Samstag, 6. Juni 2015

Über das Leichte und das Schwere, eine Trau-Predigt

Burg Schlitz, Karolinenkapelle

Herr Roloff hat an diesem Sonnabend in Mecklenburg eine Trau-Ansprache gehalten - in der Karolinen-Kapelle von Burg Schlitz. Die wollte ich aus verschiedenen Gründen nachträglich gern hier aufnehmen (die Predigt). Einmal des Ortes wegen, dazu sagt er selbst etwas (ansonsten verweise ich hilfsweise auf die Vorstellungsseite des Schloßhotels). Dann, da er so tapfer von der Ehe predigt.

Burg Schlitz, Portal am Hauptbau

Und zuletzt, weil sich in der Nähe der Kapelle unerwarteterweise ein berühmter Brunnen befindet, vielleicht sollte ich besser sagen – ein bekanntes Bild von einem Brunnen, genauer gesagt, einem „Nymphen-Brunnen“.

Nahe der Kapelle tanzen, sich an den Händen haltend, besagte Nymphen ausgelassen, die tropfnassen Kleider hängen eng an ihnen, um den Brunnenrand. Prof. Walter Schott hat sie ursprünglich für einen Berliner Kaufmann namens Wertheim geschaffen (wenn ich das alles richtig verstanden habe). Ein Abguß steht im New Yorker Central Park als Untermyer Fountain (diese Geschichte wird dort erklärt).

"Untermeyer fountain" aka "Three Dancing Maidens", 
by Walter Schott.Central Park, NYC, hier gefunden

Der Brunnen ist sehr „um 1900“; eine „unnötige“ Interpretation wäre, daß sich da das beengte natürliche Bedürfnis noch künstlerisch erklären wollte, aber das ist eine Sichtweise, man darf den Brunnen auch einfach schön finden. Er ist mehrfach kopiert worden, das wird, wie ich gerade herausfand, recht angenehm an diesem Ort näher erläutert.

Nymphenbrunnen im Park von Burg Schlitz

Dieses Bild durfte ich also verwenden, auf der bereits erwähnten Seite des Hotels gibt es ebenfalls eine Bilderserie, und darauf will ich noch hinweisen. Bei entsprechender Suche findet man einiges, wie gesagt, das Sujet ist recht populär. Merkwürdig nur, wie es dieses Werk eines kaiserlichen Bildhauers durch die Zeitumstände in die mecklenburgische Abgeschiedenheit verschlagen hat, und ein 2. Exemplar ausgerechnet mitten nach New York.

Die in der Predigt zitierten Aphorismen stammen übrigens von Dr. Klaus D. Koch.



Ansprache zur Trauung in der Karolinenkapelle von Burg Schlitz

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus.

Amen.

Sehr geehrtes Brautpaar,
liebe Festgemeinde,

wir sind durch das Brautpaar an einen in Mecklenburg ganz einzigartigen Ort geladen worden. Das zeigt uns zunächst, wie sehr die beiden diesem schönen Land verbunden sind. Es führt uns aber auch noch auf eine andere Spur. Schloss und Kapelle sind die größte und bedeutendste klassizistische Anlage des Landes, und sie sind vor allem ein Symbol für den Wiederaufstieg Deutschlands nach den Demütigungen und schweren Niederlagen der Franzosenzeit.

Hans von Schlitz hat hier aber in den Jahren von 1806 bis 1824 keineswegs nur ein Domizil für sich und die Seinen errichtet, er hat einen Erinnerungsort gestiftet. Im 60 ha großen Park sind zahlreiche Denkmäler und Kunstwerke erhalten, die selbst uns heute noch aufscheinen lassen, wie bewegt, voller Zuversicht und Glaubensstärke die Zeit nach dem Sieg über Napoleon, dem Zerstörer Europas, gewesen ist. Die Menschen fühlten sich durch die Gnade Gottes gerettet und verehrten voller Begeisterung ihre Helden.

Hier finden sich Denkmäler für Blücher und Wellington, für Karl Theodor von Dalberg und Maximilian I. von Bayern. Der Bauherr wollte, dass man sich an jene große Zeit erinnert. Er wollte sich selbst erinnern.

Diesen Ort habt Ihr Euch gewählt, weil Ihr auch einen Erinnerungsort gesucht habt, denn dieser 6. Juni wird Euch von nun an immer ein ganz besonderer Tag bleiben.

