Donnerstag, 16. Januar 2020

Pansmusik

Arnold Böcklin, "Pan im Schilf",  1856/57

Oskar Loerke

PANSMUSIK

Ein Floß schwimmt aus dem fernen Himmelsrande,
Drauf tönt es dünn und blaß.
Wie eine alte süße Sarabande.
Das Auge wird mir naß.

Es ist, wie wenn den weiten Horizonten
Die Seele übergeht,
Der Himmel auf den Ebnen, den besonnten,
Aufhorcht wie ein Prophet

Und eine arme Weise in die Ohren
Der höhern Himmel spricht:
Das Spielen wankt, im Spielen unverloren,
Das Licht wankt durch das Licht.

Heut fährt der Gott der Welt auf einem Floße,
Er sitzt auf Schilf und Rohr,
Und spielt die sanfte, abendliche, große,
Und spielt die Welt sich vor.

Er spielt das große Licht der Welt zur Neige,
Tief aus sich her den Strom
Durch Ebnen mit der Schwermut langer Steige
Und Ewigkeitsarom.

Er baut die Ebenen und ihre Städte
Mit weichen Mundes Ton
Und alles Werden bis in dieses späte
Verspieltsein und Verlohn:

Doch alles wie zu stillendem Genusse
Den Augen bloß, dem Ohr.
So fährt er selig auf dem großen Flusse
Und spielt die Welt sich vor.

So fährt sein Licht und ist bald bei den größern,
Orion, Schwan und Bär:
Sie alle scheinen Flöße schon mit Flößern
Der Welt ins leere Meer.

Bald wird die Grundharmonika verhallen,
Die Seele schläft mir ein,
Bald wird der Wind aus seiner Höhe fallen,
Die Tiefe nicht mehr sein.


Dante Gabriel Rossetti, The Day Dream


Unter- und hinhaltende Nach-Worte


Mitunter erscheinen ein Gedicht und ein Gemälde wie für einander geschaffen, und man weiß nicht, was zuerst da war, obwohl man es natürlich weiß, technisch gesehen. „Pansmusik“ von Oskar Loerke ist das erste und namensgebende Gedicht seines 2. Gedichtbandes von 1916.  Der "Pan im Schilf"von Arnold Böcklin ist etwa von 1856.

Wirkliche Dichtung auf Eindeutigkeit hin festlegen zu wollen, ist so vergeblich, wie Träume sachlich nacherzählen zu suchen. Es bleibt bestenfalls eine schlechte Karikatur übrig. Der Gott, auf einem Floß vorgestellt, das hinter dem Horizont verschwindet, eine Wort-Kaskade über Vergehn, Vergänglichkeit, Ewigkeit, vielleicht.

Und das bei dem Hirtengott Pan, ausgerechnet. Er war seit der Antike, aus der er herstammt, beliebt für Darstellungen wie nachfolgend (Begebenheiten, die wir nur noch von derlei Artefakten kannten, die edleren Seelen mögen die Augen wenigstens zum darauf folgenden Bild retten):

Villa dei Papiri, Herculaneum

Bis zur vorletzten Jahrhundertwende waren mythologische Verweise in der Kunst recht beliebt. Schlichtere „Experten“ wollen uns das damit erklären, daß man damals eine Staffage für das Zudringliche brauchte. Nun dieser Grund ist ja mittlerweile hinreichend weggefallen. Wurde dadurch irgend etwas besser? Außerdem stimmt es so platt auch nicht.

Kunst vergangener Jahrhunderte wirkte in einem Gewebe aus Bedeutungen, Anspielungen, Ebenen, Überlieferungen, Forterzählungen. Der Gott Pan mag für die animalische Seite der Menschheit stehen, bei Böcklin vermag seine Gestalt mit dem obigen Gedicht zu verschmelzen. So wie bei diesem Gemälde das Menschliche unverkennbar über seine Ursprünge hinaustritt.

Adolphe Alexandre Lesrel, Pan und Venus

Doch auch bei Böcklin taucht der Gott Pan mitunter derart auf, daß es nicht wundert, wie seine Attribute von den frühen Christen zur Charakterisierung des Leibhaftigen benutzt werden konnten (wie die geflügelten Amoretten das Vorbild für kindsgestaltige Engel abgaben, wir kommen noch darauf zurück). Dabei spielt er hier nur die Syrinx und es ist gar nicht der Gott selbst, sondern gewissermaßen die Verwandtschaft.

