Posts mit dem Label Jung werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Jung werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Donnerstag, 27. Dezember 2018

"Taft zum Kragen" - eine Geschichte aus Livland nacherzählt II

Dorpat, 1860

Wohl jeder kennt das Gefühl, das einen üblicherweise etwa bei Krippenspielen befällt: Alles, was gesagt wird, ist gut und schön und vor allem wahr, aber die Darsteller! So in etwa verhält es sich mit dem Fortgang der Geschichte, in die wir hier eingeführt haben. Wir stellen unsere mäandernden Anmerkungen deshalb gleich an den Anfang.

Ich fürchte, unsere Autorin hat alle ihre wohlbegründeten Ansichten in diesem Kapitel sozusagen auf eine Litfaßsäule geklebt und zusätzlich dick unterstrichen, was der Geschichte weniger gut tat. Oder anders ausgedrückt, sie hat sie alle hineingequetscht, mit demselben Effekt. Wir wollen ihrem Beispiel folgen.

Zunächst gilt mein Einwand mehr dem 2. Teil des 2. Akts, wie ich die Geschichte für mich eingeteilt habe. Der 1. Teil kontrastiert sehr ansprechend den unschuldigen Wunsch der jungen Frau, etwas Schönheit in ihr kleines Leben zu holen, mit dem als Weltverachtung getarnten herrschsüchtigen Wesen des jungen Pastors. Die Autorin beschreibt damit einen Typus, der leider sehr real ist.

Solange es protestantische Geistliche geben wird, dürfte dieser Habitus der ostentativen Moralität bestehen bleiben. Und was heute Regenwald, Klimawandel und Diversität sein müssen, dafür hatte in jener Zeit eine eher lederne bürgerliche Sittlichkeit herzuhalten. Wäre ich Katholik, würde ich womöglich einwenden, daß die Protestanten damit ihren Mangel an Glauben zu überhöhen suchen. Da ich selbst einer davon bin, muß ich mir diesen Schuh dann aber wohl auch anziehen. Also verwerfe ich diesen Gedanken lieber.

Was einen an dieser Moralität immer mißtrauisch stimmen sollte, ist zum einen, daß sie sich zuförderst gegen andere richtet, zum anderen fehlen ihr Wirklichkeitssinn, Empathie und der Wille fürsorgender Hilfe. Und vor allem fehlt die Demut des Glaubens. Daß das unsere Autorin so klar gesehen hat, ist der eigentliche Grund, diese Geschichte weiter vorzustellen. Also fahren wir doch einfach fort.

St. Johanniskirche, Dorpat, Fassadendetail

2. Akt, erster Teil – Glaubenseifer bei Suppenfleisch mit Meerettichsauce

Beim Mittagessen war sie dann so schweigsam, daß es sogar ihrem Mann auffiel, der in Gedanken schon bei seiner Predigt war, die er sich stets für den Sonnabendnachmittag vorbehielt.  

„Es war nämlich ein herrlicher Text…! Ein Text so recht nach seinem Herzen, bei dem man der im Kirchenschiff schweigenden Gemeinde einmal tüchtig die Wahrheit sagen konnte, Wahrheit mit Horn und Schwanz!

Wie hieß es da? ‚Tut Buße!‘ Und dann hatte Johannes in der Wüste ein Kleid von Kamelhaaren an und einen ledernen Gürtel, und nichts von all dem Firlefanz, der heute zur Mode gehörte: Schleppen und hohe Absätze, Spitzenrüschchen und Siegelringe und seidene Krägelchen… Außerdem ist die Axt den Bäumen schon an die Wurzel gelegt, und einer hat die Worfschaufel schon in der Hand und wird seine Tenne fegen…

Ja, es war ein herrlicher Text. Das Grauen konnte einem über den Rücken laufen, und trotz der winterlichen Kälte hörte man die Flammen der Hölle unter der Oberfläche brausen.

Mit einem Lächeln, in dem sich schon die schöpferische Stunde ankündigte, blickte der Pastor auf. Und da sah er seine kleine Frau sich gegenübersitzen, ganz jung, ganz rosig, mit gesenktem Blick und dem unschuldigen Rund ihrer Wangen. Sie stocherte im Suppenfleisch, das mit Meerettichsauce und Kartoffeln, wie jeden Sonnabend, ihren Teller füllte. Immerhin waren es keine Heuschrecken mit Honig wie im herrlichen Text, und - Hand aufs Herz - darüber war der junge Pastor eigentlich ganz froh.

Er sah dieses junge Kind an, das er auf seinen steilen und kompromißlosen Schicksalsweg einfach mitgerissen hatte, weil... er es nicht zurücklassen, weil er es einfach keinem anderen überlassen konnte. Und wie immer, wenn er Elsbeth ansah, füllte sich sein Herz mit einer ganz unvorschriftsmäßigen Wärme.“ So war es immer schon gewesen. Und „jetzt saß dieses Kind seit einem halben Jahr an seinem Mittagstisch und war seine Frau“.

Brunnen mit der Statue „Küssende Studenten“

Ob ihr etwas fehle, sie fährt leicht zusammen, nein. Ob ihr das Suppenfleisch wieder einmal nicht schmecke, dabei habe Johannes in der Wüste immer Heuschrecken mit Honig gegessen.

„‘Die müssen ganz komisch zwischen den Zähnen geknirscht haben‘, flüsterte seine kleine Frau. Aber das hörte er schon nicht mehr.“ Er war bereits wieder die Stimme des Predigers in der Wüste.

Sie schwieg wieder, sie merkte, es fiel ihm nicht mehr auf. "Sie konnte ruhig über den blauen Taft, die drei Rubel und die 'Zukunft' nachdenken. Er war bei seiner Predigt. Er war groß und fern. Das Feuer des Geistes nahm von ihm Besitz. Sein schön geschwungener Mund lächelte, aber er lächelte nicht für sie. Sie kannte das." 

Es hatte keinen Zweck, ihn jetzt mit ihren kleinlichen Sorgen zu behelligen, aber am Sonntagmorgen, da hatte es bestimmt mehr Zweck.

2. Akt, zweiter Teil – ein verdrießliches Kaffeestündchen

Dorpat, Rathaus
Ivo Kruusamägi (Wikipedia), hier gefunden

„In Dorpat begannen alle Gottesdienste erst um elf Uhr“, ob um der Studenten oder der Professoren willen… Wie auch immer. Der Pastor „schlürfte seinen Kaffee und rauchte seine Zigarre. Die Predigt, wohl bedacht und reich formuliert, ruhte in seinem Inneren und brauchte nur hervorgeholt zu werden.“ Alles war vorbereitet.

"Warum sich also des stillen, seltenen Morgenstündchens nicht von Herzen freuen?"

Die junge Pastorin rechnete auf seine Sanftmut. "Denn wenn man binnen kurzem den Segen erteilen und anderen Menschen die Sünden vergeben will, muß man dann nicht so etwas Ähnliches wie Gottes Nachsicht und Barmherzigkeit in seinem Herzen tragen?"

"'Du sagtest mir einmal, wir sollen für die Zukunft sparen.' Der Pastor horchte auf. 'Ja, wieso?' fragte er, während in seinem Kopfe holde Bilder heraufdämmerten. Ob das der Anfang eines zarten Geständnisses werden sollte?"

Sie habe das auch immer getan und jetzt schon heimlich achtzehn Rubel zurückgelegt. 
So sei das nicht gemeint gewesen, dennoch lobte er sie dafür,  fragend.

Sie wisse nicht, ob ihr das diesen Dezember auch gelingen werde. Sie wolle sich für ihr blaues Weihnachtskleid einen seidenen Kragen kaufen, und der wird genau die drei Rubel kosten, die sie sonst zurückgelegt hätte.
"‘Was meinst du dazu? Es ist ein Kragen von Taft…‘"

Der Pastor schwieg, die Stirn umdüsterte sich, nichts von zarten Geständnissen - modischer Firlefanz! "'Hältst du so einen Taftkragen denn wirklich für unbedingt notwendig?' 'Notwendig nicht, aber schön', zwitscherte die junge Frau."

"'Überleg mal, Elsbeth..., was wollen wir denn lieber sein, gut oder schön?' 'Ich möchte beides sein.'"

"Aber, Elsbeth, kein Mensch kann zween Herren dienen! Wir müssen wählen, ob wir Gott gefallen wollen oder den Menschen.''Ich möchte beiden gefallen.'"

"'Und dafür brauchst du ein Stück Seide für drei ganze Rubel... für drei Rubel Taft zum Kragen... drei Rubel, die wir sonst für die Zukunft zurücklegen könnten!'"
Sie habe doch schon achtzehn Rubel, ganz freiwillig, wendet sie schüchtern ein.

"'Ja... sollen wir uns in Seide kleiden, während ich... heute ausgerechnet davon sprechen will, daß Johannes in der Wüste ein härenes Gewand trug...'" während "'unsere Damen jetzt schon anfangen, sich Seiden und Spitzen und Flitterzeug für die Landtagsbälle in Riga zu kaufen. Ich will den Menschen einen Spiegel über die Nichtigkeit dieser Dinge vorhalten, - und du willst Taft zum Kragen!'" 

Die Gemütlichkeit ist hin. Der Pastor im Raum hin und her wandernd: "'Meinst du nicht, daß du Gott ohne taftenen Kragen besser gefällst?'... 'Ich glaube, Gott ist nicht so kleinlich'", schnellt ihr Kopf empor.

"'Aber erlaube mal, Elsbeth - so kleinlich wie wer?'", bricht die heilige Empörung aus ihm heraus. "'Und was für Worte sprichst du da eigentlich in Verbindung mit Gott? Wie kannst du Seinen Namen überhaupt in Verbindung mit deinen lächerlichen Angelegenheiten nennen? Kleinlich sagst du? Ja, wahrhaftig, kleinlich ist Er nicht, der die Gestirne schuf und über die Ewigkeit herrscht...'" Etc. Etc. 

Hier mußte ich einfach kürzen und springe geradewegs in die Geschichte hinein. Das ist genau der Punkt vor dem ich eingangs warnte. Unser Pastorendarsteller paraphrasiert ziemlich deutlich Gott im Hiobbuch (das für sich schon schwierig ist - das Gescheiteste hat dazu nach meinem Geschmack immer noch C. G. Jung geschrieben, in der Leiste rechts finden sich Hinweise auf meine Versuche, dem etwas gerecht zu werden, nun ja). Mit anderen Worten, der Archetypus Gott inflationiert gerade ziemlich sein Gemüt, oder was auch immer.

Der Leser muß spätestens jetzt einräumen, Dialoge sind nicht immer die stärkste Seite unserer Autorin. Sie hat Einfälle, die Gedanken ihrer Charaktere sind stimmig und lebensecht, aber man gewinnt den Eindruck, daß sie von ihrem Konzept so begeistert war, daß sie ganz vergessen hat, daraus eine hinreichend lebendige Rede zu machen. Es ist mehr eine Lehrerzählung im Holzschnittstil. Und zwar nicht unbedingt dem Dürers. Schade eigentlich. Doch wir mühen uns weiter.

