Sonntag, 6. Oktober 2013

Über das Vorläufige der Vergänglichkeit

Platos Kopf, römische Kopie, Glyptothek München

Daß die Schönheit der Dinge ein Gleichnis der ewigen Schönheit sei, die auf uns wartet, wird von manchen als Herabsetzung des Irdischen mißdeutet. Das Gegenteil ist wahr. Der Satz sagt tatsächlich, daß die Vergänglichkeit der Dinge, und das sind sie nun offensichtlich, so wie wir selbst auch, nicht ihre Vergeblichkeit bedeutet. Sondern über ihren offenkundigen Untergang hinaus ihr Wesen erhalten bleibt.

Herr Roloff hat in seiner Erntedankpredigt, die er heute halten will, und die streckenweise wie eine Meditation über die Vergänglichkeit erscheint, den sehr schönen Gedanken, daß unser Tun nicht vergeblich sei. Denn wir würden mit diesem „zum Guten, Schönen und Wahren beitragen, etwas hineintragen in den ewigen, unvergängli­chen Him­mel“.

Der Mensch wird so gewissermaßen zum Miterbauer an der Vollkommenheit der Schöpfung, obwohl sie dies von Anfang an ist (doch Paradoxien waren schon immer ein gutes Indiz für die Wahrheit), sein Glaube ist die Brücke zwischem dem, was vergänglich ist, und dem, das dieses Vergängliche in sich aufheben und bewahren wird.

Doch genug davon, es folgt Herr Roloff. Wem dies übrigens zu schwer ist, ich hatte eben noch kurz von meinem letzten Opernbesuch berichtet, das ist nicht so erwähnenswert, aber die Musikbeispiele sind recht nett (Mozart, Zauberflöte).

Weinlese, (c) Jean-Marc Rosier 

Predigt zum Erntedanktag 2013

Vom Schätzesammeln und Sorgen

Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen und da die Diebe nachgraben und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, da sie weder Motten noch Rost fres­sen und da die Diebe nicht nachgraben noch stehlen (Matthäus 19.21) (Lukas 12.33-34) (Kolosser 3.1-2). Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.
Das Auge ist des Leibes Licht. Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein (Lukas 11.34-36); ist aber dein Auge ein Schalk, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!
Matth 6, 19-23

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

in Situationen, in denen man viel verloren hat, kommt einem oft erst überhaupt zu Bewusst­sein, was in unserem Leben wirklich von Wert ist. Auch darüber hat uns die Hochwasserkata­strophe des vergangenen Sommers noch einmal eindringlich belehrt, und zwar unabhängig da­von, ob wir nun direkt von ihr betroffen waren oder nicht. Es sind vielmehr die Erinnerungs­stücke, die Foto­graphien und Bilder, die schmerzlicher vermisst werden, als die nur scheinbar so wertvollen Be­sitztümer, die wir im Laufe unserer Jahre zusammengetragen haben.

Das aber hat doch zweifellos damit zu tun, dass diese Erinnerungsstücke, darum heißen sie ja auch so, nur etwas spiegeln, anregen und immer wieder hervorrufen, was ja in uns ist. In je­dem Augenblick trägt ein Mensch seine ganze Welt mit sich. Wo nun diese Welt der Schatz ist, den der Mensch für wesentlich und wertvoll erachtet, da bleibt er ganz bei sich und sein Herz findet Mitte und Gleichgewicht.

Wenn aber ein Mensch sein Herz an äußere Dinge hängt und diesen dann nachjagt, dann ver­liert er Mitte und Gleichgewicht und wird versklavt durch seine Begierde nach Dingen, die ohne Wert sind.

Dieser Gedankengang, so verdeutlicht es uns unser Predigttext, ist ganz wesentlich für das Ern­tedankfest.

Um ihn in seiner ganzen Dimension zu erfassen, ist es gut, auf das eigentliche Wunder dieses Tages zu blicken. Im Grunde feiern wir heute schließlich die Gabe und die Bestimmung der Erde, Leben und Nahrung hervorzubringen. In allen alten Kulturen wird die Erde darum auch als Mut­ter verehrt. Der Bauer wiederum ist recht eigentlich auch nicht der Herr dieses Gesche­hens, son­dern hat sich immer als Helfer der Erde, als Pfleger der Natur verstanden, als Diener der Erde.

Der Bauer bemisst die Güte seiner Böden auch immer an dem, was sie hervorzubringen vermög­en. Das ist in unserer Landschaft hier an Elbe und Havel durchwachsen, wir haben aber auch die Böden der Magdeburger Börde stets vor Augen, die die besten in ganz Deutschland sind.

Wenn wir nun unser Bild vom Schatz zur Anwendung bringen, dann müssen wir feststellen, dass der eigentliche Schatz des Ackers tatsächlich sein Vermögen ist, Pflanzen hervorzubringen und wachsen und reifen zu lassen, damit sie uns und dem Vieh Nahrung werden können.

Es ist der große Trost in dieser schweren Zeit, dass die Felder und Wiesen diese Gabe eben auch nie verlieren, gerade auch dort nicht, wo sie unter Wasser gestanden haben, und die diesjährige Ernte vernichtet wurde.