Arnold Böcklin,  Faun, die Syrinx blasend
ca. 1875, hier gefunden

Von der Syrinx weiß Karl Philipp Moritz (Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791) folgendes zu berichten:

Der ſiebenroͤhrigen Floͤte ſchreibt die Dichtung folgenden Urſprung zu: als Pan die Nymphe Syrinx, von Lieb’ entbrannt, verfolgte, und dieſe bis an den Fluß Ladon vor ihm flohe, wo ihr Lauf gehemmt war, ward ſie ploͤtzlich in ein Schilfrohr verwandelt, welches Pan umarmte. —

Der Wind, der in das Rohr blies, brachte klagende Toͤne hervor; und Pan ſuchte dieſe Toͤne wieder zu erwecken, indem er ſieben Rohre, das folgende immer um ein beſtimmtes Maaß kuͤrzer als das vorhergehende, zuſammenfuͤgte, und ſo die Hirtenfloͤte erfand, welche nach dem Nahmen der verwandelten Nymphe Syrinx hieß.

Peter Paul Rubens, Pan und Syrinx
ca. 1636, hier gefunden

Schule von Fontainebleau, Pan schneidet das Schilf, in welches die Nymphe Syrinx entsprungen ist, Mitte 16. Jh., hier gefunden

Herr Moritz weiß wirklich, einen unerfreulichen Vorgang galant zu beschreiben, zumal man das Ganze auch so lesen könnte, daß der Gott also die verwandelte Nymphe in sieben Stücke brach, um darauf spielen zu können. Er ist schon reichlich ambivalent, der Mythos. Aber das wußte auch Herr Moritz (um ihn noch einmal zu zitieren):

Man dachte ſich unter dem Pan ein Weſen, halb wohlthaͤtig und halb furchtbar; — und eben weil dieſer Begriff ſo ſchwankend war, ſchuf ſich die Einbildungskraft unter demſelben allerlei Schreckbilder. — Irgend ein Getoͤſe oder furchtbare Stimmen, die man in naͤchtlicher Stille, oder vom einſamen Ufer her zu vernehmen glaubte, ſchrieb man dem Pan zu; — weswegen man nachher auch ein jedes Entſetzen, wovon man ſelbſt die Urſache nicht wußte, oder wovon der Grund bloß in der Einbildung lag, ein paniſches Schrecken nannte.

Die Hirten, welche vorzuͤglich den Pan verehrten, fuͤrchteten dennoch ſeinen Anblick; ſie flehten ihn aber um den Schutz ihrer Heerden an, und brachten ihm haͤufig Opfer dar. — Denn an dieſe Gottheit, welche ſelber wie ſie die Hirtenfloͤte blies, und den krummen Schaͤferſtab in der Hand trug, durften die Hirten und die Bewohner der Fluren ſich am naͤchſten anſchließen, und theilnehmende Vorſorge und Beiſtand von ihr erwarten.

Rätselhaft ist er, dieser Gott Pan. Um zum letzten Mal Herrn Moritz zu zu Wort kommen zu lassen:

Andre Sagen laſſen ihn unter den aͤlteſten Gottheiten ſchon mit auftreten, wo er auf eine geheimnißvolle Weiſe, das Ganze, und die Natur der Dinge bezeichnet. — Auch den gekruͤmmten Hirtenſtab ließ man nicht ohne Bedeutung ſeyn, ſondern auf die Wiederkehr der Jahreszeiten, und den Kreislauf der Dinge durch ſeine Geſtalt hinweiſen. 

Dabei enthält uns Herr Moritz sogar die Sensation vor, daß er der einzige antike Gott ist, von dem wir Nachrichten haben, er sei tatsächlich (und nicht nur im Ritus) gestorben (z. Z. des  Kaisers Tiberius). Vor einigen Jahren habe ich ausführlicher davon berichtet, und wo ich mich eben selbst bringe und sowieso zurück zum Gemälde will:

Ich hatte bei der Gelegenheit auch erwähnt, daß Unwohlwollende gegen dasselbe einwenden könnten, dies sei alles eine einzige braun - grüne Sauce. Und damit irren würden. Das Beeindruckende, Lebendige eines Gemäldes enträtseln zu wollen, erscheint mir aber sinnlos.

Genauso, wie es unvorhersehbar ist, wie Bilder auf jemanden wirken. Nehmen wir etwa von Arnold Böcklin „Der Einsiedler“ von 1884.


