritt mit einem sanften Schauer in ihr Dunkel ein, blickt dann durch drei hohe Öffnungen in die liebliche Palmenhalle, wo in hellem morgenrothen Lichte die Ruhende, umringt von himmlischen Genien liegt."

Entwurf für ein Mausoleum der Königin Louise, Innenraum

"Ein mannigfach gewölbter Raum, dessen Bögen sich auf freistehenden Säulen zusammenziehen, so angeordnet, daß die Empfindung eines schönen Palmenhains erregt wird, umschließt das auf Stufen mit vielen sprossenden Blättern, Lilien- und Rosenkelchen sich erhebende Ruhelager. Die schöne Gestalt der Königin liegt mit der Krone auf dem Haupte hier in sanfter Ruhe.

Zwei himmlische Genien mit ausgebreiteten Flügeln und Palmenzweigen stehen auf sprossenden Lilien an der Seite des Hauptes, blicken hold auf dasselbe hinunter und streuen Blumen herab, ein anderer Genius an den Füßen, auf einem Blätterkelch knieend, schaut zum Himmel im Wonnegefühl der Anschauung ihres verklärten Geistes.

Das Licht fällt durch die Fenster von drei Nischen, die das Ruhelager von 3 Seiten umgeben; wodurch über die ganze Architektur, welche in weißem Marmor ausgeführt ist, ein sanft rothes Dämmerlicht verbreitet wird.“

Büste der schlafenden Königin Louise
von Christian Daniel Rauch, 1817, hier gefunden

Schinkel deutet die Aufgabe eines solchen Gedenkortes an. Zunächst:

"Die irdische Hülle der verewigten Königin soll der Nachwelt aufbewahrt werden, es wird ihr also ein Ort geweiht, der durch eine liebliche Feierlichkeit jeden, der ihn betritt, zu den Gefühlen erhebt, welche dem Andenken an das verehrte Leben entsprechen."

Aber dieser Ort sollte nicht nur gefühlsmäßig erheben, sondern:

"Man sollte sich in dieser Halle wohlbefinden, und jedem sollte sie zur Erbauung seines Gemüths offen stehen, – das wollte ich. Ein jeder sollte darin gestimmt werden, sich Bilder der Zukunft zu schaffen, durch welche sein Wesen erhöht, und er zum Streben nach Vollendung genöthigt werde."

Selbstprüfung, Zu-sich-selbst-Finden und Erhebung am Vorbild der Königin zu Bildern der Zukunft. Diese Aufgabe sah Schinkel beim Betrachten des Bildes der Königin.

Louise Élisabeth Vigée Le Brun
Luise von Mecklenburg-Strelitz, Königin von Preußen, 1802

nachgetragen am 24. Juli 

Sonntag, 7. Juli 2019

Von dem Verführerischen des Menschlichen und der Wahrheit Gottes - eine Predigt

Marten de Vos, 1601, Die Vision des Hl. Eustachius 
mit anderen Szenen seiner Glaubensprüfungen im Hintergrund

Die Predigt des Herrn Roloff, die sich anschließend findet, bedurfte nach meiner Auffassung einer Vorbemerkung, die ich unter dem Titel Präliminarien zu einer Predigt hier hinterlassen habe. Ich mochte das ewige Wort Gottes nicht mit Zeitgenössischem besudeln, sozusagen.

St. Eustachius und Agathe, Magdeburg-Diesdorf.

Predigt zum 3. Sonntag nach Trinitatis in St. Eustachius und Agathe, Magdeburg

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Ich danke unserm HERR Christus Jesus, der mich stark gemacht und treu geachtet hat und gesetzt in das Amt, der ich zuvor war ein Lästerer und ein Verfolger und ein Schmäher; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan im Unglauben. Es ist aber desto reicher gewesen die Gnade unsers HERRN samt dem Glauben und der Liebe, die in Christo Jesu ist.
Das ist gewißlich wahr und ein teuer wertes Wort, daß Christus Jesus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen, unter welchen ich der vornehmste bin. Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, auf daß an mir vornehmlich Jesus Christus erzeigte alle Geduld, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben. Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren und allein Weisen, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.
1 Tim 1, 12-17

Liebe Gemeinde,

wenn uns die Menschlichkeit verbindet, dann ist ganz egal, was uns trennt. Wer wollte dem nicht zustimmen? Das Menschliche ist so verführerisch. Es lässt uns schließlich nicht nur das Gute befördern, sondern es lässt uns vor allem gut erscheinen. Es ist so schön und wohltuend, zu den Guten zu gehören. Wer das Gute will, der muss unter Umständen auch die sonst für alle geltenden Regeln nicht beachten. Die Regeln dürfen uns doch nicht daran hindern, das Gute zum Durchbruch zu bringen.