 "'Was weißt du von ihm..., deren Verstand nicht ausreicht, auch nur den Saum seines Gewandes zu erkennen...'" 

Während des gewaltigen Wortregens wurde die junge Frau ganz klein, und erst als er Atem holen mußte, wagt sie zu flüstern: "'Ja, natürlich, du hast recht, ich weiß nichts von Gott und seiner Majestät, außer dem einen: Daß Er mich lieb hat!' 'Lieb hat? Dich? Das Staubkorn?' rief der Pastor und schaute vernichtend in ein Paar aufgerissene Augen, aus denen ratlose Verwirrung geradezu schrie."

Diese Verwirrung ernüchtert ihn, etwas. Ja, Gott liebe sogar die Verbrecher. "'Aber ich wollte nur sagen, daß Schönheit oder Klugheit, Jugend oder eine gute Familie noch lange kein Grund sind, sich zu den Auserwählten zu zählen...'" 

Strohmannalarm! Leider ist das Wort im Deutschen noch nicht hinreichend eingeführt. Aber es ist genau wie im Hiobbuch, der Gott-Pastor tritt Vorstellungen entgegen, die gar nicht erhoben wurden, vermutlich, weil sie sich leichter abwehren lassen. Die Antwort ist also nur zu logisch. 

Das habe sie auch gar nicht behauptet, wendet sie zurecht ein, "aus den Fluten ihrer Demut und Verwirrung auftauchend" und fügt mit sogar abwehrbereiter Stimme hinzu: "'Ich habe nur gesagt, daß Gott mich liebt, und ich liebe ihn auch.'"

Der Pastor, nun wieder bedächtig, "'Ja, aber die rechte Liebe muß es sein, Furcht und Liebe. Man darf Gott nicht verniedlichen, weil man selber niedlich ist. Ihn und ein Stückchen Taft zum Kragen sollte man nicht in einem Atemzug nennen. Man sollte Ihm zuliebe einfach wortlos darauf verzichten.'"

Sie tue Gott mit ihrem Taft doch gar keinen Abbruch, er habe die Seiden wie die Lilien geschaffen, damit man sich an ihnen freue, sie würde nicht einmal Angst haben, wegen des dummen Tafts zu Gott zu beten. 

Das nächste Zitat können wir leider nicht ersparen:

"'So würdest du also ruhig mit dem lieben Gott sozusagen gemeinsame Sache gegen mich machen?' fragte der Pastor dagegen schneidend vor Zorn und Verachtung. 'Eberhard!..." 

Der Pastor spürte jetzt immerhin "etwas wie eine Warnung". Natürlich nähme er das nicht wörtlich, doch erschiene ihm ein solches Gebet wie eine Blasphemie. "'Gott - und Taft zum Kragen! Diese irdischen Dinge sind da, oder sie sind nicht da, - man betet nicht um sie!'" Stehe denn im Vaterunser irgendeine ähnliche Bitte? Es ginge um der Seelen Seligkeit und nicht um Taft. Gott sei kein Magier. Auch unsere Gebete könnten uns den Weg in den Himmel versperren.  

Das Ende der Unterhaltung fassen wir besser zusammen. Sie besteht darauf, mit jeder Kleinigkeit zu Gott, dem liebenden Vater laufen zu können. Er sagt irgendwann: „‘Ja, das hat alles nun nichts mehr mit meiner Auffassung von Gott oder mit irgendeiner Theologie zu tun, - aber für schwache und törichte Seelen mag auch diese Art von Gebet ihren Trost in sich tragen.‘“

Er bemerkt dann erschreckt, daß sie fast zu spät zur Kirche seien. Sie solle sich schnell fertig machen und noch übers Gesicht wischen. Es brauche nicht die ganze Gemeinde zu sehen, daß sie am heiligen Sonntagmorgen geweint habe.

Brunnen der küssenden Studenten bei Nacht

wird fortgesetzt, 
nachgetragen am 29. Dezember

Sonntag, 11. März 2018

Sonntags


Jonathan Pageau - Sacred Art in Secular Terms

Ich hatte gestern mit einem einsichtsvollen Besucher eine Differenz. Nun dazu sind Unterhaltungen da, es sei denn, man ist auf Gleichförmigkeit aus. Aber darüber reden wir nicht an einem Sonntag. Kitsch war das Thema. Daß religiöse Kunst oft so unerträglich sein könne, seit etwa 200 Jahren, davor gab es das nicht, meinte ich. Und um es hier zu wiederholen, das Phänomen ist schwer einzugrenzen, aber man fühlt es, es ist ein falsches Gefühl. Nun sind gefühlte Wahrheiten gegenwärtig aus konkreten Gründen als Quelle der Einsicht fast verbrannt... Genug davon.

Jonathan Pageau hatte eine existentielle Krise als Künstler, ein Aufenthalt in Afrika, eher aber die Begegnung mit der Theologie der östlichen Kirchenväter heilten ihn davon, auch bewahrte ihn letzteres vor der Versuchung, anschließend Ethno-Kitsch zu produzieren. Und so wurde er ein orthodoxer Christ in Quebec, Kanada (der Protestantismus wurde ihm zu flach), und später ein Freund der neuesten prophetischen Gestalt, der er daher einiges über den “Logos” zu erzählen vermochte, von der wir diesmal aber schweigen wollen (ja, Peterson, obwohl ich den je mehr je länger zu respektieren gelernt habe, etwas widerwillig zugegebenermaßen).

Nun, in obigem Video ist der Icon-Carver eher ungnädig gegenüber eingeschnürten metallischen Luftballons oder zerfließenden Blutskulpturen, aber immerhin zeigt er nicht einmal vorrangig sein Eigenes, sondern erwähnt Künstler einer modernen christlichen Kunst wie einen Silouan Justiniano, die erstaunlicherweise völlig authentisch erscheinen.

Es gibt eine hübsche Geschichte am Ende, wo er, von seinem Bischof aufgefordert, die Hl. Jungfrau schnitzt, und ein Serbe sagte, ihm, jetzt sieht sie wie eine Drogensüchtige aus... Am Ende aber, als er das Werk vorzeigte, schlug der Bischof das Kreuz und neigte sich zuvor. Es war einfach richtig. Und er räsoniert darüber, wie Kunst weniger als Kunst und zugleich mehr sein könne. Sie öffne dienstbar einen Raum, der wirklich sei und heilig.

Keine Wolkenstufen ins Ungefähre also.

Er sollte etwas mit seinen Haaren machen. Er sieht meist aus wie ein Waldstreicher. *Seufz. Und ich gehe jetzt zurück in die wundervolle Frühlingssonne. Ach so, ich wollte mit einem Bild aus Ravenna enden, aber die Sonne wartet bekanntlich nicht, also vorläufig nur ein Link zu Dr. Jung.

Mittwoch, 21. Februar 2018

Samstag, 4. November 2017

Clean up your room 1st – Über Jordan Bernt Peterson, die richtige Art, ihn zu lieben, und wie man das alles überleben könnte, vielleicht



Gott, der Herr, sah eines schönen Morgens auf die Welt, und war wieder nicht sehr erfreut über den Anblick. Da kam Prof. Jordan Bernt Peterson aus Toronto, Canada des Wegs und sagte mit seiner etwas zu hohen Stimme, wie meist, wenn er so bewegt ist, daß er fast die Herrschaft über sich selbst verliert (ein Eindruck, der sehr täuscht), besorgt, tröstend und fordernd zugleich:  Bewußtheit ist der Start für Verbesserung.

Anschließend erzählte er Gott dem Herrn Geschichten aus Ägypten, Sumer und...; von der Hierarchie in allem Lebendigen, daß nur Menschen ein Bewußtsein von Gut und Böse hätten, es würde ihre Existenz aber nicht einfacher machen, es gäbe z.B. keine bösen Löwen, sie würden schlicht das ausleben, was in ihrer Natur liege; von der Schlange, und wie tief sie im sogar vormenschlichen Bewußtsein angelegt sei, und und...; damit er sich Seiner selbst ein wenig mehr erinnere, wie Er, Seine Vorgänger, wie auch immer, Problem dieser Art angegangen wären. Und er solle aufhören, nur so müde vor sich hinzuträumen, schließlich ginge gerade die Welt darüber zugrunde. Möglicherweise war Ihm danach etwas schwindelig. Das verbindet uns, irgendwie, den Herrgott und mich. Aber ich will nicht unhöflich aussehen.

Wissenschaft ist ein Machtspiel, Realität ist ein Machtspiel, Vernunft ist ein Machtspiel. Erfolg ist Diebstahl. Differenz ist Unterdrückung. Immer. Es existiert keine Realität. Es gibt keine Wahrheit, nur Machtverhältnisse. Etwas wie eine menschliche Natur, existiert nicht. Logik ist eine Erfindung von Männern, um Frauen zu demütigen. Gut, letzteres ist von mir. Sehr arg zusammengezogen. Im Original:  "The post-modern neo-Marxists are not known for their coherence."

Verwirrt? Willkommen im Club. Ein sehr liberaler Professor war jüngst das Opfer von sozusagen Linken-Kannibalismus im beschaulichen Staat von Washington, nun das gehört zu ihrer gestörten Natur, und er antwortete: "To quest an allegation of racism is racism." „The illogic of those arguments doesn't matter because logic isn't a thing, it's a tool of oppression.“

(Joe Rogan Experience #970 - Bret Weinstein, 1,046,857 views, Streamed live on Jun 2, 2017, Bret Weinstein is a biology professor at Evergreen State College in Olympia, WA)

Ich habe mir das alles also nicht ausgedacht, nur herausgedacht. Prof. Peterson aus Toronto steht so sehr im Zentrum des Spiels wahrlich mächtiger Spieler und vor allem allen im Weg, daß man sich sofort fragt, warum er?

Etwas beginnt im Herbst letzten Jahres. Die durchgedrehte pc-fromme Meinungsherschaft in Kanada denkt sich ein Gesetz aus, das mindestens Staatsdienern auferlegt, Menschen so anzusprechen, wie sie sich stimmungsaktuell gerade wahrnehmen - als Einhorn, Cis-Gender, was auch immer (man sollte da nicht zu sehr einsteigen), anderenfalls mache man sich eines Haßverbrechens schuldig. Bevor jemand sagt das stimme so gar nicht: "The post-modern neo-Marxists are not known for their coherence." Nun für die Gutgesinnten bestimmt sich Wahrheit nach Nützlichkeit.

