Montag, 16. Februar 2015

Über liberale Theologie und das Verstörende von Religion – eine kleine Polemik

  Pantheon, Rom

„Nein, wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die entscheidenden Überlegungen, Optionen mit Blick auf unser Leben vom Einzelnen oder von der Einzelnen selbst zu treffen sind, und dies gilt auch mit Blick auf Religionen...“ Der umtriebige Emeritus Friedrich Wilhelm Graf aus München, der neuerdings auch als Islam-Experte auftritt, hatte also wieder einmal ein Interview gegeben, unter dem leicht irreführenden Titel: "Wir haben Religion notorisch unterschätzt".  (Aha.) Wer immer dieses „Wir“ sein mag.

Den christlichen Kirchen warf er dann erst einmal eine "Autoritätskultur" vor, die den einzelnen zu überwältigen suche: "Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir in vielen Formen Freiheitsansprüche und Freiheitsrechte institutionalisiert haben. Wir erleben aber zugleich sehr viel Autoritätskultur in den religiösen Organisationen und Institutionen. Und das ist ein Widerspruch, den viele Menschen nicht ertragen". (Die ärmsten.) Ferner glaube er nicht, daß mit klaren, autoritär definierten eindeutigen Positionen Beliebigkeit verhindert werden könne.

Und wozu auch, denn so Graf: „Ich weiß nicht, warum Beliebigkeit so etwas Schlimmes oder Schlechtes sein soll. Wir müssen einfach mit der Tatsache klarkommen und dies akzeptieren lernen, dass in den entscheidenden Fragen unseres Lebens jeder für sich selbst oder jede für sich selbst verantwortlich ist.“

Pantheon, Rom, nachts, hier gefunden

Da wird dem einzelnen schon viel abgefordert, ein jeder der Schöpfer seines je eigenen Pantheons. Aber so schlimm ist das alles wiederum gar nicht. Denn Religion scheint sich für ihn eher auf der Ebene der schlichtesten Nahrungszufuhr abzuspielen: „Aber ich schreibe Ihnen doch nicht vor, ob Sie morgens Müsli oder lieber ein Brötchen zum Frühstück essen, da würden Sie auch nicht von Beliebigkeit reden, wenn der eine dies tut und die andere jenes.“

Im Tingel - Tangel der Religion

So sieht also der Endpunkt des theologischen Liberalismus aus. Es ist noch nicht einmal mehr wie eine Art Voodoo-Zauber im Tingel-Tangel. Da nähe ich mir ein Püppchen, steche hinein und mache viel Worte auf der Bühne darum, warum das irgendeine Art von Wirkung haben solle; selbst glauben tue ich sowieso nichts davon. Aber erstens stehe ich gern auf der Bühne und zweitens muß das Geld ja irgendwo herkommen, und da bieten sich die immer noch vielen Leichtgläubigen doch förmlich an. In diesem Fall aber steht jemand klug daneben und weiß, daß das schon immer alles nur Humbug war, außer, man folgt seiner Ehrenrettung, aber die sei wirklich nur von den sehr Gebildeten zu verstehen.

Offensichtlich provoziert der Autor gern (man will schließlich noch gehört werden). Vor einiger Zeit beklagte er eine kirchliche Wohlfühlrhetorik und „Infantilisierung der Kommunikation“,  inzwischen vorwiegend nahegebracht von jungen Frauen, „meistens eher mit einem kleinbürgerlichen Sozialisationshintergrund, eher Muttitypen als wirklich Intellektuelle, und eine Form von Religiosität, in der man einen Kuschelgott mit schlechtem Geschmack verbinden kann“. Man ist versucht anzumerken, daß da aber jemand sehr über die eigene engere Verwandtschaft herfällt.

Das Zweifelhafte des Moralischen

Aber siehe da, selbst auf so unsicherem Grund begegnen einem noch Einsichten: Unter Hinweis auf  Schleiermacher erinnert er etwa daran, daß man Religion von Metaphysik und Moral unterscheiden müsse.

„Was wir in der Geschichte vor allem der Bundesrepublik erlebt haben, ist im Grunde die permanente Moralisierung der religiösen Kommunikation. Wenn einem nichts mehr einfällt, wirklich überhaupt nichts mehr, dann fällt einem noch Moral ein. Moralisieren ist nämlich eine intellektuell relativ anspruchslose Veranstaltung.“ (Hört! Hört!)

In der Tat ist aus nachvollziehbaren Gründen Moral oft die Leidenschaft der schlichter Gestrickten.

