Montag, 29. April 2013
Zeitgenössisches
Ich hasse „Zeitgenössisches“ meist, und wenn ich nicht völlig in die Irre gehe, war ich nicht unerfolgreich in der Vermeidung, darüber zu sprechen. Aber sind wir doch einmal spontan, das hasse ich auch. Wenn es eine deutsche protestantische Landeskirche gibt, die völlig auf Sozialarbeiter- und Frauenbeauftragten – Niveau hinunterverrottet ist, dann ist es die Nordelbische, in die hinein sich die altehrwürdige Mecklenburgische Landeskirche meinte, auflösen zu müssen. Vielleicht war es damit aber eben auch nicht mehr weit her, wie auch immer.
Es gab einmal eine Art evangelischen „Vorwärts“, im Duktus vom sozialdemokratischen Original schwer unterscheidbar und ähnlich publikumsarm, das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“. Das gibt es nicht mehr, heißt nun „chrismon“, erscheint monatlich und liegt Tageszeitungen bei, die ich mitunter lese, wie etwa der FAZ, so daß einem das Ding beispielsweise in die Hände fällt oder auf den Boden, und mitunter macht man dann den Fehler und hebt es davon wieder auf, um es zu lesen.
Ein gegenwärtiger Hamburger Hauptpastor schrieb dort letztens u.a. das folgende:
„Das Wort 'Einheit' lässt mich kalt. Vielleicht liegt es daran, dass ich so protestantisch bin. Denn Protestantismus ist erkämpfte und genossene Vielheit.“ Aha. Ich dachte, da wurde „jemand“ so sehr von seinem Gewissen gepeinigt, daß er selbst den Bruch der Kirche hinnahm und darüber im Alter gelinde gesagt unfroh wurde. Und später:
„Von der Gelassenheit ist es nur ein Schritt zur Toleranz. Bei ihr aber sollte man nicht stehen bleiben. Denn Toleranz ist bloß die friedliche Duldung anderer Auffassungen. Deshalb muss man von der Toleranz zur Anerkennung fortschreiten, zur Fähigkeit, im Spiegel des anderen eigene Grenzen zu erkennen und sich von den Charismen anderer anregen zu lassen.“ Es folgt nach dieser weichen Sauce eine der üblichen salvatorischen Floskeln „Dies ist keine reine Freude, sondern oft mit echten Anfechtungen verbunden.“ Der Ärmste.
Menschen wie jener haben offenbar vergessen (wenn sie es je gewußt haben), daß Religion eine Sache auf Leben und Tod ist. Der Gründer der christlichen starb eben deshalb. Das macht die Dinge oft nicht einfach. Aber warum sollte es einfach sein, wenn das Wesen aller Dinge gemeint ist. Mein erster Impuls war zu sagen, hier ist das Christentum ins Schauspielerhafte abgedriftet, aber das wäre eine unnötige und peinliche Beleidigung ernsthafter Schauspieler, die einen wesentlichen Beruf ausüben. Welcher hier ausgeübt wird. Ich weiß es nicht. Irgendeiner, bei dem die Wahrheitsfrage wohl schon lang unter der Fußmatte verschwunden ist, aber so genau wollen wir das alles gar nicht wissen.
Nachtrag: Ich habe nichts gegen Sozialarbeiter, ganz im Gegenteil; solange ihre Rolle nicht im falschen Stück mißbraucht wird.
Sonntag, 28. April 2013
Sonntag & Kantate
Arvo Pärt - Cantate Domino canticum novum
Kantate, der 4. Sonntag nach Ostern, hat seinen Namen vom Eingangsvers des Psalm 98:
Cantate Domino canticum novum, quia mirabilia fecit.
„Singet dem Herrn ein neues Lied; denn er tut Wunder.“
Man sollte von mir jetzt ein Lob der christlichen Religion billig erwarten, wie sie der Künste insonderheit der Musik pflegt (wenn man etwa von ein paar irregeleiteten Puritanern absieht, aber jeder größere Verband von Menschen hat seine Durchgeknallten). Das liegt bei diesem Sonntag nun einmal nahe. Aber ich will es dabei belassen, diese Vertonung von Arvo Pärt anzubringen (erfreulicherweise gibt es auch in diesen Zeiten noch Komponisten, die nicht vom Ehrgeiz getrieben sind, das menschliche Trommelfell und dahinter liegende Nerven ernsthaft zu beschädigen).
