Donnerstag, 19. März 2020

Das Urteil des Paris & anderes Antikes

Max Klinger, Das Urteil des Paris, zw. 1885 und 1887,

Bekanntlich haben den Trojanischen Krieg fünf Frauen (davon vier Göttinnen) und ein männlicher Tor ausgelöst, der seine Triebe nicht zu beherrschen vermochte (wobei man ihm zugute halten kann, daß die Aufgabe im Guten unlösbar war). Herr Moritz gibt davon stets die notwendigen und vor allem kurzen Erläuterungen (Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten, 1791), so daß wir ihn umgehend zitieren:

„Als Eris [die Göttin der Zwietracht und des Streites, oft als hinkende, verkümmerte Frau dargestellt, die aber aufblüht, wenn es ihr gelingt, Neid und Haß bei Menschen und Göttern zu erwecken] bei der Vermaͤhlung des Peleus mit der Thetis, in das hochzeitliche Gemach, wo alle Goͤtter und Goͤttinnen verſamlet waren, den goldnen Apfel mit der Inſchrift warf, die ihn der Schoͤnſten zutheilte, ſo wurden Juno, Venus, und Minerva, unter allen Goͤttinnen, um den Preis der Schoͤnheit zu wetteifern, einſtimmig am wuͤrdigſten erkannt.

Ein unbefangner Hirt, der auf dem Ida weidete, ſollte den Ausſpruch thun. Dieſer Hirt war Paris, ein Sohn des Priamus, der uͤber Troja herrſchte. Als die Goͤttinnen vor ihm erſchienen, und den entſcheidenden Ausſpruch von ihm verlangten, mußten ſie ſich entkleiden; — eine jede von ihnen verſprach ihm heimlich eine Belohnung, wenn er den Apfel ihr zutheilte; Juno verſprach ihm Macht und Reichthuͤmer, Minerva Weisheit, Venus das ſchoͤnſte Weib auf Erden, — und Paris theilte den goldnen Apfel der Venus zu.

Von dieſer Zeit an hegten Juno und Minerva nicht nur gegen den Paris, ſondern gegen das ganze Haus des Priamus einen tiefen Groll im Buſen; waͤhrend daß Venus darauf dachte, ihr Verſprechen dem Paris zu erfuͤllen.

Das ſchoͤnſte Weib auf Erden war Helena, welche Jupiter in der Geſtalt des Schwans mit der Leda erzeugte; die vom Theſeus in ihrer Kindheit ſchon einmal entfuͤhrt, von ihren Bruͤdern Kaſtor und Pollux aber wieder nach Sparta zuruͤckgebracht ward, wo ſie mit dem Menelaus des Agamemnons Bruder ſich vermaͤhlte.

Paris ſchifte nach Griechenland, und ward vom Menelaus gaſtfreundlich aufgenommen; waͤhrend deſſen Abweſenheit es durch die Veranſtaltung der Venus ihm gelang, die Helena zu entfuͤhren. Als er nach Troja zuruͤckſegelte, und die Winde ſchwiegen, prophezeihte der wahrſagende Meergott Nereus ihm alles Ungluͤck, was fuͤr Troja aus dieſer Entfuͤhrung erwachſen wuͤrde; und nicht lange blieb die Erfuͤllung aus.“

Wo dieses also erinnert wäre, zurück zum Bild, das ein großartiges ist. Der ausladend theatralische Rahmen mit den bemalten Figuren mag verwirren und hat es auch. Klinger hatte eine Neigung zum Gesamtkunstwerk. Beschreiben wir den also zuerst:

Links unten lacht uns übermütig ein hellhäutiger Satyr an, darüber ist eine weibliche Herme gemalt, rechts kämpft ein mehr dunkler Gigant mit der Zwietrachtshydra, deren Schwanzende in das Gemälde hineinragt und ein Gorgonenhaupt umschlingt, und wo wir da schon sind, es ist Amor, der sich etwas wegbeugt und dem Geschehen zu. Unten inmitten - die Ursache des Übels - Eris, die Göttin der Zwietracht mit dem Zankapfel.

Doch halt, Herr Kühn (Max Klinger von Paul Kühn, Leipzig 1907, S. 295 ff.) hat das so wunderbar beschrieben, daß wir das jetzt in allen Details ausbreiten werden, wem die Geduld dafür fehlt, der springe zum übernächsten Bild.

