Freitag, 29. November 2013

Hauff &

Hauff - Denkmal bei Schloss Lichtenstein

„Mit guten Menschen ist nicht auszukommen“, verlese ich den Beginn von Hauffs „Phantasien im Bremer Ratskeller“. Mitunter habe ich sogar ein wenig über Wilhelm Hauff geschrieben (am 29. November 1802 wurde er geboren), und es ist immer noch lesbar (nun, der Herr selbst sowieso). Einmal ging es um das Unverwüstliche des Kitsches, und die zitierte Passage, wenn auch amüsant, endet mit dem etwas barschen (vermutlich, offen gestanden, weiß ich nicht genau, wie weit die Bedeutungsverschiebung von „gemein“ zu Hauffs Zeiten schon gediehen war):

„Kann nicht auch bei uns ein großer Geist durchdringen und ein Mann des Volkes und allgemein werden? 'Ja,' erwiderte ich und drückte ihm die Hand, 'er kann es, wenn er es versteht, gemein zu sein.'“

Der andere Text ist freundlicher (auf den ersten Blick), denn er spricht davon, wie uns die Literatur über das Leben hinweghilft (oder so ähnlich): „Daher ist ein Drang in jedem Menschen, sich hinauf über das Gewöhnliche zu erheben und sich in höheren Räumen leichter und freier zu bewegen, sei es auch nur in Träumen.“

Doch, wenn uns auch weniges zu Hauff einfallen will, an Widerworten etwa wie zu diesem: „So einer Allah liebt und ein gut Gewissen hat, ist er auch in der Wüste des Elends nicht allein.“ (Die „Geschichte Almansors“ etc). Nun ja.

Doch zurück zu den Bremer Ratskellerphantasien:

„Meines Erachtens ist es keine üble Gewohnheit, die ich von meinem Großvater angenommen, nämlich hie und da Einschnitte zu machen in den Baum des Jahres und sinnend dabei zu verweilen. Wenn der Mensch nur Neujahr und Ostern, nur Christfest oder Pfingsten feiert, so kommen ihm endlich diese Ruhepunkte in der Geschichte seines Lebens so alltäglich vor, daß er darüber hinweggleitet ohne Erinnerung. Und doch ist es gut, wenn die Seele, sonst immer nach außen gerichtet, auch einmal auf ein paar Stunden einkehrt im eigenen Gasthof ihrer Brust, sich bewirtet an der langen Table d'hôte der Erinnerung und nachher gewissenhaft die Rechnung ad notam schreibt, wie Frau Hurtig dem Ritter. Der Großvater nannte solche Tage seine Schalttage; nicht daß er etwa ein Bankett veranstaltete mit seinen Freunden oder den Tag lustig und in Freuden lebte, in Saus und Braus; nein, er kehrte ein bei sich, und seine Seele schmauste in der Kammer, die sie seit fünfundsiebzig Jahren kannte. Noch jetzt, da er längst im kühlen Friedhof ruht, noch jetzt kann ich es seinem holländischen Horaz ansehen, welche Stellen er an solchen Tagen gelesen; noch jetzt, als wäre es gestern geschehen, sehe ich sein großes blaues Auge sinnend auf den vergilbten Blättern seines Stammbuches weilen; und wie deutlich sehe ich, wie dieses Auge nach und nach sich füllt, wie eine Träne in den grauen Wimpern zittert, wie der gebietende Mund sich zusammenpreßt, wie der alte Herr langsam und zögernd die Feder ergreift und »einem seiner Brüder, der geschieden,« das schwarze Kreuz unter den Namen malt.“

Wie er von dieser herabziehenden Erinnerung in den Bremer Ratskeller gelangte, zu nächtlicher Stunde, umringt, natürlicherweise, von leibhaften Gespenstern und Geistern, das mag der Herr hier selbst erklären (falls es irgendeinen Sinn macht).  Mir soll es genügen, einige sparsam kommentierte Zitate daraus anzubringen (im nächsten hat ein voluminöses Faß seinen großen Auftritt, nebst Begleitung:

„Aber kaum hatte Herr Judas also gesprochen, als ein großes Geräusch und Gelächter vor der Tür entstand. »Jungfer Rose hoch, hussa, hoch! und ihr Schatz, der Bacchus, hoch!« hörte man von mehreren Stimmen rufen. Die Türe flog auf, die gespenstigen Gesellen am Tische sprangen in die Höhe und schrien: »Sie ist's, sie ist's, Jungfer Rose und Bacchus und die andern! Holla! Jetzt geht das Freudenleben erst recht an!« und dabei stießen sie die Römer zusammen, lachten, und der Dicke schlug sich auf den Bauch, und der blasse Kellermeister warf die Mütze geschickt zwischen den Beinen durch an die Decke und stimmte ein in das Jucheisa, heisa he, daß mir die Ohren gellten. Welch ein Anblick! Der hölzerne Bacchus, so auf dem Faß im Keller geritten, war herabgestiegen, nackt wie er war; mit seinem breiten freundlichen Gesicht, mit den klaren Äuglein grüßte er das Volk und trippelte auf kleinen Füßchen in das Zimmer; an seiner Hand führte er ganz ehrbarlich, wie seine Braut, eine alte Matrone von hoher Gestalt und weiblicher Dicke. Noch weiß ich nicht bis dato, wie es möglich war, daß dies alles so geschehen; aber damals war es mir sogleich klar, daß diese Dame niemand anders sei als die alte Rose, das ungeheure Faß im Rosenkeller.“