Peterson erkannte darin einen neuen Exzess des Totalitären. Er sagte Nein. Dieses unmoralische Gesetz ist gegen den LOGOS, das Herz von allem, aus dem wir im Westen leben. Ich folge dem nicht. Seit Ende September 2016 veröffentlichte er mehrere Videos (das erste findet man hier), in denen er seinen Widerstand erklärte. Er war sich des Risikos seines Handelns sehr bewußt, es hätte leicht seine Existenz als klinischem Psychologen zerstören können. Und es war nicht zu erwarten, daß das vielen auffallen würde. Eher, daß sein Widerspruch ihn "bürgerlich" vernichten würde. Bill C-16, so heißt das Gesetz, ist zwar mittlerweile in Kraft, aber Peterson wurde über Nacht berühmt und nicht vernichtet.

Es kam also anders, aber das konnte er nicht wissen. Und seitdem haben wir einen neuen Helden, einen, der das letzte Jahr sehr krank war, der eigentlich nicht politisch werden wollte und dem Erwachsene jetzt anhängen wie Kinder.

„Life is suffering,
Love is the desire to see unnecessary suffering ameliorated,
Truth is the handmaiden of love,
Dialogue is the pathway to truth,
Humility is recognition of personal insufficiency and the willingness to learn,
To learn is to die voluntarily and be born again, in great ways and small,
So speech must be untrammeled,
So that dialogue can take place,
So that we can all humbly learn,
So that truth can serve love,
So that suffering can be ameliorated,
So that we can all stumble forward to the Kingdom of God.“

Das alles kann man im obigen Video näher verfolgen. Und wenn der liebe Gott will, findet dies auch eine Fortsetzung, denn ich wüßte nicht, wann Er mir zum letzten Mal einen solchen Brocken vor die Füße geworfen hätte. Das Bild ist wahrlich komplett falsch, aber der Gutwillige bekommt eine Ahnung.


Freitag, 26. August 2016

C. G. Jung „Antwort auf Hiob“ - 8

"Enoch",William Blake, 1807

Fröhlich und einfach gestrickte Menschen wissen oft nicht, worauf sie herum hüpfen, und wenn es der Fall Roms war (die bösere Variante - sie wissen es und tun es eben deshalb). Diese lustigen Burschen haben ihren Spaß, und sei es im wurzelhaft Falschen.

"Ist doch alles richtig, wenn man sich so entschieden hat…und entscheiden muss man sich. Mir ist diese Haltung immer noch sehr viel lieber als diese dürftige glaubenslose Religiosität auf Sozialarbeiterniveau, in die hinein sich der Protestantismus verliert!!!"

Meinte Herr R., und recht hat er. Das Gruselige an diesen Neu-Goten (was die Goten ins Unrecht setzt, denn da war ja noch einiges intakt; und das ist, wie gesagt die freundlichere Variante) ist, sie haben nicht einmal einen Schimmer von Ahnung von dem, was vor ihnen war, und von wie mühselig errungener Bedeutung und Einsicht. Etwas, das hoffentlich bestehen wird, selbst wenn wir in dieser Hoffnung sehr stark sein müssen.

Der erwähnte junge Mann hat seine eigene Sicht auf die Zumutungen, die von seinesgleichen überwiegend erst geschaffen wurden: „Und eine Mythologie, die 2000 Jahre alt ist und von einer primitiven Hirtenkultur entwickelt wurde, wird uns dabei nicht weiterhelfen.“

Wir wollen einmal schauen, wie primitiv diese sehr spezielle Kultur war:

Ich wiederhole etwas aus meinem vorigen Beitrag: „Auch hier, wo man restlos den Menschen empfinden könne, sei der göttliche Mythus ebenso eindrucksvoll gegenwärtig. Und beides sei eines und dasselbe. Wie wolle man da die Gestalt Christi 'entmythologisieren'? 'Ein solcher rationalistischer Versuch würde ja das ganze Geheimnis dieser Persönlichkeit herauslaugen, und was übrig bliebe, wäre nicht mehr die Geburt und das Schicksal eines Gottes in der Zeit, sondern ein historisch schlecht beglaubigter religiöser Lehrer, ein jüdischer Reformator, der hellenistisch gedeutet und mißverstanden wurde - etwa ein Pythagoras oder meinetwegen ein Buddha oder ein Mohammed, aber keinesfalls ein Sohn Gottes oder ein Mensch gewordener Gott.'“

Wir fahren fort (und es wird sehr lang werden, eine Warnung, ich hasse Derartiges eigentlich, aber es geht nicht anders).

In meinem vorigen Beitrag meinte ich noch, das Christus-Kapitel würde abfallen, womöglich habe Jung sich nur warmgelaufen. Es ist alles schon zugleich ein Eintauchen in eine vertraute wie zugleich verstörend fremde Geisteswelt, doch mein Gefühl sagt mir, es sei nicht wirkungslos.

Die Tatsache der göttlichen „Unbewußtheit“ werfe ein eigenartiges Licht auf die Erlösungslehre: „Die Menschheit wird keineswegs von ihren Sünden befreit..., sondern von der Furcht vor den Folgen der Sünde, nämlich dem Gotteszorn. Das Erlösungswerk will also den Menschen von der Gottesfurcht erlösen, was dort gewiß möglich ist, wo der Glaube an den liebenden Vater, der seinen eingeborenen Sohn zur Rettung des Menschengeschlechtes gesandt hat, den deutlich persistierenden Jahwe mit seinen gefährlichen Affekten verdrängt.“

Ein derartiger Glaube setze aber einen Mangel an Reflexion oder ein sacrificium intellectus voraus, von denen es zweifelhaft sei, ob sie noch moralisch verantwortet werden könnten. Man dürfe nicht vergessen, daß Christus selber es war, der uns gelehrt habe, mit den anvertrauten Pfunden zu wuchern und sie nicht zu vergraben. Man dürfe sich nicht dümmer und unbewußter stellen als man sei.

Diese Obliegenheiten schärften unvermeidlicherweise den Verstand, die Wahrheitsliebe und den Erkenntnisdrang, die ebenso wohl genuine menschliche Tugenden, wie Wirkungen jenes Geistes, der „selbst die Tiefen der Gottheit erforscht“, sein könnten. Diese intellektuellen und moralischen Kräfte seien selber göttlicher Natur und könnten und dürften deshalb nicht abgeschnitten werden.

(Man kann wahrlich nicht behaupten, daß Jung hier nicht mit seinen Pfunden zu wuchern suchen würde, auf diese Erklärung für den Opfertod Christi ist zuvor niemand gekommen.)

Die Tatsache, daß christliche Ethik in Pflichtenkollisionen hineinführe, spräche zu ihren Gunsten. „Indem sie unlösbare Konflikte und damit eine 'afflictio animae' erzeugt, bringt sie den Menschen der Gotteserkenntnis näher: Aller Gegensatz ist Gottes, darum muß sich der Mensch damit belasten, und indem er es tut, hat Gott mit seiner Gegensätzlichkeit von ihm Besitz ergriffen, d. h. sich inkarniert. Der Mensch wird erfüllt vom göttlichen Konflikt.“

Wir verbänden mit Recht die Idee des Leidens mit einem Zustand, in welchem Gegensätze schmerzlich aufeinanderprallten, und scheuten uns, eine solche Erfahrung als Erlöstheit zu bezeichnen. Das große Symbol des christlichen Glaubens, das Kreuz, an dem die Leidensgestalt des Erlösers hängt, werde aber seit beinahe zweitausend Jahren dem Christen eindrücklich vor Augen geführt, ergänzt durch die beiden Schächer, von denen der eine in die Hölle fahre, der andere ins Paradies eingehe.

Man könne die Gegensätzlichkeit des christlichen Zentralsymbols wohl nicht besser darstellen. Wieso dieses Erlösung bedeuten solle, sei schwierig einzusehen, wenn nicht gerade das Bewußtwerden des Gegensatzes, so schmerzhaft diese Erkenntnis im Moment auch sein mag, die unmittelbare Empfindung der Erlöstheit mit sich führe.

„Es ist einerseits die Erlösung aus dem qualvollen Zustand dumpfer und hilfloser Unbewußtheit, andererseits das Innewerden der göttlichen Gegensätzlichkeit, deren der Mensch teilhaft werden kann, sofern er sich der Verwundung durch das trennende Schwert, welches Christus ist, nicht entzieht. Eben gerade im äußersten und bedrohlichsten Konflikt erfährt der Christ die Erlösung zur Göttlichkeit, sofern er daran nicht zerbricht, sondern die Last, ein Gezeichneter zu sein, auf sich nimmt. So und einzig auf diese Weise verwirklicht sich in ihm die imago Dei, die Menschwerdung Gottes.“

Die siebente Bitte des Vaterunser: „Und erlöse uns von dem Bösen“ sei dabei in dem Sinne zu verstehen, welcher der Bitte Christi in Gethsemane: „Wenn es möglich ist, so laß diesen Kelch an mir vorübergehen“, zugrunde liege. Im Prinzip scheine es nämlich nicht der Absicht Gottes zu entsprechen, den Menschen mit dem Konflikt und so mit dem Bösen zu verschonen. Es sei daher zwar menschlich, einen derartigen Wunsch auszusprechen, aber er dürfe nicht zum Prinzip erhoben werden, weil er sich gegen den göttlichen Willen richte und nur auf menschlicher Schwäche und Furcht beruhe. Letztere sei allerdings in gewissem Sinne berechtigt, denn, um den Konflikt zu vervollständigen, müsse der Zweifel und die Unsicherheit bestehen, ob nicht der Mensch am Ende überfordert werde.

Die traditionelle Auffassung des Erlösungswerkes entspräche einer einseitigen Betrachtungsweise. „Die andere Ansicht, welche das Versöhnungswerk nicht als das Abtragen einer menschlichen Schuld an Gott, sondern vielmehr als die Wiedergutmachung eines göttlichen Unrechtes am Menschen betrachtet, haben wir oben skizziert.“ Letztere Auffassung scheine den tatsächlichen Machtverhältnissen besser angepaßt zu sein.

(Zur traditionellen Überzeugung) - „Was ist das für ein Vater, der lieber den Sohn abschlachtet, als dass er seinen übelberatenen und von seinem Satan verführten Geschöpfen großmütig verzeiht? Was soll mit diesem grausamen und archaischen Sohnesopfer demonstriert werden? Etwa die Liebe Gottes? Oder seine Unversöhnlichkeit?“

Wir wüßten, daß Jahwe eine Tendenz habe, solche Mittel, wie Tötung des Sohnes und der Erstgeburt, entweder als Test oder zur Geltendmachung seines Willens anzuwenden, obschon seine Allwissenheit und seine Allmacht derart grausame Prozeduren gar nicht nötig hätten. Es sei begreiflich, daß ein naiver Verstand Neigung bekunde, vor solchen Fragen Reißaus zu nehmen und diese Notmaßnahme als sacrificium intellectus zu beschönigen.