„In dem schmalen linken Flügel erhebt sich vor dem abenddämmernden, feierlich-stillen Hain eine schlanke weibliche Herme. Das Haar ist brünett; die Augen glühen dunkel wie Bernstein, und das bunte Licht des Nachmittags leuchtet in tausend Reflexen. Die Stimmung eines geweihten antiken Haines liegt darüber, wie ja über dem Ganzen eine griechische Schönheit glänzt, wie sie Goethe, an der Iphigenie dichtend, in Sizilien empfand. Wie ein farbiges Postament zu dieser farbigen Herme wirkt der faunisch lachende Satyrkopf der Predella mit hellglänzendem Gesicht, vollem dunklen Bart und Haar, in dem weiße Seerosen leuchten, ein unglaublich neu belebtes, pompejanisches Dekorationselement.

Diesem plastischen Rahmensockel entspricht auf der rechten Seite ein dunkelfarbener Gigant, der im Kampfe mit der Zwietrachtshydra den einen ihrer Köpfe niederdrückt, so daß ihr nicht plastisch ausgeführter, sondern gemalter Delphinenleib im rechten Flügelbild emporschnellt. Am Schwanzende streckt sich ein schmerzverzerrtes Gorgonenhaupt, von Schlangen umzüngelt, in die Luft. Hinter diesem dunkel aufragenden Fabeltier lauscht der geflügelte Amor, auf seinen Bogen gestützt, träumerisch-nachdenklich in das Hauptbild hinein. Sein mächtiges, helles Flügelpaar verschwebt, ganz zart in den hellen Farben des Prismas gemalt, in der Abendluft. Das versonnene Lauschen in diesem nackten Jüngling, die leise Schwermut der Farben, die phantasievolle Schönheit der Erfindung verleihen schon allein diesem schmalen Flügelbild einen unvergleichlichen Zauber. Die Schwermut reifen Glückes ist darüber gebreitet.


In der Mitte des Predellensockels, direkt unter der Gestalt der Hera, erblicken wir in einer reichen barocken Umrahmung den Kopf der Eris. Diese drei Skulpturenteile sind aus bemaltem Gips. Die dunkle, volle Bemalung ist mit den reichen Farben des Hauptbildes und der Flügel so zusammengestimmt, daß die tiefen Farbenakkorde und vollen, dunklen Grundtöne der Basis die helleren des Gemäldes tragen und diesem Raumkunstwerk die wunderbare Abgeschlossenheit geben.“

Wer nun ob der Sprache das Bedürfnis verspürte, das Fenster zu öffnen, um etwas kalte Luft hineinzulassen, sei vor einem gewissen Fehlschluß gewarnt - die Hauptfiguren des Gemäldes werden von Kühn im gleichen Tonfall gewürdigt. Nur ein Satz diesmal:

„Wie die antike Plastik in ihrem unvergleichlichen Formensinn es verstanden hat, in drei Knabenstatuen die Unterschiede von Liebe, Liebreiz und Verlangen deutlich zu machen, versucht auch Klinger, alle äußeren Attribute verschmähend, rein durch den nackten Körper die drei besonderen Arten von Frauenschönheit dem Auge zu frohem Genüsse zu vergegenwärtigen.“


Doch da Rahmen und „Rahmenhandlung“ nunmehr hinreichend beschrieben sind, wenden wir uns dem Hauptgeschehen zu. Wir wollen nur die Akteure etwas sortieren.

Vor einer berückenden elysischen Landschaft vollzieht sich erhaben feierlich das Geschehen auf einer „Bühne“, die vom Kontrast des kühl grauen Grundes und der Goldtöne des Mosaiks bestimmt ist: Links die sonnengebräunten Gestalten von Paris und Hermes. Der Götterbote hatte seine Mission erfüllt und uns den Rücken zuwendend schaut er gelassen auf das Geschehen, genauer, Hera, die Königin der Götter, die selbstbewußt und siegesgewiß ihren Körper vorzeigt.

Als nächste nach rechts hin sehen wir die schon halb entblößte und ganz ungeduldige jungfräuliche und wehrhafte Weisheits-Göttin Athene, die den Triumph ihrer keuschen Schönheit kaum erwarten kann.

Überraschend zurückgenommen, doch genau beobachtend steht ganz am rechten Rand die Göttin Aphrodite, von allen drei am natürlichsten und sinnlich weiblichsten wirkend, und sich der Macht ihrer gefälligen Gestalt nur zu bewußt. Man könnte sagen, Klinger habe 3 Grundtypen psychologisch erfaßt, aber damit würden wir schon in die Deutung des Bildes einsteigen, was ich ersparen will. Jeder kann selbst sehen und deuten, nur der Rahmen war halt etwas unübersichtlich.

