Donnerstag, 3. Oktober 2013

3. Oktober


Die Sonne brennt heute förmlich, ich saß eben noch im Lehnstuhl auf der Terrasse, und gleichzeitig war es hin und wieder empfindlich kühl. Ich liebe diese Herbstdissonanzen (sie lassen alles so interessant erscheinen). Herr Roloff hat heute gut gepredigt.

Da die politischen Ordnungen in Deutschland seit den letzten hundert Jahren in etwa so verläßlich sind wie das Wetter, ist das mit den Nationalfeiertagen so eine Sache. Wie auch immer. Herr Roloff hat in seinem Schönhausen aus diesem Anlaß erneut einen Gottesdienst gehalten. Er fand seine Worte vom letzten Jahr befriedigender, ich vermag dem nur bedingt zuzustimmen.

Zwei Sätze erschienen mir vor allem bemerkenswert: Wie Gott aus äußerlich offenkundig Erstorbenem Lebendiges erwecken kann, und daß die Abtrennung von Gott, dem Grund unseres Seins, alles verdirbt, wie bei einer Pflanze, deren Wurzeln abgetrennt wurden, und die für eine Weile noch schön erscheinen darf. Es folgt sein Text „aufgelockert“ von Bildern, die vor kurzem hier entstanden sind.



Ansprache zum Tag der Einheit 2013
Heb 11, 8-16

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

das staatliche Leben unseres Vaterlandes lässt es nur noch selten ahnen, in welcher großen Geschichte wir stehen. Dieses Volk prägt seit über ein Jahrtausend die Mitte unseres Kontinents. Es ist zu ungeahnten Höhen heraufgestiegen. Namen wie Bach, Luther, Goethe und auch der Bismarcks prägten seinen Ruf in der Welt. Nachdem es im 19. Jahrhundert seine Einheit gefunden hatte, stand ihm eine lichte und friedliche Zukunft bevor, wenn es die Kraft gefunden hätte, dem Grundsatz dauerhaft Geltung zu verschaffen, in dessen Wahrung Bismarck die Bestimmung des Reiches gesehen hat - nämlich die europäischen Mächte daran zu hindern untereinander oder gar gegen das Reich Krieg zu führen. Für den alten Fürsten stand nach 1871 fest, dass selbst ein gewonnener Krieg für Deutschland keinen Siegespreis mehr in Aussicht stellen konnte, der es wert gewesen wäre, ihn zu führen.

Wir wissen, dass es ganz anders gekommen ist.

Das 20. Jahrhundert ist zu einem Zeitalter der völligen Zerstörung geworden. Ein Zivilisationsbruch ungeahnten Ausmaßes ist über unsere Heimat und den ganzen Kontinent hinweggegangen. Vor diesem Hintergrund blicken wir auf unseren Text aus dem Hebräerbrief:

Noch sind unter uns die Menschen, die die Flucht und die Vertreibung am Ende des großen Krieges erlebt und erlitten haben. Ihnen geht es noch ganz anders nahe, wenn davon geredet wird, dass man die Heimat verlässt und nicht weiß, wo man hinkommt. Ihnen geht es noch ganz anders nahe, wenn davon die Rede ist, dass man im eigenen Lande zum Fremdling wird.


Wenn man es selbst erfährt, dann gehen einem die Sätze der Bibel plötzlich ganz anders nahe. So werde auch ich und wohl viele in unserem Dorf auch die Worte des Psalmisten ganz neu lesen, der gerufen hat: „Gott, hilf mir! Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle. Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist; ich bin in tiefe Wasser geraten, und die Flut will mich ersäufen. Ich habe mich müde geschrien, mein Hals ist heiser. Meine Augen sind trübe geworden, weil ich so lange harren muss auf meinen Gott.“

Es ist die große Herausforderung an Abraham gewesen, einen Zusammenhang zu finden zwischen der großen Verheißung, die Gott ihm gegenüber bekundet hat, und der Heimatlosigkeit und Ausgestoßenheit, in die er ihn scheinbar gleichzeitig führte. Diese Verbindung findet er offenbar in seinem Warten „auf eine Stadt, die einen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist“.

Das ist die eigentliche Kraft des Glaubens, dass er auch in den schwersten Zeiten zu erkennen vermag, worauf wir als Menschen hingewiesen sind:

Dort, wo wir keine Heimat mehr haben, noch mehr auf den Ort zu vertrauen, den Gott uns bereiten will.

Dort, wo wir zu Fremdlingen werden, ganz gewahr zu werden, dass wir Geschöpfe zu seinem Bilde sind, und ihm nicht fremd werden können.

Dort, wo unsere eigenen Hoffnungen zerfallen, sollen wir uns durch Gott mit neuer Hoffnung beseelen lassen.

Nur so war es Sara, Abrahams Frau, möglich, darauf zu hoffen, den Erben trotz ihres hohen Alters noch zu gebären. Sie war dem treu, der es ihr verheißen hatte.


