Freitag, 3. Oktober 2014

Zum 3. Oktober


Eine Vorbemerkung

Herr Roloff hat an unserem gegenwärtigen Nationalfeiertag (den ich irgendwie geräuschlos habe an mir vorbeirauschen lassen) in seinem Schönhausen (Elbe) erneut traditionellerweise einen Gottesdienst gehalten. Was er dabei gesagt hat, soll im im Anschluß folgen. Daß dies mit einigen Tagen Verspätung geschieht, tut mir aufrichtig leid.

Die Verzögerung entstand (zunächst) aus meinem Bedürfnis nach einigen kontrovers einleitenden Worten, was selten genug vorkommt, und nein, nicht wegen der Bemerkung zu Rußland, sondern wegen des erwähnten Papstes.

Innozenz III. Eifer für die Reinheit des Glaubens will ich wahrlich nicht geringschätzen. Daß er dabei im Kreuzzug gegen die Katharer mit dem Irrglauben zugleich auch noch einiges mehr zerstört hat (wie die Kultur der Provence und einen großen Teil ihrer Bevölkerung), oder daß er die Eroberung Konstantinopels beim IV. Kreuzzug zur (vergeblichen) Unterwerfung der morgenländischen Kirche zu nutzen suchte, oder gar solche Kleinigkeiten wie, daß dieser Papst jedem, der die Magna Carta befolgte, die Exkommunikation androhte, nein, all dies und mehr macht nicht den Hauptteil des Grolls aus, den ich gegen seine Gestalt hege.

Oder sagen wir es besser: Der Mann hatte auch in meinen Augen große Verdienste, er war von entschiedener Wirkmächtigkeit, aber zugleich war sein Handeln so weitgespannt, daß ich doch sehr in Verlegenheit bin, ihn einen großen Papst nennen zu können.

Und er stellt einen ersten Höhepunkt dar in der Ausbildung des Papstamtes, die ich für verhängnisvoll halte, auch für das Amt selbst. Aber um ihn selbst zu Wort kommen zu lassen:

"Er [der Papst] ist wirklich der Stellvertreter Jesu Christi, der Nachfolger des Petrus...: Zwischen Gott und Mensch in die Mitte gesetzt; unter Gott, aber über den Menschen; geringer als Gott, aber größer als der Mensch; alles richtend, aber von niemandem gerichtet; der mit der Stimme des Apostels verkündet: 'Der mich richtet, ist der Herr' (1. Kor. 4.47)", (aus der Inthronisationsrede).

Der Papst sollte der unumschränkte Herr der Kirche sein, jeder beschränkende Einfluß von weltlicher, aber auch kirchlicher Seite (etwa Konzilien) ausgeschaltet. Darüber wäre schon einiges zu reden. Aber ist ja noch mehr gemeint. Das Muster, grob vereinfacht, lautet etwa so: Der Papst ist der Stellvertreter Christi auf Erden, alle Macht, auch die weltliche, geht von Gott aus, folglich ist auch alle weltliche Herrschaft dem Papst nachgeordnet und aus seinen Händen zu empfangen. (So ein wenig vergleichbar dem gegenwärtigen iranischen Prinzip, nur im Großen)

Die Päpste hatten sich hier in einen, natürlich fromm verpackten, Allmachtsrausch hineingesteigert, der ihnen noch üble Erträge einbringen sollte (so konnten sie zwar die Staufer ausmerzen, nur um den Franzosen in die Hände zu fallen z.B.), und pure Hybris war (und vom Evangelium her in keiner Weise begründbar). Am Ende ist dieser Anspruch auch jämmerlich zusammengebrochen, hat aber bis dahin noch hinreichend Unheil angerichtet.

Das mußte ich denn doch loswerden. Ich habe einiges über besagte Epoche noch einmal gelesen (das ist sicher auch für irgendetwas gut), will es aber doch bei diesen dürren Bemerkungen belassen.

Giotto di Bondone (und Werkstatt)
Freskenzyklus zum Hl. Franziskus von Assisi, 
Der Traum des Innozenz III., 1296-1298, hier gefunden


Ansprache zum Tag der Deutschen Einheit

„Er ist unser Friede“
Eph 2, 14


Er, der unser Friede ist, sei alle Zeit mit euch! Amen.