Doch da ich mir dieses Joch nun einmal selbst auferlegt habe, will ich kurz vom sonntäglichen Essen berichten - ein Schweinebraten vom Nacken. Demzufolgen war das Fleich etwas durchwachsen, hier aber zur Abwechslung im besseren Sinne. Es war sogar recht gut. Geschmort wurde es auf Butterschmalz mit Zwiebeln, Rosmarin und Thymian. Obendrauf hatte es eine Kruste aus Butter, Senf und diversen kleingehackten Kräutern (Thymian, Oregano etc.).
Dazu Bohnen, mit Bohnenkraut gekocht und später mit brauner Butter übergossen, und zwei Sorten Gurkensalat („jemand“ mag seine Gurken nur mit Essig und Zucker). Als Dekoration hatte ich von der Terrasse vorübergehend ein paar Hyazinthen hereingeholt, deren betäubender Duft irgendwie ganz willkommen war. Obwohl alles recht friedlich ausfiel diesmal, kein Debussy - Debakel wie letzten Sonntag, doch dafür hörten wir auch Purcell mit einigen seiner englischen Zeitgenossen.
Wo ich so fromm beginnen mußte, will ich wenigstens heidnisch enden, mit einem Auszug aus der „Götterlehre“ des Karl Philipp Moritz nämlich, es ist einfach hübsch zu lesen, und wovon handelt er, von Hyacinthus natürlich:
„Ein Liebling des Apollo war der schöne Hyacinthus, ein Sohn des Öbalus, eines lacedämonischen Fürsten. Apollo und sein Liebling wetteiferten einst im Scheibenwerfen; aus der Hand des Gottes flog die Wurfscheibe, und Boreas, auf den Apollo eifersüchtig, lenkte sie in der Luft und trieb sie an des Jünglings Haupt, welcher tot darniedersank. – Apollo ließ aus seines Lieblings Asche die Hyazinthe hervorgehen, und die Lacedämonier feierten jährlich ein Fest bei dem Grabe des Jünglings, der in des Lebens Blüte ein Raub des Todes ward.“
Nicolas-René Jollain - Hyacinthe changé en fleur - 1769
Freitag, 26. April 2013
Arno Holz & etwas Frühling
Ich habe Arno Holz schon gelegentlich erwähnt, aber nur seines famosen „Dafnis“ - Buches wegen, dieser herrlichen Neuerfindung des Barock. Arno Holz (geboren am 26. April 1863) ist ansonsten für mich eher ein schwieriger Autor, dem alles irgendwie immer über den Kopf wucherte, wie bei seinem Gedichtband Phantasus. Und dennoch sind trotz aller Theorieüberlast auch charmante Gedichte dabei entstanden, nachfolgend einige passend zum Frühlingsbeginn aus besagtem Band (mehr davon findet man hier).
Arno Holz
Phantasus (Auswahl)
Durch die Friedrichstraße
– die Laternen brennen nur noch halb,
der trübe Wintermorgen dämmert schon –
bummle ich nach Hause.
In mir, langsam, steigt ein Bild auf.
Ein grüner Wiesenplan,
ein lachender Frühlingshimmel,
ein weißes Schloss mit weißen Nymphen.
Davor ein riesiger Kastanienbaum,
der seine roten Blütenkerzen
in einem stillen Wasser spiegelt!
Zwischen Gräben und grauen Hecken,
den Rockkragen hoch, die Hände in den Taschen,
schlendre ich durch den frühen Märzmorgen.
Falbes Gras, blinkende Lachen und schwarzes Brachland
so weit ich sehn kann.
Dazwischen,
mitten in den weißen Horizont hinein,
wie erstarrt,
eine Weidenreihe.
Ich bleibe stehn.
Nirgends ein Laut. Noch nirgends Leben.
Nur die Luft und die Landschaft.
Und sonnenlos, wie den Himmel, fühl ich mein Herz!
Plötzlich ein Klang.
Ich starre in die Wolken.
Ueber mir,
jubelnd,
durch immer heller werdendes Licht,
die erste Lerche!
Mitten auf dem Platz,
wo die Kinder lärmen,
bleib ich stehn.
