Arnold Böcklin, "Pan im Schilf", 1856/57
Oskar Loerke
PANSMUSIK
Ein Floß schwimmt aus dem fernen Himmelsrande,
Drauf tönt es dünn und blaß.
Wie eine alte süße Sarabande.
Das Auge wird mir naß.
Es ist, wie wenn den weiten Horizonten
Die Seele übergeht,
Der Himmel auf den Ebnen, den besonnten,
Aufhorcht wie ein Prophet
Und eine arme Weise in die Ohren
Der höhern Himmel spricht:
Das Spielen wankt, im Spielen unverloren,
Das Licht wankt durch das Licht.
Heut fährt der Gott der Welt auf einem Floße,
Er sitzt auf Schilf und Rohr,
Und spielt die sanfte, abendliche, große,
Und spielt die Welt sich vor.
Er spielt das große Licht der Welt zur Neige,
Tief aus sich her den Strom
Durch Ebnen mit der Schwermut langer Steige
Und Ewigkeitsarom.
Er baut die Ebenen und ihre Städte
Mit weichen Mundes Ton
Und alles Werden bis in dieses späte
Verspieltsein und Verlohn:
Doch alles wie zu stillendem Genusse
Den Augen bloß, dem Ohr.
So fährt er selig auf dem großen Flusse
Und spielt die Welt sich vor.
So fährt sein Licht und ist bald bei den größern,
Orion, Schwan und Bär:
Sie alle scheinen Flöße schon mit Flößern
Der Welt ins leere Meer.
Bald wird die Grundharmonika verhallen,
Die Seele schläft mir ein,
Bald wird der Wind aus seiner Höhe fallen,
Die Tiefe nicht mehr sein.
Dante Gabriel Rossetti, The Day Dream
1880, hier gefunden
Unter- und hinhaltende Nach-Worte
Mitunter erscheinen ein Gedicht und ein Gemälde wie für einander geschaffen, und man weiß nicht, was zuerst da war, obwohl man es natürlich weiß, technisch gesehen. „Pansmusik“ von Oskar Loerke ist das erste und namensgebende Gedicht seines 2. Gedichtbandes von 1916. Der "Pan im Schilf"von Arnold Böcklin ist etwa von 1856.
Wirkliche Dichtung auf Eindeutigkeit hin festlegen zu wollen, ist so vergeblich, wie Träume sachlich nacherzählen zu suchen. Es bleibt bestenfalls eine schlechte Karikatur übrig. Der Gott, auf einem Floß vorgestellt, das hinter dem Horizont verschwindet, eine Wort-Kaskade über Vergehn, Vergänglichkeit, Ewigkeit, vielleicht.
Und das bei dem Hirtengott Pan, ausgerechnet. Er war seit der Antike, aus der er herstammt, beliebt für Darstellungen wie nachfolgend (Begebenheiten, die wir nur noch von derlei Artefakten kannten, die edleren Seelen mögen die Augen wenigstens zum darauf folgenden Bild retten):
Villa dei Papiri, Herculaneum
Bis zur vorletzten Jahrhundertwende waren mythologische Verweise in der Kunst recht beliebt. Schlichtere „Experten“ wollen uns das damit erklären, daß man damals eine Staffage für das Zudringliche brauchte. Nun dieser Grund ist ja mittlerweile hinreichend weggefallen. Wurde dadurch irgend etwas besser? Außerdem stimmt es so platt auch nicht.
Kunst vergangener Jahrhunderte wirkte in einem Gewebe aus Bedeutungen, Anspielungen, Ebenen, Überlieferungen, Forterzählungen. Der Gott Pan mag für die animalische Seite der Menschheit stehen, bei Böcklin vermag seine Gestalt mit dem obigen Gedicht zu verschmelzen. So wie bei diesem Gemälde das Menschliche unverkennbar über seine Ursprünge hinaustritt.
Adolphe Alexandre Lesrel, Pan und Venus
1865, hier gefunden
Doch auch bei Böcklin taucht der Gott Pan mitunter derart auf, daß es nicht wundert, wie seine Attribute von den frühen Christen zur Charakterisierung des Leibhaftigen benutzt werden konnten (wie die geflügelten Amoretten das Vorbild für kindsgestaltige Engel abgaben, wir kommen noch darauf zurück). Dabei spielt er hier nur die Syrinx und es ist gar nicht der Gott selbst, sondern gewissermaßen die Verwandtschaft.
Arnold Böcklin, Faun, die Syrinx blasend
ca. 1875, hier gefunden
Von der Syrinx weiß Karl Philipp Moritz (Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791) folgendes zu berichten:
Der ſiebenroͤhrigen Floͤte ſchreibt die Dichtung folgenden Urſprung zu: als Pan die Nymphe Syrinx, von Lieb’ entbrannt, verfolgte, und dieſe bis an den Fluß Ladon vor ihm flohe, wo ihr Lauf gehemmt war, ward ſie ploͤtzlich in ein Schilfrohr verwandelt, welches Pan umarmte. —
Der Wind, der in das Rohr blies, brachte klagende Toͤne hervor; und Pan ſuchte dieſe Toͤne wieder zu erwecken, indem er ſieben Rohre, das folgende immer um ein beſtimmtes Maaß kuͤrzer als das vorhergehende, zuſammenfuͤgte, und ſo die Hirtenfloͤte erfand, welche nach dem Nahmen der verwandelten Nymphe Syrinx hieß.