Liebe Gemeinde,

dies ist ein Tag, an dem Geschichte geschrieben wurde. Es gewann nicht nur unser Vaterland seine Einheit wieder, was natürlich allein schon ein Grund zu größter Freude wäre, sondern mit dem am 12. September 1990 in Moskau unterzeichneten Zwei plus Vier Vertrag, der die Voraussetzungen zur Einheit schuf, wurde der Versuch unternommen, die bis dahin noch vorläufige Nachkriegsordnung Europas in einen dauerhaften Frieden zu überführen. Es sollte Frieden gestiftet werden. Das ist das eigentlich Historische an jenem Tag, der nun 24 Jahre zurück liegt.

Das Historische dieses Datums gibt uns aber nun Anlass, noch viel weiter in die Geschichte zurückzublicken. Unsere Kirche erinnert heute an den Heiligen Franz von Assisi, der am  3. Oktober 1226 gestorben ist.

Francesco Giovanni war der Sohn eines wohlhabenden Tuchmachers. Fröhlich und sorglos wuchs er auf und wollte Ritter werden. Die Kämpfe, in die er zog, brachten ihm aber nur Krankheit und Gefangenschaft. Ein Traum in Spoleto bestimmte den jungen Mann dazu, vom Soldatenleben Abschied zu nehmen.

Bereits jetzt wurde Franz mehr und mehr zum Sonderling. Er wurde verlacht, nahm den Spott aber geduldig hin. Der Vater begann, sich Sorgen zu machen.

Der entscheidende Bruch mit dem bisherigen Leben trat im Jahr 1207 ein, als Franz mehrere Tuchballen seines Vaters verkaufte, um eine kleine Kirche wiederherzustellen. Es war damals sicher noch aufsehenerregender als es das heute wäre, als Franziskus sich vor aller Augen seine Kleider auszog und bekannte: „Weder Geld noch Kleider will ich von dir, von jetzt an nenne ich nur noch einen Vater, den im Himmel!“

Ein Neues Leben kann nur beginnen, wenn man den Mut hat, wirklich mit allem abzuschließen. Franz rannte nackt aus der Stadt. Als seine Bestimmung erschien es ihm nun, allem Besitz zu entsagen und Gutes zu tun. Zu diesem Zweck gründete er seinen Orden der Minoriten!

In einer verstörenden Weise zog Franziskus Menschen an sich. Es wird berichtet, dass er seine Zeitgenossen geradezu verzaubert hat.

1210 unternahm er eine Wallfahrt nach Rom. Hier kam es zu einer weltgeschichtlichen Begegnung mit Innozenz III. Bis in unsere Tage hinein gilt er als der bedeutendste Papst. Ihn zu würdigen verlangt nach einer eigenen Predigt. Gesagt sei aber, dass es ihm gelang, das Papsttum als höchste Macht der christlichen Welt zu etablieren. Er setzte Könige ein, und er enthob sie ihres Thrones. Vor allem aber eiferte er mit nicht endender Energie für die Reinheit des Glaubens. Als glänzender Jurist war er von der Idee bestimmt, man könnte die gute Ordnung der Welt durch das Kirchenrecht sichern. Seinen Triumph feierte er dann 1215 mit dem IV. Laterankonzil.


Als Franziskus allerdings zu ihm auf dem Wege war, da träumte diesem gewaltigen Papst, dass zu seinen Füßen ein Palmbaum aufwüchse und ein armer unbekannter Mönch die Mauern von San Giovanni in Laterano, der ursprünglichen Bischofskirche des Pontifex, stützen würde.

Der Papst schien eine Ahnung davon gehabt zu haben, dass alle Macht, die er besaß, die Kirche nicht würde erhalten können, wenn nicht die geistliche Kraft hinzutreten würde, mit der Franz von Assisi gesegnet war. Darum bestätigte Innozenz den Orden der Minoriten.

