Donnerstag, 26. Mai 2016

Über gebaute Weltveränderung & Hoffnungsvolleres

Blick durch das Hallesche Tor auf den Belle-Alliance-Platz 
(heute Mehringplatz), um 1900, hier gefunden

Alejandro Aravena, Direktor der 15. Architektur-Biennale in Venedig, meint also, "Städte können eine Abkürzung auf dem Weg zu mehr Gleichheit sein". Ihm ist dazu sogar Originelles eingefallen. Aber das ist ein seltener Fall. Üblicherweise bringen schräge Prämissen alles in eine gewisse Schieflage, auf der dann die ganze Chose ins Gruselige rutscht. Vielfach zu besichtigen in den letzten 100 Jahren, als man meinte, die Menschheit neu erfinden zu müssen und das auch zu können, was regelmäßig famose Ergebnisse brachte.

Gleichheit war da als Kampfbegriff immer an vorderster Front. Gleichheit ist kein Wert an sich, sondern immer nur in Beziehung. Wenn man sie absolut setzt, dann ist sie der Wärmetod aller Differenz und damit auch Kreativität u.a. Gleichheit vor dem Gesetz – natürlich, Verhinderung menschenunwürdiger Armut – selbstredend, aber unbegrenztes Grundeinkommen für alle, das funktioniert nicht, so wie die Welt nun einmal beschaffen ist. Doch ich will all das gar nicht weiterverfolgen.

Dies wird viel zu spät geschrieben. Eigentlich wollte ich nämlich längst auf einen wunderbaren Artikel verweisen, den ich zunächst übersehen hatte - „Alles Fassade“ von Rainer Haubrich vom 14. Mai im Feuilleton der Welt. Auf seinem Blog sind dieser und andere Artikel gut auffindbar, nur lautet dort die Überschrift: „Gebt unseren Städten endlich wieder ein Gesicht!“

Sein Beitrag beginnt mit einem Beispiel „wohlklingender Architektenprosa“ bei der es leicht passieren könne, daß man Ende doch nur „vor einer kahlen Sichtbetonfassade mit schmalen Fensterschlitzen stehen“ würde. Dem Laien möge das schlicht häßlich erscheinen, in der Fachpresse habe ein solches Bauwerk dennoch alle Chancen auf einen Architekturpreis.

Wenn aber ein Architekt der jüngeren Garde an Berlins Kurfürstendamm ein Geschäftshaus in klassischem Architekturvokabular baue, würde die großen Mehrheit seiner Zunft den Kopf schütteln (schließlich müsse ein Gebäude vor allem funktional sein, wie man inzwischen gelernt haben sollte), nur die Passanten seien dankbar.

Er referiert dann eine Tagung des Dortmunder Instituts für Stadtbaukunst; seit Jahren gehe der von Christoph Mäckler und Wolfgang Sonne geführte Thinktank mit Zähigkeit der Frage nach, auf welche Weise Architektur und Städtebau heute neben allen funktionalen Anforderungen auch wieder eine Schönheit hervorbringen könnten, wie sie allen Epochen der Baukunst bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts gelungen seien.

Mit meinen Worten – das sind die Abtrünnigen, die zudem noch praktische Nachfolger finden. So wie beim Lübecker Gründungsviertel, wo beabsichtigt ist, die Nachkriegsbebauung abzureißen, die historischen Straßenzüge wiederherzustellen und dazu mit Giebelhäusern unterschiedlicher Breite und einem rückwärtigen Innenhof zu bebauen

Auf dieser Seite findet man die „schlimmen“ Fassaden, die nicht schlichtes Nachbauen sind, sondern einfach zum Niederknien. Jedenfalls auch aus Dankbarkeit über einen Erkenntnisgewinn. Ich empfehle also dringend die Lektüre o.g. Artikels.

Aber eines will ich doch noch aufgreifen, der Autor schreibt, alle diese „anderen“ Neubauten, die sich der gerade bröckelnden Meinungsdiktatur entzögen, besäßen „fast alle eine Typologie, einen Charakter, eine Temperatur, die erkennen lassen, ob sie an einem Großstadtboulevard stehen oder in einer schmalen Straße, ob sie eher nach Norddeutschland gehören oder ins Rhein-Main-Gebiet“.

Sie brächten eine Verbundenheit, ja, eine Liebe der Erbauer und Nutzer zu ihrem Ort, ihrer Stadt, ihrer Region zum Ausdruck. Und über sie lasse sich auch nicht sagen, daß ihr Ort austauschbar sei.

Dieser Albtraum für Modernisten angesichts der Restauration in der Architektur unserer Zeit sei für sie vor allem ein politischer. Dabei gehe es doch, schreibt Herr Habrich etwas beschwichtigend, „vor allem um die Restauration von handwerklicher Qualität, von sprechenden Details, von Alterungsfähigkeit, es geht um die Anbindung heutiger Architektur an eine jahrhundertealte Bautradition, die von der Moderne entsorgt worden war“. Die neue klassische Fassadenkunst hierzulande sei eine Antwort auf das Elend aktuellen Bauens, das hochmütig allein für sich in Anspruch nähme,„zeitgenössisch“ zu sein.

