Der Kölner Dom um 1900
Es ist immer wieder hübsch zu beobachten, wie der Inhalt des als „normal“ Vorgestellten komplett wechselt, nur dieser beruhigte Tonfall, der bleibt sich immer gleich: „ Die Erneuerungswut der Nachkriegszeit zeichnet viele Städte noch heute. Selbst Städte, die vom Bombenkrieg verschont geblieben waren, fügten sich im Modernisierungswahn üble Wunden zu... Die Ideologie der autogerechten Stadt - zeigt sich in Stuttgart genauso wie in Halle an der Saale: viel Beton, wenig Geist.“
Dies durfte ich gestern in der üblicherweise sehr auf den Wellen des „Mainstreams“ dahinplätschernden Sendung „Kulturzeit“ auf 3sat vernehmen, genauer, in deren „Kulturzeit-Tips“.
Ich habe mir angewöhnt, diese Sendung vornehmlich aus Gründen der Selbstkasteiung regelmäßig zu verfolgen. Und diesmal nichts über Gender-Mainstreaming oder „provokative“ Operninszenierungen, sondern das! Annonciert wurde eine (Wander-)Ausstellung des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst an der TU Dortmund „Plätze in Deutschland 1950 und heute“, die, wie ich dann feststellen durfte, schon seit Sommer 2013 ihre Wirkungen entfaltet.
Als die Ausstellung in Nürnberg Station machte, titelte die Süddeutsche Zeitung sehr treffend „In der Vorhölle der Erbärmlichkeit“. Schuld an den zutagetretenden architektonischen Grausamkeiten seien dabei gewiss nicht nur die Weltkriegsbomben gewesen. Meine Anmerkung, nein, nicht umsonst spricht man über den Wiederaufbau nach dem Weltkrieg mit einigem Recht auch als von der „2. Stadtzerstörung“. Der Autor der Süddeutschen erkennt der Ausstellung zu, sie sei „simpel, ja mitunter simplizistisch, jedenfalls von unaufgeregtem Gestus“, berge aber gewaltigen Zündstoff, dessen Detonation eigentlich in ganz Deutschland zu hören sein müßte.
Ich bezweifle das, dazu ist die mentale Degeneration, die dahintersteckt, schon zu weit fortgedrungen. Aber die beigegebene kommentierte Bilderserie ist recht eindrucksvoll. Über den Franckeplatz in Halle (Saale) etwa sagt der Kommentator: „Wobei der Platz heute nur noch wenig Ähnlichkeit mit einem Stadtplatz hat - eher erinnert er an den Rand eines Bombenkraters. Bäume, Fassaden, Proportionen, Ornament: alles tot.“ Und offensichtlich entstanden ihm die gleichen apokalyptischen Assoziationen wie mir.
Der Dom umstellt von Häßlichkeit (Kölner Dom und Hauptbahnhof)
Auf der Seite des Instituts finden sich ebenfalls Gegenüberstellungen abgebildet, einmal: Bonn, Bahnhofsvorplatz, 1955 – 2011. Und man denkt, es müsse zwischendurch ein Krieg oder ein anderes schweres Unglück eingetreten sein, die Szenerie hat etwas Postapokalyptisches. Für mich der blanke, wenn auch bekannte Grusel. Eine andere Gegenüberstellung zeigt den Frankeplatz in Halle, einmal um 1950, einmal 2012, mit bereits erwähntem Befund.
Dazu der eher nüchterne Satz: „Auch Plätze, die den Krieg unbeschadet überstanden hatten, wurden nun Opfer einer rigiden Stadtplanung, die sich an den funktionalen Ansprüchen des Automobilverkehrs orientierte und die historischen Strukturen und Maßstäbe unberücksichtigt ließ.“ Die Ausstellung stelle Photographien deutscher Plätze aus den 1950er Jahren aktuellen Aufnahmen vom gleichen Standort gegenüber, um auf die Fehlplanungen und Versäumnisse in der Gestaltung des Stadtraums aufmerksam zu machen.
Ich kann so leise nicht treten; ich behaupte, Menschen, die derartiges planen und ausführen, denen wurde irgendetwas amputiert oder sie haben es selbst zuvor totgeschlagen. Ich hatte vor einiger Zeit das wunderbare Vergnügen, an einem Blog zu „Brideshead Revisited“ von Evelyn Waugh mitzuwirken. Und dort gibt es eine sehr prägnante Beschreibung dieses Menschentyps:
"Weißt du, Pater Mowbray fand sofort die Wahrheit über Rex heraus… Er war einfach nicht ganz da. Er war überhaupt kein vollständiger Mensch. Er war ein unnatürlich entwickeltes Stückchen von einem Menschen; etwas in einem Glas, ein in einem Laboratorium am Leben erhaltenes Organ. Ich hatte gemeint, er wäre so etwas wie ein primitiver Wilder, aber er war etwas völlig Modernes und Neuzeitliches, wie nur unser gräßliches Zeitalter es hervorbringen kann. Ein winziges Stückchen von einem Mann, das so tat, als wäre es der ganze Mann."
Wo ich schon einmal wieder dort war (eigentlich suchte ich nur das Zitat, der Blog ist noch auffindbar), schaute ich mir u.a. meine alten Beiträge wieder an (was mich üblicherweise schaudern macht, diesmal überwiegend nicht). Und jetzt bringe ich ungeniert ein paar Selbstzitate (mehr oder weniger):
Einmal ging es darum, daß Waugh „die Leere nach dem Verlust“ zeige. Und ich meine noch immer: Der Verlust beschreibt eine amputierte Gesellschaft, die meint, im Funktionalen aufgehen zu können, und für die Schönheit oder anderes, das über das naheliegende hinausreicht, lange keine ernstgenommene Kategorie mehr ist... Kultur ist eine Brücke über den Abgrund. Das innere Leben einer Gemeinschaft bedarf aufeinanderfolgender Schichten, bis es zu tragen beginnt. Weniges ist so dumm wie die Phrase, daß eine Gesellschaft sich täglich neu erfinden könne.
