El Greco, Schutzmantelmadonna
Am 12. September 1683 hat unter der Führung des polnischen Königs Jan III. Sobieski und dem Banner Mariens ein christliches Heer von 65.000 Mann eine dreimal stärkere türkische Übermacht vernichtend geschlagen und damit die Belagerung Wiens beendet. Nach diesem Sieg bestimmte Papst Innozenz XI. die Feier von Mariä Namen als Fest der ganzen Kirche für diesen Tag.
Papst Benedikt XVI. hielt an eben diesem Tag im Jahre 2006 an der Universität Regensburg eine Vorlesung, die zu tumultuarischer Empörung in der islamischen Welt führte und gern von den „Kritikern“ des Papstes gegen diesen gewendet wird. Nun wollen wir uns nicht lange mit der Frage aufhalten, wie unvoreingenommen und redlich diese Kritiker sind, das wäre müßig. Und auch die Frage nach den Gründen der islamischen Empörung lassen wir eher beiseite (mir kam da das Sprichwort in den Sinn, daß der Drang, einen Spiegel zerschlagen zu wollen, nicht unbedingt gegen den Spiegel spricht). Nein, der Vorlesung selbst wollen wir uns vorrangig zuwenden. Der Grund? Der Heilige Vater begeht seinen 85. Geburtstag, und ich war mir unschlüssig, wie ich darauf reagieren sollte. Ich habe besagte Vorlesung bereits früher erwähnt, aber nur oberflächlich, also versuchen wir es aus Anlaß und in Würdigung seines Geburtstages diesmal etwas gründlicher. Ich warne also jeden hiermit vor einem längeren theologischen Text.
Ein empörendes Zitat
„Glaube, Vernunft und Universität“ sind die Stichworte, die er nennt. Den universitären Part lassen wir beiseite und beginnen mit dem skandalisierten Zitat. Einige Jahrhunderte früher befand sich eine andere Kaiserstadt in einer gleichen Situation, Konstantinopel wurde von den Türken belagert und der byzantinische Kaiser Manuel II. Palaeologos machte sich seine Gedanken über Christentum und Islam und hielt dabei seinem persischen Gesprächspartner vor:
„'Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, daß er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten'. Der Kaiser begründet, nachdem er so zugeschlagen hat, dann eingehend, warum Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig ist. Sie steht im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele. 'Gott hat kein Gefallen am Blut', sagt er, 'und nicht vernunftgemäß, nicht 'σὺν λόγω' zu handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider. Der Glaube ist Frucht der Seele, nicht des Körpers. Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung… Um eine vernünftige Seele zu überzeugen, braucht man nicht seinen Arm, nicht Schlagwerkzeuge noch sonst eines der Mittel, durch die man jemanden mit dem Tod bedrohen kann...'".
Ein Einschub
Benedikt hatte dieses Zitat mit den Worten eingeleitet, der Kaiser wende sich „in erstaunlich schroffer, für uns unannehmbar schroffer Form ganz einfach mit der zentralen Frage nach dem Verhältnis von Religion und Gewalt überhaupt an seinen Gesprächspartner“. Ursprünglich hatte er gesagt „uns überraschend schroffer Form“, aber diese Überraschung konnte oder wollte man nicht verstehen, unterschlug sie, also hat der Papst in der veröffentlichten Fassung dies unmißverständlich geklärt.
Er hatte weiter daran erinnert, daß das im Koran ebenfalls enthaltene Gebot (in Sure 2, 256) „Kein Zwang in Glaubenssachen“ wohl eher aus der Zeit stamme, in der Mohammed selbst noch machtlos und bedroht war. Jetzt aber gehe es um den Djihād, den heiligen Krieg. (Und so, wie Wien und Konstantinopel unter dem Banner Mariens verteidigt wurden, wurden sie unter eben diesem Schlachtruf attackiert, sage ich, nicht der Heilige Vater. Und wo ich gerade meine eigenen Gedanken hier hineinmogele, eine kurze Erinnerung an 2 andere Bestimmungen des Islam, die zum Prinzip des „Kein Zwang in Glaubenssachen“ in gewisser Spannung stehen: Sollte ein christlicher Mann eine Muslima heiraten wollen, hat er vorher zu konvertieren, sollte umgekehrt aber ein Moslem Christ werden wollen, ist dieser „Abfall vom Islam“ mit dem Tod zu ahnden.)