Franz von Assisi wollte in seiner Welt, die durch tiefreichende Umbrüche und Gefahren gekennzeichnet war, Frieden stiften. Das war der eigentliche Sinn der durch ihn ins Leben gerufenen Gemeinschaft. Sie sollte unter den Menschen Frieden ermöglichen. Seine schlichte Vorstellung davon, wie dieser Frieden zu erlangen sei, richtete sich auf das Beispiel Jesu. Dem immer unheilschwangeren Machtgebaren der Herrschenden seiner Zeit stellte er den unbedingten Gewaltverzicht entgegen, und den Auswirkungen einer umfangreicher werdenden Geldwirtschaft stellte er das christlich mönchische Prinzip der Armut entgegen. Gewaltverzicht und Armut kann man von niemandem verlangen, man kann sie nur beispielgebend vorleben.

Das ist der Kern dessen, was im Leben des Franz von Assisi gelungen ist. Er hat den Menschen seiner Zeit und damit der Welt ein Beispiel gegeben.

Warum erzähle ich das alles in dieser Ausführlichkeit an diesem Tag?

Ich bin der Überzeugung, dass die Umbrüche unserer Zeit denjenigen des beginnenden 13. Jahrhunderts sogar sehr ähnlich sind. Die Geldwirtschaft ist wenig vertrauenerweckend und das Machtgebaren der Herrschenden unheilschwanger. In selten gekannter Intensität branden Konflikte auf, die viel weniger weit fort sind, als viele Menschen unter uns es glauben.

Die einzige Antwort, die von westlicher Seite bislang auf die neuen Kriege des 21. Jahrhunderts gegeben wurde, war die der technischen Überlegenheit. Im Zweifel hat man sie umfassend und zuweilen auch brutal ausgespielt. Hat all das aber seinen Zweck erreicht? War das, was im Irak, in Afghanistan, später in Libyen und nun auch in Syrien unternommen wird, erfolgreich?

Ganz abgesehen von diesen Fragen müssen wir an diesem Tag auch darauf blicken, wie sehr sich unser eigenes Land verändert hat. Schnell sieht und würdigt man die großen Erfolge beim Wiederaufbau der Landstriche, die einmal die DDR gebildet haben. Noch 1988 hätte man sich nicht vorstellen können, wie vollständig dieser Staat einmal verschwunden sein würde. Wir können dankbar sein für den Wiederaufstieg dieser Nation, der der Wiedervereinigung gefolgt ist. Wir leben in einem großartigen Land. Nirgendwo auf der Welt wäre es möglich gewesen, nach einer großen Naturkatastrophe, wie der im vergangenen Jahr erlebten Überschwemmung, so umfassend zu helfen, wie es bei uns der Fall gewesen ist. Natürlich gleicht das nicht alles Leid und jeden Verlust aus. Aber es gab jedem die Chance zum Neuanfang. Daran werden der große Reichtum und der unglaubliche wirtschaftliche Erfolg dieses zu neuer Einheit gekommenen Landes deutlich. Es wird aber auch sichtbar, wie viele Menschen es gibt, die in Hilfsorganisationen und auf anderen Wegen bereit sind, sich für andere Menschen einzusetzen.  Das setzt sich bis in diese Tage fort, und unser Fest, das mit diesem Gottesdienst beginnt, ist dafür ein schöner Ausdruck.


Die Veränderungen dieses Landes haben sich aber auch in anderen Bereichen vollzogen, und dort sind sie nicht in gleicher Weise zum Guten.

Erinnern wir uns: Bereits in der Zeit der Entspannungspolitik und auch noch für das vereinte Deutschland galt der manchmal schon zu formelhaft vorgetragene Satz: „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg, sondern nur noch Frieden ausgehen!“ Man hat sich bemerkenswert schnell, innerhalb von nur einem Jahrzehnt, von ihm verabschiedet und 1998/99 ohne Mandat der UNO den Krieg gegen Serbien geführt.

Ein weiterer wichtiger Grundsatz deutscher Außenpolitik war das Verbot von Waffenexporten in Kriegs- und Spannungsgebiete. Er fiel im vergangenen Sommer innerhalb von nur wenigen Tagen. Jetzt liefert Deutschland, unter zum Teil kuriosen Umständen, Kriegsmaterial an die Kurden, die weder über einen Staat noch über eine reguläre Armee verfügen.

Die größte Sorge aber bereitet mir eine ganz andere Entwicklung. Wenn es eine Lehre gibt, die alle aus der Geschichte des vergangenen Jahrhunderts gezogen haben sollten, dann ist es die, immer um das Einvernehmen mit Russland zu ringen. Nun bekommt man mehr und mehr den Eindruck, dass an einer Allianz gegen Russland gearbeitet wird. Daraus kann nichts Gutes entstehen.