Um es höflich zu sagen, seine Engel (sprich Amoretten) sind eher unverdaulich (auf einem Ausschneidebogen für Damen, um damit Kuverts zu behübschen, ließ man sie sich ja gern gefallen). Und dabei gibt es solch wundervolle Vorbilder:

Eros und Pan, hier gefunden

Und es ist nicht etwa so, daß Meister Böcklin nur bei heidnischen Themen den Pinsel so lebendig zu gebrauchen wußte. Ganz ohne Worte dafür ein Beispiel:

Arnold Böcklin, Kreuzabnahme, 1876

Doch ausgerechnet von dem geigenden Einsiedler ließ sich Max Reger für den 1. Teil seiner Vier Tondichtungen nach A. Böcklin von 1913 inspirieren. Ein recht meditatives Stück. Eine Gesamtaufnahme mag man dort anhören, nachfolgend nur besagtes Stück (noch soviel, die Musik beginnt mit der 31. Sekunde, und vorher darf man noch einiges charmant falsch Geschriebenes bestaunen):



Ich las, die Sache würde an „The Lark Ascending“ von Ralph Vaughan Williams erinnern, der wäre dann ein Jahr später. Vielleicht lag‘s ja in der Luft. Den bringen wir also auch noch, mit dem Herrn dort unten. Und der ganze Aufwand galt letztlich sowieso nur dem von mir hochgeschätzten Arnold Böcklin, der am 16. Januar 1901 in San Domenico bei Fiesole, Florenz verstorben ist.


Nigel Kennedy: The Lark Ascending (Vaughan Williams)

nachgetragen am 26. Januar

Montag, 6. Januar 2020

Nachgetragenes zu Epiphanias


Epiphanias ist ein merkwürdiges Fest, das das Legendenhafte förmlich angezogen hat. Man muß solche Überlieferung nicht archäologisch sezieren, weil wir dann dadurch der Wahrheit etwa näher kämen, sondern Überlieferungen können über die Zeiten auch wachsen in ihrer Wahrheit.

Der Anfang liegt möglicherweise bereits im Alexandria des 2. Jahrhunderts. Dort hatten die frühen Christen offenkundig zuerst das Bedürfnis, das Erscheinen des Göttlichen gesondert von Ostern, dem ältesten Fest, zu feiern, vielleicht, weil man sich gegen gleichzeitige heidnische Feste behaupten wollte oder eines, das gnostische Sektierer am 6. oder 10. Januar als Fest der Jordantaufe Jesu in typischer Verzerrung begingen. Aber das ist Spekulation.

Das Bedürfnis nach einem Fest, das früheste christliche Erfahrung bekräftigt  – der Einbruch des Göttlichen in die menschliche Welt – ist durch uralte Zeugnisse schlicht erkennbar, ohne daß wir den Ursprung wirklich entschlüsseln könnten. So ragt es etwas erratisch in den christlichen Festkreis hinein und mußte dann biblisch – theologisch gewissermaßen erst „eingefangen“ werden“. Bei uns hat es sich mit der Geschichte von den Magiern und den Hirten verbunden, im Osten unter anderen mit der Epiphanie bei der Taufe Jesu durch Johannes.

Oder um noch einmal Benedikt XVI. zu zitieren (aus seiner Ansprache zum 6. Januar 2009):

„Die Epiphanie, die »Erscheinung« unseres Herrn Jesus Christus, ist ein vielgestaltiges Geheimnis. Die lateinische Tradition identifiziert es mit dem Besuch der Sterndeuter beim Jesuskind in Betlehem, und sie interpretiert es demzufolge vor allem als Offenbarung des Messias Israels vor den Heidenvölkern.

Die orientalische Tradition hingegen gibt dem Augenblick der Taufe Jesu am Fluß Jordan den Vorrang, als er sich als der eingeborene Sohn des himmlischen Vaters offenbarte, der vom Heiligen Geist gesalbt ist. Das Evangelium des Johannes jedoch lädt dazu ein, auch die Hochzeit von Kana als ‚Epiphanie‘ zu betrachten, bei der Jesus durch die Verwandlung des Wassers in Wein ‚seine Herrlichkeit [offenbarte] und seine Jünger an ihn [glaubten]‘ (Joh 2,11).“


Krippe in der Kath. Kirche Neustrelitz - Maria, Hilfe der Christen

In Epiphanias nimmt das Göttliche Anteil am Menschlichen, das Menschliche gewinnt Anteil am Göttlichen. Und zwar als ganze Menschheit. So willkürlich ist es also nicht, das Fest mit dem Auftreten der babylonischen Sterndeuter, der Magier zu verbinden. Seit der sog. „Babylonischen Gefangenschaft“ waren den Gebildeten unter den Babyloniern durchaus die prophetischen Überlieferungen der Juden bekannt.