Auf dieses Wohlgefühl blickt der Apostel Paulus in unserem Predigttext zurück. Er hat mit Leidenschaft die Irrgläubigen verfolgt, die Andersdenkenden gejagt. Er hat nicht dulden wollen, dass da eine neue Sekte den rechten Glauben zersetzt. Es durfte keine Tabus geben, wenn es darum ging, jene zur Strecke zu bringen, die, anstatt des ewigen Gottes, einen vulgären und anmaßenden Wanderprediger verehrten. Er hatte Wohlgefallen daran, dass Stephanus gesteinigt wurde, weil er sich mutig zum Herrn bekannte. Es war zutiefst menschlich, dass man den Feinden des Glaubens entschlossen entgegentrat.


Heinrich Schütz: Saul, Saul, was verfolgst du mich? (SWV 415)

Dieses menschliche Wüten des Paulus fand sein Ende vor den Toren von Damaskus. Davon berichtet uns der Apostel in unserem Predigttext. Es ist bezeichnend, dass er, sooft er an dieses Geschehen denkt, gleichsam in Dankbarkeit versinkt.

Ich danke unserm HERR Christus Jesus, der mich stark gemacht und treu geachtet hat und gesetzt in das Amt. Er wurde bekehrt vom menschlichen Hochmut zur christlichen Demut.

Dankbarkeit ist der Schlüssel zum rechten Verständnis Gottes. Ich verdanke mich ihm und er verdankt mir nichts. Gott achtet Paulus nicht seiner Stärke wegen, sondern Paulus verdankt seine Stärke der Zuwendung Gottes. Gott wendet sich diesem Menschen nicht zu, weil er ihn als vorbildlich treu befunden hat und ihn darum ehren will. Die Treue erwächst überhaupt erst aus der Hinwendung Gottes. Erst diese von Gott erweckte Treue wirkt in Paulus bittere Erkenntnis: Mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan im Unglauben. Paulus wollte mit rasendem Eifer Gutes tun, aber er kannte den Herrn nicht. Wer aber den Herrn nicht kennt, der hat keinen Maßstab, der hat keine Orientierung, der hat vor allem keinen wahren Glauben. Die Wahrheit des Glaubens ist nämlich an den gebunden, der die Wahrheit ist.

Auch wer ein Lästerer, Verfolger und Frevler war, kann von diesem Herrn ins Amt gesetzt werden. Das ist es, was Paulus überrascht hat und wovon er reden und Zeugnis ablegen muss. Er bekennt, ich habe es unwissend getan, im Unglauben. Der Unglaube bewirkt Irrtum. Das ist es, was Paulus zu erkennen beginnt, nachdem er dem Herrn vor Damaskus begegnet ist.

Voller Staunen wird er gewahr, dass wegen der Ungeheuerlichkeit seiner vorherigen Sünde, die Gnade Christi umso klarer hervortreten kann. Es ist aber desto reicher gewesen die Gnade unsers HERRN samt dem Glauben und der Liebe, die in Christo Jesu ist, schreibt er an Timotheus. Und dann folgt der zentrale Satz des Textes, es folgt im Grunde der zentrale Satz christlichen Glaubens: Das ist gewißlich wahr und ein teuer wertes Wort, daß Christus Jesus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen, unter welchen ich der vornehmste bin.

Christus ist Mensch geworden, er ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen! Das setzt doch zunächst und vor allem voraus, dass ich mich als Sünder erkenne! Ich kann nicht aus mir selbst das Gute finden. Was nennst du mich gut, niemand ist gut als Gott allein, sagt selbst Christus zum reichen Jüngling. Noch entschiedener wendet es sich an Petrus, als der das Leiden seines Meisters verhindern will.

