J. S. Bach, Kantate für den 1. Sonntag nach Trinitatis
"O Ewigkeit du Donnerwort" (BWV 20), 1. Teil, hier gefunden
"O Ewigkeit du Donnerwort" (BWV 20), 1. Teil, hier gefunden
O Ewigkeit, du Donnerwort,
O Schwert, das durch die Seele bohrt,
O Anfang sonder Ende!
O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit,
Ich weiß vor großer Traurigkeit
Nicht, wo ich mich hinwende.
Herr Jesu, wenn es dir gefällt,
Eil' ich zu dir ins Himmelszelt.
„O Ewigkeit, du Donnerwort“. Diese Worte Johann Rists und mehr noch die darauf beruhende Kantate von Bach kamen mir in den Sinn, als ich mir vergegenwärtigte, daß nun Toten- oder eben Ewigkeitssonntag sei. Herr Roloff hat dazu gepredigt, und da dies schon mit einem Tag Verspätung erscheint, will ich auch von weiteren Betrachtungen über das Thema besser absehen (für meine vielleicht verbliebenen englischsprachigen Leser, hier gibt es eine englische Übersetzung des Rist'schen Textes). Ach, eine andere Bach'sche Kantate, eine bekanntere, denke ich, sollte ich auch noch anbringen.
Johann Sebastian Bach, Kantate für den 27. Sonntag nach Trinitatis
"Wachet auf, ruft uns die Stimme" (BWV 140), hier gefunden
Predigt zum Ewigkeitssonntag
Mk 13, 31-37
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen
Liebe Gemeinde,
der Predigttext für diesen letzten Sonntag des Kirchenjahres steht bei Markus im 13. Kapitel:
31 Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. 32 Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater. 33 Sehet zu, wachet und betet; denn ihr wisset nicht, wann es Zeit ist. 34 Gleich als ein Mensch, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinem Knecht Macht, einem jeglichen sein Werk, und gebot dem Türhüter, er sollte wachen. 35 So wachet nun (denn ihr wißt nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob er kommt am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder des Morgens), 36 auf daß er nicht schnell komme und finde euch schlafend. 37 Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!
Gott segne an uns sein Wort!
Wir nennen unsere Toten oft die Entschlafenen. Wir sehen uns ihnen verbunden durch die Erfahrung des leiblichen Schlafes und erwarten gleichsam einen Schlaf in Gottes Ewigkeit hinein. Am Ewigkeitssonntag erinnern wir uns an die Entschlafenen des vergangenen Jahres und an alle unsere Toten. Wir sehen der unvermeidlichen Tatsache ins Auge, selbst einmal sterben zu müssen.
Dennoch ist das entscheidende Thema des Predigtextes das Wachsein und das „auf der Wache sein“ – beides ist in dem Aufruf „Wachet!“ enthalten, ohne dass es klar unterschieden würde. Wir sollen wach sein und uns auf die Wache stellen. Das eine bezeichnet einen Gemüts- und auch Geisteszustand, das andere den eigentlichen Handlungsort unseres Lebens.
Das ist das zwingende Ergebnis der ungeheuerlichen Feststellung: „Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen.“
Peter von Cornelius, "Die klugen und die törichten Jungfrauen"
etwa 1813, hier gefunden
So kann nur reden, wer entweder den Verstand verloren hat, oder wer tatsächlich Herr über Raum und Zeit ist.
Kann ein Mensch Herr über Raum und Zeit sein? Die Herrschaft über Raum und Zeit ist zunächst natürlich eine Eigenschaft Gottes. Wir glauben aber als Christen, dass Gott diese Herrschaft in seinem Sohn Jesus Christus einem wahren Menschen anvertraut und so unser Menschsein in sein Gottsein eingeschlossen hat. So nur gehören wir nämlich zu dem, was nicht vergeht, denn Gott selbst ist das Wort.
