Arnold Böcklin, Ackerfluren im Vorfrühling (1884)
Friedrich Hölderlin
Der Gang aufs Land
An Landauer
Komm! ins Offene, Freund! zwar glänzt ein Weniges heute
Nur herunter und eng schließet der Himmel uns ein.
Weder die Berge sind noch aufgegangen des Waldes
Gipfel nach Wunsch und leer ruht von Gesange die Luft.
Trüb ists heut, es schlummern die Gäng' und die Gassen und fast will
Mir es scheinen, es sei, als in der bleiernen Zeit.
Dennoch gelinget der Wunsch, Rechtglaubige zweifeln an Einer
Stunde nicht und der Lust bleibe geweihet der Tag.
Denn nicht wenig erfreut, was wir vom Himmel gewonnen,
Wenn ers weigert und doch gönnet den Kindern zuletzt.
Nur daß solcher Reden und auch der Schritt und der Mühe
Werth der Gewinn und ganz wahr das Ergötzliche sei.
Darum hoff ich sogar, es werde, wenn das Gewünschte
Wir beginnen und erst unsere Zunge gelöst,
Und gefunden das Wort, und aufgegangen das Herz ist,
Und von trunkener Stirn höher Besinnen entspringt,
Mit der unsern zugleich des Himmels Blüthe beginnen,
Und dem offenen Blick offen der Leuchtende sein.
Denn nicht Mächtiges ists, zum Leben aber gehört es,
Was wir wollen, und scheint schicklich und freudig zugleich.
Aber kommen doch auch der segenbringenden Schwalben
Immer einige noch, ehe der Sommer, ins Land.
Nämlich droben zu weihn bei guter Rede den Boden,
Wo den Gästen das Haus baut der verständige Wirt;
Daß sie kosten und schaun das Schönste, die Fülle des Landes,
Daß, wie das Herz es wünscht, offen, dem Geiste gemäß
Mahl und Tanz und Gesang und Stutgards Freude gekrönt sei,
Deshalb wollen wir heut wünschend den Hügel hinauf.
Mög' ein Besseres noch das menschenfreundliche Mailicht
Drüber sprechen, von selbst bildsamen Gästen erklärt,
Oder, wie sonst, wenns andern gefällt, denn alt ist die Sitte,
Und es schauen so oft lächelnd die Götter auf uns,
Möge der Zimmermann vom Gipfel des Daches den Spruch thun,
Wir, so gut es gelang, haben das Unsre gethan.
Aber schön ist der Ort, wenn in Feiertagen des Frühlings
Aufgegangen das Thal, wenn mit dem Neckar herab
Weiden grünend und Wald und all die grünenden Bäume
Zahllos, blühend weiß, wallen in wiegender Luft,
Aber mit Wölkchen bedeckt an Bergen herunter der Weinstock
Dämmert und wächst und erwarmt unter dem sonnigen Duft…
Singen wollt ich leichten Gesang, doch nimmer gelingt mirs,
Denn es machet mein Glück nimmer die Rede mir leicht.
Ludwig von Hofmann, Idyll (Männlicher und weiblicher Halbakt in der Landschaft) zw. 1894 und 1895, hier gefunden
Der Sommer
Das Erndtefeld erscheint, auf Höhen schimmert
Der hellen Wolke Pracht, indeß am weiten Himmel
In stiller Nacht die Zahl der Sterne flimmert,
Groß ist und weit von Wolken das Gewimmel.
Die Pfade gehn entfernter hin, der Menschen Leben,
Es zeiget sich auf Meeren unverborgen,
Der Sonne Tag ist zu der Menschen Streben
Ein hohes Bild, und golden glänzt der Morgen.
Mit neuen Farben ist geschmükt der Gärten Breite,
Der Mensch verwundert sich, daß sein Bemühn gelinget,
Was er mit Tugend schafft, und was er hoch vollbringet,
Es steht mit der Vergangenheit in prächtigem Geleite.
