Sonntag, 12. Oktober 2014

"Der Glaube ist eine gewisse Zuversicht des, das man hofft..."

Karte der Reisen des Hl. Paulus von Abraham Ortelius, 1598

Herrn Roloffs Predigt vom letzten Sonntag habe ich noch nachzutragen - eine kräftige Vermahnung über die Ernsthaftigkeit des Lebens, die Wirklichkeit der moralischen Welt und anderes...

Und um kurz in einen leichteren Tonfall zu wechseln, man könnte letztens fast den Eindruck gewinnen, daß er diesen Ort gewissermaßen übernommen hätte, aber ganz so schlimm steht es noch nicht.

Aus unserem letzten Gespräch erschließe ich, daß er einem sich möglicherweise aufdrängenden Eindruck gern entgegentreten würde, als ob er etwa zurückliegenden gottesfürchtigen Zeiten hinterher klagen würde. Dem ist nicht so. Diese heile Vergangenheit gab es nie (konnte es nicht geben, wenn man das christliche Menschenbild versteht und akzeptiert). Doch beharrt er darauf, daß es einen Unterschied macht, ob man Verpflichtungen ernst nimmt, auch wenn man sie dabei immer wieder verfehlt, oder ob man ihnen Sinn und Anspruch generell bestreitet.

Mit meinen Worten: Das in uns, das Normen und Ordnungen hervorbringt (so zeitlich wandelbar dies äußerlich sein mag), ist nichts Fremdes und Auferlegtes. Diese Normen beschreiben die Struktur des Menschlichen, zeichnen es nach, suchen ihm gerecht zu werden, sind Selbstausdruck des Menschlichen, so wie es erschaffen wurde. Das zu behaupten ist, auch wenn es immer wieder verfehlt wird, das aber nicht als nur willkürlich Behauptetes (im anderen Wortsinn) aufgegeben werden darf.

 Sankt Paul vor den Mauern nach dem Brand 1823

Roma - Basilica di S. Paolo fuori le Mura

Predigt zum 17. Sonntag nach Trinitatis

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Als Predigttext ist uns ein Abschnitt aus dem Epheserbrief aufgegeben:

Die Einheit im Geist und die Vielfalt der Gaben

1 So ermahne nun euch ich Gefangener in dem HERRN, daß ihr wandelt, wie sich's gebührt eurer Berufung, mit der ihr berufen seid, 2 mit aller Demut und Sanftmut, mit Geduld, und vertraget einer den andern in der Liebe 3 und seid fleißig, zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: 4 ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eurer Berufung; 5 ein HERR, ein Glaube, eine Taufe; 6 ein Gott und Vater unser aller, der da ist über euch allen und durch euch alle und in euch allen.

aus einer Handschrift der Paulusbriefe, frühes 9. Jahrhundert

Liebe Gemeinde,

allein das ist schon erstaunlich genug, um darüber eine Bemerkung zu machen. Paulus war ein einfacher jüdischer Handwerker aus der kleinen Stadt Tarsus. Er wurde Anhänger einer religiösen Bewegung, die nicht zu den bedeutenden ihrer Zeit gezählt hat. Dennoch eiferte er so sehr, dass es ihm Gefangenschaft einbrachte. Vielleicht wäre er sogar nach einer erneuten Züchtigung wieder freigelassen worden – sein Weg hätte eine ganz andere Wendung genommen. Als römischer Bürger aber berief er sich auf den Kaiser und wurde in die Hauptstadt des Imperiums gebracht. Während er nun dort auf seinen Prozess wartet, der mit seinem Tod enden wird, wie er vielleicht auch schon selbst vermutet hat, schreibt er diese Zeilen an die Gemeinde in Ephesus, vermutlich um das Jahr 60 herum. Auch nach 2000 Jahren kennen wir seine Worte noch und hören sie im christlichen Gottesdienst.

Paulus schwört die Gemeinde ein auf das gemeinsame Bekenntnis. Was sich da für unsere Ohren zunächst nur anhört, wie die Aufforderung zu gutem Benehmen, ist viel umfassender gemeint. Darin erklärt sich auch die Dringlichkeit, die geradezu durch die Unterstreichung seines Loses als Gefangener noch betont wird: So ermahne nun ich euch in dem Herrn, dass ihr wandelt, wie es sich gebührt eurem Beruf, darinnen ihr berufen seid.

Im Wort Beruf klingt für uns zu sehr das mit, was ein Mensch tut. Hier ist aber ausdrücklich die gemeinsame Berufung der Gläubigen gemeint, der entsprechend die Epheser damals und auch wir heute wandeln sollen.

Berufung ist ein schwergewichtiges Wort. Jemand wird in sein Amt berufen, es gibt Berufungsurkunden und Berufungsgerichte. Was ist eine Berufung?

Zur Berufung gehören zunächst einmal immer zwei, die handeln. Es gibt den einen, der das Recht hat zu berufen, und es gibt denjenigen, an den sich der Ruf richtet. Dieser Zweite hört den Ruf. Und in ihm, und nur in ihm kann sich nun vollziehen, was aus dem Ruf eine Berufung werden lässt. Er muss antworten. Eine Berufung kommt nur dann zustande, wenn ein Mensch auf einen an ihn ergehenden Ruf mit Ja antwortet, wenn er seinerseits ein Versprechen abgibt. Die christlich abendländische Religion und Kultur ist eines der verbindlichen Versprechen.