Gott und Vernunft
Doch zurück zum Papst. Denn dem geht es im Fortgang weniger um den Islam, sondern vor allem um das Verhältnis von Gott und Vernunft und um eine christliche Binnenkritik (unangemessen salopp formuliert, der Islam war sozusagen die Vorspeise):
Der entscheidende Satz in dieser Argumentation gegen Bekehrung durch Gewalt laute: „Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider.“ Dem Kaiser sei dies evident. Dem Moslem hingegen sei Gott absolut transzendent. Dessen Wille sei an keine unserer Kategorien gebunden und sei es die der Vernünftigkeit. Und hier tue sich die grundlegende Trennung im Verständnis Gottes auf, die uns heute unmittelbar herausfordere.
Benedikt: „Ich denke, daß an dieser Stelle der tiefe Einklang zwischen dem, was im besten Sinn griechisch ist, und dem auf der Bibel gründenden Gottesglauben sichtbar wird. Den ersten Vers der Genesis ... abwandelnd, hat Johannes den Prolog seines Evangeliums mit dem Wort eröffnet: Im Anfang war der Logos. Dies ist genau das Wort, das der Kaiser gebraucht: Gott handelt 'σὺν λόγω', mit Logos. Logos ist Vernunft und Wort zugleich – eine Vernunft, die schöpferisch ist und sich mitteilen kann, aber eben als Vernunft. Johannes hat uns damit das abschließende Wort des biblischen Gottesbegriffs geschenkt, in dem alle die oft mühsamen und verschlungenen Wege des biblischen Glaubens an ihr Ziel kommen und ihre Synthese finden.“
Manuel II. habe wirklich aus dem inneren Wesen des christlichen Glaubens heraus und zugleich aus dem Wesen des Griechischen, das sich mit dem Glauben verschmolzen hatte, sagen können: Nicht „mit dem Logos“ handeln, sei dem Wesen Gottes zuwider.
Doch auch in der christlichen Tradition habe es häufig Versuchungen gegeben, sich einen voluntaristischen Gott, einen Gott der Willkür zu denken, dort würden „die Transzendenz und die Andersheit Gottes“ ... so weit übersteigert, daß auch unsere Vernunft, unser Sinn für das Wahre und Gute kein wirklicher Spiegel Gottes mehr sind, dessen abgründige Möglichkeiten hinter seinen tatsächlichen Entscheiden für uns ewig unzugänglich und verborgen bleiben.“
Dem hält Benedikt entgegen: „Gott wird nicht göttlicher dadurch, daß wir ihn in einen reinen und undurchschaubaren Voluntarismus entrücken, sondern der wahrhaft göttliche Gott ist der Gott, der sich als Logos gezeigt und als Logos liebend für uns gehandelt hat.“
Wir müssen jetzt noch etwas theologischer werden: Es gibt die These, der der Papst entschieden widerspricht, die ursprüngliche christliche Botschaft sei in der Begegnung mit dem griechischen Geist gewissermaßen verunreinigt, entfremdet worden, und dies sei rückgängig zu machen. Er sieht drei Wellen dieses „Enthellenisierungsprogramms“, die zwar miteinander verbunden, aber in ihren Begründungen und Zielen doch deutlich voneinander verschieden seien.
Kant und die Reformation
Wir gehen etwas in Deckung, denn wie nicht anders zu erwarten, wird zuerst die Reformation abgestraft, allerdings eher knapp: „Das Sola Scriptura sucht demgegenüber die reine Urgestalt des Glaubens, wie er im biblischen Wort ursprünglich da ist. Metaphysik erscheint als eine Vorgabe von anderswoher, von der man den Glauben befreien muß, damit er ganz wieder er selber sein könne.“
Mit anderen Worten, die Reformation habe gewissermaßen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Es ist hier nicht der Ort, dies weiter auszuführen, aber in der Tat: Möglicherweise gibt es einen Denkfehler im Protestantischen (da ich einer bin, muß ich das kurz anmerken). Der Protestantismus betont, daß Gott vom Denken des Menschen her nicht zugänglich sei, nur von seiner Offenbarung her. Was aber, wenn die Zugänglichkeit Gottes durch die Vernunft eben ein Teil dieser Offenbarung ist, wenn uns dieser Weg zu ihm von ihm her durch sie ermöglicht wird.
