Donnerstag, 19. März 2015

"Ein sichtbares Zeichen des unsichtbaren Gottes" - Die Sagrada Família

Sagrada Família, Mittelschiff

„Was bedeutet es, diese Kirche zu weihen? Mitten in der Welt, im Angesicht Gottes und der Menschen, haben wir in einem demütigen und freudigen Glaubensakt ein immenses Bauwerk errichtet, Frucht der Natur und unermeßlicher Anstrengungen der menschlichen Intelligenz, der Erbauerin dieses Kunstwerks. Es ist ein sichtbares Zeichen des unsichtbaren Gottes, zu dessen Ehre diese Türme emporragen: Wie Pfeile verweisen sie auf das Absolute des Lichts und dessen, der das Licht, die Erhabenheit und die Schönheit selbst ist.

In diesem Raum wollte Gaudí die Eingebung zusammenfassen, die er aus den drei großen Büchern erhielt, aus denen er als Mensch, als Gläubiger und als Architekt Nahrung zog: das Buch der Natur, das Buch der Heiligen Schrift und das Buch der Liturgie. So vereinte er die Wirklichkeit der Welt und die Heilsgeschichte, wie sie uns durch die Bibel berichtet und in der Liturgie vergegenwärtigt wird. Er nahm Steine, Bäume und menschliches Leben in den Sakralbau hinein, um die ganze Schöpfung auf das göttliche Lob auszurichten, aber gleichzeitig brachte er die Retabel hinaus, um den Menschen das Geheimnis Gottes vor Augen zu führen, das in der Geburt, im Leiden, im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi offenbart wird.

Sagrada Família bei Nacht vom Plaça de Gaudí
(Baukräne mittels Bildbearbeitung entfernt)

So wirkte er auf geniale Weise am Aufbau eines menschlichen Bewußtseins mit, das in der Welt verankert, offen für Gott und von Christus erleuchtet und geheiligt ist. Und er verwirklichte das, was heute zu den wichtigsten Aufgaben gehört: die Überwindung der Spaltung zwischen menschlichem und christlichem Bewußtsein, zwischen der Existenz in dieser zeitlichen Welt und der Öffnung zum ewigen Leben, zwischen der Schönheit der Dinge und Gott als der Schönheit selbst.

Antoni Gaudí verwirklichte all dies nicht mit Worten, sondern mit Steinen, Linien, Oberflächen und Spitzen. In Wirklichkeit ist die Schönheit das große Bedürfnis des Menschen; sie ist die Wurzel, die den Stamm unseres Friedens und die Früchte unserer Hoffnung hervorbringt. Die Schönheit ist auch Offenbarerin Gottes, denn das schöne Werk ist wie er reine Unentgeltlichkeit, es lädt zur Freiheit ein und entreißt den Menschen dem Egoismus.

Sagrada Família, Passionsfassade

Wir haben diesen Sakralraum Gott geweiht, der sich uns in Christus offenbart und hingegeben hat, um endgültig Gott unter den Menschen zu sein...  Auf der Grundlage dieses Glaubens versuchen wir gemeinsam, der Welt das Antlitz Gottes zu zeigen, der die Liebe ist und der allein auf das Verlangen des Menschen nach Erfüllung antworten kann. Das ist die große Aufgabe: allen zu zeigen, daß Gott der Gott des Friedens ist und nicht der Gewalt, der Freiheit und nicht des Zwangs, der Eintracht und nicht der Zwietracht. In diesem Sinne glaube ich, daß die Weihe dieser Kirche der »Sagrada Familia« in einer Zeit, in der der Mensch sich anmaßt, sein Leben hinter Gottes Rücken aufzubauen, so als hätte er ihm nichts mehr zu sagen, ein sehr bedeutsames Ereignis ist.

Gaudí zeigt uns durch sein Werk, daß Gott der wahre Maßstab des Menschen ist, daß das Geheimnis der wahren Originalität, wie er sagte, darin besteht, zum Ursprung zurückzukehren, der Gott ist. Indem er selbst in dieser Weise seinen Geist für Gott öffnete, konnte er in dieser Stadt einen Raum der Schönheit, des Glaubens und der Hoffnung schaffen, der den Menschen zur Begegnung mit jenem führt, der die Wahrheit und die Schönheit selbst ist...

Sagrada Família, Innenraum

Die Initiative zum Bau dieser Kirche ist der Vereinigung der Freunde des hl. Josef zu verdanken, die sie der Heiligen Familie von Nazaret weihen wollte. Schon immer wurde die von Jesus, Maria und Josef gebildete Familie als Schule der Liebe, des Gebets und der Arbeit angesehen... Daher widersetzt sich die Kirche jeglicher Form der Ablehnung des menschlichen Lebens und hält das aufrecht, was die natürliche Ordnung im Bereich der Familie als Institution fördert.