Konstantinopel: Chora - Kirche

Paulus hätte folglich auch sagen können, haltet die Versprechen, die ihr Gott und einander gegeben habt. Erst aus diesem Versprechen, aus diesem Beruf können nun Demut und Sanftmut und Geduld wachsen. Sie können daraus erwachsen, weil an der Berufung selbst nun nichts mehr zu ändern ist, sie ist der Dreh- und Angelpunkt im Leben des Berufenen geworden.

Diese Haltung ist es demzufolge auch, die in besonderer Weise das charakterisiert, was wir als Christen Glauben nennen. An anderer Stelle heißt es darum auch: „Der Glaube ist die gewisse Zuversicht des, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ Der Glaube schafft also eine Verbindung zwischen der Hoffnung, die wir in uns aufrechterhalten und dem unbedingten Vertrauen, das wir auf Gott den Herrn setzen. Er greift geradezu aus dem, was wir sind, heraus nach dem, was ewig ist. So ist der Glaube der Sieg, der die Welt überwunden hat, wie es im Wochenspruch heißt.

El Greco, St. Peter und Paul

Als Christen stehen wir folglich als Sieger in der bereits überwundenen Welt. Genau hier darf man sich nun aber nicht in den Irrtum verführen lassen, als würde die christliche Theologie in der Welt darum etwas sehen, was ganz schlecht, verdorben und verachtenswert ist. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Die Welt ist schließlich Gottes gute Schöpfung, die aber erst durch den Glauben des Menschen Vollendung findet. Der Sieg des Glaubens über die Welt setzt der Schöpfung die Krone auf.

Nur in diesem Zusammenhang wird es Paulus möglich, davon zu reden, dass die Menschen so Einigkeit im Geist und das sie umschließende Band des Friedens finden. Einigkeit im Geist und Frieden sind unter Menschen nur denkbar, wenn sie sich aus einer Herrschaft des Geistes der Wahrheit und dem verheißenen ewigen Frieden ableiten. Wenn es diese beiden Wirklichkeiten nicht gäbe, dann wäre auch jede Einigkeit unter Menschen bloße Spekulation und der Frieden müsste immer erzwungen sein, er wäre ein Ergebnis der Unfreiheit.

Andrei Rubljow - St. Paul

Im Vertrauen auf diese Wirklichkeiten, im Vertrauen auf Gott werden wir aber tatsächlich ein Leib und ein Geist. Das ist die große Hoffnung, die Paulus beschwört. Wenn der Mensch davon abweicht, dann zerbricht wahre Gemeinschaft, dann hören die Verbindlichkeit der Versprechen, die wir Gott und einander geben, und jede Berufung auf. Dann gibt es kein gelingendes Leben mehr, dann verkommt alles zum bedeutungslosen Versuch. Man versucht es einmal, man versucht es ein anderes Mal, man verspricht heute dies und morgen das, und alles steht gleichgültig nebeneinander. So stellen sich manche Menschen die Welt vor und behaupten, nur das wäre modern und würde der Lebenswirklichkeit der Menschen entsprechen. Alle, die das tun, versündigen sich aber an der Wahrheit.

Schaut doch hin! Kein Kind kann sich seine Eltern aussuchen, und wenn sie ihm nicht gefallen, nach anderen Ausschau halten. Kein Mensch kann wirklich verschiedene Leben ausprobieren, er hat doch nur das eine. Es gibt kein Leben zum Ausprobieren, es gibt kein Leben auf Probe, und es gibt vor allem kein Sterben auf Probe.

Alle, die uns das aber einreden wollen, alle die da behaupten, das Leben wäre ein großer Markt der Möglichkeiten in dem Sinne, dass nichts verbindlich, nichts von Dauer und vor allem auch nichts wirklich wahr ist, die wollen die Menschen dahin verführen, ihr Leben zu verwirken. Schneller als wir es wahrhaben wollen werden wir gewahr, wie kurz unsere Zeit auf Erden ist. Bringt sie nicht in einem Tingeltangel der Unaufrichtigkeit, der Charakterlosigkeit und der Unwahrheit zu, sondern sucht die Einigkeit im Geist und das Band des Friedens, denn sie bewahren den Glauben und die Kultur der gehaltenen Versprechungen, wodurch wir den Beruf unseres Lebens erfüllen.

So sind wir in der Kirche ein Leib und ein Geist. Uns bindet ein Herr, ein Glaube, eine Taufe. Wenn wir wieder alle drei genannten Größen durchgehen, dann werden wir auch an ihnen feststellen, dass wir an sie jeweils durch ein Versprechen gebunden sind. Haltet darum die Versprechen, die ihr gegeben habt, tut sie nicht leichtfertig ab, denn dann könnt ihr durch bloßes Beharren erleben, was es bedeutet, dass ein Gott und Vater unser aller waltet. Er ist über uns, denn er ist es, durch den auch wir sind, er ist aber auch durch uns, denn der Mensch ist Gottes Weg durch die Welt, und er ist in uns, denn sein Odem wirkt in allem was lebt. Ihm antworten wir in tiefstem Vertrauen und sprechen: Credo, ich glaube.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn.

Amen.

Thomas Roloff

Chora - Kirche, Entschlafung der Mutter Gottes

nachgetragen am 14. Oktober

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