Hinzu tritt das gedankenlose Gerede von mehr internationaler Verantwortung, das im Lichte dessen, was wir in den vergangenen Tagen über Deutschlands militärisches Potential erfahren haben, weder als angemessen noch als politisch klug gelten kann.

Aus allem spricht ein beunruhigender Mangel an geistiger Orientierung. Wo aber soll gerade geistige Orientierung gefunden werden? Auch Nationalfeiertage werden zu hohlem Getöse, wenn sie nicht eine Suche nach den geistigen Grundlagen eines Volkes sind.

Thomas von Celano, ein Weggefährte des Hl. Franz, berichtet uns: „Zu jener Zeit zog gerade Kaiser Otto IV. mit viel Getöse und Pomp durch jene Gegend, um sich die Krone des irdischen Reiches zu holen; doch weder der heilige Vater selbst, gemeint ist Franziskus, der mit den übrigen in der obengenannten Hütte wohnte, die nahe am Wege war wo Otto vorbeizog, ging hin, um den Zug anzuschauen, noch ließ er einen Bruder hingehen. Nur einer musste dem Kaiser eindringlich ankündigen, dass sein Ruhm nur kurze Zeit dauern werde. Der glorreiche Heilige war in sich versunken, wandelte in der Weite seines Herzens und bereitete Gott in sich eine würdige Wohnung. Darum merkte er nicht auf den von außen kommenden Lärm und kein Wort konnte ihn erschüttern oder unterbrechen in der gewaltigen Aufgabe, die er in Händen hatte.“

Der christliche Glaube kann nicht Dekoration des Lebens sein. Man kann ihn sich nicht gleichsam wie einen Mantel umwerfen, um sich zu bestimmten Lebensereignissen oder auch zu hohen Feiertagen einen würdigen Rahmen zu schaffen. Damit entleert man den Glauben. Der christliche Glaube ist die Suche unseres Lebens, die jeden Tag füllen will. Lasst euch darum nicht blenden durch den Glanz äußerer Dinge, lasst euch nicht taub machen durch den Lärm der Welt. Hört auf den, der in Wahrheit die ganze Welt regiert, und der sich in allen Einzelheiten seiner Schöpfung zeigt, wie Franz von Assisi es unvergleichlich in seinem Sonnengesang, den wir als Fürbitte beten werden, ausdrückt. Erst dann wendet euch dieser Welt und ihren Dingen zu, denn unser Gebet und unsere Hoffnung und unser Beharren auf die Gewaltlosigkeit und unser unbedingter Wille zum Frieden, das ist der Beitrag der christlichen Kirche zur geistigen Welt dieses Landes, und es wäre uns bereits öfter schon gut bekommen, wenn wir genau das beharrlicher geglaubt und mutiger bekannt hätten.

Dieser Geist stünde unserem Lande gut an. Ihn in eine Nation hineinzutragen kann man allerdings von niemandem verlangen, man kann sich der Aufgabe immer nur selbst stellen und in der Hinwendung auf Christus Gemeinschaft suchen.

Das ist das eigentlich faszinierende an Franz von Assisi. Er ist nicht den Menschen nachgelaufen, sondern er hat sie durch sein authentisches Leben und durch seinen tiefen Glauben angezogen, und bis in unsere Tage zeugt der Franziskanerorden von ihm in der Welt.

Selbst noch in seinem irdischen Ende suchte er die Nähe seines Herren darin, dass er wie Christus nackt zu sterben wünschte.

Innozenz III. starb bereits 1216 auf einer Reise in die Lombardei. Er wurde in der Kathedrale von Perugia aufgebahrt und über Nacht seiner kostbaren Gewänder beraubt, so dass auch er nackt von der Welt ging, gleichwie er gekommen war, denn so vergeht der Ruhm der Welt.

Gregor IX., ein Neffe Innozenz III., sprach Franz von Assisi bereits 1228 heilig, eigenartiger Weise am 12. Todestag des großen Innozenz.

Amen.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Thomas Roloff

nachgetragen am 6. Oktober

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