Was vermutlich ebenfalls verband, war eine gewisse Wehmut in Bezug auf vergangene Größe, nur, wo die Juden die Zeichen der Hoffnung in Prophezeiungen suchten, waren die Babylonier es gewohnt, das künftige Geschehen aus den göttlichen Sternen zu lesen. Dazu war zur Zeit der Geburt Jesu im ganzen antiken Weltkreis die Luft geradezu erfüllt von Erwartungen.



In der Überlieferung des Matthäus kommt all dies dann zusammen. Bei Lukas sind es die bekannten Hirten. Beides sind schwierigere Zeugen, als es unsere Gewohnheit idyllischer Lesart nahelegt. Hirten waren für die Zeitgenossen unterste Unterschicht von eher schlechtem Ruf. Und babylonische „Zauberer“ als Zeugen der Weihnachtsgeschichte?

Noch einmal der Hl. Vater (im 3. Band seines Werkes „Jesus von Nazareth“ über die Geburtsgeschichten):

„Die Ambivalenz des Begriffs Magier, auf die wir hier stoßen, zeigt die Ambivalenz des Religiösen als solchen auf. Es kann Weg zu wahrer Erkenntnis, Weg zu Jesus Christus hin werden. Wo es sich aber angesichts seiner Gegenwart nicht für ihn öffnet, sich gegen den einen Gott und den einen Erlöser stellt, wird es dämonisch und zerstörerisch.“

Die Magier „stehen für die innere Dynamik der Selbstüberschreitung der Religionen, die eine Suche nach Wahrheit, Suche nach dem wahren Gott und so zugleich Philosophie im ursprünglichen Sinn des Wortes ist. So heilt die Weisheit auch die Botschaft der 'Wissenschaft'“. Im Verstehen-Wollen des Ganzen erfährt die Vernunft ihre höchsten Möglichkeiten.“

Und Benedikt XVI. in seiner Ansprache zum 6. Januar 2012):

„Die Weisen sind dem Stern gefolgt. Durch die Sprache der Schöpfung haben sie den Gott der Geschichte gefunden. Freilich – die Sprache der Schöpfung allein genügt nicht. Erst das Wort Gottes, das in der Heiligen Schrift uns begegnet, vermochte ihnen endgültig den Weg zu zeigen. Schöpfung und Schrift, Vernunft und Glaube gehören zusammen, um uns bis zum lebendigen Gott hinzuführen.“

Die Weisen aus dem Morgenland seien „allmählich selbst zu Sternbildern Gottes geworden, die uns den Weg zeigen. In all diesen Menschen hat gleichsam die Berührung mit Gottes Wort eine Explosion des Lichtes ausgelöst, durch die der Glanz Gottes in diese unsere Welt hineinleuchtet und uns den Weg zeigt. Die Heiligen sind Sterne Gottes, von denen wir uns führen lassen zu dem hin, nach dem unser Wesen fragt.“


Das Licht vom Gold der Gaben, in das schon das Evangelium dieses Ereignis taucht, ist also keine spätere mythische Verklärung, sondern all das suchende, angefochtene und zwiespältige Menschentum wird hier hineingehoben in den Glanz der Transzendenz, so daß zu Recht ein goldenes Licht auf allem liegt.

Kein Wunder, daß die dem König Huldigten, in den Augen der Späteren selbst zu Königen wurden. So wie jeder Anbetende des Kindes in der Krippe Teil haben darf am Königtum Christi.

Den Niedersten und den Nicht-Juden, aus denen die Überlieferung dann Könige macht, erscheint das Göttliche. Oder anders - der ganzen Menschheit also, von den Niedersten zu den am höchsten Gestellten in gleicher Gerechtigkeit.

Es ist zugleich eine Wiederherstellung. In dieser Anbetung der Magier von El Greco nimmt Maria mit dem Jesuskind deren Huldigung unter einer verfallenen Vierungskuppel entgegen. Mit dem Erscheinen des Göttlichen kehrt die in Ruinen gefallene Schöpfung in ihre schöne Ordnung zurück.

El Greco, Anbetung der Magier

nachgetragen am 19. Januar

Mittwoch, 1. Januar 2020

Über Zeiten


... und ob aus dem Raisonieren darüber, Gescheites zu gewinnen wäre. Eine kleine Lese-Wiese. In 6 Haupt-Stücken.