Jungens,
die sich um eine Murmel zanken,
ein kleines Mädchen, das Reifen spielt. . . .
Herr Gott, Frühling!
Und nichts, nichts hab ich gesehn!
Aus allen Büschen
brechen ja schon die Knospen!
Fern liegt ein Land!
In dunklen Nächten
rauschten schwermütig seine Eichen.
Weiche Flocken deckten mein Grab.
Jetzt blühn die Primeln,
die Drossel singt,
und über grüne Wiesen, um den blauen See
treibt der Schäfer seine Schafe.
Weiße Wölkchen gleiten.
Du süße Welt!
Auf deinen glänzendsten Stern
hast du ein Herz, das dich liebt, gerettet!
Schönes, grünes, weiches Gras.
Drin liege ich.
Mitten zwischen Butterblumen!
Ueber mir,
warm,
der Himmel:
ein weites, zitterndes Weiß,
das mir die Augen langsam, ganz langsam
schließt.
Wehende Luft, . . . ein zartes Summen.
Nun bin ich fern
von jeder Welt,
ein sanftes Roth erfüllt mich ganz,
und deutlich spür ich,
wie die Sonne mir durchs Blut rinnt –
minutenlang.
Versunken Alles. Nur noch ich.
Selig.
Vor meinem Fenster
singt ein Vogel.
Still hör ich zu; mein Herz vergeht.
Er singt,
was ich als Kind besaß,
und dann – vergessen.
nachgetragen am 28. April
Mittwoch, 24. April 2013
Beiläufiges
Tatsächlich wurde erst an diesem Tag die letzte Weihnachtsdekoration, wie auf den ersten beiden Bildern noch einmal zu sehen, von mir entsorgt; obwohl, da in diesem Jahr alles ein wenig aus der Zeit gefallen schien, wirkte sie mit jedem Tag des aufgeschobenen Frühlings orgineller, irgendwie. Aber bald wäre dann Pfingsten, das liebliche Fest... Wie auch immer, nun ist sie endgültig fort. Dazu die ersten Anzeichen des sich überraschend wie üblich einstellenden frühlingshaften Lebens.
nachgetragen am 28. April
Dienstag, 23. April 2013
Über das Ernsthafte von Dichtung
William Wordsworth:
I wandered Lonely As A Cloud
I wandered lonely as a cloud
That floats on high o'er vales and hills,
When all at once I saw a crowd,
A host, of golden daffodils;
Beside the lake, beneath the trees,
Fluttering and dancing in the breeze.
Continuous as the stars that shine
And twinkle on the milky way,
They stretched in never-ending line
Along the margin of a bay:
Ten thousand saw I at a glance,
Tossing their heads in sprightly dance.
The waves beside them danced; but they
Out-did the sparkling waves in glee:
A poet could not but be gay,
In such a jocund company:
I gazed--and gazed--but little thought
What wealth the show to me had brought:
For oft, when on my couch I lie
In vacant or in pensive mood,
They flash upon that inward eye
Which is the bliss of solitude;
And then my heart with pleasure fills,
And dances with the daffodils.
Ich wandert' einsam wie die Wolk'
Ich wandert' einsam wie die Wolk',
Die über Tal und Hügel zieht.
Da sah ich, daß ein ganzes Volk -
Ein Heer! - von Goldnarzissen blüht;
Am See, wo Steine moosig sind,
da tanzen flatternd sie im Wind.
Wie lange Reih'n von Sternen, die
Hell schimmern auf im Überschwang,
So zieht der Blumen Galaxie
Dem Ufer einer Bucht entlang:
Zehntausend Blumen sieht mein Blick
Im Tanz, den Kopf gewandt zurück.
Gleich ihnen, Wellen tanzen heut,
Doch Blumen tanzen froher noch.
Der Dichter selbst fühlt Fröhlichkeit
In solcher heit'ren Menge doch.
So starrt' ich - starrt' - doch merkt' ich nicht
Welch' Schatz mir brachte diese Sicht:
Lieg' jetzt ich auf der Couch allein,
Oft still verträumt, oft denkbereit,
Erscheinen sie dem Auge mein
Als Wonne meiner Einsamkeit:
Dann füllt mein Herz mit Glück sich ganz
Als Tänzer im Narzissentanz.