Arnold Böcklin, Sommertag
1881, hier gefunden
Die Linien des Lebens sind verschieden,
Wie Wege sind, und wie der Berge Grenzen.
Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen
mit Harmonien und ewigen Lohn und Frieden.
The lines of life are varied,
as are roads, and as are the boundaries of mountains.
Whatever we are here, a god can complement there
with harmony and perpetual reward and peace.
Übersetzung aus dem Deutschen /
Translation from German to English © by Emily Ezust
Carl Blechen, Turm des Heidelberger Schlosses
ca. 1830, hier gefunden
Der Herbst
Die Sagen, die der Erde sich entfernen,
Vom Geiste, der gewesen ist und wiederkehret,
Sie kehren zu der Menschheit sich, und vieles lernen
Wir aus der Zeit, die eilends sich verzehret.
Die Bilder der Vergangenheit sind nicht verlassen
Von der Natur, als wie die Tag' verblassen
Im hohen Sommer, kehrt der Herbst zur Erde nieder,
Der Geist der Schauer findet sich am Himmel wieder.
In kurzer Zeit hat vieles sich geendet,
Der Landmann, der am Pfluge sich gezeiget,
Er siehet, wie das Jahr sich frohem Ende neiget,
In solchen Bildern ist des Menschen Tag vollendet.
Der Erde Rund mit Felsen ausgezieret
Ist wie die Wolke nicht, die Abends sich verlieret,
Es zeiget sich mit einem goldnen Tage,
Und die Vollkommenheit ist ohne Klage.
Autumn
The fleeing legends, which the Earth narrated
(of essences that were and are returning),
are turning toward humanity, so increased learning
can grow from times that long since dissipated.
What images once were, they were not banished
by Mother Nature, like her days that paled and vanished
amid high summer: When descends the autumn's power
the sky will show it in the spirit's shower.
In not much time so much has terminated:
The peasants, having proudly shown themselves as plowers,
see now that yet another year has joyfully abated -
just as abates the time in which the human flowers.
The Earth whose round with rocky mountains pleases
(so unlike clouds dispersed by evening breezes)
reveals itself amid a day that's golden;
and of perfection; and to no complaint beholden.
Übersetzung / Translation
von / by Walter A. Aue
Carl Blechen, Landschaft
zw. ca. 1823 und 1828, hier gefunden
Wenn über dem Weinberg es flammt
Und schwarz wie Kohlen
Aussiehet um die Zeit
Des Herbstes der Weinberg, weil
Die Röhren des Lebens feuriger atmen
In den Schatten des Weinstocks. Aber
Schön ist's, die Seele
Zu entfalten und das kurze Leben.
Carl Blechen, Bäume im Herbst bei Sonnenaufgang
1823, hier gefunden
Der Winter
Das Feld ist kahl, auf ferner Höhe glänzet
Der blaue Himmel nur, und wie die Pfade gehen,
Erscheinet die Natur, als Einerlei, das Wehen
Ist frisch, und die Natur von Helle nur umkränzet.
Der Erde Rund ist sichtbar von dem Himmel
Den ganzen Tag, in heller Nacht umgeben,
Wenn hoch erscheint von Sternen das Gewimmel,
Und geistiger das weit gedehnte Leben.
Carl Blechen, Landschaft im Winter bei Mondschein
1836, hier gefunden
Der Winter
Wenn ungesehn und nun vorüber sind die Bilder
Der Jahreszeit, so kommt des Winters Dauer,
Das Feld ist leer, die Ansicht scheinet milder,
Und Stürme wehn umher und Regenschauer.
Als wie ein Ruhetag, so ist des Jahres Ende
Wie einer Frage Ton, daß dieser sich vollende,
Alsdann erscheint des Frühlings neues Werden,
So glänzet die Natur mit ihrer Pracht auf Erden.
Winter
When vanished and no longer seen are illustrations
of season, then arrive the winter hours:
the field is empty, mild seem its ablations
and storms blow to and fro with rains and showers.