Ich konnte mich überwinden weiterzulesen und fand bald diese possierliche Replik (gegen Bacchus):

„'Ach, Ihr loser Schalk, ' antwortete die alte Jungfrau und wandte sich errötend von ihm ab. 'Man kann ja nicht neben Euch sitzen eine Viertelstunde, ohne daß Ihr anfanget mit Euren Karessen. Und ein ehrbares Mädchen muß sich ja schämen, wenn man Euch nur ansieht. Was lauft Ihr denn fast nackt im Keller? Hättet wohl ein Paar Beinkleider entlehnen können auf heute. Da, Balthasar,' rief sie, indem sie ihre weiße Schürze abband, 'lege dem Herrn diese Schürze um; es ist gar zu unanständig!'“

Herr Hauff verbirgt seine Hinneigung zum Tiefsinn weiterhin durchaus etwa mit dem folgenden:

„'Ja, ja, Kinder,' sprach die alte Rose, 'sonst war es anders, so vor fünfzig, hundert, zweihundert Jahren. Da brachten sie abends ihre Weiber und Mädchen mit in den Keller, und die schönen Bremer Kinder tranken Rheinwein oder von unserem Nachbar, Moseler und waren weit und breit berühmt durch ihre blühenden Wangen, durch ihre purpurroten Lippen, durch ihre herrlichen blitzenden Augen; jetzt trinken sie allerlei miserables Zeug, als Tee und dergleichen, was weit von hier bei den Chinesen wachsen soll und was zu meiner Zeit die Frauen tranken, wenn sie ein Hüstlein oder sonstige Beschwer hatten. Rheinwein, echten, gerechten Rheinwein können sie gar nicht mehr vertragen; denkt euch ums Himmels willen, sie gießen spanischen Süßen darunter, daß er ihnen munde: sie sagen, er sei zu sauer.'

Die Apostel schlugen ein großes Gelächter auf, in das ich unwillkürlich einstimmen mußte, und Bacchus lachte so gräßlich, daß ihn der alte Balthasar halten mußte.

'Ja, die guten alten Zeiten!' rief der dicke Bartholomäus. 'Sonst trank ein Bürger seine zwei Maß, und es war, als hätt' er Wasser getrunken, so nüchtern blieb er; jetzt wirft sie ein Römer um. Sie sind aus der Übung gekommen.''“

Und nun kommt Roland ins Spiel, der Paladin des großen Kaisers Karl (Heine hätte jetzt seinen gewohnten faden Spott, aber Hauff macht es ganz anders, auf den zweiten Blick):

„' Engelheim! Du süßer, trauter Name!' sprach er. 'Du edle Burg meines ritterlichen Kaisers; so nennt man also noch in dieser Zeit deinen Namen, und die Reben blühen noch, die Karl einst pflanzte in seinem Engelheim? Weiß man denn auch von Roland noch etwas auf der Welt und von dem großen Karolus, seinem Meister?'
'Das müßt Ihr den Menschen dort fragen,' erwiderte Judas, 'wir geben uns mit der Erde nicht mehr ab. Er nennt sich Doktor und Magister und muß Euch Bescheid geben können über sein Geschlecht.'
Der Riese richtete sein Auge fragend auf mich, und ich antwortete: 'Edler Paladin! Zwar ist die Menschheit in dieser Zeit lau und schlecht geworden, ist mit dem hohlen Schädel an die Gegenwart genagelt und blickt nicht vor-, nicht rückwärts: aber so elend sind wir doch nicht geworden, daß wir nicht der großen, herrlichen Gestalten gedächten, die einst über unsere Vatererde gingen und ihren Schatten werfen noch bis zu uns. Noch gibt es Herzen, die sich hinüberretten in die Vergangenheit, wenn die Gegenwart zu schal und trübe wird, die höher schlagen bei dem Klang großer Namen und mit Achtung durch die Ruinen wandeln, wo einst der große Kaiser saß in seiner Zelle, wo seine Ritter um ihn standen, wo Eginhard bedeutungsvolle Worte sprach und die traute Emma dem treuesten seiner Paladine den Becher kredenzte. Wo man den Namen Eures großen Kaisers ausspricht, da ist auch Roland unvergessen, und wie Ihr ihm nahe standet im Leben, so enge seid Ihr mit ihm verbunden in Lied und Sage und in den Bildern der Erinnerung. Der letzte Ton Eures Hifthorns tönt noch immer aus dem Tal von Ronceval durch die Erde und wird tönen, bis er sich in die Klänge der letzten Posaune mischt.'

'So haben wir nicht vergebens gelebt, alter Karl!' sprach der Ritter, 'die Nachwelt feiert unsere Namen.'“

Nun, die Sache verhält sich etwas verwickelter, möchte man jetzt einwenden, doch wozu?
nachgetragen am 3. Dezember

Montag, 25. November 2013

Sonntag & - nachgetragen


Dieser Beitrag muß aus Gründen der Dezenz etwas schmal ausfallen. Am späten Datum mag man ablesen, daß ich gezögert hatte, ihn überhaupt anzubringen. Der Grund – der Hausherr hatte die nette Anfrage gestellt, ob wir nach dem Kirchgang nicht gemeinsam essen wollten, bei ihm, zusammen mit seinen 3 kleinen Söhnen (die Gattin war aushäusig). Frau Mutter konnte sich dem Kirchgang zwar nicht anschließen (sie schwächelt gerade heftig), aber zum Ort des Essens bekamen wir sie dann doch transportiert. Ich fand seine Geste gerade darum sehr rührend.