Translation / Übersetzung
"Daffodils" read by Jeremy Irons
William Wordsworth starb an einem 23. April im Jahre 1850. Für mich ein willkommener Anlaß, noch einmal dieses Gedicht mit der Übersetzung von Prof. Aue zu bringen. Dazu eine angenehm anzuhörende Interpretation von Jeremy Irons.
Im englischen Sprachraum gehört dieser Text, so lese ich, zu den Dingen, mit denen schon Generationen von Schülern gequält wurden. Vergleichbar vielleicht mit diversem von unserem Herrn Goethe. Aber als deutschsprachiger Mensch hat man da halt die Gnade des unbefangeneren Lesens.
Ursprünglich ging meine Intention dahin, ein wenig darüber zu räsonieren, was wir an der Dichtung haben, wenn sie denn diesen Namen verdient; wie sie dem Bau unserer Seele gewissermaßen Querstreben einzieht, so daß bei äußeren Erschütterungen doch alles so leidlich zusammenhält, wie sie uns folglich Halt gibt und eine Ahnung tieferen Daseins, wie sie uns über den Augenblick hinweg hebt und in die Weite eines unbegrenzten Horizonts eintauchen läßt.
Aber nein, wir wollen prosaisch weiterreden, z. B. mit:
„Das Meer bei Nacht ist eine edle Erscheinung; in kurzen Intervallen tost & stürzt an der Seite des Schiffes eine schöne weiße Wolke aus Schaum, und Funken tanzen und sprühen darin & von Zeit zu Zeit löst sich etwas Schaum und fliegt voller Sternenhaufen davon & entschwindet dem Blick wie ein Trupp von Tartaren in der Wüste!“
Diese „prosaische“ Bemerkung stammt aus einem Brief von Wordsworth vom 18. Sept. 1798 an Mrs. S.T. Coleridge, gefunden habe ich es auf www.william-wordsworth.de, einer faszinierenden und äußerst empfehlenswerten Sammlung zu Wordsworth, zusammengetragen von Herrn Dietrich H. Fischer. Der Brief entstand bei einer Deutschlandreise, danach stoßen wir auf eine eher unfreundliche Bemerkung zu Hamburg, sehr unterhaltsam das alles. Ich wußte nicht, wie sehr sich Wordsworth mit Deutschland beschäftigt hat, ich weiß überhaupt zu wenig von ihm. Es gibt sogar ein Gedicht über den Tod des „Brave Schill!“, es endet mit:
Alas! it may not be: for earthly fame
Is Fortune's frail dependant; yet there lives
A Judge, who, as man claims by merit, gives;
To whose all-pondering mind a noble aim,
Faithfully kept, is as a noble deed;
In whose pure sight all virtue doth succeed.
Der ganze Text samt einer Übersetzung findet sich an diesem Ort. Ebenfalls bemerkenswert ein längerer Essay über das politische Denken von William Wordsworth anläßlich seiner „Tiroler Sonette“, er führt dort gute Gründe an, warum er, William Wordsworth, den Herrn Buonaparte verabscheut, aber man lese selbst:
„'Was tun sich die Tiroler mit ihrem heldenhaften Widerstand bloß an? - so ruft der eine aus. Für was kämpfen die Spanier eigentlich? so ein anderer - als ob der Mensch nur dazu geschaffen wäre, über der Erde zu fressen und [dann unter der Erde] gefressen zu werden, als ob wir keine Würde hätten, die es zu bewahren gilt, kein Gewissen, dem zu gehorchen ist, als wenn Unsterblichkeit nicht in Aussicht stünde.'“
Erfreulich dieser gänzliche Mangel an britischer Selbstgefälligkeit, mit anderen Worten, Wordsworth zeigt wahrhaft die einzig angemessene Art geistiger Souveränität (ebenfalls gefunden auf besagter Seite), bei der man von dem, in das man nun einmal hinein gestolpert ist, nicht gänzlich verschlungen wird, dank selbsterworbener Grundsätze, Nachdenkens etc. etc.:
„Ich möchte Spanien, Italien, Frankreich, Deutschland als unabhängige Nationen geformt sehen, und ich habe kein Verlangen, daß Frankreichs Macht weiter beschnitten wird, als es für dieses Ziel nötig ist. Wehe dem Land, dessen militärischer Macht niemand widerstehen kann!“
Es mag unpassend wirken, jetzt „beiläufig“ auch noch Albrecht Georg Haushofer erwähnen zu wollen, der am 23. April 1945 ermordet wurde. Ich erinnerte mich, wie der Herr Morgenländer einmal sehr schön über dessen Moabiter Sonette geschrieben hatte, die sich merkwürdigerweise seit Jahrzehnten in meinem Besitz befinden. Das alles ist wahrlich ein weites Feld, das geistige Behaupten im Angesicht der Barbarei, das Festhalten an dem, was gerade zwischen den Händen zerfällt, eine Art von zersplitternder Hoffnung, eine Art von geistesgestützter Hoffnung über das Nichts hinaus. Doch genug davon, hier die letzten Verse aus seinem „Boëthius“:
Sein Tod hat keinen Untergang gewendet -
erloschen war die Kraft der alten Welt. -
Sein Tod hat nur den Untergang erhellt.