Der Autor weiß es natürlich besser, man lese nur etwa seinen wundervollen Le Corbusier – Verriß: „Wie alle Großmeister der Moderne war Le Corbusier der Hybris verfallen, zu glauben, mit ihnen beginne eine vollkommen neue Architektur, die allem Gebauten davor weit überlegen sei.

Als Walter Gropius 1937 seine Professur in Harvard antrat, ließ er erst einmal die gesamte bauhistorische Bibliothek entsorgen. Und Le Corbusier schrieb: 'Es bleibt uns nichts mehr von der Architektur früherer Epochen, so wenig wie uns der literarisch-historische Unterricht an den Schulen noch etwas geben kann.'“

Und noch ein anderes Zitat: „Der hagere Mann mit der charakteristischen runden Brille war einer der großen Zerstörer all dessen, was über Jahrhunderte die Lebendigkeit und Schönheit traditioneller Städte ausmachte.“

Le Corbusier hatte nämlich eine Vision: „... riesige Wohnscheiben auf Stelzen in einer Parklandschaft, dazwischen breite Schnellstraßen für ungebremsten Autoverkehr. Fußgänger waren nicht vorgesehen, und öffentliche Plätze gab es auch nicht mehr“. Und dies galt natürlich für „für jeden Winkel der Welt“, ob in den Tropen oder am Polarkreis.

Für das Herz von Paris erträumte er sich eine Realisierung. „Sein 'Plan Voisin' von 1929 sah vor, die gesamte Altbausubstanz mehrerer Arrondissements nördlich des Louvre abzuräumen und durch einheitliche, 60-stöckige Hochhäuser auf kreuzförmigem Grundriss zu ersetzen.

Und er war empört, dass seine Genialität nicht erkannt wurde: 'Die Stadtverwaltung hat sich nie mit mir in Verbindung gesetzt. Sie nennt mich ,Barbar!''. Hellsichtige Leute müssen das gewesen sein. Vor allem totalitäre Systeme waren empfänglich für solche Vorschläge.“ Ja, man erinnere sich nur an das stillschweigende Einverständnis einiger Größen vor '45, als Berlin zunehmend zerstört wurde – soviel Platz für Visionen. Die sahen bei deren Nachfolgern dann so aus (es gibt schlimmere Bilder):

Mehringplatz in Berlin (Kreuzberg) 2009

wird gerade zu Ende geschrieben
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Nachtrag

Nun ja, der Nachtrag also, den ich zuletzt gar nicht mehr mochte, weil ich zum Anfang nur meine Freude über die Lübecker neuen Fassaden bekunden wollte:

Warum ist die gebaute Moderne überwältigend oft derart häßlich? Sie ist in ihren immer noch meinungsbestimmenden Teilen das Produkt einer Ideologie: Den Menschen für eine Utopie neu erschaffen zu müssen und zu können, unter Wegwerfen der Geschichte seiner mühsam erkämpften Menschwerdung eines Kulturwesens.

Hier geht es nicht um das Potential neuer Materialien und bisher ungekannte Aufgaben, sondern um die Auslöschung von Kultur und Tradition (letzteres ein indirektes Zitat).

Nur ist das eben auch ein Wegwerfen von in Jahrtausenden gewachsener und aufgeschichteter Erfahrung über das Angemessene des Menschlichen. Der Wille zum Bruch, abgesehen vom monströsen Selbstbild, beschreibt das Problem. Proportion, Tradition, Erfahrung, Erinnerung sind nichts. Aber etwas, das entstellen will, fällt selten angenehm auf, und das wollten sie doch, entstellen, die Tradition auslöschen, die Erinnerung, und den eigenen unterstellten Genius an deren Stelle setzen.

Schinkel litt sicherlich nicht entscheidend an Minderwertigkeitskomplexen, aber hat er jemals behauptet, daß die Menschheit mit ihm neu begönne? Befreiung durch Zerstörung, gewohnte Arten des Sehens oder Bauens ins Nichts stoßen. (Befreiung wovon eigentlich? Und wie bei den verwandtschaftlichen Utopien fällt kein Opfer ins Gewicht, wird das Ergebnis habitusmäßig ignoriert). Dieses neue Bauen hat ideologisch vergiftete Wurzeln, und darum tritt es als Ideologie auch so wahrnehmungs- und erfahrungsimmun auf.

Die Moderne, also das, was uns seit den letzten etwa 100 Jahren unter diesem Namen beglückt, ist oft erfrischend, überraschend, interessant. Aber sobald sie keinen Counterpart mehr hat, erkennt man, wie empathielos und beziehungsgestört sie in ihrem Wesen ist. Es sei denn, sie streckt ihre Fühler aus zu dem, was vor ihr war, und in einem Rahmen von Gesittung staunt man dann über ihre Möglichkeiten.

beendet am 3. Juni

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