Aber dann folgen auch schon wieder Sätze wie: „ Der Papst polemisiert, wenn Sie seine Texte lesen, permanent gegen das Mehrheitsprinzip. Er schaltet dem staatlichen Recht immer ein Naturrecht vor.“

Also erst einmal, falls jemand irritiert sein sollte, ist dieses Interview, aus dem das Zitat stammt, von 2011. Der jetzige Papst ist mit derlei noch nicht so sonderlich aufgefallen. Und dann bemerken wir irritiert einen kleinen Logikbruch, eben noch sollte jeder nach seiner Facon selig werden und jetzt wollen wir in Sachen der Religion doch wieder ein Mehrheitsprinzip?

Und daß es immer noch zwei gleich gewichtige Traditionen in der Rechtsphilosophie gibt – die eine, daß Recht auschließlich aus Entscheidungsvollmacht entstehe und die andere, daß sich das Recht letztlich an gewissen natürlichen Fundamenten des Menschlichen auszurichten habe – ist so absonderlich?

Wozu brauchen wir übrigens nach der Auffassung liberaler Theologen eigentlich überhaupt noch Religion. Na immerhin gibt es da eine kleine Antwort: „Sie werden bestimmte Grundlagen unserer Kultur nur weitergeben können an kommende Generationen, wenn Sie dafür ein institutionelles Gehäuse schaffen. Und wenn diese Gehäuse erodieren, wird es mit der Tradierung schwierig.“

Pantheon, Rom

„In Gesellschaften unseres Typs sind kulturelle Überlieferungen ein sehr, sehr labiles und fragiles Gut. Und da ich glaube, dass es immer auch gut ist, wenn so ein bestimmter Bestand an Konventionen, an Üblichkeiten, an Höflichkeitsregeln eingeübt wird, und wenn wir das weiterhin wollen, dass es zum entscheidenden Stichwort der politischen Ordnung, 'Würde des Menschen', auch eine symbolische Kultur gibt, dann brauchen Sie dafür Institutionen.“

Der Interviewer ironisiert dieses Konzept anschließend nachvollziehbarerweise als „eine Art gehobener Tanzschule“ und „Wertespeicher“. Für mich maßgebender ist allerdings, daß sich im Grunde damit genau die Art von Moralismus äußert, die eben noch verspottet wurde. Religion als Festhalten an den alten guten Sitten, fast schon altrömisch gedacht. Was das alles noch mit Christentum zu tun haben soll, erschließt sich mir weniger.

"Mord als Gottesdienst"

Aber für liberale Theologen ist das offenbar sowieso alles nur eine Frage der Haltung, bzw. Attitüde. In einem anderen Beitrag aus dem letzten Jahr („Mord als Gottesdienst“), in dem er sich mit dem behaupteten Gewaltpotential jeglicher Religion beschäftigt, fällt folgender aufschlußreiche Satz: „Bisweilen wird man als kritischer Theologe gefragt, was man denn eigentlich noch glaube. Die Frage ist falsch gestellt. Nicht was, sondern wie man glaubt, dürfte entscheidend sein.“

Seit vielen Jahrhunderten kennt man in der christlichen Theologie folgende Unterscheidung: „fides qua creditur“ - „der Glaube, mit dem geglaubt wird“ - vom Gegenstand des Glaubens - „fides quae creditur“ -  der Glaube, der geglaubt wird. Dieser namhafte Professor der protestantischen Theologie erklärte uns gerade offenbar die Irrelevanz der 2. Seite.

Aber ehe wir uns daran weiter aufhalten, wollen wir doch auf eine Entdeckung verweisen, die er  immerhin gemacht hat, nämlich die von Religion als Entgrenzungserfahrung. Das muß für einen liberalen Theologen natürlich völlig verstörend sein.

Das Erschrecken vor dem Lehrgegenstand

„Diese Gestalt religiösen Bewusstseins folgt einer Logik der Entgrenzung: Dank der unvorstellbar intimen Nähe zu Gott, die in mystischen Traditionen oft als seelisches Einssein mit dem divinalen Quellgrund alles Seienden gedeutet wird, hat der Fromme alle Grenzen des Endlichen transzendiert. Die hier und jetzt noch geltenden Ordnungen entfalten für ihn keinerlei Bindungskraft mehr, gelten sie doch als 'sub specie Dei' falsche, sündhafte, aufzuhebende Regelwerke, die souverän zu ignorieren nur mutige Glaubenstat ist.“

