Es bleibt mir naturgemäß verschlossen, eine Idee davon zu haben, warum Herr Sloterdijk kürzlich begann, nicht nur in seinem eigentümlichen Sound das zu sagen, wovon alle anderen ebenfalls sprechen; mit „alle meinen“ verweise ich nur auf das gegenwärtig vorherrschende Grundrauschen. Das ist zu simpel, ich weiß.
Aber ich bin für solche Beiträge einfach zu ungebildet. Darum darf man das nachfolgende mit meiner Erlaubnis gern weglächeln, und vor allem nicht lesen. Eigentlich will ich nach einigem Hin- und Her-Sträuben nur an einem Vergnügen teilhaben lassen.
In einem sehr hölzernen Beitrag (ich kann das nicht, ich weiß) belobhudelte ich kürzlich besagten Philosophen unter dem Schlagwort - „Es gibt keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung“. Ich hätte mir denken müssen, daß in seinem anverwandten Milieu der Meinungswirtschaft sich darüber ein Aufschrei erheben würde. Völlig an mir vorbeigegangen. Ich kenne diese Gegenden auch nicht wirklich.
Darauf hat er geantwortet (in der „Zeit“ vom 3. März), sehr unterhaltsam, also nicht im platten Sinne. Und ich werde jetzt ein wenig versuchen, dem gerecht zu werden. Es fand statt unter der Überschrift „Primitive Reflexe - in der deutschen Flüchtlingsdebatte erleben Rüdiger Safranski und ich Beißwut, Polemik und Abweichungshass“.
Eigentlich ist damit alles gesagt. Aber darum soll es gar nicht gehen, er hat es halt nur so schön gesagt, daß ich darauf schlußendlich zurückkommen mußte, und dabei ist mir Sektenzugehörigkeit etc. etc. pp. im Grunde herzhaft egal.
Wir werden dem Text jetzt ein wenig zu folgen versuchen.
Eingangs referiert er das Bedauern in den „Sozialwissenschaften“, keine kontrollierten Experimente durchführen zu können. Oh doch, das hat man in diesem verflossenen Jahrhundert wahrlich versucht, wenngleich nur an der Oberfläche kontrolliert, das ist wohl so.
Zurück: Er referiert über die Was-wäre-wenn-Geschichten und das finale „Einknicken vor der Faktizität“. Ich füge schlicht an, weil es geschehen sei, müsse es Notwendigkeit gehabt haben, oder wenigstens eine Art von Sinn, die Diktatur der Faktizität über den Geist folglich. Aber hier haben wir auch schon den ersten schönen Satz. Aus besagtem Mangel müßten sich „die Interessierten nach anderen Ansätzen umsehen, wie man das offene Spiel des Werden-Könnenden auf dem Weg zur Gerinnung ins Faktische sichtbar macht“. Krisen hülfen dabei, dann lebten sie auf (wovon eigentlich?). Ein Gefühl von Deutungskompetenz mag sich einstellen.
„Man’s calamity is God’s opportunity“ zitiert er sodann, offenkundig ein beliebter frommer Spruch im englischen Sprachraum, der diversen Bibelstellen zugeordnet wird, und den er hier ins Soziologische wendet, wofür auch immer. Wo der gute Wille zur Theorie aufkomme, erkenne man ihn am methodischen Amoralismus, der fordere, vitale Interessen und lokale Befangenheiten für die Dauer der Untersuchung einzuklammern...
Sodann konstatiert er einen einen unbestreitbaren Temperaturanstieg im nationalen Debattenklima, das sich in die manische Richtung verschöbe, und vor allem den Pawlowschen Reflex als dessen Grundmovens. Wende man sich mit diesen Hinweisen der „Debattenkultur“ in diesem Land zu, so begreife man unmittelbar „das Drama des Kulturverlusts“, das sich sowohl in den ansprucherhebenden als auch den niederen abrolle. „Nimmt man zur Kenntnis, dass Kultur von bedingten Reflexen getragen wird und dass Zurückhaltung der Basishabitus von höherer Kultur in genere darstellt, so liegt auf der Hand, wie sehr die Aufheizung des Debattenklimas in unserem Land auf eine Tendenz zur Entkulturalisierung hindeutet“.