Und vielen hat er später Trost gespendet,
da seines Beispiels hohe Hilfe spürt,
wen gleiches Los auf gleiche Bahnen führt.
nachgetragen am 28. April
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Montag, 22. April 2013
Sonntag, 21. April 2013
Sonntag & Jubilate
Nein, ich bin in keinem Zustand, der exaltierte Freudenbekundungen hervorrufen müßte. Der Sonntag heißt so - „Jubilate“, der dritte nach Ostern:
„Jubilate Deo, omnis terra.“
„Jauchzet Gott, alle Lande!“
Psalm 66, Vers1
Der kommende Sonntag heißt übrigens „Kantate“. Warum nun ausgerechnet dieser Sonntag zum Anlaß für einen „Kantaten-Gottesdienst“ in der hiesigen St. Johannis - Gemeinde genommen wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Es ging aber vor allem um Buxtehude, den ich sehr schätze, und es war auch alles recht nett. Hier 2 „Stücke“ daraus, in anderer Interpretation selbstredend.
Dietrich Buxtehude, "Alles was ihr tut", BuxWV 4
Dietrich Buxtehude, Toccata in F-Dur, BuxWV 156
Können wir das Essen diesmal schnell hinter uns bringen, bitte; nicht daß es furchtbar ausgefallen wäre, ganz im Gegenteil – Lachs, gedünstet mit Weißwein und diversen Kräutern (wie Rosmarin, Dill...) auf Butterschmalz; dazu ebenfalls mit Butter geschmorte Mohrrüben. Wir hatten das schon diverse Male.
Die Begleitumstände waren nur etwas skurril. Ich dachte, Debussy wäre diesmal ganz passend („La Mer“! u.a.). Das endete aber damit, daß „jemand“ sich die Ohren zuhielt und wüste Urteile ausstieß, nun ja. Häufig ist einem kaum etwas fremder als das vermeintlich Vertraute.
Man konnte noch nicht draußen essen, zu windig und, trotz Sonne, doch zu kalt, daher hatte ich etwas Terrassen-Dekoration vorübergehend hereingeholt, einen anderen Teil sieht man anschließend, gefolgt von einem Schwan, um irgendwie milder zu enden.
Donnerstag, 18. April 2013
Was unsern Geist erfreut / Entspringt aus Gegenwärtigkeit
Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau
WO sind die Stunden
Der süßen Zeit,
Da ich zuerst empfunden
Wie deine Lieblichkeit
Mich dir verbunden?
Sie sind verrauscht, es bleibet doch dabei,
Daß alle Lust vergänglich sei.
Das reine Scherzen,
So mich ergötzt,
Und in dem tiefen Herzen
Sein Merkmal eingesetzt,
Läßt mich in Schmerzen,
Du hast mir mehr als deutlich kund getan,
Daß Freundlichkeit nicht ankern kann.
Das Angedenken
Der Zucker-Lust
Will mich in Angst versenken.
Es will verdammte Kost
Uns zeitlich kränken,
Was man geschmeckt und nicht mehr schmecken soll,
Ist Freuden-leer und Jammer-voll.
Empfangne Küsse,
Ambrierter Saft,
Verbleibt nicht lange süße
Und kommt von aller Kraft;
Verrauschte Flüsse
Erquicken nicht. Was unsern Geist erfreut,
Entspringt aus Gegenwärtigkeit.