Nach unserer christlichen Vorstellung und gemäß unserem Glauben gebären gleichsam Wort und Antwort tatsächlich und wahrhaftig die Wirklichkeit, so wie wir sie nun sehen. Gott schuf die Welt aus sich heraus durch die Macht seines Wortes. Die ganze Welt stand da, damit dann wieder auf das Wort Gottes hin durch Maria die erlösende Antwort aus der Mitte der Schöpfung heraus gegeben würde. Schöpfung und Erlösung markieren den Willen und die Absicht Gottes. Fast scheint es so, als wäre der Mensch gleichsam in die Schöpfung hineingepflanzt, um dann am Ende der Zeit zu Gott hin erlöst zu werden. Darüber hinaus wird hier erkennbar, dass ein gleichsam geistiges Gewebe die ganze Welt durchdringt. Das Geistige ist eben nicht nur eine menschliche Spekulation, mit der wir nur gedanklich die Dinge überziehen, um sie in menschlicher Weise zu verstehen. Das Geistige, das Wort Gottes, ist eine eigene und als Christen müssen wir sagen auch die eigentliche Wirklichkeit noch hinter den Dingen und vor Zeit und Raum. Darum soll auch unsere Wachsamkeit auf dieses Wort Gottes gerichtet sein und nicht auf die vergänglichen Dinge.
Drei der fünf törichten Jungfrauen zeigen ihren Kummer,
Magdeburger Dom, etwa 1250, hier gefunden
Das ist darum ein tröstendes Gleichnis, weil es unsere Erfahrung der Verlassenheit aufnimmt, die wir so oft in dieser Welt machen müssen und die unseren Glauben bedrängt. Warum lässt sich Gott nicht merken? Wo ist er? Wohin ist er gegangen? Wann kehrt er zurück und regiert wieder selbst seine Schöpfung?
Daraus resultieren zwei ganz wichtige Haltungen des Menschen. Zum einen hat unser Bewusstsein davon, dass alles, was ist, was uns umgibt, was wir haben und sind, selbst unser Leben, nicht unser Eigentum werden kann, sondern immer nur geborgtes, anvertrautes Gut ist, hier seine Ursache. Wir sind für diese Dinge verantwortlich. Hier hat auch der christliche Verantwortungsbegriff seinen eigentlichen Grund.
Verantwortung ist keine irgendwie ethische Ordnung, die Menschen selbst untereinander aufrichten könnten, und deren papierene Form irgendeine bindende Wirkung entfalten würde. Verantwortung ist eine wirkliche Beziehung zwischen dem Herren und seinem Knecht. Sie ist tatsächlich geradezu dem Herzen des Knechtes eingeschrieben, oder sie hört auf relevant zu sein. Wir alle sind diese Knechte, deren Aufgabe die Wacht ist, damit wir im rechten Moment verantwortlich Rechenschaft geben können darüber, wie wir mit dem umgegangen sind, was uns anvertraut war. Verantwortungsgefühl ist die eine besondere Form des Wachseins, von dem hier die Rede ist. Verantwortlichkeit, so möchte ich es sagen, ist der leuchtende Kern unserer Knechtschaft.
Zum anderen besteht kein Zweifel daran, dass der Herr wiederkommen wird, und an dieser Tatsache entzünden sich unser Warten und unsere Erwartung.
Drei der fünf klugen Jungfrauen zeigen ihre Freude
Magdeburger Dom, etwa 1250, hier gefunden
Die Kirche nun ruft dieser wartenden und erwartenden Gemeinschaft wieder und wieder zu: Habt keine Angst! Fürchtet euch nicht! Lebt verantwortlich und wartet geduldig. Verantwortlich leben können wir durch die lebendige Gemeinschaft mit dem, dem wir verantwortlich sind, und geduldig warten durch die Gewissheit, dass der Herr kommen wird – denn sein Wort vergeht nicht. Geduld ist eine andere Form dieses Wachseins. Geduld ist der wehrhafte Panzer unserer Knechtschaft.
So bitte ich Euch alle denn an diesem Tag, an dem wir unserer Toten gedenken und inne werden, selbst sterben zu müssen: Seid geduldig und seid treu. Hört auf das Wort des Völkerapostels: „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; 52 und dasselbe plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune schallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. 53 Denn dies Verwesliche muß anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muß anziehen die Unsterblichkeit. 54 Wenn aber das Verwesliche wird anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche wird anziehen die Unsterblichkeit, dann wird erfüllt werden das Wort, das geschrieben steht: 55 "Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?"
Wir werden dann frei und heilig eintreten in die Wachheit und in das Leben, welche nur in der vollkommenen und ewigen Gemeinschaft mit Gott gefunden werden können.
Seid geduldig und treu! Wachet und betet!
Amen
Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn.