„Der Glaube an Gott als das Summum Bonum ist einem reflektierenden Bewußtsein unmöglich. Es fühlt sich keineswegs von der Gottesfurcht erlöst und fragt sich daher mit Recht, was ihm Christus eigentlich bedeute. Das ist in der Tat die große Frage: kann Christus heute überhaupt noch interpretiert werden? Oder muß man sich mit der historischen Deutung begnügen?“

Eines lasse sich wohl nicht bezweifeln: Christus sei eine höchst numinose Figur. Damit stehe die Deutung als Gott und Gottessohn im Einklang. „Die alte Anschauung, die auf seine eigene Auffassung zurückgeht, behauptet, daß er zur Errettung des von Gott bedrohten Menschen in die Welt gekommen, gelitten habe und gestorben sei. Außerdem bedeute seine leibliche Auferstehung, daß alle Gotteskinder dieser Zukunft gewiß seien.“

Jung betont erneut, wie seltsam sich die Rettungsaktion Gottes ausnähme. „Er tut ja in der Tat nichts anderes, als daß er selber in der Gestalt seines Sohnes die Menschheit vor sich selber errettet. Dieser Gedanke ist so skurril wie die alte rabbinische Anschauung von Jahwe, der die Gerechten vor seinem Zorn unter seinem Thron verbirgt, wo er sie nämlich nicht sieht.“

Es sei geradezu so, als ob Gottvater ein anderer Gott wäre, als der Sohn. Es bestehe aber keine psychologische Notwendigkeit zu einer derartigen Annahme, denn die unzweifelhafte Unreflektiertheit des göttlichen Bewußtseins genüge zur Erklärung seines merkwürdigen Verhaltens.

Mit Recht gelte darum die Gottesfurcht als der Anfang aller Weisheit. Auf der anderen Seite dürfe man die hochgepriesene Güte, Liebe und Gerechtigkeit Gottes nicht als bloße Propitiierung auffassen, sondern müsse sie als genuine Erfahrung anerkennen, denn Gott sei eine coincidentia oppositorum. Beides sei berechtigt: die Furcht vor und die Liebe zu Gott.

(Ich würde an dieser Stelle gern abbrechen, aber alle Hauskatzen haben sich gerade erwartungsvoll um mich versammelt, schweigend, aber interessiert. Ein grausames Gefühl. Ich hatte die Terrassentür offengelassen. Sie müssen erst einmal fort und danach bin ich voraussichtlich wieder wacher.)

Einem differenzierteren Bewußtsein müsse dies auf die Dauer schwer ankommen,  einen Gott als gütigen Vater zu lieben, den man wegen seines unberechenbaren Jähzorns, seiner Unzuverlässigkeit, Ungerechtigkeit und Grausamkeit fürchten müsse.

Daß der Mensch allzumenschliche Inkonsequenzen und Schwächen an seinen Göttern nicht schätze, habe der Verfall der antiken Götter zur Genüge bewiesen.

So habe wohl auch die moralische Niederlage Jahwes Hiob gegenüber ihre geheimen Folgen gehabt: einerseits die unbeabsichtigte Erhöhung des Menschen, andererseits eine Beunruhigung des Unbewußten.

„Unter diesen Umständen entwickelt sich ein Gefälle vom Unbewußten zum Bewußtsein hin, und ersteres bricht in Gestalt von Träumen, Visionen und Offenbarungen in letzteres ein.“ Exemplifiziert wird dies an Ezechiel.

„Rein klinisch betrachtet sind die Visionen Ezechiels von archetypischer Natur und in keinerlei Weise krankhaft verzerrt.“ Es bestehe kein Anlaß, sie für pathologisch anzusehen, wie es überhaupt ein Irrtum sei, anzunehmen, eine Vision sei eo ipso krankhaft.

„Das erste große Gesicht besteht in zwei wohlgeordneten und zusammengefaßten Quaternitäten, d.h. Ganzheitsvorstellungen, wie wir sie auch heute noch vielfach als spontane Phänomene beobachten. Ihre quinta essentia ist dargestellt durch eine 'Gestalt, wie ein Mensch anzusehen'. Ezechiel hat hier den wesentlichen Inhalt des Unbewußten geschaut, nämlich die Idee des höheren Menschen, vor dem Jahwe moralisch unterlag und zu dem er später werden wollte.“ [sic!]

Ezechiel habe die Annäherung Jahwes an den Menschen im Symbol erfaßt, zudem täte bei Ezechiel zum ersten Mal der Titel 'Menschensohn' auf, mit dem Jahwe bezeichnenderweise den Propheten anrede und damit vermutlich andeute, daß er ein Sohn des 'Menschen' auf dem Throne seit; eine Präfiguration der viel späteren Christusoffenbarung! Mit größtem Recht seien daher die vier Seraphim des Gottesthrones zu den Evangelistenemblemen geworden, denn sie bildeten die Quaternität, welche die Ganzheit Christi ausdrücke, wie die Evangelien die vier Säulen seines Thrones darstellten.“

Ausführlicher sei das um 100 a. Chr. n. zu datierende Buch Henoch. Es gäbe uns einen aufschlußreichen Bericht über jenen präfigurierenden Vorstoß der Gottessöhne in die Menschenwelt, welchen man als „Engelsturz“ bezeichnet habe. Die Engel lehrten den Menschen Wissenschaften und Künste. Sie hätten sich als besonders fortschrittliche Elemente erwiesen, welche das menschliche Bewußtsein erweiterten und entwickelten, wie schon der böse Kain gegenüber Abel den Fortschritt repräsentiert habe. „Sie vergrößerten dadurch die Bedeutung des Menschen ins 'Riesenhafte', was auf eine Inflation des damaligen Kulturbewußtseins hindeutet.“

Eine Inflation sei aber immer von einem Gegenschlag des Unbewußten bedroht, der dann auch in der Gestalt der Sintflut eingetreten wäre. Die Invasion der Menschenwelt durch die Gottessöhne hätte also bedenkliche Folgen gehabt, welche die von Jahwe ergriffenen Vorsichtsmaßnahmen vor seinem eigenen Erscheinen in der Menschenwelt um so begreiflicher mache. „Der Mensch war eben der göttlichen Übermacht nicht von ferne gewachsen.“

Es sei nun von höchstem Interesse, zu verfolgen, wie sich Jahwe in dieser Angelegenheit verhielte. 200 Gottessöhne hätten den väterlichen Hofstaat zu verlassen gehabt, um in der Menschenwelt zu experimentieren. Wessen Folgen überraschen unbemerkt blieben zunächst. „Erst nachdem die Riesen schon längst gezeugt und bereits daran waren, die Menschen totzuschlagen und aufzufressen, hörten, wie zufällig, vier Erzengel das Klagegeschrei der Menschen und entdeckten nun, was auf Erden geschah.“

„Diesmal fühlten sich die Erzengel doch veranlasst, mit folgender Rede vor Gott zu treten: 'Alles ist vor Dir aufgedeckt und offenbar; Du siehst alles, und nichts kann sich vor Dir verbergen. Du hast gesehen, was Asasel getan hat, wie er allerlei Ungerechtigkeit auf Erden gelehrt und die himmlischen Geheimnisse der Urzeit geoffenbart hat... Du aber weißt alles, bevor es geschieht. Du siehst dies und lässest sie gewähren und sagst nicht, was wir deswegen mit ihnen tun sollen.'“

Entweder sei das, was die Engel sagen, gelogen, oder Jahwe habe aus seiner Allwissenheit keine Schlüsse gezogen, oder die Engel müßten ihn daran erinnern, daß er es wieder vorgezogen habe, von seiner Allwissenheit nichts zu wissen. Auf alle Fälle löse erst ihre Intervention eine umfassende Racheaktion aus, aber keine wirklich gerechte Strafe, denn er ersäufe gleich die ganze lebendige Kreatur mit Ausnahme von Noah und dessen Angehörigen. Dieses Intermezzo beweise, dass die Gottessöhne irgendwie vigilanter, fortschrittlicher und bewußter als ihr Vater seien. Umso höher sei die spätere Wandlung Jahwes zu veranschlagen.

„Die Vorbereitungen zu seiner Inkarnation machen tatsächlich den Eindruck, daß er aus der Erfahrung gelernt hat und bewußter zu Werke geht als früher. Zu dieser Bewußtseinsvermehrung trägt unzweifelhaft die Wiedererinnerung an die Sophia bei.

In der Tat erblickt Henoch die vier 'Gesichter' Gottes. Drei davon beschäftigen sich mit Lobpreisen, Beten und Bitten, das vierte aber 'wehrte die Satane ab und gestattete ihnen nicht, vor den Herrn der Geister zu treten, um die Bewohner des Festlandes anzuklagen'.“

Die Vision stelle eine wesentliche Differenzierung des Gottesbildes dar: Gott habe vier Engel des Angesichtes, Hypostasen oder Emanationen, wovon die eine ausschließlich damit beschäftigt sei, den Gottessohn Satan von Gott fernzuhalten.

Der Vater wolle Sohn, Gott Mensch, der Amoralische ausschließlich gut und der Unbewußte bewußt verantwortlich werden. Aber all dies befände sich erst in statu nascendi.

„Henoch erweist sich als dermaßen vom göttlichen Drama ergriffen und beeinflusst, dass man von ihm ein ganz besonderes Verständnis der kommenden Gottesinkarnation beinahe voraussetzen kann: der bei dem 'Hochbetagten' befindliche 'Menschensohn' sieht einem Engel... gleich... 'bei ihm wohnt die Gerechtigkeit'; der Herr der Geister hat ihn 'auserwählt'; 'sein Los hat alles durch Rechtschaffenheit übertroffen.'“

Es sei wohl kein Zufall, daß gerade die Gerechtigkeit so sehr hervorgehoben werde, denn sie sei jene Eigenschaft, deren Jahwe ermangele.

„Unter der Herrschaft des Menschensohnes wird 'das Gebet des Gerechten erhört'... Henoch erblickt einen 'Brunnen der Gerechtigkeit, der unerschöpflich war'. Der Menschensohn 'wird ein Stab für die Gerechten und Heiligen sein'.“ Zu diesem Zwecke sei er auserwählt worden und verborgen vor Gott, bevor die Welt geschaffen wurde, und er werde bis in Ewigkeit vor ihm sein.