Doch halt, Herrn Kühns Beschreibung der Landschaft, die soll uns nicht fehlen:

„Die nackten sonnengebräunten Körper stehen in einer vom zarten stillen Licht der Spätnachmittagssonne buntfarben erglänzenden Landschaft. Zu beiden Seiten des Hintergrundes hebt sie sich empor. Links zu einer waldigen Anhöhe; in tiefen Farben glüht das Buschwerk, ein Hain mit buntem Laubwerk; das feine helle Grau der Baumstämme steht köstlich in den tiefen Farben; zwischendurch verglüht  in der Ferne das Abendrot. Rechts blicken wir auf felsiges Gebirge, das sich in feiner Abstufung von Wald, Halden, schroffen Hängen, nackten Felsen nach hinten aufsteigend aus Violett und Blau lichter und lichter in die Ferne und in die Tiefe verliert; vorn steigt dunkleres Buschwerk auf. Zwischen diesen Höhenzügen und Tiefen wird in heiterem Blau das Meer sichtbar; fern und leise rauscht es heran an das felsige Gestade. Ein idyllisch-heiterer Spätnachmittag, eine unendliche Weite, das sehnsüchtige Ferngefühle weckt, ein fernes Anrauschen des Meeres, das träumen macht. Ein Glück des Südens, ein griechisches Inselglück in reiner Luft zwischen Gebirge, Wald und Meer.“

„Das ganze wunderbare Malerwerk“ atme den „Geist attischer Anmut, das schwermütige, heitere Glück der antiken Welt.“

Haben die Zeitgenossen dieses Wunderwerk zu schätzen gewußt? Überwiegend eher nicht, um es milde zu sagen. Im Juli 1887 wurde es dem Berliner Publikum vorgestellt und hier nun wiederum ist Cornelius Gurlitt hilfreich ("Die deutsche Kunst des neunzehnten Jahrhunderts" Berlin 1899 (S.611 ff.)).

Nicola Perscheid, Portrait des Künstlers Max Klinger, 1915

"Klinger galt damals bei den Berlinern für einen Mystiker und Genialitätshascher. Beides war unbequem und paßte nicht in den Rahmen der Weltstadt." Er gibt darauf die Erzählung seines Bruders Ludwig Gurlitt wieder: "... das Werk war nur sich selbst ähnlich; ein neuer, mir unbekannter Geist sprach hier zu mir und ich stand lange in stummem Staunen. Neben mir aber machte sich die erbarmungsloseste Kritik laut, und plumpe Witze wirkten auf mich wie Peitschenknall in der Kirche."

Fritz Gurlitt, der Kunsthändler: "Eben war Klinger bei mir im Bureau, ganz zerschlagen und vernichtet. Er hatte eine halbe Stunde vor seinem Bilde gestanden, seinem ersten großen Ölgemälde, an das er alle Kraft, auf das er alle Hoffnung gesetzt hatte, und mußte nun die Urteile des Berliner Publikums hören. Herrjeh! von wem ist denn das?! Der muß nach Dalldorf, den darf man nicht frei rumlaufen lassen? [In Dalldorf (heute Wittenau) befand sich die größte Berliner Nervenklinik.] In der Tonart war es fast unausgesetzt gegangen."

Gurlitt (der Autor) kann im Grunde auch nur mutmaßen, warum die Erregung so heftig war (die Nackheit nicht hinreichend idealisiert und daher unmoralisch erscheinend?). Bisher wäre sie "durch den Idealismus zu einer höheren, die Sinne bändigenden Schönheit erhoben" worden. "Die Schönheit heiligte dort das Nackte."

Der teils bildnerische und farbig gefaßte Rahmen wäre als Geschmacklosigkeit aufgefaßt worden? Stieß der "eigentümlich harte Ton" der Körperauffassung ab. Er liefert ein Resümee, das nur bedingt überzeugt:

"Die geistige Zumutung, sich umzubilden, der Vorwurf, der in diesem Bilde steckt, daß man allzu lang bequemem Idealismus angehangen habe, und daß es Zeit sei, der neuen Zeit angemessene neue Ziele auszustecken: Das war es, was den Haß erzeugte. Aufgeschreckte Denkfaulheit, die tobend nach Ruhe schrie."

Vielleicht wäre diese Machart besser angekommen? Ich weiß nicht.