Nun legt er größeren Wert auf seine Privatsphäre (wer nicht). Daher habe ich die Bildauswahl auch eher beschränkt. Nur soviel, man stelle sich einen recht hohen Raum dazu vor. Das Eßzimmer liegt im ehemaligen Malsaal der Großherzogin Marie, nach der das Palais seinen Namen hat.

Zum Essen. Meine Idee, etwas beizusteuern, war nicht die „dööfste“, wie sich gleich erschließen wird. Es war ein „Klassiker“ - Lachs auf Butterschmalz, geschmort mit Thymian, Dill und Rosmarin, und Pfeffer und Salz natürlich. Von seiner Seite gab es Zander, in der Pfanne gebraten, zeitweise war die Obhut einem der Söhne überlassen worden, was zu einem schmollenden Sohn und einem Ergebnis führte, zu dem zahlreiche Floskeln bereit stehen, die auch von mir regelmäßig mißbraucht werden...

Ich fand die Idee interessant, Spinat zusammen mit fetten Würsten zu schmoren, man muß diese ja nicht auch noch essen, aber für den Spinat hilft es offensichtlich. Als Vorsuppe gab es eine klare Bouillon von Rind und Schwein, wie man sieht (sehr angenehm). Dazu auch noch Bohnen. Und frische Ananas als Nachtisch. Ich sollte jetzt vielleicht mit einem launigen Spruch enden, das nächste Mal, bestimmt.






Sonntag, 24. November 2013

Ewigkeits - Sonntag


J. S. Bach, Kantate für den 1. Sonntag nach Trinitatis
 "O Ewigkeit du Donnerwort" (BWV 20), 1. Teil, hier gefunden

O Ewigkeit, du Donnerwort,
O Schwert, das durch die Seele bohrt,
O Anfang sonder Ende!
O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit,
Ich weiß vor großer Traurigkeit
Nicht, wo ich mich hinwende.
Herr Jesu, wenn es dir gefällt,
Eil' ich zu dir ins Himmelszelt.

„O Ewigkeit, du Donnerwort“. Diese Worte Johann Rists und mehr noch die darauf beruhende Kantate von Bach kamen mir in den Sinn, als ich mir vergegenwärtigte, daß nun Toten- oder eben Ewigkeitssonntag  sei. Herr Roloff hat dazu gepredigt, und da dies schon mit einem Tag Verspätung erscheint, will ich auch von weiteren Betrachtungen über das Thema besser absehen (für meine vielleicht verbliebenen englischsprachigen Leser, hier gibt es eine englische Übersetzung des Rist'schen Textes). Ach, eine andere Bach'sche Kantate, eine bekanntere, denke ich, sollte ich auch noch anbringen.


 Johann Sebastian Bach, Kantate für den 27. Sonntag nach Trinitatis
"Wachet auf, ruft uns die Stimme" (BWV 140), hier gefunden

Predigt zum Ewigkeitssonntag

Mk 13, 31-37

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

der Predigttext für diesen letzten Sonntag des Kirchenjahres steht bei Markus im 13. Kapitel:

31 Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. 32 Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater. 33 Sehet zu, wachet und betet; denn ihr wisset nicht, wann es Zeit ist. 34 Gleich als ein Mensch, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinem Knecht Macht, einem jeglichen sein Werk, und gebot dem Türhüter, er sollte wachen. 35 So wachet nun (denn ihr wißt nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob er kommt am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder des Morgens), 36 auf daß er nicht schnell komme und finde euch schlafend. 37 Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!

Gott segne an uns sein Wort!

Wir nennen unsere Toten oft die Entschlafenen. Wir sehen uns ihnen verbunden durch die Erfahrung des leiblichen Schlafes und erwarten gleichsam einen Schlaf in Gottes Ewigkeit hinein. Am Ewigkeitssonntag erinnern wir uns an die Entschlafenen des vergangenen Jahres und an alle unsere Toten. Wir sehen der unvermeidlichen Tatsache ins Auge, selbst einmal sterben zu müssen.

Dennoch ist das entscheidende Thema des Predigtextes das Wachsein und das „auf der Wache sein“ – beides ist in dem Aufruf „Wachet!“ enthalten, ohne dass es klar unterschieden würde. Wir sollen wach sein und uns auf die Wache stellen. Das eine bezeichnet einen Gemüts- und auch Geisteszustand, das andere den eigentlichen Handlungsort unseres Lebens.

Das ist das zwingende Ergebnis der ungeheuerlichen Feststellung: „Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen.“

Peter von Cornelius, "Die klugen und die törichten Jungfrauen"
etwa 1813, hier gefunden

So kann nur reden, wer entweder den Verstand verloren hat, oder wer tatsächlich Herr über Raum und Zeit ist.

Kann ein Mensch Herr über Raum und Zeit sein? Die Herrschaft über Raum und Zeit ist zunächst natürlich eine Eigenschaft Gottes. Wir glauben aber als Christen, dass Gott diese Herrschaft in seinem Sohn Jesus Christus einem wahren Menschen anvertraut und so unser Menschsein in sein Gottsein eingeschlossen hat. So nur gehören wir nämlich zu dem, was nicht vergeht, denn Gott selbst ist das Wort.