„In der Endzeit hält der Menschensohn Gericht über alle Geschöpfe. Sogar 'die Finsternis wird vernichtet' und 'unaufhörlich wird das Licht sein'.“

Es sei bemerkenswert, daß der Menschensohn immer wieder mit der Gerechtigkeit zusammengebracht werde. „Niemand, nur Gott, kann in nennenswerter Weise Gerechtigkeit austeilen und gerade in Bezug auf ihn besteht berechtigterweise die Furcht, er möchte seine Gerechtigkeit vergessen. In diesem Falle würde dann sein gerechter Sohn bei ihm für die Menschen eintreten. So werden 'die Gerechten Frieden haben'. Die Gerechtigkeit, die unter dem Sohn herrschen wird, ist dermaßen hervorgehoben, dass der Eindruck entsteht, als ob früher unter der Herrschaft des Vaters das Unrecht den Vorrang gehabt hätte, und erst mit dem Sohne ein Zeitalter des Rechtes angebrochen wäre. Es scheint, als ob Henoch hiermit auf Hiob unbewußt Antwort gäbe.“

Gott wolle etwas in den Hintergrund treten und dem Sohne die Regierung der Menschenwelt mehr und mehr überlassen, woraus eine gerechtere Ordnung erhofft werde. „Man sieht aus alledem, daß irgendwo ein seelisches Trauma, die Erinnerung an eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, nachwirkt und das Vertrauensverhältnis zu Gott trübt. Gott selber will einen Sohn haben, und man wünscht sich einen Sohn, daß er den Vater ersetze. Dieser Sohn muß...  unbedingt gerecht sein und dies vor allen anderen Tugenden. Gott und Mensch wollen der blinden Ungerechtigkeit entgehen.“

„Hiob selbst ahnt etwas derartiges, wenn er bekennt: 'Ich weiß, dass mein Anwalt lebt'.“ Diese höchst merkwürdige Äußerung könne sich unter den damaligen Umständen nur auf den gütigen Jahwe beziehen. Die traditionelle christliche Deutung dieser Stelle als einer Antizipation Christi bestehe aber insofern zu Recht, als Jahwes wohlwollender Aspekt als eigene Hypostase sich im Menschensohn inkarniere, und dieser sich bei Henoch als ein Vertreter der Gerechtigkeit und im Christentum als Rechtfertiger des Menschen erweise.  Zudem sei der Menschensohn präexistent.

„Trotz Widerspruch hat man begreiflicherweise in diesen messianischen Vorstellungen Henochs christliche Interpolationen sehen wollen. Aus psychologischen Gründen scheint mir dieser Verdacht aber ungerechtfertigt zu sein. Man sollte sich nur Rechenschaft darüber geben, was die Ungerechtigkeit, ja Amoralität Jahwes einem frommen Denker bedeuten mußte! Es war ein allerschwerstes Stück, mit einer derartigen Gottesvorstellung belastet zu sein. Noch ein spätes Zeugnis erzählt uns von einem frommen Menschen, der nie den 89sten Psalm lesen konnte, 'weil er ihm zu schwer fiel'. Wenn man berücksichtigt, mit welcher Intensität und Ausschließlichkeit nicht nur die Lehre Christi, sondern auch die Kirchenlehre der nachfolgenden Jahrhunderte... die Güte des liebenden Vaters im Himmel, die Erlösung von der Angst, das Summum Bonum und die privatio boni vertraten, so kann man daraus ermessen, welche Inkompatibilität die Gestalt Jahwes bedeutet, und wie unerträglich eine derartige Paradoxie dem religiösen Bewußstsein erscheint. Dem war wohl schon immer so seit den Tagen Hiobs.“

Die innere Instabilität Jahwes sei Voraussetzung nicht nur der Weltschöpfung, sondern auch des pleromatischen Dramas, dessen tragischen Chor die Menschheit bilde. Die Auseinandersetzung mit der Kreatur wandele den Schöpfer.

Hiob sei der ungerecht Leidende, Ezechiel aber schaue die Vermenschlichung und Differenzierung Jahwes, und durch die Anrede 'Menschensohn' werde ihm bereits angedeutet, dass die Inkarnation und Quaternität Gottes sozusagen das pleromatische Vorbild dafür sei, was dem Menschen schlechthin, nicht bloß dem seit Ewigkeit vorgesehenen Gottessohn, durch die Wandlung und Menschwerdung Gottes geschehen werde.

„Das Buch Henoch antizipierte in großem Stile, aber alles hing noch in der Luft als bloße Offenbarung, die nirgends den Boden erreichte. Man kann Anbetrachts dieser Tatsachen beim besten Willen nicht einsehen, wieso das Christentum, wie man immer wieder hören kann, als absolutes Novum in die Weltgeschichte eingebrochen sei. Wenn etwas je historisch vorbereitet und von den schon bestehenden Anschauungen der Umwelt getragen und unterstützt war, so bildet das Christentum hiefür ein schlagendes Beispiel.“

„Jesus tritt zunächst als jüdischer Reformator und als Prophet eines ausschließlich guten Gottes auf. Damit rettet er den bedrohten religiösen Zusammenhang. In dieser Beziehung erweist er sich in der Tat als σωτήρ. Er bewahrt die Menschheit vor dem Verluste der Gottesgemeinschaft und dem Verlorengehen ins bloße Bewußtsein und dessen 'Vernünftigkeit'.

Das hätte so viel wie eine Dissoziation zwischen dem Bewußtsein und dem Unbewußten bedeutet, also einen unnatürlichen bzw. pathologischen Zustand, einen sog. 'Seelenverlust', von dem der Mensch seit Urzeit immer wieder bedroht ist. Immer wieder und in steigendem Maße gerät er in die Gefahr, die irrationalen Gegebenheiten und Notwendigkeiten seiner Psyche zu übersehen und sich einzubilden, mit Willen und Vernunft alles zu beherrschen, und damit die Rechnung ohne den Wirt zu machen, was am deutlichsten bei den großen sozialpolitischen Bestrebungen, wie Sozialismus und Kommunismus zu sehen ist: unter ersterem leidet der Staat und unter letzterem der Mensch.“

Jesus habe die vorhandene Tradition in seine persönliche Wirklichkeit übersetzt und verkünde: „Gott hat ein Wohlgefallen an der Menschheit. Er ist ein liebender Vater und liebt euch, so wie ich euch liebe, und hat mich als seinen Sohn gesandt, euch von der alten Schuld loszukaufen.“ Er selber biete sich als das Sühnopfer an, welches die Versöhnung mit Gott herbeiführen solle. Man müsse sich allerdings vor Augen halten: der Gott des Guten sei dermaßen unversöhnlich, daß er sich nur durch ein Menschenopfer beschwichtigen lasse!

„Christus erweist sich in doppelter Hinsicht als Mittler: Er hilft dem Menschen gegenüber Gott und beschwichtigt die Angst, die man vor diesem Wesen empfindet. Er nimmt eine wichtige Mittelstellung zwischen den zwei schwer vereinbaren Extremen Gott und Mensch ein.“ Christus aber sei (conceptio immaculata) kein kreatürlicher Mensch und habe daher keine Neigung zur Sünde. „Die Infektion des Bösen wurde durch die Vorbereitung der Inkarnation bei ihm ausgeschaltet. Christus steht daher mehr auf der göttlichen als auf der menschlichen Seite. Er inkarniert den guten Gotteswillen ausschließlich und steht darum nicht genau in der Mitte, denn das Essentielle des kreatürlichen Menschen, die Sünde, erreicht ihn nicht.“

[Als Christ gesprochen, denke ich, hier irrt Jung, der Mensch wurde eben nicht sündhaft geschaffen, sondern wurde es, wie auch immer, aber ist nicht seine erste und eigentliche Natur.]

„Obschon im allgemeinen angenommen wird, daß das einmalige Opfer Christi den Fluch der Erbsünde gebrochen und Gott endgültig versöhnt habe, so scheint Christus in dieser Hinsicht doch etwelche Besorgnisse empfunden zu haben.“ Er verspräche ihnen über seine immerwährende Gegenwart hinaus einen παράχλητος, der ihnen beistehen und ewig bei ihnen bleiben werde.

(Wir sind beim Heiligen Geist angelangt.) Der Paraklet (von dem Christus übrigens gerade nicht gezeugt worden ist, sondern eher andersherum, kleiner dogmatischer Irrtum) sei der Geist der physischen und geistigen Zeugung, der von nun an in den kreatürlichen Menschen seine Wohnung aufschlagen solle. Da er die dritte Person der Gottheit darstelle, so heiße das soviel, als daß Gott im kreatürlichen Menschen gezeugt werde. „Das bedeutet eine gewaltige Veränderung im Status des Menschen, indem er dadurch in gewissem Sinne zur Sohnschaft und zur Gottmenschlichkeit erhoben wird.“

„Die zukünftige Einwohnung des Hl. Geistes im Menschen bedeutet soviel als eine fortschreitende Inkarnation Gottes. Christus als der gezeugte Gottessohn und als präexistenter Mittler ist ein Erstling und ein göttliches Paradigma, das gefolgt wird von weiteren Inkarnationen des Hl. Geistes im wirklichen Menschen. Dieser Mensch aber hat Teil am Dunkel der Welt, und darum entsteht nun mit dem Tode Christi eine kritische Situation, die wohl zu Besorgnissen Anlass geben kann. Bei der Menschwerdung wurde ja das Dunkle und Böse überall sorgfältig draußen gehalten.“

Je inniger die Verbindung mit Gott sich aber gestalte, desto mehr nähere sich der Zusammenstoß mit dem Bösen. „Aus einer schon früh bestehenden Ahnung heraus entwickelt sich nun die Erwartung, dass auf die lichte Manifestation eine entsprechend dunkle und auf Christus ein Antichristus folgen werde.“

„Der gute Gotteswille hat einen guten und hilfreichen Sohn gezeugt und das Bild eines guten Vaters von sich geprägt; leider - wie man sagen muß - wieder einmal ohne Berücksichtigung des Umstandes, daß ein Wissen um eine anders lautende Wahrheit vorhanden war. Hätte er sich Rechenschaft über sich selber gegeben, so hätte er sehen müssen, in was für eine Dissoziation er durch seine Menschwerdung gerät. Wo ist denn seine Dunkelheit hingekommen, vermöge welcher Satan stets der verdienten Strafe entgeht? Glaubt er, er sei ganz gewandelt und seine Amoralität sei von ihm abgefallen?“

Dem Parakleten falle die Aufgabe zu, in menschlichen Individuen zu wohnen und zu wirken, um sie daran zu erinnern, was Christus gelehrt, und um sie in die Klarheit zu führen. „Ein gutes Beispiel für diese Tätigkeit des Hl. Geistes ist Paulus, der den Herrn nicht gekannt und sein Evangelium nicht von den Aposteln, sondern durch Offenbarung empfangen hat. Er gehört zu denen, deren Unbewußtes beunruhigt war und offenbarende Ekstasen verursachte. Das Leben des Hl. Geistes zeigt sich eben darin, dass er tätig ist und Wirkungen hat, welche nicht bloß Vorhandenes bestätigen, sondern noch darüber hinaus führen.“

Man könne hier auch die eigenartige Tatsache anführen, daß Christus gerade den Petrus, der wenig Selbstbeherrschung und einen wankelmütigen Charakter besitze, zum Felsen und Fundament seiner Kirche machen wolle. „Dies scheinen mir Züge zu sein, die auf eine Einbeziehung des Bösen in eine moralisch differenzierende Betrachtungsweise hindeuten. Z. B. gut ist, wenn das Böse vernünftigerweise verhüllt wird; böse ist die Unbewußtheit des Handelns.“
„Der Böse ist keineswegs angekettet, auch wenn die Tage seiner Herrschaft gezählt sind. Noch immer zögert Gott, dem Satan Gewalt anzutun. Man muß annehmen, daß er offenbar noch immer nicht darum weiß, wie seine eigene dunkle Seite den bösen Engel begünstigt.“ Dem „Geist der Wahrheit“, der im Menschen seine Wohnung genommen habe, könne diese Sachlage auf die Dauer natürlich nicht verborgen bleiben. „Er stört darum das Unbewußte des Menschen und verursacht noch in der christlichen Urzeit eine weitere große Offenbarung, die, um ihrer Dunkelheit willen, in der Folgezeit zu vielen Deutungen und Mißdeutungen Anlaß gab. Es ist die Offenbarung Johannis.“

Bis hierher sind wir gekommen. Aber darüber hinaus wollen wir heute Nacht nicht weiter. Vielleicht ist es auch so, wenn Gott sich im Menschlichen inkarniert, nimmt er ebenso die Schwäche des Menschlichen an. Ich bin mir in all dem nicht sicher.

