Dienstag, 24. April 2012

Am See



Rainer Maria Rilke

Waldteich, weicher, in sich eingekehrter

Waldteich, weicher, in sich eingekehrter -,
draußen ringt das ganze Meer und braust,
aufgeregte Fernen drücken Schwerter
jedem Sturmstoß in die Faust -,
während du aus dunkler unversehrter
Tiefe     Spiele der Libellen schaust.

Was dort jenseits eingebeugter Bäume
Überstürzung ist und Drang und Schwung,
spiegelt sich in deine Innenräume
als verhaltene Verdüsterung;
ungebogen steht um dich der Wald
voll von steigendem Verschweigen.
Oben nur, im Wipfel-Ausblick, zeigen
Wolken sagenhafte Kampfgestalt.

Dann: im teilnahmslosen Zimmer sein,
einer sein, der beides weiß.
O der Kerze kleiner Kreis,
und die Menschennacht bricht ein
und vielleicht ein Schmerz im Körper innen.
Soll ich mich des Sturmmeeres jetzt entsinnen
oder Bild des Teichs in mir behüten
oder, weil mir beide gleich entrinnen,
Blüten denken -, jenes Garten Blüten -?
Ach wer kennt, was in ihm überwiegt.
Mildheit, Schrecken? Blicke, Stimmen, Bücher?
Und das alles nur wie stille Tücher
Schultern einer Kindheit angeschmiegt,
welche schläft in dieses Lebens Wirrn.
Dass mich eines ganz ergreifen möge.
Schauernd berg ich meine Stirn,
denn ich weiß: die Liebe überwöge.

Wo ist einer, der sie kann?
Wenn ich innig mich zusammenfaßte
vor die unvereinlichsten Kontraste:
weiter kam ich nicht: ich schaute an;
blieb das Angeschaute sich entziehend,
schaut ich unbedingter, schaute knieend,
bis ich es in mich gewann.

Fand es in mir Liebe vor?
Tröstung für das aufgegebne Freie,
wenn es sich aus seiner Weltenreihe
wie mit unterdrücktem Schreie
in den ungekannten Geist verlor?

Hab ich das Errungene gekränkt,
nichts bedenkend, als wie ich mirs finge,
und die großgewohnten Dinge
im gedrängten Herzen eingeschränkt?
Fasst ich sie wie dieses Zimmer mich,
dieses fremde Zimmer mich und meine
Seele fasst?
            O hab ich keine Haine
in der Brust? kein Wehen? keine
Stille, atemleicht und frühlinglich?

Bilder, Zeichen, dringend aufgelesen,
hat es euch, in mir zu sein, gereut? -
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Oh, ich habe zu der Welt kein Wesen,
wenn sich nicht da draußen die Erscheinung,
wie in leichter vorgefasster Meinung,
weither heiter in mich freut.

Soweit Rilke, ich hatte nur nach harmlosen See-Gedichten gesucht zunächst, aber dann wurde dieser "Waldteich" und die sagenhafte Gestalt der Wolken immer stärker in meiner Erinnerung. Der nahegelegene See ist sicher kein Teich, aber es wäre vielleicht anzumerken, daß Rilke tatsächlich von einem Teich bei Heiligendamm, also nahe der Ostsee angerührt wurde, als er dies schrieb.

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