Nach unserer christlichen Vorstellung und gemäß unserem Glauben gebären gleichsam Wort und Antwort tatsächlich und wahrhaftig die Wirklichkeit, so wie wir sie nun sehen. Gott schuf die Welt aus sich heraus durch die Macht seines Wortes. Die ganze Welt stand da, damit dann wieder auf das Wort Gottes hin durch Maria die erlösende Antwort aus der Mitte der Schöpfung heraus gegeben würde. Schöpfung und Erlösung markieren den Willen und die Absicht Gottes. Fast scheint es so, als wäre der Mensch gleichsam in die Schöpfung hineingepflanzt, um dann am Ende der Zeit zu Gott hin erlöst zu werden. Darüber hinaus wird hier erkennbar, dass ein gleichsam geistiges Gewebe die ganze Welt durchdringt. Das Geistige ist eben nicht nur eine menschliche Spekulation, mit der wir nur gedanklich die Dinge überziehen, um sie in menschlicher Weise zu verstehen. Das Geistige, das Wort Gottes, ist eine eigene und als Christen müssen wir sagen auch die eigentliche Wirklichkeit noch hinter den Dingen und vor Zeit und Raum. Darum soll auch unsere Wachsamkeit auf dieses Wort Gottes gerichtet sein und nicht auf die vergänglichen Dinge.

Drei der fünf törichten Jungfrauen zeigen ihren Kummer,
Magdeburger Dom, etwa 1250, hier gefunden

Das Reden des Herrn vom Wachen und vom Auf-der-Wache-Sein ist dann eingebettet in die tröstende Erzählung vom Hausherrn, der fortgeht und den Knechten seinen Besitz anvertraut.

Das ist darum ein tröstendes Gleichnis, weil es unsere Erfahrung der Verlassenheit aufnimmt, die wir so oft in dieser Welt machen müssen und die unseren Glauben bedrängt. Warum lässt sich Gott nicht merken? Wo ist er? Wohin ist er gegangen? Wann kehrt er zurück und regiert wieder selbst seine Schöpfung?

Daraus resultieren zwei ganz wichtige Haltungen des Menschen. Zum einen hat unser Bewusstsein davon, dass alles, was ist, was uns umgibt, was wir haben und sind, selbst unser Leben, nicht unser Eigentum werden kann, sondern immer nur geborgtes, anvertrautes Gut ist, hier seine Ursache. Wir sind für diese Dinge verantwortlich. Hier hat auch der christliche Verantwortungsbegriff seinen eigentlichen Grund.

Verantwortung ist keine irgendwie ethische Ordnung, die Menschen selbst untereinander aufrichten könnten, und deren papierene Form irgendeine bindende Wirkung entfalten würde. Verantwortung ist eine wirkliche Beziehung zwischen dem Herren und seinem Knecht. Sie ist tatsächlich geradezu dem Herzen des Knechtes eingeschrieben, oder sie hört auf relevant zu sein. Wir alle sind diese Knechte, deren Aufgabe die Wacht ist, damit wir im rechten Moment verantwortlich Rechenschaft geben können darüber, wie wir mit dem umgegangen sind, was uns anvertraut war. Verantwortungsgefühl ist die eine besondere Form des Wachseins, von dem hier die Rede ist. Verantwortlichkeit, so möchte ich es sagen, ist der leuchtende Kern unserer Knechtschaft.

Zum anderen besteht kein Zweifel daran, dass der Herr wiederkommen wird, und an dieser Tatsache entzünden sich unser Warten und unsere Erwartung.

Drei der fünf klugen Jungfrauen zeigen ihre Freude
Magdeburger Dom, etwa 1250, hier gefunden

Die Kirche nun ruft dieser wartenden und erwartenden Gemeinschaft wieder und wieder zu: Habt keine Angst! Fürchtet euch nicht! Lebt verantwortlich und wartet geduldig. Verantwortlich leben können wir durch die lebendige Gemeinschaft mit dem, dem wir verantwortlich sind, und geduldig warten durch die Gewissheit, dass der Herr kommen wird – denn sein Wort vergeht nicht. Geduld ist eine andere Form dieses Wachseins. Geduld ist der wehrhafte Panzer unserer Knechtschaft.

So bitte ich Euch alle denn an diesem Tag, an dem wir unserer Toten gedenken und inne werden, selbst sterben zu müssen: Seid geduldig und seid treu. Hört auf das Wort des Völkerapostels: „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; 52 und dasselbe plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune schallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. 53 Denn dies Verwesliche muß anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muß anziehen die Unsterblichkeit.  54 Wenn aber das Verwesliche wird anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche wird anziehen die Unsterblichkeit, dann wird erfüllt werden das Wort, das geschrieben steht: 55 "Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?"

Wir werden dann frei und heilig eintreten in die Wachheit und in das Leben, welche nur in der vollkommenen und ewigen Gemeinschaft mit Gott gefunden werden können.

Seid geduldig und treu! Wachet und betet!

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn.