Da wandte sich Jesus um und sprach zu Petrus: Hebe dich, Satan, von mir! du bist mir ärgerlich; denn du meinst nicht was göttlich, sondern was menschlich ist. Es liegt die Gefahr großen Unheils darin, wenn wir aus eigenem Entschluss und aus eigener Einsicht das Gute und Menschliche suchen. Wir können als Menschen aus eigener Einsicht nur Gemeinschaft finden, wenn wir uns als Sünder erkennen. Eine Gemeinschaft aus den selbst erkorenen guten Absichten heraus ist unmöglich. Sie führt immer in die Selbstermächtigung, in den Hochmut der Selbsterlösung.

Paulus hat vor Damaskus erfahren, dass die erste und alles ändernde Entscheidung dann fällt, wenn man Christus begegnet.

Darum ist es so gefahrvoll, wenn sich augenblicklich die Meinung durchsetzt, wenn wir nur im vermeintlich Guten weite Übereinkunft erzielen,  dann ist am Ende ganz egal, woran wir glauben. Dann soll doch jeder in seinem Glauben zum Guten beitragen.

Das ist darum eine verführerische und ganz und gar vergiftete Auffassung, weil sie die Entscheidung über das Verhältnis zum Erlöser der Welt auf den zweiten Platz verweist – erst das Gute und dann die Frage nach dem konkreten Glauben. Eine schamlosere Beleidigung des Herrn der Welt ist kaum denkbar.

Denn die Frage nach Christus wird nun zweitrangig.

Das ist aber vor allem darum auch falsch, weil ohne den christlichen Glauben, ohne die „Überzeugung eines Schöpfergottes, die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln niemals entwickelt worden wären.

Diese Erkenntnisse der Vernunft bilden unser kulturelles Gedächtnis. Es zu ignorieren oder als bloße Vergangenheit zu betrachten, wäre eine Amputation unserer Kultur insgesamt und würde sie ihrer Ganzheit berauben. Die Kultur Europas ist aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom – aus der Begegnung zwischen dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms entstanden.

Diese dreifache Begegnung bildet die innere Identität Europas. Sie hat im Bewußtsein der Verantwortung des Menschen vor Gott und in der Anerkenntnis der unantastbaren Würde des Menschen, eines jeden Menschen Maßstäbe des Rechts gesetzt, die zu verteidigen uns in unserer historischen Stunde aufgegeben ist.“ So in etwa hat es Benedikt XVI. vor einigen Jahren im Reichstag auf den Punkt gebracht.

Anderen Überzeugungen und Glaubensauffassungen gegenüber tolerant zu sein bedeutet eben nicht, die eigenen aufzugeben oder auch nur zu relativieren. Tolerieren kann man immer nur das, was man für falsch hält, anderenfalls könnte man ihm beipflichten.

Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren und allein Weisen, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! So bekennt sich Paulus und ruft auch Timotheus in dieses Bekenntnis. So bekennt sich die Kirche und gibt darin Zeugnis von dem Herrn, der in Ewigkeit unser rechtmäßiger König ist, der unvergänglich, unsichtbar und alleine Gott ist. Er hat den Menschen zu seinem Bilde geschaffen, er hat der ganzen Schöpfung seine Ordnung eingeschrieben, die wir zu achten haben, weil wir selbst aus dieser Ordnung heraus geboren sind.

Ihn preist die Kirche von Paulus und Timotheus an, in der Gemeinschaft mit der Gottesmutter, mit dem Hl. Eustachius und der Hl. Agathe, den Patronen dieser Kirche, und mit allen Christen, die vor uns gewesen sind. Mit ihnen allen bekennen heute auch wir: Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren und allein Weisen, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn. Amen.