Caspar David Friedrich: Eiche im Schnee, bis 1828


Über die gelegentlichen Vorzüge des Alterns (I)


„Now, beshrew my father‘s ambition, he was thinking of civil wars when he got me: therefore was I created with a stubborn outside, with an aspect of iron, that, when I come to woo ladies, I fright them. But, in faith, Kate, the elder I wax, the better I shall appeare. My comfort is, that old age, that ill layer up of beauty, can do no more spoil upon my face. Thou hast me, if thou hast me, at the worst; and thou shalt wear me, if thou wear me, better and better: and therefore tell me, most fair Katherine, will you have me?“ 

Henry V, Act 5, scene 2

„Verwünscht sei der Ehrgeiz meines Vaters! Er dachte auf bürgerliche Kriege, als er mich erzeugte: deswegen kam ich mit einer starren Außenseite auf die Welt, mit einer eisernen Gestalt, so daß ich die Frauen erschrecke, wenn ich komme, um sie zu werben. Aber auf Glauben, Käthchen, je älter ich werde, je besser werde ich mich ausnehmen; mein Trost ist, daß das Alter, dieser schlechte Verwahrer der Schönheit, meinem Gesichte keinen Schaden mehr tun kann: wenn du mich nimmst, so nimmst du mich in meinem schlechtesten Zustande, und wenn du mich trägst, werde ich durchs Tragen immer besser und besser werden. Und also sagt mir, schönste Katharina, wollt Ihr mich?“

übersetzt von A. W. von Schlegel


Was dem Menschen dabei widerfährt, wo er nicht für sich und also allein bleiben kann (II)


Dresden, Albertinum, Ludwig Richter, im Juni

Matthias Claudius

Aus dem Englischen

Es legte Adam sich im Paradiese schlafen;
Da ward aus ihm das Weib geschaffen.
Du armer Vater Adam, du!
Dein erster Schlaf war deine letzte Ruh‘.

Derselbe

Ein silbern ABC – N

Nichts ist so elend als ein Mann,
der alles will und der nichts kann.


Caspar David Friedrich: Schwäne im Schilf beim ersten Morgenrot
etwa bis 1820, hier gefunden

Ludwig Uhland

Der Sommerfaden

Da fliegt, als wir im Felde gehen,
Ein Sommerfaden über Land,
Ein leicht und licht Gespinst der Feen,
Und knüpft von mir zu ihr ein Band.
Ich nehm ihn für ein günstig Zeichen,
Ein Zeichen, wie die Lieb‘ es braucht.
O Hoffnungen der Hoffnungsreichen,
Aus Duft gewebt, von Luft zerhaucht!


Was Zeit überhaupt sei (III)



Ernst Barlach, Der Geistkämpfer

„Was ist also Zeit? Wenn mich niemand fragt, so weiß ich es; will ich es aber jemandem auf seine Frage hin erklären, so weiß ich es nicht. Doch soviel kann ich gewiß sagen: ginge nichts vorüber, so gäbe es keine Vergangenheit, käme nichts heran, so gäbe es keine Zukunft, bestände nichts, so gäbe es keine Gegenwart.

Wie kann man aber sagen, daß jene zwei Zeiten, Vergangenheit und Zukunft, sind, wenn die Vergangenheit nicht mehr und die Zukunft noch nicht ist? Wäre dagegen die Gegenwart beständig gegenwärtig, ohne sich je in die Vergangenheit zu verlieren, dann wäre sie keine Zeit mehr, sondern Ewigkeit. Wenn also die Gegenwart, um Zeit zu sein, in die Vergangenheit übergehen muß, wie können wir dann sagen, daß sie an das Sein geknüpft ist, da der Grund ihres Seins darin besteht, daß es sofort in das Nichtsein übergeht? Also müssen wir in Wahrheit sagen: die Zeit ist deshalb Zeit, weil sie zum Nichtsein hinstrebt.“


St. Augustinus von Hippo Regius


Wie uns die Zeit eine trügerische Gewißheit über unser Urteil gibt (IV)

abweichend kommentiert an 2 Beispielen


Anton Raphael Mengs war ein Favorit seiner Zeit: „Er ist als ein Phoenix gleichsam aus der Asche des ersten Raphael erweckt worden, um der Welt in der Kunst die Schönheit zu lehren, und den höchsten Flug menschlicher Kräfte in derselben zu erreichen.“ (Johann Joachim Winckelmann)

Das obige Fresko „Jupiter küßt Ganymed“ wurde gemalt wohl um 1758/59 von Mengs (heute in der Galleria Nazionale in Rom).