Nun ist der Begriff der „Schönheit“ heutzutage ein eher belächelter oder er wird bestritten. Dabei beschreibt er einen Zustand, in dem der Mensch seinem Wesen gemäß lebt, dem, das in ihm angelegt ist. In authentischer Kunst, und für mich ist Architektur auch eine Art angewandter Kunst, wird der Mensch immer über seine Intentionen hinausgetragen und schafft dabei etwas, das in gewissem Sinne seiner Verfügbarkeit entzogen sein sollte. Kultur ist Schöpfung des Menschen aus der Tiefe einer Natur, die ihm ein anderer verliehen hat und durch die dieser wirkt.
Ein Ding von andauernder Schönheit, das dabei entsteht, bedarf der Arbeit ganzer Geschlechter, ist aber schnell leichtfertig und unwiederbringlich zerstört. Und es ist immer ein zerstörter Geist, der in solcher Auslöschung wirkt.
Kölner Dom, Blick nach Osten vom Dach des Mittelschiffs
Nachdem wir uns so aufgeschwungen haben, noch einmal ein Blick zurück zur Ausstellung. Hier wäre übrigens eine weitere Möglichkeit, einen schnellen visuellen Eindruck davon zu erlangen. Dieser lesenswerte Artikel in der „Welt“ beschreibt ein wenig ihren Hintergrund.
Er beginnt mit Wolf Jobst Siedlers Buch "Die gemordete Stadt" von 1964, in dem dieser die Nachkriegsmoderne anklagt, den über Jahrhunderte gewachsenen Stadtkörper Berlins "umgebracht" zu haben. Dessen Urteil wäre immer noch gültig. Mit den Mitteln der Moderne sei es nämlich nirgends gelungen, auch nur ein Stadtviertel, ein Ensemble oder einen Platz zu schaffen, der es mit den Qualitäten der traditionellen Stadt aufnehmen könne. Darauf gäbe es folgende Antwortstrategien:
Die Flucht nach vorn: „Ja, es wurden Fehler gemacht, aber auch unsere Zeit müsse aufs Neue nach einer anderen, 'zeitgemäßen' Form von Stadt für das globalisierte 21. Jahrhundert suchen.“ Eine andere Fraktion erkenne die Stärken der historischen Stadt, hielte sie aber unter den heutigen Bedingungen für nicht reproduzierbar.
Und dann gäbe es wieder Architekten und Stadtplaner, die sich nicht mit der „Hässlichkeit vieler Innenstädte und ihrer oft formlos zersiedelten Peripherie“ abfinden wollten. Sie seien überzeugt, daß man sich auch unter heutigen Produktionsbedingungen den Qualitäten der traditionellen Stadt vor ihrer Zerstörung durch Bomben, Abrisse und Bausünden wieder annähern könne.
In Berlin, Dresden und Frankfurt am Main wären ihre Vertreter bisher erfolgreich gewesen. Und seit einigen Jahren habe diese Denkschule „ein neues Kraftzentrum an der TU Dortmund, wo der Frankfurter Architekt Christoph Mäckler das Deutsche Institut für Stadtbaukunst gründete, das sich – eine Provokation für die Branche – der Frage verschrieben hat, wie man 'schöne' Städte baut.“ Wo es doch den meisten Kollegen vor allem um die "verkehrsgerechte" oder "energieeffiziente" oder "sozial gerechte" Stadt ginge. Wogegen Mäckler und seine Mitstreiter gar nichts hätten, nur würden sie darauf bestehen, „dass die Stadt am Ende auch das sein müsse, was sie Jahrhunderte lang war: ein Kunstwerk, das von den Bewohnern mit allen Sinnen genossen werden will“.
In dem eingangs erwähnten Artikel („In der Vorhölle der Erbärmlichkeit“) wird nach den Horrorbildern von aufgeständerten, auf betonierten Stelzen ruhenden Trassen, Menschen die in Unterführungen abtauchen, „wie inkriminierte Subjekte, die das Tageslicht scheuen“, "Parkbewirtschaftungsflächen" etc. die Frage gestellt, ob denn nicht die mobilitätssüchtigen „Stadtraumkonsumenten“ daran ebenfalls erheblich Schuld trügen.
Daran ist sicher etwas. Wenn man alles dem „Menschenrecht auf Mobilität“ unterordnet und jeden möglichen Verkehr in und durch die Städte pressen will, kann das nicht gutgehen. Aber eine Balance ist möglich, denke ich, wenn man den Willen dazu und vor allem die Kategorien dafür hat.
Heute jedenfalls, und da ist dem Autor von ganzem Herzen zuzustimmen, ist die Stadtplanung in weiten Teilen immer noch „zu einer Disziplin degradiert worden, die das Gewese der von Bau-Normen durchseuchten Infrastrukturtüftelei über die Ästhetik erhebt“.
2 Kommentare:
You said it, thanks!
Uebrigens, das Bild vom Koelner Dom mit Hauptbahnhof ist ausgezeichnet als Photographie und unuebertroffen in der Vermittlung seines Standpunktes...
Ja, das Bild ist sehr gut.
Dachte erst, es wäre eine Photoshop-Retusche, aber laut der Quellenangabe von Wikimedia stammt es aus der amerikanischen "Library of Congress".
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