Was bedeuten diese Zusammenhänge nun für uns Menschen?

Ich will es am Beispiel eines Künstlers verdeutlichen. Ist es nicht auch bei diesem so, dass sei­ne Kunstwerke, ganz gleich ob Bilder, Bauten, Bücher oder Statuen, immer nur ein äußerer Aus­druck seines inneren Vermögens zur Schönheit sind? Ist nicht diese Gabe zur Schönheit sein ei­gentlicher Schatz? Sich an dieser Gabe zu erfreuen, sie weiterzuentwickeln und andere Men­schen durch sie froh werden zu lassen, das ist das Glück seines Lebens.

Es kommt also nicht darauf an, was alles wir an Dingen um uns versammeln, sondern wichtig ist, was wir hervorbringen, damit es anderen Menschen, als Christen sagen wir gewöhnlich dem Nächsten, zum Guten gereicht. Darin nämlich besteht die Ernte unseres Lebens, wenn wir der­einst vor unseren Richter treten.

Im Grunde ist das Sammeln nach den Schätzen, die von den Motten und Rost zerfressen und durch die Diebe geraubt werden können ein Ausdruck dafür, dass dieser Mensch zu gering von sich denkt. Diese Schätzesammler glauben, dass sie ihrem Ansehen aufhelfen müssen durch die Dinge, wir würden heute Statussymbole dazu sagen, mit denen sie sich umgeben. Dieser Dinge wegen wollen sie geachtet und geehrt werden. Es ist so lächerlich, wenn man es erst einmal durchschaut. Es ist so leer und armselig, wenn man sein Leben mit einer solchen Jagd verbringt – vertut.

Wo nämlich dein Schatz  ist, da ist auch dein Herz. Du mutest deinem Herzen einen Aufenthalt bei den vergänglichen Dingen zu, die rosten und zerfallen. Du lässt dein Herz dort wohnen, wo weder Hoffnung noch wahre Zuversicht sind, sondern nur Angeberei auf der einen und Neid auf der anderen Seite.

Dabei sollten wir doch unsere so kurz bemessene Lebenszeit nutzen, damit sich das Herz empors­chwingen kann in die Höhen der Unvergänglichkeit, die, selbst wenn sie nur Hoffnung wäre, dennoch größer ist als alles, was der Mensch schauen kann, weil sie das Sichtbare über­steigt und im Geiste eine Dimension wachsen lässt, die in der Welt sonst nicht zu finden ist.

Das ist der wahre Himmel, der sich in unserer Seele spiegelt, wie Wolken und das strahlende Blau sich in einem Bergsee spiegeln. Er erhebt sich eben auch aus unserer ungebrochenen Hoff­nung, dass unser Tun nicht vergeblich ist. Er wächst aus unserer Sehnsucht, dass wir mit dem Guten, Schönen und Wahren beitragen, etwas hineintragen in den ewigen, unvergängli­chen Him­mel. Wir sind ganz in der Erwartung, dort einen Schatz zu haben, damit unser Herz sich gleich­sam in diesen Himmel emporschwingen kann. Wo nämlich unser Schatz ist, da will auch unser Herz sein.

Mit diesen wenigen Andeutungen ist natürlich auch bereits viel ausgesagt von dem, was unse­ren Glauben ausmacht. Er ist eben auch die Weise, auf der wir Menschen Brücken in den Him­mel er­richten. Darauf bezieht sich das Reden vom Auge und vom Licht, mit dem unser Ab­schnitt schließt.

Das Licht ist immer Ausdruck und Gleichnis für die ewige Wahrheit, die Gott selbst ist. Wir müs­sen sie in uns hineinleuchten lassen, damit es in uns hell ist. Das Auge ist nun geradezu das Or­gan für den Glauben. Durch den Glauben fangen wir das Licht, dass unser Leben nicht nur hell, sondern erst eigentlich zum Leben macht. Das nämlich wird deutlich durch den Satz: Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!

Der glaubenslose Mensch fällt ganz und gar in die Finsternis. Hier ist dann auch nicht mehr die Finsternis gemeint, die durch das bloße Fehlen des Lichtes eintritt und gerade dadurch die Hoff­nung auf das Wiederkommen des Lichtes bewahrt. Hier ist eine Finsternis gemeint, die kein Licht mehr kennt, kein Licht mehr kennen will.

So wollen wir nicht sein. Erntedank ist der Tag, an dem wir uns erinnern lassen, dass wir durch Gott gut gemacht sind. Gott hat uns Augen und Ohren, Leib und Seele, Glieder Vernunft und alle Sinne gegeben und will sie auch erhalten. Lasst doch allein darum schon sein Licht in eure Her­zen dringen und lebt aus diesem Lichte. Erkennt, was alles ihr zum Guten, zum Wahren und zum Schönen der Welt und eurer Mitmenschen beitragen könnt und sammelt euch darin Schätze der Ewigkeit, die am Ende nicht anders genannt werden als die Ernte eures Lebens.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

aus Raffaello Sanzio, "Schule von Athen", Vatikan

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