Ich habe die hiesige Großherzogin Marie einmal gerühmt dafür, daß ihre Kopien nicht altern würden. Natürlich ist das genauso ein wacklig zeitgebundenes Lob. Denn das Eigentümliche: Fast immer sehen wir ihnen sofort die Entstehungszeit an, der Zeitgenosse bezeichnenderweise kaum. Ich meinte damals, das komme wohl daher, daß ihnen nicht selten etwas uninspiriert Pedantisches anhafte. Als hätte ich von diesem Bild gesprochen.

Gerade waren Pompejis Wandmalereien bekannt geworden und die gebildete Welt glücklich über ein weiteres gerettetes Original. So etwa unser Goethe. Winckelmann nahm es in seine Schriften auf. Als die Fälschung ruchbar wurde, hatte Goethe immerhin die Anekdote beizubringen, Mengs solle erst auf dem Totenlager seine Urheberschaft gestanden haben. Freunde wurden Mengs und Winkelmann zuvor nicht wieder. Was damalig begeisterte, befremdet uns heute nur noch.

Herkules und Nessus, 1. Jh. n. Chr., Neapel

Geschichte lädt ein zu trügerischen, empfundenen Zeitgenossenschaften. Und dieses Phänomen ist schwer erklärbar. Wer einen römischen Porträtkopf gesehen hat und danach einen frühmittelalterlich grob aus dem Stein gehauenen Heiligen, ist, so er ehrlich ist, erschüttert über das, was zwischendurch an Nähe verlorenging, und grübelt, warum und wodurch.

"Was von oben kommt, muß man mit Ergebung, was von den Feinden kommt, mit Mannhaftigkeit ertragen; denn das ist sonst in dieser Stadt Sitte gewesen, und diese Sitte möge durch euch nicht abkommen. Bedenkt vielmehr, daß sie unter allen Menschen den größten Namen hat, weil sie dem Unglück nicht weicht, und daß sie am meisten Menschenleben und Anstrengungen im Krieg geopfert hat und unter allen bisherigen Staaten die größte Macht besitzt, deren Gedächtnis in Ewigkeit bei der Nachwelt fortleben wird, wenn wir auch jetzt einmal zurückgehen müssen, wie denn überall, wo ein Wachstum stattfindet, auch eine Abnahme natürlich ist…

Daß wir  augenblicklich gehaßt werden und mißliebig sind, ist das Schicksal aller gewesen, die Anspruch erhoben haben, über andere zu herrschen. Wer aber um des Höchsten willen den Neid wählt, ist nicht schlecht beraten. Denn der Haß hält nicht lange stand; der Glanz der Gegenwart aber und der Ruhm bei der Nachwelt sind unvergänglich."

Aus der letzten Rede des Perikles, so man Thukydides vertrauen kann, und wie sollte man nicht (bevor Kleon der Gerber danach uns die Fallstricke der demokratischen Idee aufzeigt und ein anderer Demagoge, Kleophon am Ende Athen in den Untergang führt). Ist uns das nah? Worin? Wodurch? Ich frage für das Nachfolgende...:

"Es ist ein gutes Zeichen für uns, daß unsere Erinnerung die Geschichte nach diesen Sternen erster Ordnung orientiert. Freilich gleichen wir darin den Astronomen, die auf das Sichtbare angewiesen sind, denn wie nur ein großes Licht die unendlichen Entfernungen, so durchdringt auch nur ein hohes Bewußtsein die Nebelbänke der Zeit. Es gibt einen Grad der Helle, der die dämpfende Wirkung der Jahrhunderte bezwingt - so ist uns das Athen des Perikles sichtbarer als das uns doch um tausend Jahre näher liegende mittelalterliche Athen, zu dessen Geschichte Gregorovius die kärglichen Bruchstücke sammelte."


 Ernst Jünger, Das abenteuerliche Herz


Caspar David Friedrich: Waldinneres bei Mondschein
ca. 1823 - 1830, hier gefunden

Abgesehen davon, daß die berühmte athenische Demokratie im Peloponnesischen Krieg (er dauerte bis 404 v. Chr.) sich selbst erledigte, sie hat ihn auch mit einer Grausamkeit geführt, die unserem 30jährigen in nichts nachstand (einschließlich der Auslöschung ganzer Städte). Aber Athen hat auch den Mann hervorgebracht, der zum ersten Mal mit größtem Scharfsinn aufzeigte, was hier zusammenwirkte:

Ich zitiere aus dem Kapitel des Thukydides über den o.g. Krieg, das gemeinhin „Die Pathologie des Krieges“ überschrieben wird (man kann es vollständig hier nachlesen).