Amen
Thomas Roloff

nachgetragen am 25. November

Dienstag, 19. November 2013

Georg Hermann - Spaziergang in Potsdam

Rotdorn (Crataegus laevigata)

November 2010

St. Marien, Neubrandenburg, Januar 2009

„So, nun schauen Sie einmal hier die Straße am Waisenhaus herunter – sie heißt zwar Lindenstraße, aber dieser Teil wenigstens ist ganz mit Rotdorn bepflanzt, der köstlich alt und knorrig geworden ist. Größer und höher, als er sonst bei uns wird. Sie blühn nicht alle gleich rot. Welche sind wie Blut, andere lichter wie Nelken. Und sie sind jetzt ein, zwei Wochen lang eine Köstlichkeit, zu der in Japan man wallfahren würde wie zur Kirschblüte. Kennen Sie die Geschichte von dem Japaner, der in Paris lebte? Es war Schnee, erster Schnee gefallen, solcher, der ganz weich auf allem liegenbleibt, jedes Ästchen in Kristall und Silber nacharbeitet. So etwas dauert nur ein paar Stunden, dann taut's weg, oder der Wind weht es herunter. Und der Japaner sagte sich, da werde ich ins Bois gehen: Vielleicht bekommt man davon noch etwas zu sehen. Aber es wird natürlich sehr voll sein, denn ganz Paris wird ins Bois strömen. Und der Japaner ging ins Bois und erfreute sich an den beschneiten Bäumen und Büschen, aber er traf keine Seele wegauf, wegab. Endlich kam ganz hinten ein kleines Männchen an, das immerfort stehenblieb und ganz entzückt um sich starrte. Und wie es näher kam, war's auch ein Japaner.“

Potsdam, Kuppel des Militärwaisenhauses, 
Nachlaß Max Baur, vor 1944, hier gefunden

Das Große Miliärwaisenhaus in Potsdam, 2009

„Die Fassade von Gontard ist prächtig. Vor allem der Mittelbau, der als letzte Bekrönung seine Kuppel in den Himmel hebt, die von acht hohen Säulen frei schwebend getragen wird, hoch, kühn und luftig zugleich, ehe da oben noch die goldene Göttin (für Potsdam müßte man fester in griechischer Mythologie sein, als man es ist) weithin winkend ihren Arm mit einem Lorbeer-oder Palmenzweig in die helle Luft hebt.“

(Nun, es ist die nicht ganz so griechisch mythologische „Caritas“ (MiB))

„Aber kommen Sie hier einmal in das Tor hinein, und Sie werden im Augenblick verstehen, warum wir vorhin noch nicht in die Gärten von Sanssouci hinübergegangen sind. Hier ist diese Treppenhalle mit der Durchfahrt, die innen den ganzen Mittelbau fast einnimmt; und sie ist die kühnste Raumvorstellung, die in Potsdam zur Architektur erstarrte.“

Potsdam. Großes Militärwaisenhaus, Treppenhaus

Blick in die Kuppel im Eingangsbereich, 2007

„Diese hohen, weißen, von Pilastern gegliederten, nach oben angeschnittenen Kuppeln, die sich übereinandertürmen, mit Stichkappen nach den Seiten sich öffnen, höher und höher steigen, in immer neuen und überraschenderen perspektivischen Verkürzungen von Stockwerk zu Stockwerk! Ganz weiß, ganz licht! Man hört ordentlich die Helligkeit darin summen, pointillistisch flirrend. Weiß in Weiß gelöst, wie auf Bildern von Hammershoi. Und dazwischen ziehn sich nun um die Treppengänge, an den Stichkappen entlang, über den Ausschnitten der Rundungen bis in die letze Höhe die schwarzen, schon empirehaften Eisengitter und niederen Geländer, die nur in ihrer Mitte mal eine reichere Erinnerung an das Linienspiel tragen, das das Rokoko auch einem so spröden Material wie Eisen zu geben wußte.

Jede Form ist hier von äußerster Sparsamkeit. Es gibt nur Grade und nur Rundungen, keine gebrochenen Linien. Und doch ist das Ganze mir so phantastisch wie ein Feenschloß. Oder besser, wie ein Saal im Schloß der Schneekönigin bei Andersen, wo die kleine Kare einsam sitzt und aus Eisstücken das Wort 'Ewigkeit' zusammensetzen muß. So groß, so weiß und sich in den Himmel übereinandertürmend muß der auch gewesen sein.“
Georg Hermann Spaziergang in Potsdam, 1926

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„... Geschichte bekommt doch wirklich erst Leben, wenn sie tot ist; und über Schlössern und Schloßhöfen muß Stille liegen, wenn die Menschen von einst durch ihre Kunst zu uns sprechen wollen.“ Der das schreibt, hat eines der großartigsten Bücher geschrieben, die über Potsdam geschrieben worden sind, ein eigentlich recht schmales (in meiner Ausgabe 100 Seiten und noch einmal die Hälfte hinzu), mitunter launenhaft und, ja, schludrig, mit dem Blick des kultivierten Besuchers, aber immer dem Gegenstand gewachsen, durch Einfühlung.

Er hat einen genauen, sympathisierenden Blick auf das, was da ist, aus welchen Intentionen heraus es immer geschaffen worden sein mag. Er kommt also als Fremder in das Biotop Potsdam, gewissermaßen. Er ist folglich fern davon, ein idealischer Preuße zu sein, der Berliner Erfolgsautor, was nichts mit seiner jüdischen Herkunft zu tun hat (die leidenschaftlichsten Bewunderer Fontanes waren Juden), ich wußte das übrigens die ganze Zeit meiner Lektüre überhaupt nicht, hatte nur hier und da Zitate aufgeschnappt und dunkel die Erinnerung eines oft gelobten Buches.

