Mitunter ist es seltsam, auf welchen Wegen man auf Bilder stößt. Es begann mit einer Fehlzuschreibung und zwar: „'Blue Grotto' - Jakob Alt, 1835“, ich denke, es war die obige Abbildung. Das klingt als Einstieg zwar etwas uncharmant, denn tatsächlich wurde es, so auf die Spur gebracht, eher interessanter. Es gibt es ein Gemälde von Jakob Alt - „Die Blaue Grotte auf der Insel Capri“, wohl von 1835, nur sieht dies so aus:
Die Herrschaften, die hier, mit Zylinder und Biedermeierhaube versehen, den gerade erst wieder ins Bewußtsein gerückten verrufenen Ort genießen, sind nicht recht im obigen Gemälde vorstellbar, selbst, wenn es eine andere Fassung geben sollte. Jakob Alt (geb. 1789 in Frankfurt am Main, gest. 1872 in Wien) war ein Verfertiger stimmungsvoller Landschaftsbilder und Stadtansichten, dem es offenbar gelang, selbst die Ruinen des Forum Romanum idyllisch geschrumpft aussehen zu lassen. Mitunter übersteigt er seine Betulichkeit, etwa in einem wundervoll-charmanten Luftbild Wiens, aber, soweit ich etwas über ihn herausfinden konnte, war das nicht unbedingt die Regel.
Jakob Alt, Wien aus dem Luftballon gesehen von Südwesten, 1847
Carl Friedrich Seiffert (geb. 1809, gestorben 1891 in Berlin) hat das Bild ganz oben 1860 unter dem Titel „Die Blaue Grotte auf Capri“ in Wirklichkeit geschaffen. Er firmiert als Spätromantiker, manches kam mir fast etwas „böcklin-haft“ vor, nicht unsympathisch, aber ich vermag nur eine solche gefühlsmäßige Wertung anzubringen, denn zum Glück versteh ich von all diesen Dingen ja nichts.
Es gibt überhaupt eine Reihe von Darstellungen dieser blauen Grotte aus dem vorvorigen Jahrhundert, brechen wir aber ab mit Heinrich Jakob Fried „Die blaue Grotte von Capri“ von 1835.
Woher diese Faszination und warum erst jetzt? Es war ein deutscher Romantiker, der sie wiederfand, natürlich. Wenn es auch ungewiß ist, ob die blaue Blume in Wirklichkeit je gefunden wurde (was immer Wirklichkeit bedeuten mag), die blaue Grotte wurde es.
Und wo wir gerade auf Novalis anspielen, auch seine Epiphanie fand ja gewissermaßen in einer Grotte statt. Und weil es so schön ist, zitieren wir einfach ein wenig aus seinem Heinrich von Ofterdingen:
„'Die blaue Blume sehn' ich mich zu erblicken. Sie liegt mir unaufhörlich im Sinn, und ich kann nichts anderes dichten und denken... Ich hörte einst von alten Zeiten reden; wie da die Tiere und Bäume und Felsen mit den Menschen gesprochen hätten. Mir ist gerade so, als wollten sie allaugenblicklich anfangen, und als könnte ich es ihnen ansehen, was sie mir sagen wollten.' ...Der Jüngling verlor sich allmählich in süßen Phantasien und entschlummerte. Da träumte ihm erst von unabsehlichen Fernen, und wilden, unbekannten Gegenden. Er wanderte über Meere mit unbegreiflicher Leichtigkeit; wunderliche Tiere sah er; er lebte mit mannigfaltigen Menschen, bald im Kriege, in wildem Getümmel, in stillen Hütten... Alle Empfindungen stiegen bis zu einer niegekannten Höhe in ihm...