Thomas Roloff

Sebastiano del Piombo, Martyrium der Hl. Agatha, 1520

nachgetragen am 8. Juli

Samstag, 6. Juli 2019

Präliminarien zu einer Predigt


Erik Satie - Gymnopédie No.1

Es ist widerständig, wenn man einer Predigt, die anschließend eingestellt werden soll, etwas hinzufügen muß, das unerfreulich ist. Zumal, wenn man eben aus einem wundervollen Orgelkonzert zurückkommt, veranstaltet von zwei Warener Damen, über französische Orgelmusik vor und nach 1900, eine Musik, einfallsreich, sentimental, gelöst, spielerisch, ohne dabei je flach zu werden, man sich also in gelöster Stimmung befindet, aber doch gern diese Predigt bringen will. Nun ja.

Aber vielleicht kann man über diesen Topos nur angemessen schreiben, wenn man sich in gelöster Stimmung befindet. Warum ist eine Vorbemerkung überhaupt nötig. Nun deswegen:


Es gibt in diesem vor sich hin wesenden Volkskörper besonders Eifernde, die alles für N.zi! halten, was über ihre Kindergarten-Erinnerung zurückreicht, verstört, verhetzt, aber darin eben um so eifriger, das Auszulöschende auszumachen. Ich mag mich weder in die Sprache noch sonst irgendwie in die Nähe dieses Milieus begeben (daher die Abkürzung), sondern einige allgemeine Beobachtungen teilen, woran man das Böse erkenne.

Und um nur noch das zu erklären:


Das geschändete Denkmal steht in Magdeburg und wurde 1877 zum Gedenken an die Gefallenen der Einigungskriege im Park am Fürstenwall errichtet. Eine Inschrift lautet: „Den im Kampfe für Deutschlands Ehre und Einheit gefallenen Kriegern des Stadtkreises Magdeburg“. Man muß davon ausgehen, daß von dem Vorgang in diesen Zeiten öffentlich nicht weiter Notiz genommen werden wird (allenfalls affirmativ).

Kaiserproklamation, Kriegerdenkmal in Magdeburg,
Relief modelliert 1877 von Emil Hundrieser, hier gefunden

In der Predigt des Herrn Roloff wird es u.a. um die Fallstricke des das Gute Wollen gehen. Und es drängte sich ja förmlich auf, auf das Obige einzugehen. Aber er hat sich denn doch dagegen entschieden. Ich will es auch nicht, und wiederum irgendwie doch. Denn solcherlei darf nicht unkommentiert bleiben.

Also, woran erkennt man das Böse? Nun zuerst hilft ein Wort des Herrn aus Matthäus 7, die Verse 15 und 16:

Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man denn Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? 

Worte werden also nicht helfen. Das Böse wird immer sagen: „Ich bin das Gute.“ Denn es west in der Lüge. Seine Wirkungen verraten es, denn es will vor allem eines – Vernichtung. Und dafür nutzt es die Schwächen der menschlichen Natur wie Mißgunst, Neid, Rachsucht (selbst für eingebildetes Unrecht), Trägheit, Geistfeindschaft, Gefallsucht, Eitelkeit, Dummstolz, Gier, so wie die übrigen. Und es benutzt sie nicht nur, sondern stachelt sie auf und rechtfertigt sie, es nutzt diese Schwächen und verkleidet sie als Tugenden. So daß der dem Bösen Anheimgefallene seine dunklen Seiten ausleben kann und zugleich als vorbildhaft gelten darf.

Die Lüge hat keinen Bestand, sie erzeugt Spannungen, also muß der ihr Anheimgefallene ständig kämpfen, den Feind ausmachen oder erfinden, er muß die Spannung, die er ja spürt, nach außen kehren und an der Welt abarbeiten. Er ist somit ständig empört und in Bewegung (so wie beim Fahrradfahren, wenn er sich nicht bewegt, wohin immer, fällt er um, es sei denn, er fährt gegen eine Wand, dann fällt er auch um).

Die Lüge haßt die Wirklichkeit, denn in der Wirklichkeit wohnt der Vater der Wahrheit. Also besteht ihr ganzes Nicht-Wesen aus Feindseligkeit. Darum muß denunziert, dekonstruiert, umgedeutet, verdächtig gemacht werden, muß ihre Erkennbarkeit in Zweifel gezogen, nein bestritten werden, denn es gibt gar keine Wahrheit, sondern nurmehr Macht.