Wenn Menschen groß sind, erschaffen sie weit mehr, als ihnen dabei bewußt ist oder sein kann. Und mitunter ist es unersetzlich, etwas nicht zu wissen, weil ein erster unschuldiger Blick nie im Nachhinein rekonstruiert werden kann.

Wenn man eine Stadt wirklich in sein Inneres hat eintreten lassen, dann ist man parteiisch, natürlich, spürt jeden Verlust, freut sich über jede Heilung. Ist wütend, wenn die Vandalen in den Hallen Karthagos ihre Schweine wohnen ließen, um ein altes Klischee zu mißbrauchen. Und man spürt jede andere echte Zuneigung zum selben Gegenstand (ein Ort diesem Fall).

Potsdam ist aus einem bewußten (kenntnis- und kulturbewußten) Willen heraus entstanden. Dieser Wille wurde über Generationen, sich wandelnd, aber nie abreißend, weitergetragen (bis in das Elend des vergangenen Jahrhunderts). Das, was dort entstand, wurde überraschenderweise selten wirklich reflektiert (und was geschaffen wurde, ist wahrlich fern jeder Simplizität, und Hermann bemerkt dies sehr wohl). Dieser Autor hatte einen Anfang dazu gelegt und fühlte sich wohl zu recht wie der Japaner in Paris.

(Es ist wirklich ärgerlich, ich weiß völlig, wovon er spricht, und habe auch versucht, Bilder davon zu machen, wo immer sie jetzt stecken mögen, hoffentlich, daher der hilflose Einstieg)

Georg Hermann ist ein vergessener Autor, fürchte ich, hier und hier wird man "Ehrenrettungen" finden, und meine Erwähnung der jüdischen Herkunft hat einen einfachen Grund. Neugieriger geworden, suchte ich weiter und fand, er ist irgendwann um den 19. November 1943 in Auschwitz - Birkenau gestorben.
nachgetragen am 29. November

Montag, 18. November 2013

Spuren aus der Kindheit

















Ein Kommentar sollte wohl folgen, später.

...und er tut es, nachgetragen am 19. November

Es ist merkwürdig, wie einstmals selbstverständliche Orte derart fremd werden können. Und selbst meine Frau Mutter, die gern in Nostalgie badet, war aufrichtig erschrocken, wie abgestorben doch alles auf sie wirken würde.

Dieses gerührte Eins-Sein mit dem Ort der Kindheit hat sich bei mir seltsamerweise nie einstellen wollen. Das Dorf meiner Kindheit hieß Jatzke, es hat einen slawischen Burgwall, eine Feldsteinkirche von etwa A.D. 1300, kein Gutshaus (mehr), ein pittoreskes Gutsverwalterhaus und eine Dorflinde von 1871 (da hatte man noch Hoffnungen). Der Name ist slawisch und soll „Besitztum des Jacik“ bedeuten. Der angekündigte Besuch der Vergangenheit hat also stattgefunden, worauf die Bilder schon hindeuteten.

Ich hatte Kommentare versprochen und hiermit folgen sie, sparsam. Die Bilder sind nicht wirklich chronikartig, es gibt einige Löcher (teilweise aus Dusel, teils, weil so gewollt). So kann ich mich nicht erinnern, ein derart mustergültig renoviertes ehemaliges Pfarrhaus (das Dach ist ein Traum, es gäbe in ganz Deutschland noch zwei Hersteller dieser besonderen Tonziegel) wie in Eichhorst gesehen zu haben, aber die freundlichen Bewohner, die u.a. eine Radlerpension, ein Sommercafé und einen  Hofladen betreiben, haben zum Glück eine Website.

Die ersten beiden Bilder passen zum vorigen Blogeintrag. Mir ging so durch den Kopf, wie doch derartige „Artefakte“ „Ungleichzeitigkeiten“ herstellen, denn diese Gedenktafel hing schließlich (wie in tausenden anderen Kirchen) auch in der Zeit der vormaligen „Besatzung“ noch dort. Seltsamerweise blieb der Bildersturm hier überwiegend aus.

Auf dem nächsten Bild ein sog. „Gnadenstuhl“, eine Darstellung der Trinität also; vermutlich ein Überrest des alten verlorenen Altars, es gibt die Vermutung, daß „1514“ bei einer Renovierung als „1714“ verlesen wurde, vielleicht hat man auch nur gedankenlos das eigene Jahrhundert draufgeschmiert. Denn auch diese Kirche wurde im 30jährigen Krieg stark zerstört und erst nach 1702 so recht wieder hergestellt, innen in der barocken Formensprache der Zeit - „Der Kanzeldeckel ist mit dem für den Stil der Regentschaft charakteristischen Motiv der hängenden Lambrequins geschmückt“ (Krüger, 1929).

Es folgen Wappen von adligen Vorbesitzern des Gutes, vom Mecklenburger Zweig der Familie von Plessen (ein schwarzer Stier), derer von Gentzkow (ein drei grüne Blätter treibender Eichenstumpf) und von Linstow (ein in Silber und Schwarz geteilter Schild mit zwei Jungfrauen von gleicher Farbe, die drei grüne Kränze halten).

Danach dann die eigene Geschichte, die Grabstätten meines Vaters und meiner Großmutter, der eigentliche Anlaß der Reise (schließlich ist bald Toten- bzw. Ewigkeitssonntag). 