Man könne dies auch als einen Einbruch von schlechter Spontaneität beschreiben. Schlecht sei Spontanes dann, wenn es die Brutalisierung des verbalen und physischen Verkehrs unterstütze. Bei manchen semantischen Stimuli wie „Grenze“, „Zuwanderung“ oder „Integration“ sei die Futtererwartung des erfolgreich dressierten Kulturteilnehmers so fest fixiert, daß der Saft sofort einschieße.
So brächen sich vorkulturelle Reflexe Bahn und äußerten sich in primärer Beißwut, in Abweichungshaß und Denunziationsbereitschaft. Wo Hemmungen herrschten, könnten Enthemmungen nicht weit sein. Das bewundernswerte Hemmungssystem „Hochkultur“ überlebe aber nur, wenn es Einbrüche aus dem Barbarischen, aus der Sphäre der Primär-Reflexe früh genug in Schach halte, und sei es ein erworbenes Primitives.
Wir springen jetzt etwas. Er appelliert an das „Lesen in Zwischenräumen“ und erinnert daran, daß gerade die Nuance nicht selten den Unterschied zwischen Gut und Böse ausmache. Man denkt, wo die Turnierbahn so abgesteckt ist, jetzt muß es doch losgehen. Das tut es. Er erwähnt das absichtsvolle schlechte Lesen, den Nuancenmord. Es seien naturgemäß politisierte oder politologisierende Intellektuelle, die bei diesem Vergehen die Täterstatistik überpropotional bevölkerten. „Sie fallen dadurch auf, dass sie Ideen umzingeln wie Frauen in Silvesternächten.“
Er referiert sodann kurz die „Debatte“ zum von mir besprochenen Beitrag im Cicero. Im Tagesspiegel habe ein Übererregter über Stahlhelme schwadroniert. Verteidigt dann seinen Mitverdächtigten Safranski gegen politische Krankheitsgewinnler: Mit seinem ganzen Werk habe der sich um die Versöhnung einer geschichtskranken Kultur mit ihren besseren Potentialen bemüht.
„Ein kurzes Wort will ich anfügen zu der Polemik von Herfried Münkler gegen Safranskis und meine Äußerungen über deregulierte Migrationen und übers Ufer getretene Flüchtlings-“Ströme“. Der Fall hat eine aparte Seite, da Münkler kein kleiner Kläffer ist, wie ein Philosophie-Journalist aus der Narren-Hochburg Köln, der offensichtlich immer noch nicht weiß, wer und wie viele er ist. Münkler jedoch hat sich als Autor von Statur erwiesen. Umso erstaunlicher bleibt seine Fehllektüre-Leistung, die er in einem Artikel dieser Zeitung vor wenigen Wochen zum Besten gegeben hat.“
Der kleine Kläffer ist die Hofreiterin der Meinungswirtschaft und fühlte sich vom Beitrag des Herrn Sloterdijk an Rudolf Höß, den Kommandanten von Auschwitz erinnert. Derart Armseliges sollte man in der Tat nicht auch noch durch Namensnennung honorieren.
Aber jetzt gelangen wir endlich zum Finale. Zunächst beschreibt er seine eigene Haltung als die einer linkskonservativen Sorge um den gefährdeten sozialen Zusammenhalt. Für die Nuancen-Zerstörer würde daraus eben nationalkonservativ oder gar neu-rechts (so ist das halt in Kriegszeiten, möchte man anfügen, da werden die Bataillone gezählt, der Verstand ausgeknipst, so je nennenswert vorhanden, und wer am lautesten schreit, hat regelmäßig am meisten recht).
Da er aber unter Intellektuellen nie an "Missverständnisse" glaube, sondern durchweg von intentionalen Falschlektüren ausgehe, hielte er es für sinnvoll, den Motiven von evidenten Fehldeutungen nachzugehen. Für den Augenblick beschränke er sich auf den Fall Münkler.
„Tatsächlich entwickelt sich unser Dissens aus gegensätzlichen Beantwortungen der Frage, ob die Merkel-Politik angesichts der Flüchtlingswelle seit dem letzten Sommer mehr ist als eine hilflose Reaktion auf Unerwartbares.“ Safranski und er hätten, unabhängig voneinander, der Volksmeinung recht gegeben, die in breitester Mehrheit dem Eindruck zustimme, es habe sich bei der Merkelschen Willkommens-Propaganda um eine Improvisation in letzter Minute gehandelt, die aus einer Verlegenheit eine überlegte Maßnahme machen wollte.