Es kam ihm vor, als ginge er in einem dunkeln Walde allein. Nur selten schimmerte der Tag durch das grüne Netz. Bald kam er vor eine Felsenschlucht, die bergan stieg... Endlich gelangte er zu einer kleinen Wiese, die am Hange des Berges lag. Hinter der Wiese erhob sich eine hohe Klippe, an deren Fuß er eine Öffnung erblickte, die der Anfang eines in den Felsen gehauenen Ganges zu sein schien. Der Gang führte ihn gemächlich eine Zeitlang eben fort, bis zu einer großen Weitung, aus der ihm schon von fern ein helles Licht entgegen glänzte.
Wie er hineintrat, ward er einen mächtigen Strahl gewahr, der wie aus einem Springquell bis an die Decke des Gewölbes stieg, und oben in unzählige Funken zerstäubte, die sich unten in einem großen Becken sammelten; der Strahl glänzte wie entzündetes Gold; nicht das mindeste Geräusch war zu hören, eine heilige Stille umgab das herrliche Schauspiel. Er näherte sich dem Becken, das mit unendlichen Farben wogte und zitterte. Die Wände der Höhle waren mit dieser Flüssigkeit überzogen, die nicht heiß, sondern kühl war, und an den Wänden nur ein mattes, bläuliches Licht von sich warf.
Er tauchte seine Hand in das Becken und benetzte seine Lippen. Es war, als durchdränge ihn ein geistiger Hauch, und er fühlte sich innigst gestärkt und erfrischt. Ein unwiderstehliches Verlangen ergriff ihn sich zu baden, er entkleidete sich und stieg in das Becken. Es dünkte ihn, als umflösse ihn eine Wolke des Abendrots; eine himmlische Empfindung überströmte sein Inneres; mit inniger Wollust strebten unzählbare Gedanken in ihm sich zu vermischen; neue, niegesehene Bilder entstanden, die auch ineinanderflossen und zu sichtbaren Wesen um ihn wurden, und jede Welle des lieblichen Elements schmiegte sich wie ein zarter Busen an ihn…
Berauscht von Entzücken und doch jedes Eindrucks bewußt, schwamm er gemach dem leuchtenden Strome nach, der aus dem Becken in den Felsen hineinfloß... Er fand sich auf einem weichen Rasen am Rande einer Quelle, die in die Luft hinausquoll und sich darin zu verzehren schien. Dunkelblaue Felsen mit bunten Adern erhoben sich in einiger Entfernung; das Tageslicht, das ihn umgab, war heller und milder als das gewöhnliche, der Himmel war schwarzblau und völlig rein. Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die zunächst an der Quelle stand, und ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte...
Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stengel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blütenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte. Sein süßes Staunen wuchs mit der sonderbaren Verwandlung, als ihn plötzlich die Stimme seiner Mutter weckte.."
Später dann eine Unterhaltung mit dem Vater, der von der Träumerei nichts hält: 'Damals muß es eine andere Beschaffenheit mit den Träumen gehabt haben, so wie mit den menschlichen Dingen. In dem Alter der Welt, wo wir leben, findet der unmittelbare Verkehr mit dem Himmel nicht mehr statt. Die alten Geschichten und Schriften sind jetzt die einzigen Quellen, durch die uns eine Kenntnis von der überirdischen Welt, soweit wir sie nötig haben, zuteil wird'.
Doch der Sohn wendet ein: 'Aber, lieber Vater, aus welchem Grunde seid Ihr so den Träumen entgegen, deren seltsame Verwandlungen und leichte zarte Natur doch unser Nachdenken gewißlich rege machen müssen? Ist nicht jeder, auch der verworrenste Traum, eine sonderliche Erscheinung, die auch ohne noch an göttliche Schickung dabei zu denken, ein bedeutsamer Riß in den geheimnisvollen Vorhang ist, der mit tausend Falten in unser Inneres hereinfällt?'"