Die letzten Bilder stammen vom Schloß Rattey, wo wir (gut) zu Mittag aßen. Ein sehr angenehm und stilsicher wiederhergestelltes Herrenhaus, das sich damit rühmt, über den nördlichsten Weinberg Deutschlands zu verfügen. Der Wein war, trocken und wurde mit jedem Glas angenehmer. Aber immerhin, selbst in raueren Gegenden kann manch Schönes aufwachsen und bestehen.

Sonntag, 17. November 2013

"Wo ist jemand, so er fällt, der nicht gerne wieder aufstünde?" - Volkstrauertag


Es ist sehr wahrscheinlich, daß es diesmal keinen Essensbericht geben wird, geplant ist nämlich ein kleiner Nostalgie -Trip an den Ort meiner Kindheit (die Idee stammt nicht von mir, ich habe nur irgendwann kapituliert, um im Vokabular eines „Heldengedenktages“ zu bleiben), wir werden also sehen (falls es weniger neblig und diesig werden sollte als am verflossenen Sonnabend, da war nämlich fast nichts zu sehen). Man vergebe mir diese beiläufigen Worte, aber ernste Dinge sind mir mitunter einfach zu, hm, erdrückend?

Und um ernsthaft zu werden, Herr Roloff will heute an seinem Heimatort die nachfolgende Predigt halten, die ich aufrichtig empfehle; die beiden Bilder stammen aus dem hiesigen Schloßpark (das Ehrenmal war mir zuvor nie aufgefallen). Es folgt Herr Roloff:


Predigt zum Volkstrauertag 2013 in Schönhausen
Jer 8, 4-7

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und von unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

2014 jährt sich der Ausbruch des Weltkrieges zum 100. Male. Bereits heute wird unser Blick auf diese Zusammenhänge gelenkt, weil wir unseren Friedensaltar einweihen, der künftig am Ehrenmal für die Gefallenen stehen wird und in dem die Namen der Gefallenen aller Kriege seit 1866 verwahrt werden.

Ein Altar ist dazu ein rechter Ort, denn er ist die Stätte der Aufbahrung unseres Gottes. Vom Altar aus verschenkt er sich im Sakrament der Welt. Wer an ihm im Leben Anteil genommen hat, der bleibt auch im Tod in ihm bewahrt. Sein Name ist uns gegeben, damit unsere Namen in ihm bleiben. Das ist es im Kern, was wir am christlichen Altar feiern.

Die ersten Worte nun, über die an diesem Altar gepredigt wird, stammen aus dem 8. Kapitel des Jeremiabuches:

Gegen das verblendete Volk und seine Verführer

4 Darum sprich zu ihnen: So spricht der HERR: Wo ist jemand, so er fällt, der nicht gerne wieder aufstünde? Wo ist jemand, so er irregeht, der nicht gerne wieder zurechtkäme? 5 Dennoch will dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für. Sie halten so hart an dem falschen Gottesdienst, daß sie sich nicht wollen abwenden lassen. 6 Ich sehe und höre, daß sie nichts Rechtes reden. Keiner ist, dem seine Bosheit Leid wäre und der spräche: Was mache ich doch! Sie laufen alle ihren Lauf wie ein grimmiger Hengst im Streit. 7 Ein Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, eine Turteltaube, Kranich und Schwalbe merken ihre Zeit, wann sie wiederkommen sollen, aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.


Liebe Gemeinde,

mit wenigen Worten umreißt hier der Prophet Jeremia die geistige Situation seiner Zeit, sechs Jahrhunderte vor Christus, und ich behaupte, auch unsere Zeit wird prägnant charakterisiert.

Es liegt so offen auf der Hand, dass jemand der gestürzt ist, danach trachtet, wieder aufzustehen, und jemand der in die Irre gegangen ist, der sucht den rechten Weg. Die Zeitgenossen Jeremias und auch viele unserer Zeitgenossen wollen aber in ihrem Fall und in ihrem Irrtum verharren. Noch richtiger muss man sagen, dass sie wie entfesselt in die verkehrte Richtung fortstürmen und niemand sie aufhalten kann. Niemandem ist seine Bosheit leid, und niemand spricht erschrocken: „Was tue ich doch!“. Das heißt nichts anderes, als dass es eben keinen Moment des Innehaltens, der Besinnung und des Nachdenkens gibt. „Sie laufen alle ihren Lauf wie ein grimmiger Hengst im Streit.“

Wir aber wissen, wie bedeutsam Tage sind, an denen wir still werden und innehalten. Wir wissen, dass wir nur in dieser Stille ausmachen können, wo wir sind und auf welchem Wege wir uns befinden.

Der Volkstrauertag ist ein solcher Tag der Stille, und auch wir werden still.

Wir sind in unserem Innern still und hören auf die schlichten Worte: Wo ist jemand, so er fällt, der nicht gerne wieder aufstünde? Wo ist jemand, so er irregeht, der nicht gerne wieder zurechtkäme?

Das Gute und Wahre an diesen Fragen ist es, dass sie nicht eine Welt unterstellen, in der niemand fiele und in der niemand in die Irre ginge. Bereits darin unterscheiden sie sich von den Vorstellungen der Weltverbesserer, die in dem Wahn leben, die Welt und die menschliche Gesellschaft wären erst dann gut, wenn alle unterschiedslos gleich sind, niemand fällt und auch keiner in die Irre geht. Es sind diese Weltverbesserer, die das Leben erstarren lassen wollen und nicht von ungefähr dafür so oft Gewalt bis zum Töten angewandt haben.

