oder
Über das Verdämmern des Evangelischen
Kehren wir kurz zu einem beiläufigen Ereignis zurück, geschehen in der kleinen Stadt Nordhausen in Thüringen. Es ist tatsächlich ein Randereignis (es gibt derer so viele, die in unserem Gemüt schlummern, wir werden sehen). Aber so nähern wir uns vielleicht schrittweise, vom Rand her, dem Eigentlichen. Der Strom des Gegenwärtigen hält uns mit seinen schrillen Aufregungen zu sehr vom Erinnern und Innehalten ab.
Ein 2015 nach Deutschland geflüchteter junger Afghane betritt die Frauenbergkirche in Nordhausen und nein, er sticht dort niemanden ab, ich müßte auch entschieden diese Assoziationskette verurteilen. Sondern er räumt deren Innenraum ein wenig aus. Dabei zerbricht u.a. ein mittelalterliches Kruzifix (das den letzten Weltkrieg überstanden hatte, die Stadt hatte in diesem beträchtlich zu leiden), also den Leib des Herrn, und erklärt dem interessiert hinzugeeilten Pfarrer, daß Jesus nicht Gottes Sohn sei, nun ja. Tempelreinigung oder Großreinemachen wären also folglich die passenderen Assoziationen. Das legt zumindest eine zögerliche öffentliche Stellungnahme der örtlichen „Kirche“ nahe.
Unter dem Titel „Unterwerfung auf Thüringisch“ kommentierte Marc Felix Serrao von der NZZ dazu: „Eine evangelische Kirche, die der Entweihung ihrer Gotteshäuser nichts entgegensetzt und Feinde ihres Glaubens nicht als solche erkennt, kann die Kreuze auch selbst abhängen.“ Im Grunde ist damit alles gesagt und man kann den ganzen Artikel dort nachlesen
Aber wir wollen noch ein wenig an der erwähnten Stellungnahme entlangwandern.
Zunächst wird die Assoziation mit einem Frühjahrsputz präsentiert:
„Eine Kirche wird ausgeräumt. Fein säuberlich werden die Stühle und Gesangbücher nach draußen ins Freie getragen und dort in Reihe sortiert. Es sieht nach einem verspäteten Frühjahrsputz oder nach anstehenden Reparaturarbeiten aus. Weder noch ist der Fall.“
Das zentrale Symbol des Glaubens wird also entwürdigt. Aber von Vandalismus oder gar Kirchenschändung mag man (anders als die Polizei) nicht reden, die Motive des gläubigen Muslim bleiben ihnen unklar (ach):
„Später wird im Polizeibericht stehen, dass der Ausräumer randaliert hat. Das war jedoch nach derzeitigem Stand der Dinge nicht sein Anliegen... Er wollte nach eigenen Angaben das Gotteshaus von dem befreien, was nach seiner Vorstellung dort nicht hineingehört. Er ist gläubiger Muslime und kommt aus Afghanistan... Was ihn ausgerechnet jetzt dazu bewogen hat, die Kirche am Nordhäuser Frauenberg leer zu räumen, bleibt im Dunkel.“
Jetzt muß dann aber doch ein vorsichtiges Wort der Distanzierung folgen:
„Für uns alle ist klar: das macht man einfach nicht – Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung – und es ist nicht das erste Fehlverhalten einem Gotteshaus und einer einladenden Gemeinde gegenüber.“
Sicherheitshalber, vermutlich, wird diese, nennen wir es Verurteilung, gefühlsmäßig abgefedert:
„Unter den zerbrochenen Gegenständen ist das mittelalterliche Kruzifix. Es hat den Bombenangriff auf die Kirche überlebt und stand seit jeher auch als Zeichen der Verletzlichkeit. Nun ist es verletzt, empfindlich sogar und die Gemeinde in ihrer Gastfreundschaft ist es auch... Wie viel Anfechtung und Infragestellung halten wir aus? Welche Antworten haben wir darauf? Wovon lassen wir uns in unseren Antworten leiten?“
Ein wenig Gefühlsexhibitionismus, gefolgt von jetzt aber viel wirklicher Distanzierung: Man flüchtet sich förmlich zu den kuscheligen Geßlerhüten der Gegenwart:
„Es ist erschreckend, mit wie viel Hass und rassistischen Äußerungen Menschen sich zu Wort melden.“ Und wenig später: „Dazu gehört aus unserer Sicht auf jeden Fall eine pauschale Verurteilung einer Volksgruppe, wie es in diesem Zusammenhang durch unseren Landrat in der Darstellung der nnz-online anklingt.“
Man ist also sogar entsetzt über den Fast-Rassismus des Landrats, natürlich nur „fast“, man will ja auch nicht justiziabel werden.
Die ganze Sache hat ihr Gutes, durchaus! Der brave Mann hat beim Zerbrechen des Kruzifix uns gewissermaßen einen Denkanstoß gegeben. Sein Gott sei gepriesen dafür.
„Mit Blick auf den Reformationstag ist auch zu fragen, ob nicht in unseren Vorstellungen und religiösen Vollzügen Gegenstände oder Gewohnheiten herausgeräumt werden müssen, weil sie uns den Blick auf Jesus Christus verstellen.“
Dann treibt man noch ein wenig Voodo-Theologie (übrigens empfiehlt die Rechtschreibprüfung hier als Ersetzung „Konzilstheologie“ (sic!) tatsächlich):
„Eine Kernaussage der Reformation ist: der Mensch ist vor Gott nicht gerechtfertigt durch sein Tun, sondern allein aus Gnade. Nicht die Tat macht den Menschen aus, sondern die Annahme, dass Gottes Gnade in gleicher Weise allen Menschen gilt.“
Voodoo, denn, man benutzt Dinge und macht mit ihnen einen ganz eigenen Zauber. Die Rechtfertigungslehre meint nicht, daß man fröhlich tun dürfe, was immer man wolle, sondern es gibt einen Weg der Rückkehr, nämlich den der Buße usw. Aber das wissen diese Hallodris alles. Es lohnt nicht weiterzureden. Am schönsten ist der Schluß
„Aufmerksam und geduldig, aber auch Grenzen aufzeigend, arbeiten wir an Wegen des Miteinanders in einer pluralen Welt.“
Allein dieser Satz ist semantische Umweltverschmutzung. Eher könnte man einen Tintenfisch festnageln.
Seine Sprache verrät den Menschen: Solange es um Fragen des Glaubens geht, ist sie bei dieser amtskirchenofiziellen Reflexion der unerfreulichen Begebenheit weich, mehrdeutig, rundgeschliffen (damit man auch ja nicht „erwischt“ wird), Eunuchensprache eben. Aber wenn es um das neue „Eigentliche“ geht, da wird sie dann sehr energisch.
Unser einziger Herr und Erlöser Jesus Christus und die allerseligste Gottesmutter mögen uns bewahren und leiten.
wird fortgesetzt,
nachgetragen am 18. November