Hier folgt einer der schönsten Sätze der ganzen Heiligen Schrift. Er ist Ausdruck der großen sprachlichen Meisterschaft Martin Luthers, aber auch der ursprünglichen Tiefe des Hebräertextes: „Darum sind auch von einem, wiewohl erstorbenen Leibes, viele geboren wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Rande des Meeres, der unzählig ist.“

Hier gewinnen wir bereits eine Vorstellung von allem, was kommen wird, aus dem Bild eines geschichtlichen Geschehens heraus, wie es uns seit Jahrtausenden überliefert wird.

Nach diesen historischen Erörterungen schwingt sich unser Text dann aber noch in viel größere Höhen. Mit Blick auf die Helden vorchristlicher Zeit stellt er fest: „Diese alle sind gestorben im Glauben und haben die Verheißung nicht empfangen, sondern sie von ferne gesehen und sich ihrer getröstet und wohl genügen lassen und bekannt, dass sie Gäste und Fremdlinge auf Erden wären.“

Vielleicht ist das die Tragik aber gleichzeitig auch die Bestimmung des 19.Jahrhunderts und unseres ersten Nationalstaats gewesen. Die Verheißung wurde gesehen, aber sie wurde nicht empfangen. Vielmehr zog über die Welt alles das hinweg, was eintritt, wenn der Mensch sich selbst zum Gott werden will, wenn er selbst Erfinder des Vaterlands wird, wenn er nur noch für wert hält, was aus seinen eigenen Händen, aus seiner eigenen Macht kommt.

Aber auch dort gilt wieder – je finsterer und schwerer die Zeiten sind, umso leuchtender kann das Licht der Hoffnung scheinen.


Auch für uns gilt, zwar in anderer Weise als für die Nomaden zur Zeit Abrahams und auch anders als für die Flüchtlinge und Vertriebenen aller Völker am Ende des furchtbaren Krieges, was der Hebräerbrief feststellt: „Denn die solches sagen, die geben zu verstehen, dass sie ein Vaterland suchen“, oder eine Heimat oder doch wenigstens ein Haus zum wohnen.

Wenn eines in uns in den vergangenen Monaten aufgebrannt ist, dann doch die tiefe Bedeutung dieser Hoffnung. Und natürlich bauen wir jetzt wieder auf, natürlich haben die vielen Flüchtlinge nach 1945 hier auch in unserem Ort neu angefangen. Noch verbietet es sich darüber nachzudenken, warum gerade ihre Häuser in so großer Zahl im vergangenen Sommer untergingen.

Und dennoch ist gerade uns an diesem Tag gesagt: Es kann und darf bei unserer, nun wieder ganz neu begonnenen Suche, nicht darum gehen, nur das Verlorene wiederherzustellen. Dann hätten auch die, die aus der Heimat auszogen, einfach nur wieder umkehren müssen. Es wird nichts mehr so sein, wie es zuvor gewesen ist. Aber gerade darin liegt doch Gottes große Verheißung: „Nun aber begehren sie eines besseren, nämlich eines himmlischen.“ Man kann nichts schon gar kein Menschenreich an die Stelle von Gottes Reich setzen, und man kann selbst den bescheiden genossenen eigene Wohlstand nicht an die Stelle eines Lebens mit unserem Schöpfer setzen. Alles Leben und Sein, das sich abtrennt von Gott, verdirbt. Was für den einzelnen Menschen gilt, das gilt auch für Völker und Staaten. Man kann in diesem Zusammenhang lange darüber nachdenken, was uns wirklich mit der zweiten Chance zum gemeinsamen Vaterland geschenkt und aufgetragen wurde.


Und wie leben wir nun mit dem gegenwärtigen Unglück, wir, die wir doch meinen, uns immer und in allem treu zur Kirche und zu unserem Gott gehalten zu haben? Noch immer bin ich da oft ratlos und kann  nur darauf verweisen, dass wir als Christen doch gar nicht woanders sein können und sein dürfen, als dort wo die Not ist. Wie sollten wir nicht mitleiden und selbst noch im Leid auf die Weisheit des Satzes verweisen: „Die Welt ist eine Brücke, gehe hinüber, aber baue kein Haus auf ihr.“

Was wir haben und auch das was wir sind, soll uns nur auf denjenigen verweisen, von dem wir es haben und durch den wir sind. Darin erst begehren wir eines besseren, nämlich eines himmlischen. Und es ist uns unwiderruflich zugesagt: „Darum schämt sich Gott auch unser nicht, zu heißen unser Gott; denn er hat auch uns eine Stadt zubereitet.“

So wird denn alles, was wir in dieser Welt finden können doch nur daran gemessen werden, ob und in wie fern es uns Gleichnis und Verheißung ewiger Ordnung ist, die ihren Ursprung und ihr Ziel in Gott und eben nicht in den Plänen und Wünschen von uns Menschen hat. Darin möge auch dieses Land und unser Volk seinen Segen finden.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn.

Amen
Thomas Roloff

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