„Zu so unmenschlicher Rohheit entartete der Parteikampf... und er erschien um so gräßlicher, als es der erste Fall dieser Art war...

So beherrschten nun Parteikämpfe die Städte und bei jedem späteren suchte man sich nach dem, was man über die früheren erfahren hatte, darin, dass man sich unerhört Neuartiges ausdachte, weit zu überbieten, sowohl was das Raffinement der Anschläge, als was die Gräßlichkeit der Rache anging.

Auch die gewohnte Terminologie für das Handeln vertauschte man jetzt nach Gutdünken. Denn unvernünftige Verwegenheit galt für treu ergebene Mannhaftigkeit, vorsichtiges Zögern für bemäntelte Feigheit, Besonnenheit für versteckte Mutlosigkeit, planvolle Überlegung in allen Dingen für Trägheit zu jedem Tun, schlagfertiges Zupacken galt als Eigenschaften des rechten Mannes, auf Sicherheit bedachtes Beraten dagegen als schönklingender Vorwand für eine Ablehnung.

Wer Empörung zeigte, galt immer als zuverlässig, wer ihm widersprach, als verdächtig. Hatte einer mit einem Anschlag Erfolg, war er klug, noch geschickter, wer einen entdeckte; wer aber Vorsorge traf, daß nichts davon nötig sei, schien… vor der Gegenpartei in Angst erstarrt...

Ferner stand es höher in Ehre, Rache an jemand zu üben, als selber nicht zuerst zu leiden. Und wurden etwa einmal zur Versöhnung Eidschwüre gegeben, so hatten sie, da sie von der einen wie von der anderen Seite nur im Drang der Not gegeben wurden, nur für den Augenblick Geltung, solange sie keine Unterstützung anderswoher hatten; bei erster günstiger Gelegenheit aber rächte sich, wer sich zuerst dazu ein Herz fasste, wenn er den Gegner nicht auf der Hut sah, lieber eben jenes Vertrauens wegen als in offenem Kampf, und stellte dabei nicht nur die Gefahrlosigkeit in Rechnung, sondern auch, daß er, wenn er durch Täuschung siegte, zusätzlich den Kampfpreis der Klugheit gewann...

Von dem allen aber lag die Ursache im Verlangen nach Macht, um Herrschsucht und Ehrgeiz zu befriedigen.Daher auch, wenn der Parteienstreit begann, der leidenschaftliche Eifer. Denn diejenigen, die an der Spitze der Städte standen, gebrauchten zwar, die einen wie die andern, wohlklingende Namen, und kämpften hier um bürgerliche Gleichberechtigung der Menge, dort um besonnene Herrschaft der Besten; in Wahrheit aber betrachteten sie das Volk, dem sie angeblich dienten, nur als Kampfpreis und, indem sie auf jede Weise übereinander zu siegen trachteten, wagten sie das Entsetzlichste und gingen bei ihren gegenseitigen Verfolgungen immer weiter und weiter, indem sie sie über die Grenze der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls hinaus steigerten...

Daher übten die einen so wenig als die anderen Gottesfurcht; vielmehr brachten schönklingende Worte, wenn man so auf empörende Weise etwas erfolgreich durchsetzte, einen besseren Ruf. Der Rest der Bürgerschaft aber, der parteilos in der Mitte stand, wurde zugrunde gerichtet, entweder weil er nicht mitkämpfen konnte oder aus Mißgunst, er könne unversehrt davonkommen… So fand nun…, es immer mehr Anklang, einander mit tiefem Mißtrauen gegenüberzustehen.

„... und da alle Stärkeren innerlich überzeugt waren, daß doch nicht auf Treu und Glauben zu rechnen sei, suchten sie sich mehr durch Klugheit im voraus gegen Schaden zu schützen als Vertrauen zu beweisen.

Caspar David Friedrich: Das Friedhofstor
ca. 1825 - 1830, hier gefunden

Es gewannen hierbei selbst Leute von geringerem Verstand meistens die Oberhand. Denn sie fürchteten ihre eigene Schwäche und die Klugheit der Gegner, sie möchten sowohl bei der öffentlichen Debatte den kürzeren ziehen als auch infolge deren geistiger Gewandtheit mit einem Anschlag überrascht werden, und schritten daher mit Entschlossenheit zur Tat...