Während ich auf diesen heiligen Ort von bezaubernder Schönheit voll Staunen blicke, der so viel Geschichte des Glaubens aufzuweisen hat, bitte ich Gott, daß hier in Katalonien immer neue Zeugen der Heiligkeit hervorkommen und sich festigen mögen, die der Welt den großen Dienst anbieten, den die Kirche der Menschheit leisten kann und muß: Ikone der göttlichen Schönheit zu sein, brennende Flamme der Liebe, Weg, der dahin führt, daß die Welt an den glaubt, den Gott gesandt hat (vgl. Joh 6,29).“

aus der Predigt von Papst Benedikt XVI. zur Weihe der Kirche Sagrada Familia und des Altars, Barcelona; 7. November 2010

Sagrada Família, Innenraum

Für manche ist die „Sagrada Família“ riesengroßer Kitsch, religiöser Auswurf (der katalanische Architekt Oriol Bohigas), von „großartig schlechtem Geschmack“ (Salvador Dalí), andere versuchten gar, den Weiterbau zu verhindern (u.a. Le Corbusier und Walter Gropius); George Orwell, der auf der Seite der Trotzkisten im Bürgerkrieg gekämpft hatte, nannte sie „eins der furchtbarsten Gebäude“ und bescheinigte den Anarchisten „bad taste in not blowing it up when they had the chance”.

Diese Emotionen überraschen, auf den ersten Blick. Es dürfte in der Tat nicht viele Gebäude geben, die bis heute eine solche Intensität des blanken Hasses wie der hingebungsvollsten Bewunderung auf sich ziehen (siehe etwa diesen Bilderbericht). Am 19. März 1882, dem Gedenktag des heiligen Josef, legte man ihren Grundstein. Nur 128 Jahre später wurde sie von Papst Benedikt XVI. geweiht und zur Basilica minor erklärt (der Innenraum war weitgehend fertiggestellt und stand somit zur gottesdienstlichen Nutzung bereit). Das war durchaus ungewöhnlich und auffallend.

Es ist ebenso wirklich merkwürdig, daß die Baustelle der Kirche 1936 nicht völlig zerstört wurde. Denn, als der spanische Bürgerkrieg ausbrach und die mordende Seuche des Atheismus, die Katalonien äußerst stark befallen hatte, in Gestalt der Anarchisten umgehend Tausende von Priestern tötete, Klöster niederbrannte und in Barcelona kaum eine Kirche unverwüstet oder unzerstört hinterließ, ausgerechnet vor der Sagrada Familia schreckten sie teilweise zurück.

Sie brannten zwar einen Teil der Geburtsfassade nieder und zerstörten weitgehend die Krypta, sie töteten den Freund Gaudís und geistlichen Leiter der Sagrada Familia, der dort wohnte, wo sich auch das enorme Gipsmodell des Baus (der eigentliche Bauplan) und einige Zeichnungen befanden.

Gegen das Modell allerdings wüteten sie heftig (man stelle sich bildlich den IS vor), was ihnen vielleicht die Gewißheit gab, daß der Bau darauf ebenso enden würde. Nur sprengten sie eben nicht alles in die Luft, was Orwell so sinnfällig bedauert (und eher gegen ihn und für den Bau spricht), und darüber hängten sie dann ihren schwarz-roten Lappen, nun ja.

Haben die Auftraggeber der Kirche Jahrzehnte zuvor etwas davon ahnungsweise gespürt, als sie eine „Sühnekirche“ in Auftrag gaben, weil sie ihre Zeit als zutiefst über das Bekannte hinaus sündig und versöhnungsbedürftig empfanden? „Temple Expiatori de la Sagrada Família“ oder „Templo Expiatorio de la Sagrada Familia“, zu deutsch - „Sühnekirche der Heiligen Familie“, heißt sie.

Gaudí jedenfalls übernahm das Vorhaben kurz nach Beginn wohl eher als eine Art Referenzobjekt für die ersehnte grandiose Karriere als Architekt; er wußte, was er wollte, nämlich einen komplett neuen Stil, zu bauen, und er hatte eine Vorstellung vom Effekt, der erreicht werden mußte - der Tempel solle ein „Gefühl der Göttlichkeit“ erwecken. Er selbst war nach überzeugenden Berichten dabei nicht im geringsten wahrnehmbar religiös. Doch der Bau sollte ihn verändern, völlig.