Peter Paul Rubens, Pan und Syrinx
ca. 1636, hier gefunden
Schule von Fontainebleau, Pan schneidet das Schilf, in welches die Nymphe Syrinx entsprungen ist, Mitte 16. Jh., hier gefunden
Herr Moritz weiß wirklich, einen unerfreulichen Vorgang galant zu beschreiben, zumal man das Ganze auch so lesen könnte, daß der Gott also die verwandelte Nymphe in sieben Stücke brach, um darauf spielen zu können. Er ist schon reichlich ambivalent, der Mythos. Aber das wußte auch Herr Moritz (um ihn noch einmal zu zitieren):
Man dachte ſich unter dem Pan ein Weſen, halb wohlthaͤtig und halb furchtbar; — und eben weil dieſer Begriff ſo ſchwankend war, ſchuf ſich die Einbildungskraft unter demſelben allerlei Schreckbilder. — Irgend ein Getoͤſe oder furchtbare Stimmen, die man in naͤchtlicher Stille, oder vom einſamen Ufer her zu vernehmen glaubte, ſchrieb man dem Pan zu; — weswegen man nachher auch ein jedes Entſetzen, wovon man ſelbſt die Urſache nicht wußte, oder wovon der Grund bloß in der Einbildung lag, ein paniſches Schrecken nannte.
Die Hirten, welche vorzuͤglich den Pan verehrten, fuͤrchteten dennoch ſeinen Anblick; ſie flehten ihn aber um den Schutz ihrer Heerden an, und brachten ihm haͤufig Opfer dar. — Denn an dieſe Gottheit, welche ſelber wie ſie die Hirtenfloͤte blies, und den krummen Schaͤferſtab in der Hand trug, durften die Hirten und die Bewohner der Fluren ſich am naͤchſten anſchließen, und theilnehmende Vorſorge und Beiſtand von ihr erwarten.
Rätselhaft ist er, dieser Gott Pan. Um zum letzten Mal Herrn Moritz zu zu Wort kommen zu lassen:
Andre Sagen laſſen ihn unter den aͤlteſten Gottheiten ſchon mit auftreten, wo er auf eine geheimnißvolle Weiſe, das Ganze, und die Natur der Dinge bezeichnet. — Auch den gekruͤmmten Hirtenſtab ließ man nicht ohne Bedeutung ſeyn, ſondern auf die Wiederkehr der Jahreszeiten, und den Kreislauf der Dinge durch ſeine Geſtalt hinweiſen.
Dabei enthält uns Herr Moritz sogar die Sensation vor, daß er der einzige antike Gott ist, von dem wir Nachrichten haben, er sei tatsächlich (und nicht nur im Ritus) gestorben (z. Z. des Kaisers Tiberius). Vor einigen Jahren habe ich ausführlicher davon berichtet, und wo ich mich eben selbst bringe und sowieso zurück zum Gemälde will:
Ich hatte bei der Gelegenheit auch erwähnt, daß Unwohlwollende gegen dasselbe einwenden könnten, dies sei alles eine einzige braun - grüne Sauce. Und damit irren würden. Das Beeindruckende, Lebendige eines Gemäldes enträtseln zu wollen, erscheint mir aber sinnlos.
Genauso, wie es unvorhersehbar ist, wie Bilder auf jemanden wirken. Nehmen wir etwa von Arnold Böcklin „Der Einsiedler“ von 1884.
Um es höflich zu sagen, seine Engel (sprich Amoretten) sind eher unverdaulich (auf einem Ausschneidebogen für Damen, um damit Kuverts zu behübschen, ließ man sie sich ja gern gefallen). Und dabei gibt es solch wundervolle Vorbilder:
Eros und Pan, hier gefunden
Und es ist nicht etwa so, daß Meister Böcklin nur bei heidnischen Themen den Pinsel so lebendig zu gebrauchen wußte. Ganz ohne Worte dafür ein Beispiel:
Arnold Böcklin, Kreuzabnahme, 1876
Doch ausgerechnet von dem geigenden Einsiedler ließ sich Max Reger für den 1. Teil seiner Vier Tondichtungen nach A. Böcklin von 1913 inspirieren. Ein recht meditatives Stück. Eine Gesamtaufnahme mag man dort anhören, nachfolgend nur besagtes Stück (noch soviel, die Musik beginnt mit der 31. Sekunde, und vorher darf man noch einiges charmant falsch Geschriebenes bestaunen):
Ich las, die Sache würde an „The Lark Ascending“ von Ralph Vaughan Williams erinnern, der wäre dann ein Jahr später. Vielleicht lag‘s ja in der Luft. Den bringen wir also auch noch, mit dem Herrn dort unten. Und der ganze Aufwand galt letztlich sowieso nur dem von mir hochgeschätzten Arnold Böcklin, der am 16. Januar 1901 in San Domenico bei Fiesole, Florenz verstorben ist.
Nigel Kennedy: The Lark Ascending (Vaughan Williams)
nachgetragen am 26. Januar
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