Die Lüge zerfrißt den emporsteigenden menschlichen Geist. Sie bekämpft, was in gewachsenen und bewahrten Erfahrungen, in der Tradition von Institutionen, im Band von Gemeinschaften, in der Geschichte von Völkern und vielem mehr zu einem inneren Gerüst geworden ist, an und auf dem eine höhere Kultur erwachsen kann und will.

Wo sie gegen dieses ankämpft, kommt es nicht nur zu dem Offenkundigen, wie Zerstörung und Vernichtung von Leben, auch die Errungenschaften der Geschichte des menschlichen Geistes gehen verloren. Auf die schauerliche Bühne treten Regressionen, Atavismen, ja ein Rückfall ins Magische. So wie bei dem neuerlichen Phänomen, daß, wer sich mit dem als Feind Ausgemachten abgebe, indem er ihm die Hand reiche, ihn grüße, gar spreche, umgehend infiziert sei. Und daher müsse man am besten alle auslöschen, bei denen sich dieses ereigne.

Das soll genügen. Ich wollte nur ein kleinen Wegweiser anbieten durch den Dschungel der Wirklichkeit, die dieser Tage uns alle bedrängt. Also noch etwas Leichteres zum Abscluß:


Erik Satie - Poudre d'Or

Um noch einmal nach Magdeburg zurückzukehren. Ein Denkmal für die Königin Luise, durch Bürgerspenden zustande gekommen, wurde 1963 gestürzt und in eine Baugrube geworfen. 2009 ermöglichten als „Ausdruck des Bürgersinns“ Spendengelder örtlicher Unternehmer ein neues Denkmal am historischen Standort.


nachgetragen am 8. Juli

Dienstag, 2. Juli 2019

Sagrada Família, ein Feldzeichen der Hoffnung und des Schönen


ALMA MATER - Benedikt XVI.

 "Der Glaube ist Liebe und bringt daher Dichtung und Musik hervor. Der Glaube ist Freude, daher bringt er Schönheit hervor."

["Aus diesem Kontakt des Herzens mit der göttlichen Wahrheit, die Liebe ist, entsteht die Kultur, und aus ihm ist die gesamte große christliche Kultur entstanden. Und wenn der Glaube lebendig bleibt, wird auch dieses kulturelle Erbe nicht zu etwas Totem, sondern bleibt lebendig und gegenwärtig. Die Ikonen sprechen auch heute zum Herzen der Gläubigen, sie sind nicht etwas Vergangenes.]

Die Kathedralen sind keine mittelalterlichen Monumente, sondern Wohnstätten des Lebens, wo wir uns 'zu Hause' fühlen: Wir begegnen Gott und wir begegnen einander. Auch die große Musik – der Gregorianische Choral oder Bach oder Mozart – ist keine Sache der Vergangenheit, sondern lebt von der Lebendigkeit der Liturgie und unseres Glaubens. Wenn der Glaube lebendig ist, wird die christliche Kultur nicht zu etwas »Vergangenem«, sondern bleibt lebendig und gegenwärtig. Und wenn der Glaube lebendig ist, können wir auch heute dem Gebot entsprechen, das in den Psalmen immer wieder anklingt: 'Singt dem Herrn ein neues Lied.'"

Diese Worte sprach Benedikt XVI. in der Generalaudienz vom 21. Mai 2008 und (soweit ich sie farbig hervorgehoben habe) sind in dem obigen kleinen Video (auf italienisch) zu hören.

Eigentlich geht es in der Katechese um den geistlichen Dichter Romanus Melodus, der in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts vorwiegend in Konstantinopel gewirkt hat. Seine poetische Gabe habe Romanus von der Muttergottes im Traum empfangen.

Aber die Sätze des Papstes sind von so universaler Gültigkeit, daß ich die Reihe meiner Nachträge, zumal am Tage des Festes Maria Heimsuchung mit ihnen beginnen wollte.

Sagrada Família, Geburtsfassade, September 2008

Um eine dieser „Wohnstätten des Lebens“ soll es noch einmal gehen, nämlich die Sagrada Família. Vor einiger Zeit hatte ich einmal etwas zu dieser ganz eigentümlichen „Basilica minor“ in Barcelona geschrieben. Und nach 4 Jahren ist es vielleicht nicht ganz unangebracht, vom erfreulichen Wohlergehen dieses Feldzeichens der Hoffnung und des Schönen zu berichten.

