Mittwoch, 20. Juli 2016

„Halleluja! Danke Neustrelitz!“ - ein Abend mit der Tanzkompanie


In einer deutschen Übersetzung eines britischen Romans voller Hingabe an aristokratische Untergänge gibt es das hübsche Wort - „Kkkitsch!“. Nur, bevor sich jemand die Mühe machen sollte weiterzulesen. Aber der Reihe nach, allein, es wird ein wenig mäandern.

Wir beginnen mit dem Anfang, besser noch vor dem Anfang. In einem verflossenen Staat wurde einmal ein „Staatliches Folklore Ensemble“ begründet. Nach der Wende knüpfte daran die „Deutsche Tanzkompanie“ im hiesigen Neustrelitz an.

Als ich meine Jugendzeit dort in einem Lokalarchiv für etwas mehr als ein Jahr verplemperte (im anderen Jahrtausend) schwärmte mir die Leiterin, die man von dorther dorthin abgeschoben hatte, etwas von einem 'sündigen Dorf' vor, war wohl ein Stück, gab's aber auch als Film anno 1940. Ein Spruch von ihr bleibt mir in dankbarer Erinnerung: “Worauf Sie keine Lust haben, das tun Sie dann auch gar nicht.“ In resigniert fröhlichem Einverständnis. Sie endete leider im Suff.


Das sündige Dorf (1940)

Wir springen in die Gegenwart. Leider ist für den überwiegenden Teil der demokratischen Partei (ich bin nun mal ein Mensch des 19. Jhts.) Kultur ein modisches Accessoire, man schmückt sich damit, will auch als geschmückt gesehen werden, aber dem Grunde nach ist es einem wurscht. Übertreibung?

Mir ist gerade entfallen, welche dieser Truppen 1996 ganz wichtig war, da betrug die Landesförderung für Theater etc. in diesem Ländle etwa 25 Mio. €. Seither war der Betrag auf nominal 35,8 Mio. gedeckelt. Gesunder Menschenverstand genügt, um auszurechnen, was dann über die Jahre hinweg passiert. Das soll übrigens bis 2020 so weitergehen. Es erinnert ein wenig an einen kleinen Horrorfilm, wo jemand eine Tür aufmacht, und die Dinge beginnen, rasant zu verschwinden.

Das war langweilig, aber notwendig, um zu zeigen, wie diese Typen hier gestrickt sind. Nicht alle, denn besagte Tanzkompanie sollte längst abgewickelt  sein, wurde aber von den lokalen Politikern noch einmal gerettet, für etwas mehr als ein Jahr, voraussichtlich. Wir schätzen das wahrlich nicht gering, denken uns aber unseren Teil.

Das war bisher nur wohlwollend, obwohl der Krach gestern einen rechtschaffen fast in den Wahnsinn trieb. Eine Dankesvorstellung war angesagt, in den Kulissen des 'weißen Rößl's', und bei der Generalprobe abends meinte ich bald, 'bevor du verrückt wirst, kannst Du da auch hingehen, vielleicht ist es von nahem weniger schlimm'. Nun ja. Vielleicht.

Heute tat ich mir die Vorstellung an. Das Publikum in der ausverkauften Arena war enthusiasmiert. Und ab jetzt bringe ich Bruchstücke vom Geschehen.

Nettes Harfengeklimper am Anfang. Feuer werden entzündet, musikalisch leicht folkloristisch begleitet. Die Eingangsbegrüßung spielt mit 'Residenz - Resistenz - Stadt' (neulich waren doch diese vielen gruseligen Fanfaren hier, der Moderator hatte die Worte verwechselt, also ein sog. Insider-Joke, es war aber auch sehr warm an jenem Tag).

Sinngemäß dann – wo einst die Herzöge residierten und jetzt Kunst und Kultur herrschen... – begrüßt werden die, die über eine kurzzeitig reaktivierte „Ferkelbahn“, eine stillgelegte Regionalstrecke, angerückt sind (das Lokalkolorit schimmert zum allgemeinen Vergnügen) – im kulturellen Heerlager des größten Landkreises der BR (Mein Jott).

„Wer Augen hat zu schauen...“, das Stichwort war also nicht fahrlässig gewählt. Gesungen wird – „Kein schöner Land...“, dann Trommelwirbel & leicht zigeunerische Folklore (?), gefolgt von eher tibetanischem (?) Höhlengesang, mit Begattungsandeutungen auf der Bühne. Wieder Folklore (mhd.? 'Rosen sollen gesund machen', ich saß in der letzten Reihe). Gefolgt von Byzantinischem (?). 2 Männer umtanzen sich jedenfalls, Kain & Abel (?), aber nein, es folgen wie gesagt Balzzeremonien o.ä.