Herr Jung hat viele höchst eigentümliche Gedanken, denen man als braver Christ schnell widersprechen will. Aber wenn er eines hat, dann Einsicht in die menschliche Seele, worin immer sie wurzeln mag.

Ändert sich Gott? Zieht er den Menschen zu sich und läßt ihn einfach reden? Vielleicht gibt es ein Drittes, dem sich C.G. Jung und P. Tillich auf sehr verschiedenen Wegen angenähert haben (beide von meinem orthodoxen Gewissen mißtrauisch, aber doch immer noch interessiert beäugt). In seinem „Mut zum Sein“ spricht letzterer von einem Gott über Gott und endet: „Der Mut zum Sein gründet in dem Gott, der erscheint, wenn Gott in der Angst des Zweifels untergegangen ist“.

Dienstag, 24. Mai 2016

Jung in Ravenna

Mausoleum der Galla Placidia in Ravenna, Italien

„Ich.... wäre gern nach Rom gegangen, aber ich fühlte mich dem Eindruck dieser Stadt nicht gewachsen. Schon Pompeji war übergenug, die Eindrücke überschritten beinahe meine Aufnahmefähigkeit.“ So C. G. Jung in seinen Erinnerungen. Aber Ravenna hat er wiederholt besucht und dafür eine beeindruckende Geschichte zur Hand (wer eine Kurzfassung bevorzugt, findet sie auf dieser italienischen Seite).

Mausoleum der Galla Placidia in Ravenna, Italien

Mausoleum der Galla Placidia in Ravenna

Zunächst schreibt er, wie das Grabmal der Galla Placidia ihn erneut in eine eigentümlich ergriffene Stimmung versetzte. Anschließend wechselte er mit einer Bekannten in das Baptisterium der Orthodoxen. „Was mir hier zuallererst auffiel, war ein sanftes blaues Licht, das den Raum erfüllte, ohne daß ich mich jedoch darüber wunderte... Zu meinem Erstaunen sah ich dort, wo sich nach meiner Erinnerung Fenster befunden hatten, vier große Mosaikfresken von unerhörter Schönheit.“ Er ärgerte sich, daß er sich auf sein Gedächtnis so ganz und gar nicht verlassen konnte.

Baptisterium der Orthodoxen

„Das Bild auf der Südseite stellte die Jordantaufe dar; ein zweites im Norden den Durchgang der Kinder Israel durch das Rote Meer, das dritte im Osten verblaßte bald in der Erinnerung. Vielleicht zeigte es die Abwaschung des Aussatzes von Naeman im Jordan. In der alten Merianschen Bibel in meiner Bibliothek befindet sich eine ganz ähnliche Abbildung dieses Wunders. Am eindrücklichsten war das vierte Mosaik im Westen des Baptisteriums, das wir als letztes betrachteten. Es stellte dar, wie Christus dem untergehenden Petrus die Hand reicht.“

Mit seiner Bekannten unterhielt er sich vor diesem Mosaik über den ursprünglichen Taufritus, besonders über die merkwürdige Auffassung der Taufe als einer Initiation, die mit wirklicher Todesgefahr verbunden war. Derartige Initiationen seien oft mit Lebensgefahr verbunden, wodurch der archetypische Gedanke des Todes und der Wiedergeburt ausgedrückt würde. So wäre auch die Taufe ursprünglich eine richtige „Eintauchung“ gewesen, welche die Gefahr des Ertrinkens wenigstens andeutete.

Baptisterium der Orthodoxen

„Von dem Mosaik des untersinkenden Petrus bewahrte ich die deutlichste Erinnerung und sehe noch heute jedes Detail vor mir: Die Bläue des Meeres, die einzelnen Steine des Mosaiks, die Spruchbänder, die aus dem Munde Christi und Petri gingen, und die ich zu entziffern suchte.“

Der Versuch, Photographien der Mosaiken zu kaufen, mißlingt. Ein ebenfalls nach Ravenna reisender Bekannter konnte die Bilder genau so wenig auftreiben. Die geschilderten Mosaiken waren nicht auffindbar!

Er hatte über diese mittlerweile bereits ganz selbstverständlich in seinem Seminar gesprochen. Auch seine Begleiterin konnte noch lange Zeit nicht glauben, daß das, was sie „mit eigenen Augen gesehen“ habe, nicht vorhanden sei.

Baptisterium der Orthodoxen

„Das Erlebnis in Ravenna ist etwas vom Merkwürdigsten, was mir je widerfahren ist. Erklären kann man es kaum. Ein gewisses Licht fällt vielleicht von einem Ereignis aus der Geschichte der Kaiserin Galla Placidia (gest. 450) darauf. Bei einer stürmischen Überfahrt von Byzanz nach Ravenna mitten im Winter tat sie das Gelübde, eine Kirche zu bauen und die Gefahren des Meeres darstellen zu lassen, falls sie gerettet würde.“

Erfüllt habe sie das Gelöbnis durch den Bau der Basilica San Giovanni in Ravenna,  mitsamt den Mosaiken sei sie zwar durch Brand zerstört worden, in der Ambrosiana in Mailand finde sich aber noch die Skizze zu einer Darstellung Galla Placidias in einem Boot.

„Von der Gestalt der Galla Placidia war ich unmittelbar betroffen, und die Frage, was für diese hochgebildete Frau von differenziertester Kultur das Leben an der Seite eines Barbarenfürsten bedeutet haben mußte, beschäftigte mich.“ Ihr Grabmal erschien ihm wie der letzte Rest, durch den er sie noch persönlich erreichen konnte. Ihr Schicksal und ihre Art berührten ihn zutiefst, und in ihrer intensiven Wesensart fand seine Anima, so Jung, einen passenden historischen Ausdruck.

Baptisterium der Orthodoxen

Wir hätten schon einige Sätze vorher abbrechen können, weil die Geschichte für sich schon recht wunderbar ist. Aber da es Jungs Geschichte ist, wollen wir seine Interpretation des Ganzen doch nicht vorenthalten.

„Mit dieser Projektion war jenes zeitlose Element des Unbewußten und jene Atmosphäre erreicht, wo das Wunder der Vision stattfinden konnte. Sie unterschied sich im Augenblick nicht im geringsten von der Wirklichkeit.“

Die Anima des Mannes trage einen eminent historischen Charakter. Als Personifikation des Unbewußten sei sie getränkt mit Geschichte und Vorgeschichte. Sie enthalte die Inhalte der Vergangenheit und ersetze das im Manne, was er von seiner Vorgeschichte wissen sollte. Alles schon gewesene Leben, das noch in ihm lebendig sei, sei die Anima.

„Im Verhältnis zu ihr bin ich mir immer vorgekommen wie ein Barbar, der eigentlich keine Geschichte hat - wie ein eben aus Nichts Gewordener, ohne Vorher, ohne Nachher. Bei der Auseinandersetzung mit der Anima bin ich tatsächlich den Gefahren begegnet, die ich in den Mosaiken dargestellt sah. Beinahe wäre ich ertrunken. Es ist mir gegangen wie Petrus, der um Hilfe geschrien hat und von Jesus gerettet wurde. Es hätte mir gehen können wie dem Heer des Pharao. Wie Petrus und wie Naeman bin ich heil davongekommen, und die Integration der unbewußten Inhalte hat Wesentliches zur Vervollständigung meiner Persönlichkeit beigetragen.“

Was einem geschehe, wenn man vordem unbewußte Inhalte dem Bewußtsein integriere, könne mit Worten wohl kaum beschrieben werden. Man könne es nur erfahren. Es sei eine indiskutable subjektive Angelegenheit.

„Es gibt unseres Wissens keine Instanz, welche die wahrscheinlichen Unstimmigkeiten der Eindrücke und Meinungen zu bereinigen vermöchte. Ob und was für eine Veränderung durch die Integrierung stattgefunden hat, ist und bleibt subjektive Überzeugung.“

Obschon sie kein wissenschaftlich zu qualifizierendes Faktum darstelle und damit ohne Verlust aus einem „offiziellen Weltbild“ herausfallen könnte, bleibe sie doch eine praktisch ungemein wichtige und folgenreiche Tatsache.

„Die Erfahrung im Baptisterium von Ravenna hat mir einen tiefen Eindruck hinterlassen. Seitdem weiß ich, daß ein Innen aussehen kann wie ein Außen und ebenso ein Außen wie ein Innen. Die wirklichen Wände des Baptisteriums, welche meine physischen Augen sehen mußten, waren überdeckt und verwandelt durch eine Vision, die ebenso real war wie das unveränderte Taufbecken. Was war in jenem Augenblick real?“

Sein Fall sei keineswegs der einzige in seiner Art, aber wenn solches einem selber zustoße, könne man nicht umhin, es ernster zu nehmen, als wenn man davon höre. „Im allgemeinen hat man bei solchen Erzählungen allerhand Erklärungen rasch zur Hand. Ich bin jedenfalls zum Schluß gekommen, daß wir in bezug auf das Unbewußte noch vieler Erfahrungen bedürfen, bevor wir uns auf Theorien festlegen.“

Aus  C.G. Jung, Erinnerungen, Träume und Gedanken, Zürich und Stuttgart

Sant'Apollinare in Classe,  Symbol des Evangelisten Markus

Die Gestalt der Galla Placidia ist in der Tat faszinierend, eine Figur am Abgrund. Und von welcher Höhe war der Fall! Ich habe mich in der ersten Hälfte eines Beitrages einmal etwas mit Ravenna und dem Untergang Westroms beschäftigt und will mich hier nicht wiederholen.