Nein, nicht Novalis, sondern der Maler und Dichter
August Kopisch ließ sich 1826 voll jugendlichen Übermuts vom Aberglauben der Einheimischen nicht davon abhalten, die bekannte, aber gemiedene Grotte mit einem Freund aufzusuchen. Er hat, wohl als Folge eines gewisses Handikaps, nicht viel gemalt, und von dem wenigen ist auch nicht alles erhalten geblieben, was ein Jammer ist, wenn man etwa sein Gemälde„Die Pontinischen Sümpfe bei Sonnenuntergang“ betrachtet.
Im Gästebuch seines beherbergenden Notars und Helfers Giuseppe Pagano schrieb er unter dem 17. August 1826 als August Kopisch aus Breslau:
„Freunde wunderbarer Naturschönheiten mache ich auf eine von mir nach den Angaben unsers Wirtes Giuseppe Pagano mit ihm und Herrn Fries entdeckte Grotte aufmerksam welche furchtsamer Aberglaube Jahrhunderte lang nicht zu besuchen wagte. Bis jezt ist sie nur für gute Schwimmer zugänglich; wenn das Meer ganz ruhig ist gelingt es auch wohl mit einem kleinen Nachen einzudringen doch ist dies gefährlich weil die geringste sich erhebende Luft das wiederherauskommen unmöglich machen würde. Wir benannten diese Grotte die blaue (la grotta azzurra) weil das Licht aus der Tiefe des Meeres ihren weiten Raum blau erleuchtet. Man wird sich sonderbar überrascht finden, das Wasser blauem Feuer ähnlich die Grotte erfüllen zu sehen, jede Welle scheint eine Flamme...“ Anschließend wurde der Ort berühmt und gewissermaßen zur romantischen Kultstätte.
Es existiert von ihm ein ganz wunderbarer Bericht über die Entdeckung, der
hier zugänglich ist. Er beginnt wie folgt:
„Es war im Sommer des Jahres 1826, als ich mit meinem Freunde Ernst Fries in der schönen Bucht, an der nördlichen Marine von Capri landete. Die Sonne neigte sich dem fernen Ischia zu, als wir in den rasselnden Uferkies hinabsprangen. Capri war die erste Insel, die ich betrat, und nie werde ich den Eindruck vergessen. Einer meiner liebsten Wünsche erfüllte sich. Ich hörte nun das Meer um alle jene wunderbar gestalteten Felsen rauschen, die schon von Neapel aus meinen Sinn zauberisch gefangen genommen. Jede brandende Wellenreihe sang mir zu: ich sei vom Festlande geschieden, auf einer Klippe, wo ein einfaches Volk von Fischern und Gärtnern wohnt, und der Hufschlag der Rosse und das Geroll der Wagen unbekannt ist. Mit ihren Felsen und Höhlen, und hängenden Gärten und alten Trümmern, und neuen Städten und Felsentreppen war mir die Insel schon von fern als eine besondere Welt erschienen, erfüllt von Wundern und umschwebt von grauenvollen und lieblichen Sagen, und nun, da meine Zeit nicht eng beschränkt war, durfte ich hoffen diese Welt in allen ihren Grenzen genau durchforschen zu können. Dieser Gedanke machte mich unbeschreiblich glücklich. – Der Strand erfüllte sich bei unsrer Ankunft mit Leuten aus beiden Städten der Insel, Männern und Jünglingen, Weibern und Mädchen, die wohl im Stande waren an die alte, schöne, griechische Bevölkerung des Eilandes zu erinnern.“
Da hat man den Tonfall, es ist wirklich ganz wunderbar zu lesen. Aber die vermutliche Ursache, warum die Grotte so verrufen war, wollen wir noch anbringen. Möglicherweise hängt sie über die vielen Jahrhunderte hinweg mit den Schauergeschichten zusammen, die von Kaiser Tiberius berichtet wurden und die Herr Kopisch getreulich nacherzählt.