Ich schwamm in Freude,
Der Liebe Hand
Spann mir ein Kleid von Seide,
Das Blatt hat sich gewandt,
Ich geh' im Leide,
Ich wein' itzund, daß Lieb und Sonnenschein
Stets voller Angst und Wolken seyn.
Ich habe hier fast alles an den gegenwärtigen Sprachgebrauch angepaßt, aber das allerletzte Wort mußte ich dann doch so stehenlassen, eine kleine Laune. „Verrauschte Flüsse / Erquicken nicht. Was unsern Geist erfreut / Entspringt aus Gegenwärtigkeit.“ Unser Dichter weist sie also ab, die faden Freuden der Erinnerung, in einem Gedicht des Erinnerns. Und verhilft beiden zu ihrem Recht, dem Augenblick, in dem wir leben, und dem Gemüt, das zurückschaut.
Die Dichter des Barock wollten nicht ihr zufälliges Selbst nach außen kehren, sondern Zustände des Menschlichen gültig beschreiben. Es ist also müßig zu fragen, ob und inwieweit Hoffmannswaldau aus persönlichem Erleben spricht, zudem tritt er gern „galant“ und unterhaltsam auf, nicht immer, aber gerade diese Seite ist ihm dann in späteren, ledern - ernsteren Zeiten vorgehalten worden, als„seicht“, gar „schlüpfrig“.
Prof. Gottsched meinte, er habe zusammen mit Lohenstein durch „regellose Einbildungskraft“, „geilen Witz und ungesalzenen Scherz“ (was immer letzteres bedeuten soll) der deutschen Dichtung nur Schande gebracht. Dabei war sie alles andere als regellos, es waren halt andere als die der nüchternen Frühaufklärer und nachfolgenden Langweiler.
Ich will jetzt nicht mit einem Exkurs über Barock-Lyrik langweilen, eine hochkomplexe Angelegenheit übrigens, vielleicht später einmal. Über Hoffmannswaldau habe ich mich schon mehrfach ein wenig ausgelassen, nur nebenbei bemerkt. „Alle Sachen / Werden anders mit der Zeit.“ „Auf O Seele! du mußt lernen... / Dir zu sein dein eigen Licht.“ „Sich in sich stets zu bekriegen / Und zu siegen / Ist der besten Krone wert.“ (aus: „Ermahnung zur Vergnügung“).
Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau starb am 18. April 1679, daher diese kleine Nachtrag.
nachgetragen am 21. April
Sonntag, 14. April 2013
Sonntag & Misericordias Domini
more or less "translated"
Ich hatte gehofft, mir würde noch etwas Gedankenvolles einfallen, aber wahrscheinlich hat das einfallende warme Wetter alles in einen Zustand angenehmen Betäubt-Seins gebracht und dabei sämtliche Gedanken vertrieben. Wie auch immer. Es folgt der zu erwartende Nachtrag.
Lamm. Es gab Lamm, möglicherweise hier zum ersten Mal, aber meine Neigung zur Rücksichtnahme läßt doch deutlich nach. Es wurde dann auch fröhlich aufgegessen, insofern eine erneute Bestätigung, daß man den Menschen nicht immer ihren Willen, oder was sie dafür halten, lassen sollte.
Genauer gesagt waren es Lammkoteletts und ein Stück Lammlachs. Mit Olivenöl und Rosmarin scharf angebraten und dann im Ofen bei niedriger Temperatur nachgegart, samt einigen Schalotten. Ich hätte sie schneller herausnehmen müssen, es gab einen leichten Stich ins Bittere, aber ansonsten war das Fleisch wunderbar. Dazu Bohnen mit Muskat. Und Kräuterbutter. Die Kräuterbutter bestand aus Butter, wie nicht weiter überraschen wird, gepfeffert und gesalzen, und viererlei frischen und gehackten Kräutern (Thymian, Petersilie, Oregano und Basilikum) mit etwas Zitronensaft. Alles recht nett.
Dazu etwas französches Barock – Lully, Rameau, Marais, Loeillet... (ausgelöst von: „nein die Eurovisionsmelodie ist weder von Händel, geschweige aus seiner Wassermusik, es ist von einem Herrn Charpentier“; ein verbreiteter Irrtum; wir wurden nämlich während des Essens Ziel einer kleinen unangekündigten Besucherinvasion, und was sagte der Besuch in eben dem Moment: „Oh Händel!“).