Ihr Mausoleum (sie mag darin jemals bestattet gewesen sein oder nicht), ist zu einer Art Mahntempel für den ersten Untergang des Abendlandes geworden. Ihr eigenes Schicksal, brutaler und verworrener als Jung es andeutet. Aber dennoch in den Bildern jenes Ortes - eine geistdurchwirkte Lebendigkeit inmitten anbrandender Barbarei. Das zu behaupten, wo das andere längst existentiell und auch physisch erfahren war...

Kein Wunder also, wo Jung seine Erlebnisse zustießen.

Sant'Apollinare in Classe,  Apsis

nachgetragen am 26. Mai

Montag, 16. Mai 2016

C. G. Jung „Antwort auf Hiob“ - 7

Monreale, Apsis, Pantokrator

Das Erscheinen Jesu Christi

Eine kurze Vorbemerkung. Nach meinem Wahrnehmen fällt das Christus-Kapitel ab (deshalb auch als Nachtrag dargeboten, hindurchgemüht habe ich mich vergangene Nacht dennoch, eine Zusammenfassung des Bisherigen hier). Fast gewinnt man den Eindruck, er fühle sich dabei reichlich unwohl. Aber wenn man von der Singularität des Christus-Ereignisses ausgeht, sind alle, die von Vorbildern, zeitgenössischen Parallelen u.ä. leben, also ins Bekannte einordnen müssen, sowieso im Nachteil.

Da sind die Vertreter der sog. historisch-kritischen Methode, so sie nichts anderes kennen, kurioserweise in einer ähnlichen Situation, sie betreiben ihre Vivisektionen und wundern sich am Ende allenfalls, daß nunmehr alles doch sehr tot sei (oder werden ehrlicherweise gleich Atheisten). Jung sieht überall Reinkarnationen, was am Ende aber auch auf eine gewisse Monotonie hinausläuft. Wir brechen ab.

Monreale,  Christus Pantokrator

Nachdem Jung also so forsch vorangeschritten war, macht sich eine gewisse Vorsicht bemerkbar. Er greift nach vorhandenen Bildern, sprich Archetypen, etwa dem des göttlichen Helden: „Er ist ja nicht bloß als nationaler Messias, sondern als universaler Menschenerretter gedacht, infolgedessen kommen auch die heidnischen Mythen bzw. Offenbarungen in bezug auf das Leben eines von den Göttern ausgezeichneten Mannes in Betracht.“

Die Geburt Christi sei daher gekennzeichnet durch die bei Heldengeburten üblichen Begleiterscheinungen... Das Motiv des Heldenwachstums sei noch erkennbar in der Weisheit des Zwölfjährigen im Tempel etwa.

Aus den erhaltenen Traditionen ein biographisches Bild Christi zu rekonstruieren, sei aber ungemein schwierig, die als historisch verifizierbaren Tatsachen äußerst spärlich. Der Hauptgrund hierfür - Christus erleide neben menschlichem Schicksal auch göttliches. Die beiden Naturen durchdrängen sich derart, daß ein Trennungsversuch beide Naturen verstümmele.

„Die Göttlichkeit überschattet den Menschen, und der Mensch ist als empirische Persönlichkeit kaum erfaßbar.“ Auch die Erkenntnismittel der modernen Psychologie genügten nicht, um alle Dunkelheiten aufzuhellen. Jeder Versuch, einen einzelnen Zug der Klarheit halber herauszuheben, vergewaltige einen anderen, der entweder hinsichtlich der Göttlichkeit oder hinsichtlich der Menschlichkeit ebenso wesentlich sei.

„Das Alltägliche ist vom Wunderbaren und Mythischen dermaßen durchwoben, daß man seiner Tatsachen nie ganz sicher ist. Was wohl am meisten stört und verwirrt, ist der Umstand, daß gerade die ältesten Schriften, nämlich diejenigen des Paulus, für die konkrete menschliche Existenz Christi nicht das mindeste Interesse zu haben scheinen.“

Die „Philanthropie“ trete besonders deutlich hervor. Dafür werden sogleich Verbindungen bis hin zur Liebesgöttin als Mutter des frühsterbenden Gottes gefunden. Mit anderen Worten, Jung stochert im Nebel.

Die Philanthropie Christi werde aber nicht unwesentlich eingeschränkt durch eine gewisse prädestinatianische Neigung. Fasse man sie psychologisch auf, so bewirke die Anspielung auf Vorherbestimmung leicht ein Gefühl der Ausgezeichnetheit.

„Wenn einer weiß, daß er seit Anfang der Welt von göttlicher Wahl und Absicht ausersehen ist, so fühlt er sich herausgehoben aus der Hinfälligkeit und Belanglosigkeit der gewöhnlichen menschlichen Existenz und versetzt in einen neuen Stand der Würde und der Bedeutsamkeit eines, der am göttlichen Weltdrama teilhat. Damit wird der Mensch in die Gottesnähe entrückt, was dem Sinne der evangelischen Botschaft durchaus entspricht.“

Neben der Menschenliebe mache sich im Charakter Christi eine gewisse Zornmütigkeit bemerkbar, und ebenso ein Mangel an Selbstreflexion. Nirgends finde sich ein Anhaltspunkt dafür, daß Christus sich je über sich selber gewundert hätte. „Von dieser Regel gibt es nur eine bedeutende Ausnahme: der verzweiflungsvolle Aufschrei am Kreuz: 'Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?'

Hier erreicht sein menschliches Wesen Göttlichkeit, nämlich in dem Augenblick, wo der Gott den sterblichen Menschen erlebt und das erfährt, was er seinen treuen Knecht Hiob hat erdulden lassen. Hier wird die Antwort auf Hiob gegeben, und, wie ersichtlich, ist auch dieser supreme Augenblick ebenso göttlich wie menschlich, ebenso 'eschatologisch' wie 'psychologisch'.“

Auch hier, wo man restlos den Menschen empfinden könne, sei der göttliche Mythus ebenso eindrucksvoll gegenwärtig. Und beides sei eines und dasselbe. Wie wolle man da die Gestalt Christi „entmythologisieren“? „Ein solcher rationalistischer Versuch würde ja das ganze Geheimnis dieser Persönlichkeit herauslaugen, und was übrig bliebe, wäre nicht mehr die Geburt und das Schicksal eines Gottes in der Zeit, sondern ein historisch schlecht beglaubigter religiöser Lehrer, ein jüdischer Reformator, der hellenistisch gedeutet und mißverstanden wurde - etwa ein Pythagoras oder meinetwegen ein Buddha oder ein Mohammed, aber keinesfalls ein Sohn Gottes oder ein Mensch gewordener Gott.“

Überdies scheine man sich nicht genügend darüber Rechenschaft zu geben, zu was für Überlegungen ein von aller Eschatologie desinfizierter Christus Anlaß geben müßte. Zu was für einem Schlusse müsse man etwa notwendigerweise gelangen, wenn man z. B. die Aussage: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich“, auf eine persönliche Psychologie reduziere? „Was soll eine Religion ohne Mythus, wo sie doch, wenn überhaupt etwas, eben gerade die Funktion bedeutet, die uns mit dem ewigen Mythus verbindet?“ (!)

Auf Grund dieser eindrucksvollen Unmöglichkeiten habe man gelegentlich angenommen, Christus sei überhaupt nur ein Mythus, oder eine Fiktion. „Der Mythus ist aber keine Fiktion, sondern besteht in beständig sich wiederholenden Tatsachen, die immer wieder beobachtet werden können. Er ereignet sich am Menschen, und Menschen haben mythische Schicksale so gut wie griechische Heroen. Daß das Christusleben in hohem Grade Mythus ist, beweist daher ganz und gar nichts gegen seine Tatsächlichkeit; ich möchte fast sagen, im Gegenteil, denn der mythische Charakter eines Lebens drückt geradezu die menschliche Allgemeingültigkeit desselben aus.“

Es sei psychologisch durchaus möglich, daß das Unbewußte, bzw. ein Archetypus einen Menschen völlig in Besitz nähme und sein Schicksal bis ins kleinste determiniere. Dabei könnten objektive, d. h. nichtpsychische Parallelerscheinungen auftreten, welche ebenfalls den Archetypus darstellten. Er erfülle sich dann nicht nur psychisch im Individuum, sondern auch außerhalb desselben objektiv. Das Christusleben sei gerade so, wie es sein müsse, wenn es das Leben eines Gottes und eines Menschen zugleich sei.

„Es ist ein Symbolum, eine Zusammensetzung heterogener Naturen, etwa so, wie wenn man Hiob und Jahwe in einer Persönlichkeit vereinigt hätte. Jahwes Absicht, Mensch zu werden, die sich aus dem Zusammenstoß mit Hiob ergeben hat, erfüllt sich im Leben und Leiden Christi.“

Eine Argumentationführung, die gespenstisch wirken mag, aber wir wollten ja vor allem referieren, und möglichst wenig urteilen.

Jung fragt anschließend – wo bleibt Satan, trotz gelegentlicher Cameoauftritte?

Monreale,  Christi Versuchung

Seine relative Unwirksamkeit erkläre sich einesteils gewiß aus der sorgfältigen Vorbereitung der Gottesgeburt, andererseits aber auch aus einem merkwürdigen metaphysischen Ereignis, welches Christus wahrgenommen habe: „Er sah, wie Satan wie ein Blitz aus dem Himmel fiel. Dieses Gesicht betrifft das Zeitlichwerden einer metaphysischen Begebenheit, nämlich die historische (vorderhand) endgültige Trennung Jahwes von seinem dunkeln Sohn. Satan ist aus dem Himmel verbannt und hat keine Gelegenheit mehr, seinen Vater zu zweifelhaften Unternehmungen zu überreden.“

Dieses „Ereignis“ dürfte erklären, warum Satan, wo immer er in der Menschwerdungsgeschichte auftauche, eine so unterlegene Rolle spiele, die in nichts mehr an das frühere Vertrauensverhältnis zu Jahwe erinnere.

Er habe die väterliche Geneigtheit offenbar verscherzt und sei ins Exil geschickt worden. Er werde nicht direkt in die Hölle, sondern auf die Erde geworfen und solle erst in der Endzeit eingeschlossen und dauernd unwirksam gemacht werden.

Der Opfertod Christi als ein von Jahwe gewähltes Schicksal bedeute die Wiedergutmachung für das Hiob geschehene Unrecht einerseits, und andererseits eine Leistung zugunsten der geistigen und moralischen Höherentwicklung des Menschen. Denn zweifellos werde der Mensch in seiner Bedeutung gemehrt, wenn sogar Gott selber Mensch werde.

Infolge der relativen Einschränkung des Satan sei Jahwe durch Identifikation mit seinem lichten Aspekt zu einem guten Gott und liebenden Vater geworden. Er habe zwar seinen Zorn nicht verloren und könne strafen, aber mit Gerechtigkeit. Fälle in der Art der Hiobstragödie seien anscheinend nicht mehr zu erwarten.