Warum das Erinnern von so großer Bedeutung für uns Menschen ist, werden wir vielleicht gewahr, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie Goethe das erste Rochusfest zu Bingen am Rhein erlebte. Es konnte in der napoleonischen Zeit nicht gefeiert werden. Die Kirchen waren vielerorts geschändet, zu Truppenunterkünften und als Pferdeställe missbraucht.  1814 aber wurde das Fest nun mit der ganzen Pracht der Kirche wiedererweckt.

Der Dichter beobachtete, wie die Menschen sich im dichten Gedränge durch die Kirche schieben lassen. Die Gesichter der Kinder und der Erwachsenen leuchteten. Nur bei den jungen Menschen wäre es anders gewesen, sie gingen ungerührt, gelangweilt und gleichgültig am Bilde des Heiligen vorüber. Goethes Erklärung dafür ist aufschlussreich: In böser Zeit geboren hätten diese Menschen nichts Gutes zu erinnern und darum auch nichts zu hoffen. Das will uns sagen: Nur wer sich erinnern kann, der kann auch hoffen.

Es ist die Erfahrung vieler Seelsorger, vielleicht auch von Ärzten, dass man verzweifelten Menschen am ehesten helfen kann, wenn man in ihnen die Erinnerung an die Erfahrungen des Guten weckt. Dann lernen sie dem Guten zu glauben. Dann lernen sie wieder zu hoffen. Wer die Vergangenheit vergiftet, gibt nicht Hoffnung, sondern zerstört ihre seelischen Grundlagen. In einer verstörenden Vorwegnahme des Wesens der Moderne wird dem Menschen aber genau das als Befreiung suggeriert. Freiheit soll aus dem Erlöschen des Erinnerns der Liebe erwachsen. Überhaupt hat man den Menschen inzwischen erfolgreich eingeredet, dass Befreiung immer von etwas stattfinden muss. Völker befreien sich von Herrschaft, Menschen voneinander und am Ende alle gemeinsam von der Erinnerung an die guten Taten Gottes. Das ist der Kern der Säkularisation.

Ich kann nicht entdecken, was all das Gutes gebracht haben soll und will uns darum lieber ein einfaches Wort in Erinnerung rufen. In diesem Wort ist auch viel von dem ausgesprochen, was die Kirche inzwischen ziemlich einsam gegen den Geist der Zeit bewahrt, nämlich das sich Befreiung in der gelingenden Gemeinschaft vollzieht, in der verbindlichen Gemeinschaft von Menschen und in der Gemeinschaft mit Gott.

Jemand hat gesagt: „Glück ist das Schwere, das man trotzdem schafft – zu zweit.“
Aphorismen zielen wohl immer in zwei Richtungen. Dem anderen sind sie ein Weckruf, demjenigen aber, der sie schreibt, sind sie ein Erinnerungsort.

Zwei Dinge überraschen zunächst. Glück ist das Schwere, wird uns gesagt. Dabei ist die vorherrschende Meinung doch die, dass das Glück die Leichtigkeit selber ist und die Abwesenheit von allem Kummer. So wollen die Menschen leben, und verlassen sich, wenn dieser Schwebezustand aufhört, weil sie glauben, das Glück hätte aufgehört.

Hier aber, in unserem Satz, hat einer erkannt, dass das Glück doch nun erst beginnen will, indem unser Wille zueinander geprüft wird, indem wir uns erinnern, warum wir zusammen sind. Nur so bringen wir das Trotzdem zustande! Die tiefe Gemeinschaft miteinander ist genau dieses Trotzdem, und darin liegt auch die höchste Form von Freiheit und Glück. Freiheit, die eben nicht dem Wahn verfällt, voneinander gefunden werden zu können, sondern die nur miteinander gefunden werden kann. Die Gemeinschaft, dieses vollkommene Miteinander, schafft doch überhaupt den Zustand der Ganzheit, aus dem Freiheit werden kann.

Gemeinschaft aber setzt Erinnerung voraus.

Es ist die Erinnerung an den Augenblick, in dem zwei Menschen sich erstmals begegnet sind.

Erinnerung an das Finden des anderen. Erinnerung an diesen Tag heute, an dem einander ein Versprechen gegeben wird. Diese Erinnerungen sollen der Brunnen sein, aus dem heraus sich das Leben immer wieder erneuert. Sie sollen der Brunnen sein, der auch die Liebe immer wieder belebt.