„Als Tiberius zur Regierung kam, erinnerte er sich der frohen Tage, die er mit August auf Capri verlebt, warf die Plagen und Gefahren der Regierung auf Sejanus Schultern und zog sich auf diesen sichern Felsen zurück, wo er sich den abscheuwürdigsten Freuden ergab, während seine schrecklichen Machtsprüche die Welt quälten. Viele Jahre lebte er hier, beständig mißtrauisch um sich spähend von der hohen Klippe, die er, sein Gewissen zu übertäuben, in einen sinnlichen Himmel verwandelte, worin zu schwelgen – er schon zu abgelebt war.
Fahrwege wand der greise Tyrann um steile Zacken, auf alle Gipfel fuhr er mit Rossen. Er veränderte die Gestalt der Insel, schwang ungeheure Bogenreihen über tiefe Täler, und schuf sich künstliche Ebnen, worauf er üppige Gärten erblühen ließ, in deren Grotten, Tempeln und Gebüschen die schändlichen Sklaven seiner Laster als Faunen und Nymphen umherschwärmten. Zwölf Paläste ließ er an verschiednen Stellen der Insel entstehen und weihte sie den zwölf großen Göttern…
Aus seinen Palästen führten überall heimliche Gänge durch die Felsen bis in die See hinab, wobei er die vorgefundnen Höhlen vielfach benutzte. Zu jener Zeit muß die Insel einen wahrhaft einzigen Anblick gewährt haben, da die wildeste, zerrissenste Natur der Baukunst die mannigfaltigsten Motive bot, und die Schätze der Welt verschwenderisch angewendet wurden, jeden phantastischen Einfall schnell zur Wirklichkeit zu gestalten. Aber alle diese Pracht verschwand, einer Sage nach, bald nach Tibers Tode, zerstört vom Haß und Abscheu des römischen Volkes, und überall, auf Höhen, in Klüften und bis ins Meer hinab, liegen die flüchebelasteten Trümmer.“
Rekonstruktion der Villa Jovis, 1900
aus "Das Schloß des Tiberius und andere Römerbauten auf Capri." von C. Weichardt
Wer unbedingt genauer wissen will, worin diese Laster bestanden haben sollen, mag das bei Sueton nachlesen, es entgeht einem aber auch nichts, wenn man es läßt. Kopisch versucht dann noch, der Ursache der Lichterscheinung auf den Grund zu gehen, deren Wirkung er zuvor so beschreibt:
„Das angenehme Gefühl von einem Phänomen so außerordentlicher Schönheit überrascht worden zu sein, wo ich nur alte Trümmer vermutet, ward dadurch bis zum Überreiz erhöht, daß das zauberisch flammende Blau des Wassers in der Grotte für mich damals ein unerklärbares Rätsel geblieben war. In Gedanken schwankte ich noch beständig auf dem unterirdischen Himmel umher, mit der schwindelnden Empfindung, als müsse ich in die unabsehbare Unendlichkeit fallen, und fortfallen, wie man es wohl im Traum zu tun pflegt, und ich gab mir alle ersinnliche Mühe, irgend einen Grund der wunderbaren Licht-Erscheinung aufzufinden; aber vergeblich.“
Nun, er findet die Ursache. Aber diese hebt nicht die Unendlichkeitserfahrung auf, die ihm in dieser Grotte widerfahren war. Eine Erfahrung von Zeitlosigkeit aufsteigend aus einem Strudel gewußter Geschichten. Man darf nicht vergessen, daß all diese merkwürdigen und auch verstörenden Geschichten und Bilder des Altertums in den Seelen dieser wieder empfindsam gewordenen jungen Menschen ja präsent waren, was immer ihnen davon bewußt war. Faszinierend ist es, wie an einem solchen Ort, der mit verruchter heidnischer Vergangenheit verbunden wurde, sich so neue Regionen der menschlichen Seele offenbarten.
Auch wenn der Ort heute längst grausig profanisiert ist, so hat dort doch vor 192 Jahren eine der abendländischen Epiphanien stattgefunden.
Büste des Tiberius
nachgetragen am 30. Mai