Menschen machen aber Fehler, manchmal auch sehr schwere Fehler, sie verfallen dem Irrtum und manchmal auch dem Bösen. Die gute Ordnung, die uns hier vor Augen gestellt wird besteht aber gerade darin, dennoch in allem immer wieder das Gute zu suchen und immer zu hoffen, dass alles wieder gut wird.

Dort, wo wir Menschen Kriege erleiden, hoffen wir dennoch auf Frieden.

Dort, wo wir Menschen der Zerstörung begegnen, erhoffen wir Wiederherstellung.

Dort, wo wir von Trennung heimgesucht werden, hoffen wir auf die Eintracht.

Dort, wo wir von Krankheit gequält werden, hoffen wir auf Heilung.

Dort, wo wir dem Irrtum ausgeliefert sind, hoffen wir dennoch auf die Wahrheit und

dort, wo der Tod seine Macht entfaltet, da hoffen wir auf ewiges Leben.

So fragen auch wir: Wo ist jemand, so er fällt, der nicht gerne wieder aufstünde?

Diese Frage markiert weniger eine äußere Ordnung der Wirklichkeit als vielmehr eine innere Ordnung des Willens, der dann die Wirklichkeit formt. Nach meiner Überzeugung ist auch unser Glaube in wichtigen Teilen ein Willensakt. Im Glauben wenden wir uns von allem Bösen und von jedem Irrtum ab und wenden uns wieder und wieder Gott zu.

Für diese Ordnung des Willens ist unser neuer Altar ein eindrucksvolles Zeichen. Er wurde aus Eichenholz gefertigt, weil er mit der eichenen Christusfigur im nördlichen Seitenschiff eine Einheit bilden soll. Das lateinische Wort robur, dass auch im Wappenspruch der Bismarcks eine Rolle spielt, bedeutet nun beides Eiche und Kraft. Die Eiche ist von je her Sinnbild auch der Willensstärke und der Kraft zum Beharren.

Er wurde durch einen Handwerker geschaffen, der bereits an anderen Stellen in unserer Kirche gezeigt hat, dass er sich dem Verfall nicht beugt, dass er mit Meisterschaft erhält, was uns anvertraut ist und nun auch Neues schafft. Wie lange ist es her, dass ein ähnlich großes Ausstattungsstück in unserer Kirche neu in Dienst genommen wurde?

Der Altar trägt die Umschrift „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ an seinem Sockel als Hinweis darauf, dass die Bereitschaft zur Vergebung und die Bitte um Vergebung eine wichtige Grundlage unseres Glaubens und unserer Sittlichkeit ist. Die Bitte zur Vergebung ist unser Schlüssel zur Mitmenschlichkeit und für unser Verhältnis zu Gott.

Der Altar bewahrt die Namen der Gefallenen aus Schönhausen seit dem Einigungskrieg von 1866. Eine Frau hat diese mit großem Fleiß zusammengetragen, damit die Erinnerung an diese vielen Menschen nicht untergeht, und sie war zweifellos in dem festen Glauben, dass allein schon diese Erinnerung Gutes wirken wird.

Warum gedenken wir der Gefallenen? Früher sprach man schnell und leicht vom “Heldengedenken”. Das können wir nicht mehr. Aber wir dürfen ihren Glauben würdigen, für ihr Land, ihre Heimat, ihre Familie, die Ihrigen ihr Leben dem Schicksal entgegengeworfen zu haben und auch ihre Tapferkeit, dafür soviel Hoffnung und Leben hinter sich zu lassen. Ihr Land ist unser Land, ihre Heimat die unsrige, die Gefallenen sind ein Teil von uns.

Der Altar wurde aber nur möglich, weil Hans Paulßen, der gestern 90 Jahre alt geworden wäre, sich dafür eingesetzt hat. Gemeinsam mit Freunden hat er uns diesen Ort gestiftet ohne ein Aufhebens davon zu machen. Wir sind zu großer Dankbarkeit verpflichtet, und ich bin sehr froh, liebe Frau Paulssen, dass wir diese Einweihung in Ihrem Beisein begehen dürfen, denn die Erinnerung an Ihren Mann soll sich auch mit diesem Altar verbinden.

Er soll ein Sinnbild unseres Willens zum Guten sein. Er soll eine Stätte des Gefallenengedenkens, der steten Bitte um Frieden und des Gebets werden. Er soll Ausgangsort für unseren traditionellen Gang an die Ehrenmäler in unserem Dorf am Volkstrauertag sein. Hier gibt es für Besucher künftig die Möglichkeit, in Stille eine Kerze zu entzünden und in die Gefallenenbücher einzusehen.

Liebe Gemeinde,

an diesem Tag erinnere ich Sie alle daran, dass die Bitte um Frieden zu den wichtigsten Aufgaben einer christlichen Gemeinde gehört. Ich bin froh und sehr dankbar, dass wir dafür nun einen ausdrucksstarken eigenen Ort geschaffen haben.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn.

Amen.
Thomas Roloff

Nachtrag

Herr Roloff hat mir noch Bilder vom Gottesdienst zugesandt, in dem der Friedensaltar eingeweiht wurde. Ich habe 3 davon ausgewählt, bei einem mußte ich noch ein wenig Überzeugungsarbeit leisten, er selbst fand sich darin nämlich, sagen wir, etwas überzogen zu dominant erscheinend. Aber man kann auch schlecht überzeugen, wenn man dreinschaut als wollte man mit einem Gummi-Degen fechten.