Albert von Keller, Das Urteil des Paris, um 1891

Das zu Klinger und einem seiner Hauptwerke. Ursprünglich sollte dies mehr eine antike Bildergeschichte werden, aber wie es halt so kommt. Also kehren wir wenigstens zum Ende zur Ursprungsabsicht zurück und bringen nur das Bild von dem leider recht vergessenen Herrn Abel (am bekanntesten vielleicht noch sein „Klopstock im Elysium“ – wir werden es einfach an den Schluß hängen) und die dazugehörige Erzählung. Offen gestanden begann die ganze Idee mit diesem Bild, das mir zuvor unbekannt war.

Josef Abel, Andromache in Ohnmacht
etwa 1818, hier gefunden

Auf diesem Gemälde ist das Verhängnis schon weit fortgeschritten. Die Gattin Hektors fällt in Ohnmacht, nachvollziehbarerweise, so man genauer hinschaut.

Der Heerführer Agamemnon und der große Held Achill hatten sich verzankt, über eine weibliche Kriegsbeute, so daß Achill das Kämpfen verweigerte. Hektor, der Sohn des Priamus focht derart tapfer, es gelingt den Trojanern, die Achäer bis zu ihren Schiffen zurückzudrängen und Feuer an sie zu legen. Da gestattet es Achill seinem Vertrauten Patroklos, seine eigenen Rüstung anzulegen und gewissermaßen unter dem Schein, er sei es selbst, seine Gefolgsleute in die Schlacht zu führen. Die Trojaner unterliegen, aber Patroklos fällt von der Hand des Hektor, der glauben muß, Achill getötet zu haben.

Dieser greift nun selbst ein und tötet Hektor mit der Hilfe der Göttin Athene. Es ist überhaupt eine Art Stellvertreterkrieg, den die Götter hier führen. Achill schleift den Leichnam zwölf Tage um das Grab seines innig geliebten Patroklos. Apoll mildert das Grauen, so Homer im XXIV. Gesang seiner Ilias (in der Übersetzung von Johann Heinrich Voß):

Schnell, nachdem er ins Joch die hurtigen Rosse gespannet,
Hektor drauf zum Schleifen befestiget hinten am Sessel,
Zog er ihn dreimal ums Grab des Menötiaden Patroklos,
Ging dann zurück ins Gezelt, und ruhete; jenen verließ er
Dort im Staube gestreckt auf sein Antlitz. Aber Apollon
Schützte den schönen Leib vor Entstellungen, weil ihn des Mannes
Jammerte, selbst im Tod', und deckt' ihn ganz mit der Ägis
Goldenem Schirm, daß schleifend auch nicht er die Haut ihm verletzte.
Also frevelte jener im Zorn an dem göttlichen Hektor.

Endlich beauftragt Zeus die Göttin Thetis, die Mutter des Achill, ihren Sohn zur Vernunft zu bringen. König Priamos, der sich als Bittsteller nächtens ins Lager der Griechen schleicht, vermag ihn zu erweichen und erhält dessen Leichnam zur Bestattung.

Doch auch das Schicksal des Achill war längst beschlossen, noch einmal Herr Moritz:

„Auch war das Verhaͤngniß des Achilles nun nicht mehr weit entfernt; nachdem er noch einige ruhmvolle Thaten vollbracht, traf vom Apollo gelenkt, des Paris toͤdtlicher Pfeil ihm in die Ferſe, wo er allein verwundbar war. Um ſeine Waffen entſtand ein trauriger Streit; die Griechen ſprachen ſie dem Ulyſſes zu; woruͤber Ajax, welcher nach dem Achill der tapferſte unter den Griechen war, aus Mißmuth ſich ſelbſt entleibte.

Paris ward bald nachher vom Philoktet mit einem der Pfeile getoͤdtet, die in das Blut der Lernaͤiſchen Schlange getaucht, vom Herkules ihm hinterlaſſen waren. Auch war der Fall von Troja nun beſchloſſen, das nach ſo viel Blutver gießen, dennoch am Ende nicht mit Macht, ſondern mit Liſt erobert werden mußte.“

Keine schönen Geschichten sind dies, aber offenkundig inspirierende. Enden wollen wir mit diesen zwei Bildern. Noch vor dem versprochenen Klopstock ein Gemälde von Karl Friedrich Deckler - Hektor, sich von Andromache und Astyanax verabschiedend. Auch nach den übrigen Erzählungen über ihn war er wohl der nettere Kerl.

Carl Friedrich Deckler, 
vor 1918, hier gefunden


Josef Abel, Klopstock unter den Dichtern im Elysium,
zw. 1803 und 1807, hier gefunden

nachgetragen am 29. März

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