As if a day for rest, so is this year's cessation
just like a questioning chord requesting consecration:
then Spring's becoming enters the creation
and Nature shines on Earth in glorious elation.
Übersetzung / Translation
von / by Walter A. Aue
Andreas Achenbach, Verschneiter Wald
1835, hier gefunden
Anmerkung
Friedrich Hölderlins an dessen 250. Geburtstag (folglich am 20. März 1770 - in Lauffen am Neckar) mit einigen seiner Gedichte zu gedenken, ist nicht so erklärungsbedürftig (allenfalls die Verspätung). Die Auswahl schon eher. Schließlich stammen außer dem ersten und dem Weinbergfragment (wohl nicht vor 1803 entstanden) alle übrigen aus der Zeit seiner sog. Umnachtung.
Für mich ist Hölderlins Dichtung immer ein Mysterium geblieben. Natürlich, man sieht den Anfang, die frühen Gedichte atmen selbstredend Geist und Sprache der Zeit, aber allerspätestens mit den letzten Hymnen wie etwa Patmos entschwindet der Dichter uns in Regionen, wo man sich mit offenem Mund fragt: Ist das noch er oder schon der Genius der Sprache selbst, die zur Brücke ins Eigentliche wird, den Eintritt ins Transzendente gewährt.
Und dann der Absturz in die Umnachtung, die anders rätselhaft bleibt. Denn seine Sprache wird ja nicht sinnlos oder konventionell. Es entstehen diese ganz eigentümlichen, gleichförmig scheinenden „Spieluhrenverse“, die auf einmal davon reden, daß so wie die Sterne erscheinen, erscheine „geistiger das weit gedehnte Leben“. Als wenn in der Nacht plötzlich die Wolken aufreißen und kurz das Mondlicht durchbricht, um sich sogleich wieder zu verhüllen.
Oder der unscheinbare Vierzeiler „Die Linien des Lebens“, wo festgehalten wird, daß dessen Wege verschieden sind „wie der Berge Grenzen“, also unser Ausschnitt der Wirklichkeit, und daß die Disharmonie unserer Existenz in der Ewigkeit zu einem gültig klingenden Akkord vervollständigt werden könne (!)…
Vor so einer Gestalt zu bestehen, ist eine Herausforderung. Und wo ich so einiges von dem beschaute, was aus besagtem Anlaß durch den bundesdeutschen Blätterwald und Äther rauschte, war ich meist über die Skurrilität verblüfft, mit der man erkennen ließ, nicht einmal eine Ahnung von dem zu haben, an was man da rührte. So wie es den Begriff des funktionellen Analphabetismus gibt, bräuchten wir für Derartiges einen im Geistigen.
Man ist versucht, das aufzuspießen, doch wozu? Dann stieß dieses Gespräch mit Rüdiger Safranski buchstäblich auf mich (ich hatte nicht einmal danach gesucht), ich wußte danach, daß ich erst seine Biographie lesen mußte, bevor ich meine Anmerkungen ausbreiten konnte (wenn ich das danach denn noch wollen würde).
Und heute hatte ich dann zwar eine Biographie in der Hand, nur war es eine von einem Klaus Vieweg über Hegel! Ärgerlich, aber reparierbar, nur nicht mehr heute. Also erst einmal diese kleine Leseauswahl. Und die Bilder. Nun ja, sie haben überwiegend auch mit Jahreszeiten zu tun. Aber im Grunde erzählt, davon abgesehen, jedes seine ganz eigene und andere Geschichte. Ich habe meine Zuflucht derzeit ziemlich im 19. Jahrhundert gefunden und befinde mich da auch sehr wohl, aber um mich soll es hier zu allerletzt gehen. Doch daher kommt die Auswahl.
Bevor alles aber so kalt endet, noch eine kleine reizende scheinbare Idylle am Schluß. Und wenn ich die "richtige" Biographie gelesen haben werde, will ich auch die schönsten Stilblüten des Hölderlin–Gedenkens (mit-)teilen.
Wilhelm Kray, Das Locken der Nymphe
nachgetragen am 30. März
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