Eine solche Deutung sei nicht unbedingt ehrenrührig. Politik in der überkomplexen Moderne sei in weitaus höherem Maß improvisatorisch bestimmt, als das Wählervolk, das lieber an eine weit planende Intelligenz von oben glaube, es wahrhaben möchte.
Selbst Otto von Bismarck habe seinerzeit bemerkt, seine als souverän wahrgenommene europäische Gleichgewichtspolitik sei nicht mehr als "ein System von Aushilfen" gewesen. Napoleon Bonaparte bekannte in seinen Memoiren, er sei nie Herr seiner Handlungen gewesen.
„Man wäre schlecht beraten, wollte man von einer in Vagheiten erfahrenen Übergangsfigur wie Frau Merkel mehr erwarten als von jenen profilstarken Heroen. Die Mäßigung der Ansprüche ändert am riskanten Gang der Dinge wenig. Auch die Fehler mittlerer Akteure vermögen auf längere Sicht bösartige Folgen nach sich zu ziehen.“ Daß Politik sich mehr und mehr zum Fatalitätsmanagement wandele, läge in der Natur multifaktorieller Prozesse. Das Spiel mit dem Zufall werde seinerseits immer zufälliger. Die Kunst, den Zufall zu zähmen, erweise sich als schwerer erlernbar denn je.
Und jetzt wird Herr Münkler quasi abgeschossen. Er würde ihm in einigen Jahren gern die Frage stellen, wie er seine erstaunliche Wandlung vom gelehrten Imperium-Versteher zum Kavaliers-Politologen rechtfertige, als welcher er jetzt Frau Merkels unbeirrbar konfusem Handeln ein grand design unterstelle. Offenbar verkenne er mit Absicht, in welchem Ausmaß politische Direktiven heute auf autohypnotischen Mechanismen beruhten. Die Unmöglichkeit, den rechten Weg zu erkennen, würde mehr und mehr mit Selbstsuggestionen kompensiert.
Erstaunlich sei, daß das autohypnotische Regime für Politiker wie für Politologen gelte. Herr Münkler wanze sich gewissermaßen an die Machtverwalter heran und wolle offensichtlich gern als Mitwisser einer an der Spitze des deutschen Staatswesens waltenden strategischen Vernunft hervortreten.
Und hätte er doch nur recht. Seien nach mehreren Jahren der bejahten Überrollung erst einmal fünf Millionen Asylanten im Land, könne man nur noch dafür beten (!), es möge einen Masterplan gegeben haben.
Wären nicht auf der weltpolitischen Bühne seit Jahrzehnten die stolzen Konfliktberater und Strategien-Schmiede regelmäßig die Blamierten gewesen? „Diente 'Strategie' nicht stets als Ausrede für zukunftsblinden Interventionismus, beginnend mit der Destabilisierung unwillkommener Regime, endend mit der Überlassung ruinierter Staaten an Chaos, Terror und nie beendbaren Bürgerkrieg?“ Diese Art von Strategie-Versteherei möge uns doch bitte weiterhin erspart bleiben.
„In der Zwischenzeit, denke ich, sollte Herr Münkler die Gelegenheit nutzen, seine okkasionellen Ungezogenheiten zu überdenken.“ Offenbar stammten seine polemischen Thesen (er wäre erregt genug gewesen, seine und Safranskis Sorgen-Thesen als unbedarftes "Dahergerede" zu bezeichnen) nicht zuletzt aus dem Revierverhalten und dem Streben nach Deutungshoheit. „Sind unsere Sorgen nicht zu real, als dass sie auf die Ebene von Gezänk zwischen Krisen-Interpreten gezogen werden dürften?“ Es könne nicht wahr sein, daß ausgerechnet unter Intellektuellen die unbedingten Reflexe gegenüber den bedingten die Oberhand gewönnen.
„Okkasionelle Ungezogenheiten“! Danach ist jemand eigentlich erledigt. Woran er immer bei diesem Wort gedacht hat, übersetzten wir es doch einfach mit den Anlaß ausnutzende Frechheit, das wäre dann Opportunismus, also der Wunsch, endlich einmal dazuzugehören, plus Mangel an Gesittetheit. Das Wort muß man sich einfach merken.
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