Dabei werden wir entdecken, dass die persönlichen Erinnerungen von den großen Erinnerungen der Menschheit gleichsam genährt, und die großen Erinnerungen nur durch ihre Übersetzung ins Persönliche gewahrt werden. Die Trauung zweier Menschen ist ein Augenblick, in dem sich genau dieser Übergang gestaltet und gefeiert wird. Denn das Versprechen, dass Ihr einander gebt, ist doch nur darum von Bedeutung, weil sich in ihm Gottes Zusage, bei uns zu sein, abbildet. Und in dem treuen Bewahren Eures Versprechens werdet Ihr die Menschlichkeit Gottes erfahren.

Ganz elementar habt Ihr schon erlebt, dass Ihr füreinander seid, was Ihr aus Euch selbst und allein eben nicht und niemals sein könnt. Erst in der Gemeinschaft wird auch jeder für sich ganz und heil und zum Ursprung auch wieder neuen Lebens. Die Trauung ist ein wirkliches Heilwerden des Menschen durch die Gemeinschaft mit dem anderen. Bezeichnender Weise kommt sie zustande durch ein Versprechen. Ich nehme gern das Verständnis der römisch-katholischen Kirche zur Hilfe, nach dem die Trauung ein Sakrament sehr eigener Art ist.

Sie ist nämlich das einzige Sakrament, dass nicht durch den Priester gespendet wird, sondern die Eheleute spenden es sich durch ihr Versprechen gegenseitig und werden so ganz eins. Diese Gemeinschaft wird heute  gesegnet.

Als durch Eure Gemeinschaft Gesegnete werdet Ihr durch das Leben gehen. Durch die Jahrtausende hindurch bekennen und schützen Menschen diesen ganz besonderen Wert der Liebes- und Verantwortungsgemeinschaft von Mann und Frau füreinander und für die möglichen Kinder, die nur aus dieser Gemeinschaft hervorgehen können. Es gründet sich hier also in doppelter Weise eine Liebes- und Lebensgemeinschaft. In ihr wird die Liebe zweier Menschen für das Leben bewahrt, und durch sie werden aber auch Leben und Liebe weitergetragen durch die Generationen und durch die Zeit.

Dies ist ein hoher und einzigartiger Wert. In ihm bewahren und erneuern sich die Kraft und die Fähigkeit zu Mutterschaft und Vaterschaft, und wir dürfen selig preisen, wem sie geschenkt sind. Hier war bisher ein Wert zweifelsfrei bestimmt, der Menschen und ganze Völker verbunden hat, der sittliche Ordnungen als Gleichnis und Verheißung ewiger Ordnungen aufgerichtet hat.

Wie wollen wir überzeugend von der Wertegemeinschaft unter Menschen und Völkern reden, wenn wir gleichzeitig die wenigen Werte, über die es lange Übereinstimmung gab, nun ins Unbestimmbare herabsinken lassen und sie so verlassen?

Das ist die eine Frage, die ich stelle, und die zweite will ich nur zitieren:

Sind alle geisteskrank
Oder nur ich?
Wer sich diese Frage stellt,
ist es schon mal nich´.

Christen nehmen in Situationen des Zweifels Zuflucht zur Güte und Wahrheit Gottes. In seinem Wort finden wir Halt und Wegweisung. Das wusste auch der Erbauer dieser kleinen Kapelle, die er seiner Schwiegermutter gewidmet hat. Hoch über dem Portal steht: „Betet an den Schöpfer. Indem ihr in den Menschen, dem Ebenbilde desselben, die Tugend ehrt.“ Das unterstreicht noch einmal, wie sehr wir in dem anderen Menschen und in der Liebe zu ihm erfahren dürfen, wie die Menschlichkeit Gottes in seinen Geschöpfen erscheint.

In diesen Zusammenhang hinein ist Euch der Trauspruch gesagt: „Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.“ Ps 36, 6

Immer kann man auch in diesem Vers die Schönheit Mecklenburgs ausgedrückt finden, denn über kein Land ziehen schönere Wolken und nirgends ist der Himmel höher.

Weite, Güte und Wahrheit finden wir in Gott. Auch hinter den Wolken sollt ihr immer das Strahlen seines Himmels sehen, wenn Ihr Euch an das erinnert, was Ihr Euch heute versprechen werdet. Lasst Euch diese Erinnerung niemals und von niemanden verderben.

Der Abend war schön.
Was uns bleibt ist ein Traum.
Am Ende der Worte
Füllt Schweigen den Raum.

In dieses Schweigen hinein beten wir für Euch, und in dieser Stille komme sein Segen über Euch.
Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn.

Amen
Thomas Roloff

nachgetragen am 10. Juni

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