Marc - Antoine Charpentier: Te Deum
Miserikordias Domini heißt dieser 2. Sonntag nach Ostern nach dem Eingangspsalm, jedenfalls in der Liturgie der lutherischen Kirche und von ein paar anderen (die katholische Kirche mußte da unbedingt wieder einmal herumreformieren):
Misericordia Domini plena est terra, alleluia: verbo Domini coeli firmati sunt, alleluia, alleluia.
„Die Erde ist voll der Güte des Herrn und durch das Wort des HERRN ist der Himmel gemacht.“
Psalm 33, Vers 5b f.Der Sonntag Miserikordias Domini spricht vom Guten Hirten und erinnert daran, wie Gott das Verirrte sucht und der Herde wieder zuführt. Ich will nicht respektlos erscheinen, aber an diesem Sonntag Lamm als Hauptgericht zu haben, schien mir da nicht gänzlich gedankenlos. Aber wo wir gerade in der frommen Abbteilung sind, der Losungstext des Sonntages, der gefiel mir tatsächlich:
Halte meine Augen davon ab, nach Nichtigem zu schauen.
Psalm 119,37
nachgetragen am 15. April
I was still hoping I would come up with something rather profound and thoughtful, but probably this invasion of warm weather caused a state of pleasant dizziness and scared away all thoughts. Whatsoever. It follows the expected supplement.
Lamb. There was lamb this Sunday, possibly for the first time here, but my inclination to be considerate of people dwindles. It was all eaten up by the way, so far a reaffirmation that one shouldn’t always let people have their will, or what they assume it is.
More specifically, it was lamb chops and a piece of lamb fillet; seared in olive oil with rosemary, and then cooked in the oven at a low temperature under tin foil a bit, along with a few shallots. I should have taken them more quickly out of the pan, because there was a slight tinge of bitterness, but otherwise all in all the meat was wonderful. Then green beans with nutmeg. And herb butter. The herb butter consisted of butter, this might come as no surprise, peppered and salted, and four kinds of fresh chopped herbs were added (thyme, parsley, oregano and basil) with a little lemon juice. It was honestly all lovely.
Accompanied by some French Baroque - Lully, Rameau, Marais, Loeillet ... (triggered by: "No, this Eurovision melody is neither by Handel, nor from his “Water music”, it's from a certain Mr. Charpentier", a common mistake, and in fact during our meal we became a target of a little invasion of unannounced visitors, and what did one of them say just the very moment: "Oh Handel"; and my face had the urge to hit the plate, but it could avoided).
"Misericordias Domini" is this 2nd Sunday after Easter named from a certain introit Psalm, at least in the liturgy of the Lutheran church and a few others (well, the Catholic Church had this unnecessarily need to “reform” something again, hm):
Misericordia Domini plena est terra, alleluia: verbo Domini coeli firmati sunt, alleluia, alleluia.
The earth is full of the goodness of the Lord. By the word of the Lord were the heavens made.
Psalm 33, 5b f
The Sunday “Misericordias Domini” speaks of the Good Shepherd and reminded how God searches the erring and brings them back to the herd again. I do not want to appear disrespectful, but since on this Sunday shepherds and lambs were the main topic, lamb as a main dish has struck me as not entirely thoughtless and fitting somehow. But since we are in a pious mood still, the Daily Watchword of this Sunday appealed to me actually:
Turn away mine eyes from beholding vanity
Psalm 119,37
Mittwoch, 10. April 2013
Mecklenburgisches & eine Erinnerung an Waugh
Großherzogliches Wappen von Mecklenburg
Bevor wir ein wenig „Mecklenburgica“ treiben, soll daran erinnert sein, daß Arthur Evelyn St. John Waugh am 10. April 1966 starb. Der Herr Morgenländer hatte die grandiose Idee, ihm eigens einen Blog zu widmen, genauer gesagt: „Auf diesem Blog haben sich einige Blogger zusammengetan, um gemeinsam Evelyn Waughs 1945 erschienenen Roman 'Brideshead Revisited' zu lesen und Gedanken zu dem Buch auszutauschen.“ Das ist alles immer noch sehr lesenswert, abgesehen von meinen eigenen Beiträgen natürlich. Ich mußte das unbedingt zuvor erwähnen.