Das ist natürlich unartig, aber so finden wir eine Erklärung für den modern Unartigen, der nämlich versuche, an Gottes Allmacht teilzuhaben, indem er für sich Unmittelbarkeit zu Gott beanspruche. „Man kann dies als Assoziationslogik des Unbedingten charakterisieren: Der Fromme, der sich unmittelbar zu seinem Gott weiß, meint Gottes Willen ungleich besser zu kennen als die vielen anderen. So kann er sich als Mandatar des himmlischen Herrschers verstehen, der die Durchsetzung der vom Schöpfer gewollten wahren Ordnung des Lebens in Angriff nehmen soll.“

OVIEDO,  San Miguel de Lillo

Er meint das für alle Religionen, denn keine sei per se friedlicher als die andere, auch der Buddhismus nicht. Schließlich kämpften in einigen afrikanischen Ländern christliche Akteure brutal gegen muslimische Bevölkerungsgruppen. (Ach ja?) Und viele orthodoxe Kirchen, allen voran die Russische Orthodoxe Kirche mit ihrem machtbewußten Klerus, seien, soziologisch gesehen, „nur christianisierte Ethno-Religionen, in deren autoritätsfixierter Glaubenskultur immer neu die Einheit von Nation, orthodoxem Ritus und heiligem Territorium zelebriert wird“.

Und auch wenn der Herr Prof. sich immerhin sogar um gendergerechte Sprache bemüht, ist es schon mehr als die Geographie die dabei ein wenig durcheinander gerät: „Es gibt aber durchaus funktionierende Demokratien mit islamischer Prägung - denken Sie an die Philippinen. Insofern haben wir allen Anlass, auch unser Bild des Islam zu differenzierten.“ Er meinte vermutlich Indonesien, da wäre auch noch einiges zu erwidern, aber die Philippinen sind nun wirklich selbst bei zurückhaltender Schätzung zu deutlich mehr als 80% christlich; aber von so weit weg rutscht das alles halt schon schnell zusammen.

Pantheon, Oculus, Rom

Zugegebenermaßen haben wir längst genug, also zwingen wir uns zu einer Art Abschluß:

Was Herr Graf offensichtlich entdeckt hat, ist die Entgrenzungsseite des Religiösen, die er prompt als Problem faßt: „Wie sich die Entgrenzungstendenzen in aller religiösen Bildsprache, etwa das Pathos des Unbedingten, Nicht-Diskutierbaren, überwinden lassen, ist die wohl entscheidende Frage, zu der den Theologen und anderen gelehrten Religionsdeutern bisher aber nur wenig eingefallen ist.“ Selbst ihm nicht?

„Denn die Transzendenzgehalte und Heilshoffnungen religiösen Bewusstseins bilden immer auch ein innerweltliches Jenseits zu fragiler Zivilität, und darin liegt ihre Faszinationskraft ebenso wie ihre aktuelle Bedrohlichkeit.“

Gerade diese Fixierung auf Ordnung und Struktur mache sie gewaltanfällig. „Denn wenn die gegebene, durch diffuse Vieldeutigkeit, Widersprüche und bleibendes Elend geprägte Welt als eine verderbte Gegenwelt zur wahren, gottgewollten Ordnung erlitten wird, entsteht für die Schöpfungsfrommen der Zwang, die Welt, so wie sie leider ist, auf die ideale und ursprüngliche Ordnung Gottes hin zu überwinden. Gewaltbereitschaft für Gott, genauer: für den je eigenen Gott, ist der Versuch, die erlittene kognitive Dissonanz zwischen den bösen, sündhaften Verhältnissen und der geglaubten Gottesordnung durch kämpferisches Glaubenszeugnis zu überwinden.“

Immerhin findet er Halt am einhegenden „streng säkularen und darin die gleiche Freiheit aller Bürger anerkennenden demokratischen Rechtsstaat“. Die anderen aber.  Weder kennten sie Traditionen einer aus eigenen Gründen des Glaubens oder aus theologischer Einsicht legitimen Religionskritik, noch seien sie im Willen zur Unbedingtheit zu Ambiguitätstoleranz und pragmatischer Anerkenntnis der unaufhebbaren Widersprüche endlichen Lebens imstande. In übersteigerter Divinalerotik liebten sie ihren Gott in "Ganzhingabe" so sehr, daß sie zum Tatopfer des eigenen Lebens bereit seien und menschliches Leben überhaupt mörderisch relativierten.  (Vermutlich meint er gerade wieder die vielen christlich-afrikanischen Selbstmordattentäter.) Und erneut die Frage: „Wie sich solche brutalisierte Frömmigkeit zivilisieren lässt, wissen wir nicht.“

Liberale Theologen sehen nach meinem Eindruck den Glauben vor allem von außen, sie stehen daher auch immer einen Schritt davon entfernt zu Religionssoziologen zu werden, oder Schlimmerem.

