Sonntag, 9. März 2014

Invokavit

Hieronymus Bosch, „Die Versuchung des Heiligen Antonius“

Invocabit me, et ego exaudiam eum; cum ipso sum in tribulatione. Eripiam eum, et glorificabo eum. Longitudine dierum replebo eum, et ostendam illi salutare meum.

Er ruft mich an, so will ich ihn erhören; ich bin bei ihm in der Not; ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen. Ich will ihn sättigen mit langem Leben und will ihm zeigen mein Heil.
Psalm 90 (91). 15f.

Invokavit, der erste Sonntag der Passions- und Fastenzeit, der Introitus oben gab ihm seinen Namen. Herr Roloff hat an diesem Sonntag über die Versuchung gepredigt, wie man nachfolgend lesen kann.

Für heute Abend will ich nur anmerken, daß es morgen wohl ein paar Nachträge geben wird, entweder über den Jugendstil oder über den Tod des letzten Großherzogs von Mecklenburg-Strelitz (immerhin kann ich bei letzterem wenigstens der Katze die Schuld für die Verzögerung geben, sie hat nämlich die ersten Seiten eines gründlichen Aufsatzes von Herrn Andreas Frost, aus dem ich zitieren wollte, draußen auf der Terrasse, sagen wir, etwas zu gründlich gelesen. Und der übliche Essenspost soll morgen früh auch folgen. Indianer-Ehrenwort. Und nun also Herr Roloff:


Invocabit me et ego exaudiam eum

Predigt zum Sonntag Invokavit in Schönhausen

Jak 1, 12-18

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und von unserem Herrn Jesus Christus. Amen

12 Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche Gott verheißen hat denen, die ihn liebhaben.

Der Ursprung der Versuchung

13 Niemand sage, wenn er versucht wird, daß er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand. 14 Sondern ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird. 15 Darnach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert sie den Tod.    16 Irret nicht, liebe Brüder. 17 Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von obenherab, von dem Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichtes und der Finsternis. 18 Er hat uns gezeugt nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, auf daß wir wären Erstlinge seiner Kreaturen.

Liebe Gemeinde,

große Geschichte beginnt immer mit einer Versuchung, und dieser Text des Jakobus sinnt nun darüber nach, wo der eigentliche Ursprung der Versuchung gefunden werden kann, und wo mithin der innere Zusammenhang zwischen den beiden Lesungen, die wir zuvor gehört haben, und  die das Thema des 1. Sonntags der Passionszeit markieren, zu suchen ist. Dieses Thema ist die Versuchung. Wir haben aus dem 1. Buche Moses davon gehört, wie Eva und Adam dieser Versuchung erlegen sind und das Paradies verloren. Von Matthäus wiederum hörten wir, dass auch Christus von der Versuchung nicht verschont wurde. Er aber hat ihr widerstanden und als neuer Adam sich für uns zum Heilsbringer gemacht. Jesus beginnt seinen Weg ans Kreuz mit einer Versuchung.

Im Hinblick auf unseren Predigtext sind nun zunächst drei Dinge festzuhalten:

Er will uns einen Weg aufzeigen, unser Leben zu bestehen und es ans Ziel zu führen. Die Art, wie Jakobus vom Erdulden der Anfechtung spricht, lehrt uns in jeder Situation durchzuhalten und eben nicht aufzugeben.

Der Text stellt zum anderen klar, dass keine Versuchung ihren Ursprung bei Gott hat. Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Damit schafft er eine der Grundlagen, aus denen heraus auch Martin Luther in seinem Kleinen Katechismus zur sechsten Bitte des Vater unser erklären konnte:

Und führe uns nicht in Versuchung.
Was ist das?
Gott versucht zwar niemand; aber wir bitten in diesem Gebet, dass uns Gott behüte und erhalte, damit uns der Teufel, die Welt und unser Fleisch nicht betrüge und verführe in Missglauben, Verzweiflung und andere große Schande und Laster; und wenn wir damit angefochten würden, dass wir doch endlich gewinnen und den Sieg behalten.

Zum Dritten unterstreicht unser Text nachdrücklich, dass von Gott her nur das Gute kommt. Von Gott, dem Schöpfer, kommt allein Gutes. Am Ende der Schöpfung schaute er alles an, was er gemacht hatte, und siehe es  war alles sehr gut. Das von Gott geschaffene Gute ist allumfassend. Es ist kein Raum für die Vorstellung, dass ein anderer neben ihm stünde, der nun auch das Böse in die Welt gebracht und somit gleichsam eine Gegenschöpfung ins Werk gesetzt hätte. Die von Gott erschaffene Welt ist allumfassend, und sie ist gut.