Jagdschloß Gelbensande
Wir kommen zum eigentlichen Gegenstand unserer heutigen Betrachtung - Großherzog Friedrich Franz III. von Mecklenburg (-Schwerin). Otto Vitense, von dem die letzte ernstzunehmende Gesamtdarstellung der Geschichte Mecklenburgs stammt (Gotha 1920), widmet ihm 7 ½ Zeilen, davon lauten die ersten 5: „Sein Sohn und Nachfolger Friedrich Franz III. (1883 – 97), ein durchaus wohlwollender und leutseliger Fürst, war wegen seiner schwachen Gesundheit gezwungen, fast alljährlich den Winter über fern von der Heimat im Süden Frankreichs, in Cannes zu verweilen, wo er sich die 'Villa Wenden' erbauen ließ und auch am 10. April 1897 starb.“ Herzog Johann Albrecht, der dann die Regentschaft für den minderjährigen Sohn und Nachfolger; Friedrich Franz IV., führte, wird anschließend freundlicher von ihm bedacht.
Nun er hat auch in Mecklenburg gebaut. Das Jagdschloß Gelbensande bei Rostock ist unbedingt erwähnenswert (siehe obige Abbildung), es diente als Sommerresidenz, war nach dem Tod des Großherzogs Witwensitz der Großherzogin Anastasia und wurde noch einmal bedeutend als Verlobungsort (1904) für Prinzessin Cecilie von Mecklenburg (-Schwerin) und Kronprinz Wilhelm von Preußen. Die letzte Kronprinzessin des Deutschen Reiches war Mecklenburgerin (hier erfährt man ein wenig mehr). Schloß Cecilienhof im Neuen Garten in Potsdam ist von Gelbensande inspiriert.
Sein Vater schickte ihn auf das Vitzthumsche Gymnasium in Dresden, wo er sich durchaus ordentlich schlug (übrigens war dessen Besuch ein ungewöhnlicher Schritt in dieser Zeit). Stand und Verwandtschaft (schließlich war seine Großmutter eine Schwester König Wilhelm I.) brachten ihn ganz selbstverständlich in Umgang mit preußischen wie sächsischen Königen, er wohnte in Vertretung seines Vaters der Kaiserproklamation in Versailles bei, wurde von Papst Pius IX. empfangen...
Er reiste, auch aus gesundheitlichen Gründen, viel, nicht nur nach Cannes. Palermo, Rom, Venedig („dort haben wir vier Wochen lang des entzückendsten dolce farniente gepflogen, gewürzt durch liebenswürdige Frauen, angenehme Männer, poetische Gondelfahrten... ein Leben voll heiterer Abwechslung... “), Ägypten, Palästina, Konstantinopel, St. Petersburg. Seine Frau Anastasia (1879 heirateten sie) war die Tochter von Großfürst Michael Nikolajewitsch Romanow. Der entsprechende Wikipedia-Artikel ist sich über die eigentlichen Neigungen des Großherzogs (Regierungsantritt April 1883) sehr sicher, nun ja, das hinderte ihn aber offenkundig nicht daran, daß 3 Kinder aus der Ehe hervorgingen, darunter der Thronfolger und die besagte spätere Kronprinzessin Cecilie.
Daß die Regierungsgeschäfte aus der Ferne eher schwer zu erledigen waren, das mag so sein. Übrigens hat es das schon vorher in der mecklenburgischen Geschichte gegeben, die bei ihrem Fürstenhaus begabt ist mit merkwürdigen Charakteren, die aufs Ganze gesehen leider aber nicht so tüchtig waren wie die Brandenburger Verwandten. Aber ganz grobe Fehler kann man ihm ebenfalls nicht ankreiden. Er ist dann nach gesteigertem Leiden nie ganz geklärt gestorben, in Cannes. Ein kultivierter Mann, nicht ohne Geist, dem wohl vor allem die Physis die Möglichkeit stärkeren Wirkens verstellt hat, eine traurige Geschichte, eigentlich.
Hugo Berwald: Friedrich Franz III. von Mecklenburg, Ludwigslust
Montag, 8. April 2013
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