Sagrada Família (Barcelona) vom Plaça de Gaudí

Sagrada Família bei Nacht vom Plaça de Gaudí, Februar 2015
Baukräne wurden wegretuschiert, hier gefunden

„2019, das Jahr, in dem sich die Silhouette der Sagrada Família zu verändern beginnt.“

 So ist ein Eintrag auf dem offiziellen Blog der Sagrada Família vom 9. Januar 2019 überschrieben. Und da es leider keine deutsche Version gibt, will ich seinen Inhalt zusammenfassen. Es ist gewissermaßen das Bauprogramm für das laufende Jahr.

Die Passionsfassade im Juni 2017

2018 habe man die Passionsfassade fertiggestellt (somit sind zusammen mit der Geburtsfassade, die Jesu Geburt darstellt, zwei der 3 Schaufassaden vollendet) und mit dem Bau des Turms Jesu Christi (dem Hauptturm der Basilika) begonnen.

Geburtsfassade im August 2017

Das weltweit bekannteste Bild der Basilika sei das Profil der (je) vier Glockentürme an den (fertiggestellten) Fassaden, die sich in den Himmel reckten. Aber 2019 werde sich diese Silhouette zu ändern beginnen, da die zentralen Türme die Höhe der Türme erreichen werden, die zuvor für die Besucher im Mittelpunkt standen. Die vier Türme der Evangelisten, welche Ende 2018 bei 92,80 Metern gestanden hätten, würden auf 105,99 Meter anwachsen, um 2022 die endgültige Höhe von 135 Metern zu erreichen. Der Turm der Hl. Jungfrau Maria werde auf 110,65 Meter, bei einer endgültigen Höhe von 138 Metern, wachsen, während der Turm Jesu Christi, der in diesem Jahr bei 90,86 Metern Höhe begonnen worden sei, am Ende des Jahres bei 106,39 Metern stehen würde.

Modell der Sagrada Familia,
braun - errichtet, weiß - noch zu bauen, hier gefunden

604 der 768 Steinplatten, welche die zentralen Türme verkleiden sollen, würden angebracht sein. Bis zum Ende des Jahres würden die zentralen Türme höher sein als die Glockentürme an den Enden der Krippen- und Passionsfassaden mit einer Höhe von 98,5 bzw. 102 Metern. (Mit den Glockentürmen sind die 12 Aposteltürme gemeint; da zweien der Apostel auch Evangelien des Neuen Testaments zugeschrieben sind, behilft man sich dergestalt, nachdem man den an Stelle des Verräters Judas „nachgewählten“ Matthias aufgenommen hat, ebenso auch Barnabas, der laut der Apostelgeschichte den Jüngern besonders nahestand, und den „postumen“ Apostel Paulus aufzunehmen.

Sagrada Família, Juli 2018, mit dem Turm der Hl. Jungfrau

Die Türme der Evangelisten würden mit den vier Figuren bekrönt werden, mit denen das Christentum sie traditionell symbolisiert habe: ein Engel für Matthäus, ein Löwe für Markus, ein Stier für Lukas und ein Adler für Johannes. Gemeißelt würden sie 2019 von Xavier Medina Campeny, obwohl man noch bis zur Anbringung 2022 warten müsse, um sie allgemein in Augenschein nehmen zu können.

2019 würde auch über die Symbolik der Innenwände des Christusturms entschieden werden.

Die Arbeiten zur endgültigen Fertigstellung der Glorienfassade (der Hauptfassade) müßten zwar noch bis 2022 warten, bis die Arbeiten an den zentralen Türmen abgeschlossen seien. 2019 würde jedoch die vorläufige Gestaltung der Fassade abgeschlossen, so daß die Grundformen der Säulen, des Narthex, der Kapellen und der Symbolik der Fassade erkennbar würden.

Und schließlich gäbe es auch weitere Arbeiten im Inneren der Basilika, u.a. an einer Fußbodenheizung und dem endgültigen Fußboden der Kirche.