Obwohl: Obschon Christus ein vollkommenes Vertrauen in seinen Vater habe und sich sogar eins mit ihm wisse, könne er doch nicht umhin, im Vaterunser eine vorsichtige Bitte (und Warnung) einzuflechten. „Das heißt, Gott möge uns nicht direkt durch Verlockung zum Bösen veranlassen, sondern uns lieber davon erlösen. Die Möglichkeit, daß Jahwe, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen und trotz seiner ausgesprochenen Absicht, zum Summum Bonum zu werden, wieder auf frühere Wege zurückgeraten könnte, liegt also nicht so fern, als daß sie nicht im Auge behalten werden müßte.“

„Die sechste Bitte des Vaterunsers läßt in der Tat tief blicken, denn angesichts dieser Tatsache wird die immense Sicherheit Christi hinsichtlich des Charakters seines Vaters etwas fraglich.“ Es sei ja leider eine allgemeine Erfahrung, daß besonders positive und kategorische Behauptungen namentlich dort aufträten, wo ein leiser Zweifel, der sich im Hintergrund bemerkbar mache, aus der Welt geschafft werden solle.

Dieser Zweifel Christi werde in der Apokalypse des Johannes bestätigt. Dort liefere sich nämlich Jahwe wiederum einer unerhörten Zerstörungswut gegenüber der Menschheit aus.

„Man ist in der Tat in Verlegenheit, wie man eine derartige Reaktion mit dem Verhalten eines liebenden Vaters, von dem man erwarten müßte, er werde seine Schöpfung mit Geduld und Liebe schließlich verklären, in Einklang bringen könnte. Es hat sogar allen Anschein, als ob gerade der Versuch, dem Guten endgültig und absolut zum Siege zu verhelfen, zu einer gefährlichen Aufstauung des Bösen und damit zu einer Katastrophe führen müßte. Neben dem Weltende ist die Zerstörung von Sodom und Gomorrha, ja sogar die Sintflut, reines Kinderspiel; denn dieses Mal geht die Schöpfung überhaupt aus den Fugen.“

Dem Weltende gehe die Tatsache voraus, daß selbst der Sieg des Gottessohnes Christus gegen seinen Bruder, den Satan, nicht wirklich und endgültig erfochten sei, denn es sei zuvor noch eine letzte machtvolle Manifestation Satans zu erwarten.

Man könne kaum annehmen, dass die Inkarnation Gottes in seinem einen Sohne Christus vom Satan ruhig hingenommen würde. „Sie muß gewiß seine Eifersucht aufs Höchste erregt und in ihm den Wunsch wachgerufen haben, Christus nachzuahmen.“

Dieser Plan werde durch die Gestalt des Antichristus zur Ausführung gebracht. Ein Zweifel werde laut an der unmittelbaren Endgültigkeit oder der universalen Wirksamkeit des Erlösungswerkes. Leider, müsse man sagen, bildeten diese Erwartungen unreflektierte Offenbarungen, die mit der sonstigen Heilslehre nirgends auseinandergesetzt oder gar in Einklang gebracht würden.

Jung droht jetzt schon mal, sich später der Apokalypse ausführlicher zuwenden zu wollen, ein Versprechen, das er leider (ist man versucht zu sagen) einlösen wird.

Zuvor aber müßten wir uns der Frage zuwenden, wie es sich mit der Menschwerdung Gottes über Christi Tod hinaus verhalte. Schließlich habe man seit alters gelehrt, daß die Menschwerdung ein einmaliges historisches Ereignis sei. Man könne keine Wiederholung desselben und ebenso wenig eine weitere Offenbarung des Logos erwarten, denn auch diese sei in der Einmaligkeit der vor bald 2000 Jahren erfolgten Erscheinung des Mensch gewordenen Gottes auf Erden beschlossen. (sic!)

Monreale,  hier gefunden

Mit dem Schluß des Neuen Testamentes hörten die authentischen Mitteilungen Gottes auf. Soweit die protestantische Sicht. Die katholische Kirche als direkte Erbin des historischen Christentums erweise sich in dieser Frage vorsichtiger, denn sie nähme an, daß das Dogma mit Beihilfe des Heiligen Geistes sich weiterentwickeln und entfalten könne.

Diese Auffassung stehe in bester Übereinstimmung mit Christi Lehre vom Heiligen Geiste und damit der weiteren Fortsetzung der Inkarnation. Christus sei der Ansicht, daß, wer glaube, daß er der Sohn Gottes sei, der könne die Werke, die er tue, auch tun und noch größere als diese. Er erinnere seine Jünger daran, daß ihnen gesagt sei, sie seien Götter.

„Wenn Christus den irdischen Schauplatz verläßt, so wird er den Vater bitten, den Seinen einen 'Beistand' (den 'Parakleten') zu senden, der in Ewigkeit bei und in ihnen bleibt. Der Beistand aber ist der Heilige Geist, der vom Vater her gesendet wird. Dieser 'Geist der Wahrheit' wird die Gläubigen lehren und 'in die ganze Wahrheit leiten'.“

Christus habe sich demnach eine beständige Verwirklichung Gottes in dessen Kindern und daher in seinen Geschwistern im Geiste gedacht.

„Da der Heilige Geist die dritte Person der Trinität darstellt, und in jeder der drei Personen jeweils der ganze Gott gegenwärtig ist, so bedeutet die Einwohnung des Heiligen Geistes nichts weniger als eine Annäherung des Gläubigen an den Status des Gottessohnes. Man begreife daher unschwer den Hinweis: „Ihr seid Götter.“

„Dieser deifizierenden Wirkung des Heiligen Geistes kommt natürlich die dem Erwählten eigentümliche Imago Dei entgegen. Gott in der Gestalt des Heiligen Geistes schlägt sein Zelt bei und in den Menschen auf, denn er ist offenbar gesonnen, nicht nur in den Nachkommen Adams, sondern auch in einer unbestimmt großen Anzahl von Gläubigen, oder vielleicht in der Menschheit überhaupt, sich fortschreitend zu verwirklichen. „

Es sei daher symptomatisch bezeichnend, daß Barnabas und Paulus in Lystra mit Zeus und Hermes identifiziert wurden: „'Die Götter sind den Menschen ähnlich geworden und zu uns herabgestiegen'. Das war allerdings die naivere heidnische Auffassung der christlichen Transmutation, aber eben gerade deshalb überzeugt sie.“

Die Inkarnation Gottes in Christo bedürfe insofern einer Fortsetzung und Ergänzung, als Christus infolge der Parthenogenesis und der Sündlosigkeit kein empirischer Mensch gewesen sei und daher, wie es bei Joh. 1 heiße, ein Licht darstelle, das zwar in die Finsternis leuchtete, aber von dieser nicht begriffen würde. Er bliebe außerhalb und oberhalb der wirklichen Menschheit.

„Hiob aber war ein gewöhnlicher Mensch, und deshalb kann nach göttlicher Gerechtigkeit das ihm und, mit ihm, der Menschheit geschehene Unrecht nur durch eine Inkarnation Gottes im empirischen Menschen wieder gut gemacht werden. Dieser Sühneakt wird durch den Parakleten vollzogen, denn wie der Mensch an Gott, so muß Gott am Menschen leiden. Anders kann es keine 'Versöhnung' zwischen den beiden geben.“

Die fortlaufende, unmittelbare Einwirkung des Heiligen Geistes auf die zur Kindschaft berufenen Menschen bedeute de facto eine in die Breite sich vollziehende Menschwerdung. Christus, als der von Gott gezeugte Sohn, sei ein Erstling, der von einer großen Anzahl nachgeborener Geschwister gefolgt würde.

Diese tiefgreifenden Änderungen im menschlichen Status seien direkt durch das Erlösungswerk Christi bewirkt. Die Erlösung oder Errettung habe verschiedene Aspekte, so vor allem den einer durch Christi Opfertod geleisteten Sühne für die Verfehlungen der Menschheit. Sein Blut reinige uns von den bösen Folgen der Sünde. Er versöhne Gott mit dem Menschen und befreie diesen von dem ihm drohenden Verhängnis des Gotteszornes und der ewigen Verdammnis.

„Es leuchtet unmittelbar ein, daß derartige Vorstellungen Gottvater immer noch als den gefährlichen und deshalb zu propitiierenden Jahwe voraussetzen: der qualvolle Tod seines Sohnes muß ihm Genugtuung für eine Beleidigung leisten: er hat einen 'tort moral' erlitten und wäre eigentlich geneigt, sich dafür furchtbar zu rächen. Wir stolpern hier wiederum über das Mißverhältnis zwischen einem Weltschöpfer und seinen Geschöpfen, die sich zu seinem Ärger nie so benehmen, wie es seiner Erwartung entspräche.“

Es sei, wie wenn jemand eine Bakterienkultur anlegte, welche ihm mißrate. Er würde doch besser einen passenderen Nährboden auswählen. „Das Verhalten Jahwes gegenüber seinen Geschöpfen widerspricht allen Anforderungen der sog. 'göttlichen' Vernunft.“ Zudem komme, daß ein Bakteriologe in der Wahl seines Nährbodens sich irren könne. Gott aber, vermöge seiner Allwissenheit, könne sich nie irren, wenn er diese befrage. Er habe allerdings seine menschlichen Geschöpfe mit einem gewissen Bewußsein und daher mit einem entsprechenden Grade von Willensfreiheit ausgestattet. Aber er könne auch wissen, daß er dadurch den Menschen in Versuchung führe, einer gefährlichen Selbständigkeit zu verfallen.

Das wäre insoweit kein zu großes Risiko, wenn der Mensch es mit einem nur gütigen Schöpfer zu tun hätte. Aber Jahwe übersähe seinen Satanssohn, dessen List sogar er selber gelegentlich erläge. Wie sollte er da erwarten können, daß der Mensch es besser mache? „Zudem übersieht er, daß, je mehr Bewußtsein ein Mensch besitzt, er desto mehr von seinen Instinkten, die ihm wenigstens noch eine gewisse Witterung von der verborgenen Weisheit Gottes geben, abgetrennt und jeder Irrtumsmöglichkeit preisgegeben ist. Satans List ist er schon gar nicht gewachsen, wenn nicht einmal sein Schöpfer diesem mächtigen Geiste Einhalt gebieten kann oder will.“

Wir brechen hier besser ab, immerhin sind wir beim Heiligen Geist, jedenfalls nach dem Verständnis Jungs, angelangt. Das war schließlich die ursprüngliche Intention. Dem nächsten Abschnitt werde ich mich wohl eher wieder nur nächtlich zuwenden können. Da erscheint einem anderes wirklicher und man ist bereit, die verstiegensten Dingen nachzuverfolgen, vermutlich, da man selbst schon leicht entrückt ist.

Monreale, hier gefunden

nachgetragen am 19. Mai