Amen
Thomas Roloff
nachgetragen am 25. November
7 Kommentare:
Herr Roloff always has good things to say. Thanks for sharing.
Thanks also for the Cantatas, which are always worth hearing.
I'll tell Mr Roloff tomorrow. I'm glad you liked the Cantatas. So was my remark - for my (maybe) remaining English-speaking readers an English translation of Rist's lyrics to find here – probably not completely useless. :)
"32 Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater."
Dass auch der Sohn die Stunde nicht kennt, ist theologisch interessant. Viel wichtiger,vielleicht, es ist voll der Menschlichkeit.
@Prof. Aue: Das ist wohl wahr. Aber ein Detail, vielleicht zu ihrer Erheiterung: „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde verging, und das Meer ist nicht mehr.“
„Und das Meer ist nicht mehr“!!? Also das hat mich seit buchstäblich frühester Kindheit mit einem heftigen Grund-Mißtrauen gegen diesen gütigen Schöpfer der Welt erfüllt. Wie man denn etwas gegen das Meer haben könne, da müsse doch irgendwo heimlich verborgen etwas sehr im Argen liegen...
So versuchen wir halt, ein vernünftiges und sinnvolles Verhältnis zu dem aufrechtzuerhalten, in das wir hineingeschmissen worden sind (vielleicht haben es ja auch nur Menschen verunklart). Habe mich sehr gefreut, von Ihnen zu hören, lieber Herr Prof.
Lieber Martin, Sie haben schon recht. Aber es steht ja nicht geschrieben, dass der liebe Gott das Meer zerstoert habe. Es koennten ja auch die Menschen gewesen sein (unmoeglich waere es nicht). Oder es war die Sonne in der Rotenriesenphase.
Der Koerper des Mensch soll aus dem Meer (und dem Mondeszyklus) kommen - also ist die Frage, was ueberbleibt. Die Seele wird befreit in der Zerstoerung des Koerpers (so ungefaehr wie in Arthur C. Clarke's "Childhood's End") und das Meer und die Erde, schoen wie sie auch sein moegen, fallen von ihr ab...
Ach ich weiß nicht. Lieber Herr Prof., der Herr Roloff ist schon immer so platonisch gestimmt, und nun Sie auch noch. Also hier auf Erden ist der ja ganz tröstlich, der Herr Plato, aber ob das dann dort immer noch so sein wird, wo auch immer dieses "Dort" liegen sollte.
Die Sonne wird das ganz gewißlich in ferner Zukunft tun. Irgendwie ist es sonderbar, wir Menschen haben diese falsche Gewißheit, wenn auch wir selbst vergänglich sein mögen, Felsen, der Mond udgl., das ist doch wenigstens für die Ewigkeit, und nichts ist weniger wahr; vor nicht so langer Zeit war das alles ein tödlicher Glutbrei etc.
Es ist schon merkwürdig mit den Gewißheiten..
Es ist wirklich merkwuerdig mit den Gewissheiten. Gewissheiten sind viel staerker als Wissen. Offensichtlich koennen wir leichter ohne Wissen leben als ohne Gewissheiten, daher kommt das. Wissen ist nicht gewiss, kann es nicht sein. Von dem bisschen Wissen(schaft),das wir haben, her geurteilt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass unsere Zivilisation das 21. Jahrhundert nicht ueberlebt.
Unsere Hirnstrukturen (oder die Frucht des Baums der Erkenntnis, anders gesprochen) haben uns das Wissen des bevorstehenden Todes gebracht, so kann man aber nicht leben, also haben wir die Gewissheit, dass es "dort" weitergeht.
Ich mag Plato, ich bewundere seinen Geist, aber ich misstraue sehr seinen Schlussfolgerungen. Zu platonisch halt...
Und wir sind uns zwar gewiss, wissen aber von keinem, der seiner Hoehle jemals entkommen waere, noch ob es ein "ausserhalb" (Ihr "dort") der Hoehle ueberhaupt gibt. Darum brauchen wir die Gewissheit, darum brauchen wir Plato...
Denn das Leben (unsere Gene) will leben, unter allen Umstaenden, ob jetzt unsere Rationalfunktionen mitmachen oder nicht. Und heutzutage wissen wir schon (fast), dass der Mensch "Gewissheiten" zum Leben braucht...
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