Das war nach dem hohe Ton Benedikts vom Anfang zwar recht nüchtern, aber für den, dem der Bau am Herzen liegt, vielleicht nicht unteressant. Es gibt viele interessante

Videos zur Sagrada Família, 

über ihre Geschichte, die förmlich die letzten mehr als 130 Jahre spanischer Geschichtespiegelt, über das Leben von Antoni Gaudí, den sein eigenes Werk völlig veränderte, über die technischen Aspekt, die höchst bemerkenswert sind. Aber wir enden besser mit ein paar allgemeinen Empfehlungen.

Und so wird auch diesmal noch nicht ein Video enthalten sein, in dem jemand sehr eindrucksvoll die 3 Quellen der Architektur der Sagrada Família erklärt, nämlich Bibel - Liturgie – Natur (Nachtrag - tatsächlich findet sich eine solche Feststellung auch in diesem der empfohlenen Videos; es fällt nicht schwer, hier den Überblick zu verlieren).

Sagrada Família, Innenraum, Februar 2011




„2017 Construint un somni | Construyendo un sueño“ heißt das obige Video vom September 2017 und gibt einen guten Eindruck von der Baugeschichte bis hin zur virtuellen endgültigen Gestalt.

Die nächsten sollen nur kurz charakterisiert werden:

2019 La Sagrada Família i la tecnologia“, ein kurzes, etwas lärmiges Video, das ansonsten interessante Bilder von den Techniken zeigt und ab 1.30 sieht man den fertigen Bau aufwachsen.

SAGRADA FAMILIA - BARCELONA SPAIN [ HD]“ - ein stimmunngsvolles musikalisch unterlegtes Übersichtsvideo vom September 2017, das um, über und durch die Basilika führt.

Sagrada Familia - Barcelona Spain - February 2019 - 137 years of construction“ - ebenfalls nur musikalisch unterlegt, allerdings mit einigen erläuternden Kommentaren.

Basilica of the Sagrada Família. Welcome to the Temple“ - ein (englisch) kommentierendes Video von April 2014, das kurz und prägnant den Bau und seinen Charakter beschreibt.

The Passion façade: key moments in its history“ vom Oktober 2018 von der offiziellen Seite der Sagrada Família zeigt die Stationen des Baus der Passionsfassade.

Completing La Sagrada Familia, a talk by Tristram Carfrae“ - im Gegensatz zu den bisherigen Stücken von wenigen Minuten haben wir hier ein fast einstündiges (englischsprachiges) Video aus einer vor allem bautechnischen Perspektive, faszinierend, aber mehr für den „Hardcore-Fan“ sozusagen.

Sagrada Família, Barmherzigkeitsportal



In meinem eingangs erwähnten Beitrag von vor 4 Jahren nannte ich die Basilka eine offene Provokation, das ist sie natürlich auch, die einer monotonen geistleeren Moderne, ein ziemlich groß geratener Widerspruch zum „Zeitgeist“. Aber mehr noch provoziert sie mit ihrer religiösen Selbstgewißheit, als Monument eines unglaublich gesteigerten religiösen Erfahrens, in dem die Darstellung der ganzen Bilderwelt des Neuen Testaments etwa zur modernen Ikone wird. Und jetzt zitiere ich mich engültig selbst:

„Ein Zeichen, dem widersprochen werden muß, natürlich. Selbst nicht im geringsten resignativ, obwohl die Sagrada Familia auch die ‚letzte Kathedrale‘ genannt worden ist, gewissermaßen das Abendleuchten des Christentums. Das wird sich weisen.“

Damals konnte man nicht ahnen, was jüngst mit der Kathedrale Notre-Dame de Paris geschehen sollte. Erstaunlich ruhig ist es übrigens zu den Brandursachen geworden, ohne daß ich das weiter kommentieren will. Aber doch stehen diese beiden Bilder vor dem inneren Auge – das brennende Fanal von Paris und das Zeichen der Hoffnung von Barcelona. Dies sind die Zeichen des Dramas, das unsere Gegenwart bestimmt.

Sagrada Família, Apsisfenster

Sagrada Família, Geburtsfassade, Engel

nachgetragen am 5. Juli