Wir wollen mit etwas Banalem beginnen. Ich bin wirklich nicht voyeuristisch veranlagt, gut, um mich ehrlich zu machen, jedenfalls nicht so, nicht in dieser Art und Weise. Aber es ist doch kurios, wie so ein fehlender Computer den Tagesablauf verändert, die Berge mit Bügelwäsche sind kleiner geworden z.B. (übrigens da ich üblicherweise Musik dabei höre, etwa präsentiert von einem Jugend-Sender namens „Fritz“, manchmal möchte man einem aufgeregt lustigen Moderator dann schon zurufen: „Rauch doch endlich mal was anderes!“), und da legt man dann also mehr mechanisch auf dem Boden Wäsche zusammen und verfolgt irgendwann zufällig das Bild im Augenwinkel, um sich sofort zu fragen: Was treibt der da gerade für voll beleuchtete Dinge? Ausgefallene Yoga-Übungen? Herzt er seine Kinder irgendwie? Oder bügelt er ebenfalls bloß ein Hemd, nur eben mit linkisch dramatischer Geste. Nachbarn sind schon seltsam manchmal. Aber offen gesagt, will ich das eigentlich gar nicht so genau wissen.
Ich dachte, ich sollte mit etwas Leichtem beginnen, denn es wird gleich gewichtig. Beginnen wir mit dem Unerfreulichen. Wie bereits erwähnt, da ich mich im Moment im Schreiben etwas behindert fühle, lese ich also mehr.
Eine Lektüre, die ich gern rückgängig machen würde (selbst, wenn sie nur partiell war) – Erwin Seitz, „Die Verfeinerung der Deutschen“. Bei dieser voluminös daherkommenden Kulturgeschichte der Deutschen stellt sich mir das Bild eines gleichförmig flach dahinfließenden Baches dar, der das eine oder andere mit sich führt, etwa typisch zeitgeistiges Ideologiegerümpel und auch sonst plätschert manches Ressentiment verloren vor sich hin, mitunter kräuselt sich auch ein halber Gedanke auf der Oberfläche.
Ein Beispiel: Jemand könnte mannhaft aussprechen, er könne dieses Preußen einfach nicht ausstehen. Man kann sein Ressentiment aber auch in verquast rhetorische Fragen packen und ein wenig mit dem Gummi-Degen herumwedeln, indem man etwa fragt, ob dieser Staat Friedrich II. nicht „unnötigerweise unmenschlich“ gewesen sei usw. usw. Das gipfelt dann in Sätzen wie: „Die Verfeinerung der Deutschen heißt heute auch Abbau preußischer Ideologie, und zwar der strengen spartanischen Observanz. Der athenische Teil Preußens kann bleiben.“ (S. 586)
Das ist gegen Leute wie Christopher Clark gesagt, dessen
Preußen-Buch ich nur wärmestens empfehlen kann. Doch zurück zu diesem Herrn: Abgesehen davon, dass ich bspw. Sparta wirklich nicht ausstehen, kann, packt er in diese Schublade eben auch Dinge, die andere als Ethos, Gewissenhaftigkeit, Selbstdisziplin, Tapferkeit, Selbstprüfung, Treue zu sich selbst, Ernsthaftigkeit beschreiben würden, um nur einige zu nennen. Man mache sich einen Popanz und erledige ihn dann.
Preußen derart in Sparta und Athen auseinanderreißen zu wollen, nun ja. Aber genug davon. Ach so, abgesehen davon, daß sonst das Buch zumeist den Charme eines Lexikons ausstrahlt, gibt es auch noch ausführliche kulinarische Passagen (der Mann war neben vielem anderem wohl auch mal Koch), gut, das wird üblicherweise tatsächlich nicht hinreichend belichtet.
Zu etwas Erfreulichem: Thea Dorn & Richard Wagner, „Die deutsche Seele“. Ich gebe zu, ich hatte das Buch schon einmal in der Hand gehabt und fürchtete dann, hier komme die nächste schwadronierende Hochstapelei. Aber dann sah ich ein Gespräch mit der Autorin im – horribile dictu – Fernsehen! Wir Deutsche litten an „metaphysischer Unterernährung“!! Die Bundesrepublik habe nur einen negativen Gründungsmythos und davor sei alles ziemlich dunkel. Der Deutsche sei von Natur aus zerrissen etc. – großartig!
Unter Stichworten wie Abendstille, Abgrund, Arbeitswut oder Grenzen und Gründerzeit oder Waldeinsamkeit, Wanderlust und Zerrissenheit wird eine Topographie deutscher Mentalität und Geistigkeit entwickelt, die durch ihre Gedankenschärfe, Klugheit, Urteilssicherheit, Warmherzigkeit und nicht zu vergessen, früher hätte man gesagt „Gelehrtheit“ besticht.
Wie beiläufig wird da z.B. das Vaterunser in gerechter Sprache erledigt, weil dahinter eine Haltung stehe die Sprache und Religion zum Surrogat verkleinere. Oder der westdeutschen Linken wird hinterher gerufen, sie hätten mal eben „Himmelspforte und Zellentür“ verwechselt. Wunderbar auch die Anekdote, wo nach Kriegsende ein britischer Verbindungsoffizier Grimms Märchen nicht auf der Liste demokratisch unverdächtiger Bücher sehen wollte: „Oh no, that’s too much wood!“
Man ahnt es, es ist der Artikel „Waldeinsamkeit“, in dem sehr profund der Frage nachgegangen wird, warum der Deutsche den Wald liebt, etwa Jünger zitierend: „Der Wald ist heimlich… Das Heimliche ist das Trauliche, das wohl geborgene Zuhause, der Hort der Sicherheit.“ Es sei nicht minder das Verborgen-Heimliche und rücke in diesem Sinne an das Unheimliche heran.
Bekanntlich hat die Neigung der Deutschen zum Wald schon so manchen ins Grübeln gebracht. Wir müssen hier abbrechen. Aber vielleicht greife ich mir noch einmal den einen oder anderen Artikel heraus.