Sagrada Família, Geburtsfassade, Portal, Detail
von Etsura Sotoo, hier gefunden

Der japanische Bildhauer Etsuro Sotoo, der seit langem wesentlich an den Skulpturen der Kirche mitwirkt und schließlich selbst zum Katholizismus konvertierte, meint, der Architekt habe zwar den Bau ausgeführt, aber das Gebäude habe Gaudí geformt. Er habe lange an ihm herumgerätselt, bis er gelernt habe, nicht auf ihn zu sehen, sondern wie er zu sehen: „We have to study nature. Through nature you can see God. God 'speech as' through nature.“

Es ist schon ein tröstlicher Gedanke, wie ein Werk, eine Aufgabe, einen Menschen zu erziehen, also zu sich selbst kommen zu lassen, vermag. Doch zunächst ist „Natur“ das Stichwort. Man könnte Gaudís Bemühen um Originalität als radikalen Jugendstil kennzeichnen, der sich schließlich auch an die organischen Formen der Natur anzulehnen suchte. Nur was dort vor allem dekorative Hülle war, wurde bei Gaudí zur Suche nach dem Ursprung (und was kann originaler sein als die Rückkehr zum Ursprung). Paradox formuliert - ein explodierender Jugendstil von völlig eigener, aber sicherer Tektonik.

Er suchte zu verstehen, wie die wirklichen Kräfte der Natur sich in deren Formensprache manifestieren. Er fand darauf eine Konstruktionsmethode, die formal verblüffenderweise vieles von der späteren sog. „Moderne“ vorwegnahm, aber in gänzlich anderem Geist (siehe dazu etwa auch hier („Der Gaudí Code“ - ein sehr empathischer Film von Danielle Proskar)). Mitunter wird er als Wiederbeleber der Gotik mißverstanden, doch genau die mißfiel ihm als zu mechanisch, geradezu fabrikhaft, und vor allem ihre Not, Konstruktionen behübschen und verstecken zu müssen. Ihm schwebte eine Geometrie vor, die dessen nicht bedurfte, und er fand sie.



Wir werden jetzt nicht darstellen, wie Fenster und Wände Schnittflächen von Hyperboloiden sind oder uns gar noch weiter in den vermeintlichen Irrgarten der Geometrie begeben, oder wie seine schließlich schrägen Säulen zu einem dauerhaften Tragwerk verzweigen, das an Baumkronen erinnert, durch die das Licht fällt; verwirrend im Detail, aber von einer mathematischen Präzision, die zu einem stimmigen und verläßlichen Baukörper führt.

Zurück zum Bau, er provoziert mit seiner Prägung in 2 Richtungen. Einmal, weil er nicht unbedingt eine Gegen-, sondern eine andere Moderne wortwörtlich verkörpert, fern von den eugenischen Alpträumen eines Le Corbusier. Irgendwo hörte ich dazu den schönen Satz, Gaudí habe die alte Ordnung neu erfinden wollen.

Das ist die strukturelle Seite, deren äußere Erscheinung, wie ich zugeben muß, für einen Anhänger des Klassischen auch ihre Herausforderungen birgt („Sandburg mit Kleckertürmchen“ las ich wo auch immer), aber nicht durchgehend.

Die provozierendere Seite dürfte offenkundig sein, daß die Sagrada Familia Monument eines unglaublich gesteigerten religiösen Erfahrens ist, das etwa in der Darstellung der ganzen Bilderwelt des Neuen Testaments zur modernen Ikone wird. Ein Zeichen, dem widersprochen werden muß, natürlich. Selbst nicht im geringsten resignativ, obwohl die Sagrada Familia auch die „letzte Kathedrale“ genannt worden ist, gewissermaßen das Abendleuchten des Christentums. Das wird sich weisen.


Ein reichlich revolutionsromantischer Artikel endet übrigens mit dem Satz: „Gaudi starb, weil er für einen Bettler gehalten wurde“. In der Tat, was für ein Akt der Nachfolge.

beendet am 25. März

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ohhhhh, wie schön! Anfang 2009 war der Innenraum noch völlig Baustelle und wirkte grau. Nur mit viel Phantasie konnte man sich vorstellen, wie es werden würde und die Bilder-Wirklichkeit übertrifft jetzt schon alles, wie schön wird es erst in Natura sein. Wenn ich doch etwas mehr Zeit hätte und nicht so eine scheußliche Angst vorm Fliegen....Danke herzlichst für diesen guten und ausführlichen Bericht!

MartininBroda hat gesagt…

Ich sehe eben erst, daß ich noch gar nicht geantwortet hatte, und bitte um Nachsicht. Manchmal beeindruckt einen sogar eine Fernsehdokumentation so sehr, daß man über seinen Schatten springt und sich einer Sache annimmt, von der man zunächst davon ausging, daß sie einem eher widerstreben müßte.
Und je mehr man dann grub, um so interessanter wurde es einem. Da bleibt am Ende nur noch Weglassen (z.B. die Zahlenmystik des Baus). Der Innenraum ist offensichtlich ganz atemberaubend.
Es ist schön, wenn man auf diese Weise etwas vom eigenen Annähern weitergeben konnte. Vielen Dank.