Zurück zum Heiligen Vater, bei der Gelegenheit „erledigt“ er auch gleich Kant mit, indem er sagt: “In einer für die Reformatoren nicht vorhersehbaren Radikalität hat Kant mit seiner Aussage, er habe das Denken beiseite schaffen müssen, um dem Glauben Platz zu machen, aus diesem Programm heraus gehandelt. Er hat dabei den Glauben ausschließlich in der praktischen Vernunft verankert und ihm den Zugang zum Ganzen der Wirklichkeit abgesprochen.“
Religion als moralische Veranstaltung
Benedikt beschäftigt sich nun mit einer „Mode“ christlichen Denkens, die seit dem 19. Jahrhundert (aus meiner Sicht verheerend) gewirkt hat – die liberale Theologie. Adolf von Harnack wird als herausragender Repräsentant derselben vor allem herangezogen:
Als Kerngedanke erscheine bei Harnack die Rückkehr zum einfachen Menschen Jesus und zu seiner einfachen Botschaft, die allen Theologisierungen und Hellenisierungen voraus liege: Diese einfache Botschaft stelle die wirkliche Höhe der religiösen Entwicklung der Menschheit dar. Jesus habe den Kult zugunsten der Moral verabschiedet und werde zum Vater einer menschenfreundlichen moralischen Botschaft. „Dabei geht es Harnack im Grunde darum, das Christentum wieder mit der modernen Vernunft in Einklang zu bringen, eben indem man es von scheinbar philosophischen und theologischen Elementen wie etwa dem Glauben an die Gottheit Christi und die Dreieinheit Gottes befreie.“
Etwas salopp formuliert, der Glaube, auf Moral reduziert, werde eben dadurch wieder satisfaktionsfähig. Im Hintergrund stehe die neuzeitliche Selbstbeschränkung der Vernunft, vom naturwissenschaftlichen Denken über Kant hinaus weiter radikalisiert. In dieser modernen Auffassung der Vernunft sieht der Papst eine Synthese zwischen Platonismus (Cartesianismus) und Empirismus (sic!). Auf der einen Seite werde die mathematische Struktur der Materie, ihre innere Rationalität vorausgesetzt, die es möglich mache, sie in ihrer Wirkform zu verstehen und zu gebrauchen (das platonische Element). Auf der anderen Seite geht es um die Funktionalisierbarkeit der Natur für unsere Zwecke.
Wissenschaftlichkeit sei nur noch in diesem Zusammenspiel von Mathematik und Empirie akzeptiert. „Was Wissenschaft sein will, muß sich diesem Maßstab stellen. So versuchten dann auch die auf die menschlichen Dinge bezogenen Wissenschaften…, sich diesem Kanon von Wissenschaftlichkeit anzunähern. Damit sei aber auch die Gottesfrage unwissenschaftlich oder vorwissenschaftlich ausgeschlossen.
Ein christliches Denken, daß sich dem unterwerfe, ließe aber „vom Christentum nur ein armseliges Fragmentstück“ übrig. Und weiter „Wenn dies allein die ganze Wissenschaft ist, dann wird der Mensch selbst dabei verkürzt. Denn die eigentlich menschlichen Fragen, die nach unserem Woher und Wohin, die Fragen der Religion und des Ethos können dann nicht im Raum der gemeinsamen, von der so verstandenen 'Wissenschaft' umschriebenen Vernunft Platz finden und müssen ins Subjektive verlegt werden. Das Subjekt entscheidet mit seinen Erfahrungen, was ihm religiös tragbar erscheint, und das subjektive 'Gewissen' wird zur letztlich einzigen ethischen Instanz. So aber verlieren Ethos und Religion ihre gemeinschaftsbildende Kraft und verfallen der Beliebigkeit.“
Anders gesagt, wenn es kein positiv in der Vernunft faßbares Wesen des Menschen mehr gibt, existieren auch keine Grenzen, keine Schranken, keine Substanz, kein Fundament des Menschlichen mehr. Und in einer merkwürdigen Volte tritt an die Stelle des einst als willkürlich handelnd angenommenen Gottes ein willkürlicher handelnder Mensch.