In Kerkyra nun wurde das meiste hiervon zuerst gewagt: die einen, die mehr mit rohen Übermut als mit Mäßigung beherrscht waren, übten jetzt Vergeltung, sowie ihre Zwingherrn die Gelegenheit zur Rache boten. Die anderen sehnten sich, die gewohnte Armut loszuwerden, und hätten die Güter der anderen zugleich mit Befriedigung ihrer Leidenschaften zu erhalten gewünscht. Wieder andere gingen ursprünglich nicht mit selbstsüchtigen Absichten, sondern um ihrer Gleichberechtigung willen in den Kampf, ließen sich aber, unfähig ihre Leidenschaft zu zügeln, weit fortreißen und verfolgten so auf eine barbarische und unbarmherzige Weise den Sieg.

„… die menschliche Natur, ohnehin gewohnt, selbst gegen bestehende Gesetze zu freveln, zeigte, als sie die Gesetze über den Haufen gestürzt hatte, mit wahrer Lust, daß sie die Leidenschaft nicht zu beherrschen wisse, sich über das Recht hinwegsetze und allem Hervorragenden feind sei...“

Erkennen wir etwas davon wieder?  Könnte man nach 2400 Jahren hoffen, daß der Irrsinn der Entartung sich nicht fortsetzt, die Verkehrung der Begriffe, der Dolch der vorgetäuschten Moral, das Aufpeitschen des Niedersten und der Haß gegen das Herrvorragende? Ist uns das nah? Und wenn, läßt uns diese Nähe nicht eher erschaudern.

Ist die Hoffnung auf eine gut und vernünftig gegründete Ordnung von Bestand auf Erden vermessen. Wer mag das wissen.

Christian Daniel Rauch, Viktoria von Leuthen
Zinkgußkopie im Neustrelitzer Schloßgarten 

Wie man Gottes Huld erträgt (V)


Angelus Silesius

Was man liebt, in das verwandelt man sich (auß S. Augustino)

Mensch, was du liebst, in das wirst du verwandelt werden.
Gott wirst du, liebst du Gott, und Erde, liebst du Erden.


Fünftes Buch, Nr. 200 

Der Weise suchet nichts

Der Weise suchet nichts, er hat den stillsten Orden,
Warumb? er ist in Gott schon alles selber worden.


Sechstes Buch, Nr. 183 

Der Weise ist nie allein

Der Weis' ist nie allein, geht er gleich ohne dich,
So hat er doch den Herrn der Dinge (Gott) mit sich.


Sechstes Buch, Nr. 242. 

Warumb die Seele ewig

Gott ist die ewge Sonn‘, ich bin ein Strahl von ihme;
Drumb ist mirs von Natur, daß ich mich ewig rühme.

Viertes Buch, Nr. 201. 

aus dem Cherubinischen Wandersmann

gesprochen von Katharina Thalbach,

Paul Fleming

An Sich

Sei dennoch unverzagt! Gib dennoch unverloren!
Weich keinem Glücke nicht, steh höher als der Neid,
vergnüge dich an dir und acht es für kein Leid,
hat sich gleich wider dich Glück, Ort und Zeit verschworen.

Was dich betrübt und labt, halt alles für erkohren;
nimm dein Verhängnüs an. Laß' alles unbereut.
Tu, was getan muß seyn, und eh man dir's gebeut.
Was du noch hoffen kannst, das wird noch stets geboren.

Was klagt, was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke
ist ihm ein jeder selbst. Schau alle Sachen an:
dies alles ist in dir. Lass deinen eitlen Wahn,

und eh du fürder gehst, so geh in dich zurücke.
Wer sein selbst Meister ist und sich beherrschen kann,
dem ist die weite Welt und alles untertan.


Von der Zeit und dem Anderen (VI)

Caspar David Friedrich:  Friedhofseingang, ca. 1825

"Tempora mutantur, nos et mutamur in illis."

Die Zeit vergeht und wir vergehn in ihr.
(mehr frei übersetzt)

"… dass man mit ewigen Prinzipien die Gegenwart erfasst, so dass sie erkennbar bleibt und aber trotzdem das Grundsätzliche, das Überzeitliche durchschimmert. Trotzdem ist deine Aufgabe deine Zeit."

Uwe Tellkamp

mit meiner herzlichen Empfehlung, dort das ganze Gespräch zu lesen


All das gewissermaßen als Einladung zu einer Gemütshaltung, die gelegentlich als stoisch beschrieben wird, aber darin nicht aufzugehen hat

Ein später

Gruß zum Neuen Jahr

mit den besten Wünschen für eben dasselbe!

Und darauf einen Hohenfriedberger:



abgeschlossen am 8. Januar