Nun, was sieht er nicht. Er sieht das Phänomen der Selbstentgrenzung. Menschen entwachsen ihrer Bürgerlichkeit (oder was immer), sie wachsen über sich hinaus. Das führt natürlich zu Mord und Totschlag (sage nicht ich, das war Sarkasmus). Was ein Wunder, daß wir als Menschheit das europäische Mittelalter überstanden haben. Sie glauben aber gar nicht unbedingt, daß sie damit ihr überschaubares Ich aufblasen müßten, denn sie werden Teil von einem sehr Umfassenderen und oft dadurch sogar recht bescheiden, sie wachsen hinein in etwas Größeres und werden dabei nicht selten durchaus friedlicher (also das Gegenteil von dem, was die Psychoanalyse als Inflationserlebnis beschreibt). Die Transzendenzerfahrung des Religiösen vermag dem Menschen eine Ahnung von dem zu geben, wozu er alles noch fähig sein wird. Das kann ihn durchaus in seinen triebhaft-animalischen Impulsen beschränken. Man darf das auch einen Zivilisierungs- und Kulturfortschritt nennen. Und nein, es ist nicht egal, in was man da hineinwächst, die „fides quae creditur“ macht einen erheblichen Unterschied.

Und auch das noch, kürzlich hat ein Bremer „evangelikaler“ Pastor für erhebliche Empörung gesorgt, als er in sprachlich mitunter mühsam ertragbarer Form (gelegentlich auch fragwürdig in Details) darauf bestand, es gäbe nur einen Gott, nämlich den, der uns in unserem Herrn Jesus Christus offenbart ist. Eine der bestellten theologischen Vernichtungs-Stellungnahmen der BEK lautet im Fall des Herrn Friedrich-Wilhelm Graf, Professor (i.R ) für Systematische Theologie , Universität München:

„Hier helfen weder Staatsanwalt noch kirchliche Autoritäten - Wer die Bibel liest, findet im Alten wie Neuen Testament viele Geschichten von religiös motivierter Gewalt und Aggressionsbereitschaft. Oft wird ein extrem autoritäres Bild Gottes als eines eifernden, auch eifersüchtigen und zornigen Machtsubjekts gezeichnet.

Uralte 'Heilige Schriften' spiegeln in ihren Mythen und Legenden eben archaische Zeiten. So sind sie hochgradig ambivalente Texte, deren Deutung schwierig und voraussetzungsreich ist.

Seit der Frühzeit der reformatorischen Bewegung Martin Luthers gehörte es deshalb zu den entscheidenden Zielen des Protestantismus, dass die Prediger, also die Pastoren und Pfarrer, ein anspruchsvolles akademisches Studium an den 'Hohen Schulen', den Universitäten, durchlaufen haben müssen, bevor sie auf die Kanzel steigen dürfen. Denn die Auslegung alter, gefährlicher Texte bedarf hoher Deutungskompetenz.

Diese professionelle Fähigkeit, alte Texte mit Blick auf die Gegenwart verständlich auszulegen, geht dem Pastor Olaf Latzel sichtlich ab. Wo mag dieser Gottesgelehrte bloß studiert haben, und wie kann ein solch ungebildeter, gedankenloser Redner nur ein wissenschaftliches Examen bestanden haben? Seine Predigt ist bloß gedankenloses Gerede ohne jeden theologischen Gehalt. Erschreckend primitiv wird in grausam schlechtem Deutsch fort und fort immer nur die Trivialität verkündet, dass man Gottes Gottsein ernst nehmen und Jesus nachfolgen soll.

Wer nur so wenig zu sagen hat, überdeckt seinen Mangel an Bildung und Reflexionskraft dann eben durch die taktlose Beleidigung anderer.

Von Bürgertugend und Höflichkeit keinerlei Spur. Aber hier helfen weder der Staatsanwalt noch irgendwelche kirchlichen Autoritäten. Zu Leuten mit schlechtem Benehmen soll man einfach nicht mehr hingehen."

Das ist das Problem bei allem Reden - man zeigt sich nicht zuletzt und vor allem auch selbst.

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