Aber! „Dieser Zustand ist für die Menschheit gefährlich: Wir sehen es an den uns bedrohenden Pathologien der Religion und der Vernunft, die notwendig ausbrechen müssen, wo die Vernunft so verengt wird, daß ihr die Fragen der Religion und des Ethos nicht mehr zugehören.“
Nachdem er so gewarnt hat, geht er noch auf die „dritte Enthellenisierungswelle“ ein, die ich nur summarisch mitteilen will. Es geht um die sogenannte „Inkulturation“, unter diesem Begriff werde behauptet, die Synthese von Griechentum und alter Kirche habe nur ein begrenztes Recht, auf die man die anderen Kulturen nicht festlegen dürfe. „Ihr Recht müsse es sein, hinter diese Inkulturation zurückzugehen auf die einfache Botschaft des Neuen Testaments, um sie in ihren Räumen jeweils neu zu inkulturieren.“
Benedikts Einladung
Lassen wir dieses beiseite und kommen zu seinen Schlußfolgerungen: Zunächst, nein, er wolle nicht hinter die Aufklärung zurück.
„Nicht Rücknahme, nicht negative Kritik ist gemeint, sondern um Ausweitung unseres Vernunftbegriffs und -gebrauchs geht es. Denn bei aller Freude über die neuen Möglichkeiten des Menschen sehen wir auch die Bedrohungen, die aus diesen Möglichkeiten aufsteigen, und müssen uns fragen, wie wir ihrer Herr werden können. Wir können es nur, wenn Vernunft und Glaube auf neue Weise zueinanderfinden; wenn wir die selbstverfügte Beschränkung der Vernunft auf das im Experiment Falsifizierbare überwinden und der Vernunft ihre ganze Weite wieder eröffnen.“
Mit anderen Worten, nicht nur eine derart reduzierte Theologie wäre armselig, eine so reduzierte Vernunft wäre ebenso amputiert, und sie wäre in der gegenwärtigen Welt dialogunfähig:
„In der westlichen Welt herrscht weithin die Meinung, allein die positivistische Vernunft und die ihr zugehörigen Formen der Philosophie seien universal. Aber von den tief religiösen Kulturen der Welt wird gerade dieser Ausschluß des Göttlichen aus der Universalität der Vernunft als Verstoß gegen ihre innersten Überzeugungen angesehen. Eine Vernunft, die dem Göttlichen gegenüber taub ist und Religion in den Bereich der Subkulturen abdrängt, ist unfähig zum Dialog der Kulturen.“
Er erinnert folglich daran, daß die Deutungshoheit der positivistischen Vernunft nicht so weit reicht, wie sie glaubt, und auch nicht hinreichend ist in dieser Welt. Und er verweist darauf, daß ihre vermeintliche Voraussetzungslosigkeit eben eine geglaubte ist.
Die moderne naturwissenschaftliche Vernunft trage mit „dem ihr innewohnenden platonischen Element eine Frage in sich, die über sie und ihre methodischen Möglichkeiten hinausweist“. „Sie selber muß die rationale Struktur der Materie wie die Korrespondenz zwischen unserem Geist und den in der Natur waltenden rationalen Strukturen ganz einfach als Gegebenheit annehmen, auf der ihr methodischer Weg beruht.“ Aber die Frage, warum dies so sei, die bestehe und müsse von der Naturwissenschaft weitergegeben werden an andere Ebenen und Weisen des Denkens – an Philosophie und Theologie.
„Mut zur Weite der Vernunft, nicht Absage an ihre Größe – das ist das Programm, mit dem eine dem biblischen Glauben verpflichtete Theologie in den Disput der Gegenwart eintritt.“ So faßt er das Anliegen seiner Rede zusammen. “ Und - 'Nicht vernunftgemäß, nicht mit dem Logos handeln ist dem Wesen Gottes zuwider“ - zitiert er noch einmal Manuel II., um zu enden:
„In diesen großen Logos, in diese Weite der Vernunft laden wir beim Dialog der Kulturen unsere Gesprächspartner ein.“
Diese Einladung in die Weite der Vernunft war es, die damals niedergebrüllt, herabgesetzt und mißverstanden wurde. Und um mit Markus zu enden (Kapitel 4, Vers 9) - „Wer Ohren hat, zu hören, der höre!“
beendet am 18. Apil