Weiß gewandete Frauen unterbrechen das auf Russisch (das Publikum scheint es zu verstehen, Heiterkeit), andere Folklore, gefolgt von Rammstein und halbnackten Männern, die mit langen Wasserrohren spielen; sollte wohl an Speere erinnern.

2 Damen werden darauf barock untermalt. Man denkt zuerst: „Ah, das Pendant', aber die Musik reißt es heraus, eine Mezzosopranistin singt ein barockes Ave Maria auf Latein (sehr berührend übrigens, musikalisch etc., ein Lichtblick, obwohl es schon zunehmend dunkler wurde). Die Damen werden von dem Rest der Truppe umringt. Doch dieser zumindest musikalische Höhepunkt wird abrupt abgebrochen von den Cranberries und „Salvation“ (war mal sehr populär und klingt inzwischen entsprechend hohl).

Darauf ging der Mond unter, gesungen, die Tänzer auf dem Boden oder an einer Kletterwand, jedenfalls immer weiße Schuhe vor sich her tragend oder in der Nähe. Die Tänzerinnen spielen zu Nordeuropäischem (?) mit Vorhängen, unterbrochen von einem elektronischen Schneesturm; man birgt sich in einem Zelt, kriecht wieder heraus, macht einen Kreis zu folkloristischem Klimper-Geräuschen und indianisch Hallendem und mongolisch Tiefdröhn - Kehlendem, ein nettes Gewusel mit dramatischen Einlagen + Tonnen - Getrommel.

Die Nibelungen hier im Landestheater vor einiger Zeit waren großartig. Wir nähern uns aber jetzt dem Eingangswort mit K... (wofür die Tänzer nichts können, sie sind auch deutlich weniger ausgerutscht als bei der Generalprobe).

Schlußmonologe: „Wenn ich von hier weggehe... nach Neustrelitz, weil dort noch die Kultur lebendig ist“ - Großer Jubel (ein voriger „Joke“, nach China, weil er dort den größten hätte, bekam eher höfliche Heiterkeit). Man singt „Lieb Heimatland ade“ zu wuselnder südeuropäischer Folklore.

Und jetzt endlich wirklich der Schlußmonolog, sozusagen etwas verklemmt heraklitisch: „Ich mag Schwarzwälder Kirschtorte..., meine Zunge durchtanzt Schicht für Schicht..., Bäume haben auch Schichten, stützende Schichten, schützende...,  wie der Mensch von innen nach außen“.

Wir haben es fast überstanden. Meditationen über aufgefaltete und erodierende Gebirge folgen. Alte Kirchenfenster sind unten dicker als oben, denn auch Glas fließt. Alles fließt. Zellen erneuern sich, nach 7 Jahren - ein neuer Mensch. Alles fließt. Bewegung, Musik und Tanz. Alles tanzt – Planeten, Galaxien etc. pp. „Ich bewege mich, also bin ich, ich tanze, also bin ich. Wir sind Phönix. Wir kämpfen, leben, lieben, tanzen (Worte wiederholt mit unterschiedlicher Stellung). Halleluja! Danke Neustrelitz!“.

Wir sind durch und es folgte - Große Begeisterung. Kurz gesagt - Das sündige Dorf + Rammstein und eine gewisse Art von folkloristisch lärmender Langeweile (tut mir leid). Eine betagte Nachbarin erzählte mir danach im Verteidigungsmodus - „Aber die Jugend will das doch, was sollen sie denn sonst noch machen.“

Ich habe keine Ahnung. Jedenfalls haben sie zu ihren Wurzeln zurückgefunden und zum K., aber das erwähnten wir ja bereits.









Nachträge:

Die Bilder sind ganz gruselig, geben aber eine Idee (wie gesagt, letzte Reihe...). Mehr sollte es auch gar nicht sein. Als ich bei der Generalprobe einen ersten Versuch machte, grinste mich einer der Akteure herablassend an, und im aufleuchtenden Moment hinreichend verärgerter Erkenntnis hätte ich ihm am liebsten zugerufen - „Für solcherlei Bedürfnisse gibt es inzwischen ein Ding namens Internet.“ Aber dann hätte man sich auch schon gemein gemacht, und das wollen wir denn doch nicht.

Ich wünsche der Tanzkompanie von Herzen alles Gute. Wäre aber sehr dankbar für bessere Vorwände zu einer lang andauernden Zukunft.

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