Samstag, 14. Dezember 2013

Johann Wilhelm Hertel - "Wie brünstig sie kommen von Ephratas Auen..."


Johann Wilhelm Hertel

In der hiesigen Stadtkirche wurde heute Johann Wilhelm Hertels "Die Geburt Jesu Christi" aufgeführt, ein Weihnachtsoratorium. Nun wohne ich in der Hertelstraße, die, wenn ich mich nicht völlig täusche, exakt 2 Adressen umfaßt, also war ich gewissermaßen moralisch verpflichtet, dort hinzugehen, und habe jetzt natürlich das alberne Bedürfnis, darüber auch noch zu schreiben. Zum Glück besitze ich über Musik keinerlei tiefere Kenntnis, was mir folglich förmlich erlaubt, fröhlich darauflos zu schwadronieren.

Um kurz die Programmzettel aufzurufen: „Anna-Elisabet Muro – Sopran, Meinderd Zwart – Alt, Roger Quintana – Tenor, Miroslav Stricevic – Bass; Singakademie Neustrelitz (gegr. 1840); Telemannisches Collegium Michaelstein; Leitung: Michael Voigt“.

Hm. Die Sopranistin erschien mir ordentlich und recht nett, etwas matt vielleicht (möglicherweise war sie auch bloß ein wenig erkältet). Der Alt irritierte seltsamerweise, und das wohl nicht, weil er eigentlich ein Countertenor war. Doch im Duett („Da prangt der Sieger ohne Heere!“) mit der eben erwähnten Sopranistin entwickelten beide zusammen etwas sehr Charmantes. Das mag auch auch an der Musik gelegen haben, denn Herr Hertel reißt nicht eben ständig die Tiefen des Menschlichen auf, aber gewinnt sehr, wenn Stimmen zusammenkommen, wenn es sozusagen „dialogisch“ wird, ob im Duett, oder bei Einzelstimme vor Chor oder wenn eine Stimme gewissermaßen mit dem Orchester „spricht". Wie auch immer.

Für einen bekennenden Atheisten (ich sollte mir das Googeln abgewöhnen) war der Baß stellenweise fast innig empathisch; gut, Empathie vermag vieles, und man erwartet von einem Darsteller des Macbeth ja auch nicht, daß er in Wirklichkeit ständig Menschen umbringt.

„Wie brünstig sie kommen von Ephratas Auen,
die Hirten, die Frommen, den König zu schauen,
ihm Herzen zu opfern am Krippenaltar.
Nun kehrt sie zurücke mit Himmel im Blicke,
die Schar der Getreuen, sich lange zu freuen,
wie selig sie dorten zu Bethlehem war.“

Dies ist der Text einer Tenor - Arie, und er gibt einen leichten Eindruck vom Libretto, das zwischen bisweilen nicht uninteressant und oft sehr schauerlich schwankt. Die Arie selbst war nicht übel (ich fand hier eine Gesamtaufnahme mit „Einstiegsschnipseln“), wie überhaupt Herr Hertel offenbar irgendwie nicht weiß, ob er noch Telemann und schon Mozart sein will.

Sein Stil hat oft etwas Lautmalerisches, Tänzelndes, ist effektvoll begabt und rhetorisch überzeugend, nicht frei von Erfindungen und, wie bereits erwähnt, im Dialogischen stark, aber er schafft auch überraschende Stimmungen, kurz gesagt, er ist in einer sehr  unterhaltenden Weise angenehm, sogar originell mitunter (so daß man beim Zuhören auf einmal deutlich hustet, weil man ganz vergißt, daß man in einem Konzert ist). Hertel klingt irgendwie recht, nun ja, sensibel, oder von mir aus auch „empfindsam“, es überrascht jedenfalls nicht, daß er so etikettiert wird.

Ach so, zum Interpreten, abgesehen davon, daß sein Akzent mitunter leicht „putzig“ klang, uns hat er durchaus „conveniert“ (so wie auch Chor und Orchester).

Der „Produktinfo“ der oben erwähnten Aufnahme durfte ich übrigens entnehmen, daß das Werk einst beliebt war, wohl wegen des „harmonisch ausdrucksstarken“ Eingangschores, „den schlicht gesetzten Chorälen über bekannte Weihnachtsliedmelodien“, der „in Trompetenglanz erstrahlende(n) Engelsverkündigung“ sowie wegen des groß angelegten achtstimmigen Schlußchores. Verschiedene Einflußbereiche würden in Hertels Weihnachtskantate zusammenwirken, so „die Tradition der beliebten lyrischen Hirtenidylle“ neben dem dramatischen Oratorium, „barockes Affektdenken“ würde mit „sinfonischem Gestaltungswillen“ zusammentreten. Das mag so sein.


Konzert für Trompete, Streicher und Basso continuo Nr. 1 Es-Dur





Das hiesige Bemühen um Hertel hat einen erkennbar regionalen Hintergrund: Johann Wilhelm Hertel (geboren am 9. Oktober 1727) stammt zwar aus einer Eisenacher Musikerfamilie (sein Vater wirkte am Eisenacher Hof und leitete seit 1741 die Strelitzer Hofkapelle), wurde aber überwiegend im Mecklenburgischen als Hofmusiker und Komponist tätig. Er entwickelte sein Talent unter nicht uninteressanten Einflüssen (was manches verständlich macht): Der Bach-Schüler Johann Heinrich Heil unterwies ihn im Cembalo, Violinunterricht erhielt er bei dem Zerbster Karl Höckh und dem Berliner Franz Benda, Carl Heinrich Graun, ebenfalls Berlin, beriet ihn in der Komposition.

Er folgte seinem Vater an den Strelitzer Hof als Geiger und Cembalist (ein Graf Chasôt, Freund des Kronprinzen Friedrich aus dem nahen Rheinsberg hatte sich im Auftrag Herzog Adolph Friedrich III. um die Hofkapelle verdient gemacht, nur leider wurde diese nach dem Tod des Herzogs 1752 von dessen Nachfolger wieder aufgelöst (dem berühmt-berüchtigten „Dörchläuchting“, Herzog Adolph Friedrich IV.)).


Konzert für Harfe und Cembalo in F-Dur

Nach 1754 wurde er als „Hof- und Capell-Compositeur“ in Schwerin angestellt, nur starb sein kunstsinniger Dienstherr Herzog Christian Ludwig II. bereits 1756. Dessen frommer Nachfolger Friedrich verlegte die Residenz von Schwerin nach Ludwigslust, wohin Hertel nicht folgen mochte, allerdings war auch dieser Herzog bei aller Schrulligkeit durchaus ein Musikliebhaber und beauftragte Hertel vor allem mit der Verfassung geistlicher Werke. Er wurde Privatsekretär der Prinzessin Ulrike Sophie (seit 1770 Hofrat), gab Musikunterricht und suchte, unterstützt vom Adel, ein Konzertleben aufrechtzuerhalten.

Als Komponist war er durchaus produktiv, er gilt als Vertreter des „empfindsamen Stils“ der deutschen Frühklassik, lese ich gerade, nicht ganz überrascht. 1789 starb er in Schwerin. Erfreulicherweise findet man einiges von ihm im „Netz“, wovon ich ein paar Beispiele anbringe.
nachgetragen am 15. Dezember

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