Vor dem Hintergrund dieser drei Voraussetzungen wollen wir nun weiter darüber nachdenken, wie dennoch das Böse in die Welt getreten ist, und hier spielt die Versuchung eine ganz entscheidende Rolle. Jakobus konfrontiert uns mit einem bestechenden Gedanken: Der ganz und gar vollkommen und gut erschaffene Mensch kann ja nun eben nicht durch sklavischen Sinn an Gott seinen Schöpfer gebunden sein, sondern er soll sich ihm aus freiem Entschluss unterwerfen.

Willst Du? – so werden wir an den entscheidenden Stellen unseres Lebens gefragt und sollen dann aus freien Stücken antworten – Ja, ich will. Nun aber werden wir gewahr, dass es sich hier natürlich nicht um eine bloße Formalie handelt. Das Nein und der Wille zu etwas anderem sind keinesfalls nur eine theoretische Option. „Ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird.“ Das ist die entscheidende und ursprüngliche Versuchung, die zu unserem Menschsein gehört.

Wir stehen vor der Wahl, uns aus freien Stücken unserem Herrn und Schöpfer anzuschließen oder uns von ihm abzuwenden. Irgendwann hat die Auffassung Raum gegriffen, dass doch wirkliche Freiheit erst dann eintreten könnte, wenn man sich seines Herrn entledigt hat, wenn man ganz und gar sein eigener Meister ist. In jeder Beziehung gibt es wieder und wieder die reizende Verlockung, sich endlich frei zu machen.

Hier stehen wir vor dem großen Abgrund der Schöpfung und unseres eigenen Lebens. Die Aussicht, endlich ganz man selbst zu sein und frei zu werden ist immer reizend und verlockend, wie es auch Jakobus schreibt, sonst würden ihr schließlich nicht so viele Menschen erliegen, und dennoch bleibt sie ein Irrweg.

Jakobus schreibt nun einen umständlichen Satz, der für uns heute nur noch beschwerlich zu hören und zunächst wenig zu verstehen ist. „Darnach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert sie den Tod.“

Wir haben uns das Verstehen unmöglich gemacht, weil wir die Begriffe Lust und Sünde haben abdrängen lassen in einen Bereich, in den sie kaum gehören. Was Jakobus nämlich meint, ist ja die Verführung, sich von Gott abzuwenden und damit die entscheidende und allein lebenspendende Beziehung zu zerstören, die ein Mensch unterhalten muss. Wer diese Beziehung verlässt stürzt notwendig in eine tiefe Einsamkeit. Sünde ist Alleinsein! Sünde ist, ohne Gott sein zu wollen. In einer von Gott erschaffenen Welt ohne Gott sein zu wollen, das verdirbt die Welt, das allein lässt das Böse entstehen – und dazu ist nur der Mensch in der Lage.

Alle anderen Wesen stehen ganz unmittelbar im ursprünglichen Schöpfungszusammenhang und verhalten sich auch ihm gemäß, nur der Mensch kann insofern aus diesem ursprünglichen Schöpfungszusammenhang heraustreten, indem er sich seinem Schöpfer dankend und lobend gegenüberstellt und diejenige Antwort gibt, auf die der ganze Kosmos sehnsüchtig wartet, und die erst ganz vollendet, was am ersten Tag begonnen hat. Oder er kann Gott verlassen.

Das Verlassen Gottes aber, aus dem ja erst die ganze Freiheit werden sollte, führt nicht nur in die Einsamkeit, sondern auch in eine neue Beziehung, nämlich in die sofortige und totale Abhängigkeit vom Bösen. „Die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert sie den Tod.“ Tote Dinge und der Tod selbst sind die neuen Partner des Menschen, wenn er Gott verlassen hat. Der Tod ist dann auch der letzte und ewige Abgrund seiner Einsamkeit.

Darum bittet der Herrenbruder Jakobus mit der ganzen Kirche, alle Anfechtung zu erdulden und den Versuchungen zu widerstehen. Freiheit kann doch nur dort wachsen, wo sie in der Beziehung zum Lebendigen bleibt. „Er hat uns gezeugt nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, auf dass wir wären Erstlinge seiner Kreaturen.“ Dort wo wir uns unserem lebendigen Schöpfer unterwerfen, da beschränken wir gerade nicht unsere Freiheit, sondern wir vollenden sie, denn es gibt keine Freiheit außerhalb der Wahrheit. Ohne Wahrheit werden wir Knechte der Lüge. Wir aber sind die Erstlinge seiner Kreatur!

Als solche dürfen wir uns hinwenden zum Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichtes und der Finsternis. Nur er vermag es, selbst über dem Kreuz den hellen Strahlenkranz seines Lichtes aufgehen zu lassen.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn.

Amen
Thomas Roloff

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