Sonntag, 29. Mai 2016

Sonntag & Mai-Nachträge



Ich muß sofort enttäuschen, nein, es gibt keine Essensberichte vorzuweisen. Am Sonntag durfte ich den Herrn preisen und war anschließend mit einigen vom Chor beim Chinesen auf der gegenüber liegenden Seite des Marktes.

Ein Versuch, das Ritual auf den Sonnabend vorzuziehen, mißlang... Es gibt also wirklich keine Bilder. Nun, ich werde trotzdem ein paar einstreuen, von besagtem Auftrittsort etwa sehen wir eines ganz oben und darunter ganz links besagten Speiseort.

Dies ist auch nett.


Nach meiner Erinnerung begann genau an diesem Sonntag das schwül-warme Wetter der letzten Tage, das mir kontinuierlich u.a. den Verstand raubte. Ich weiß noch, daß ich einem Sangesnachbarn empfahl (das Podium hatte keine Schranke nach hinten und ich stehe üblicherweise ganz oben) - sollte ich anfangen zu schwanken, habe er die Chance, mich nach vorn zu schubsen oder nach hinten in den Altarraum; in letzterem Fall bekäme die Chose für mich dann ein sehr abschließendes Ende. Aber es wurde dann doch recht schön.


Ich habe gerade gelernt, meine kleine Reality-Show vor dem Schreibstuben - Fenster war schon am Samstag. Mecklenburg-Vorpommerns Landespokal gewann also Hansa Rostock gegen Schönberg 95, wo immer beides liegt. Das schlechteste Bild ohne erkennbare Gesichter traue ich mich vorzuweisen (sollte es andere jemals gegeben haben, sind sie vollständig fort). 

Was mich nur verblüffte, sie sahen sich oft so ähnlich, abgesehen von der Uniform (vielleicht das Alter, es ging über mehr als eine Stunde, und die Frauen waren genauso (zu meiner Begeisterung)). Von den Szenen ging für mich aber etwas Beruhigendes aus: Jedenfalls nicht nur der männliche Teil dieses gewesenen Reiches ist noch nicht ganz tot. Warum das wichtig ist? Deswegen.   

nachgetragen am 5. Juni

Samstag, 28. Mai 2016

Donnerstag, 26. Mai 2016

Über gebaute Weltveränderung & Hoffnungsvolleres

Blick durch das Hallesche Tor auf den Belle-Alliance-Platz 
(heute Mehringplatz), um 1900, hier gefunden

Alejandro Aravena, Direktor der 15. Architektur-Biennale in Venedig, meint also, "Städte können eine Abkürzung auf dem Weg zu mehr Gleichheit sein". Ihm ist dazu sogar Originelles eingefallen. Aber das ist ein seltener Fall. Üblicherweise bringen schräge Prämissen alles in eine gewisse Schieflage, auf der dann die ganze Chose ins Gruselige rutscht. Vielfach zu besichtigen in den letzten 100 Jahren, als man meinte, die Menschheit neu erfinden zu müssen und das auch zu können, was regelmäßig famose Ergebnisse brachte.

Gleichheit war da als Kampfbegriff immer an vorderster Front. Gleichheit ist kein Wert an sich, sondern immer nur in Beziehung. Wenn man sie absolut setzt, dann ist sie der Wärmetod aller Differenz und damit auch Kreativität u.a. Gleichheit vor dem Gesetz – natürlich, Verhinderung menschenunwürdiger Armut – selbstredend, aber unbegrenztes Grundeinkommen für alle, das funktioniert nicht, so wie die Welt nun einmal beschaffen ist. Doch ich will all das gar nicht weiterverfolgen.

Dies wird viel zu spät geschrieben. Eigentlich wollte ich nämlich längst auf einen wunderbaren Artikel verweisen, den ich zunächst übersehen hatte - „Alles Fassade“ von Rainer Haubrich vom 14. Mai im Feuilleton der Welt. Auf seinem Blog sind dieser und andere Artikel gut auffindbar, nur lautet dort die Überschrift: „Gebt unseren Städten endlich wieder ein Gesicht!“

Sein Beitrag beginnt mit einem Beispiel „wohlklingender Architektenprosa“ bei der es leicht passieren könne, daß man Ende doch nur „vor einer kahlen Sichtbetonfassade mit schmalen Fensterschlitzen stehen“ würde. Dem Laien möge das schlicht häßlich erscheinen, in der Fachpresse habe ein solches Bauwerk dennoch alle Chancen auf einen Architekturpreis.

Wenn aber ein Architekt der jüngeren Garde an Berlins Kurfürstendamm ein Geschäftshaus in klassischem Architekturvokabular baue, würde die großen Mehrheit seiner Zunft den Kopf schütteln (schließlich müsse ein Gebäude vor allem funktional sein, wie man inzwischen gelernt haben sollte), nur die Passanten seien dankbar.

Er referiert dann eine Tagung des Dortmunder Instituts für Stadtbaukunst; seit Jahren gehe der von Christoph Mäckler und Wolfgang Sonne geführte Thinktank mit Zähigkeit der Frage nach, auf welche Weise Architektur und Städtebau heute neben allen funktionalen Anforderungen auch wieder eine Schönheit hervorbringen könnten, wie sie allen Epochen der Baukunst bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts gelungen seien.

Mit meinen Worten – das sind die Abtrünnigen, die zudem noch praktische Nachfolger finden. So wie beim Lübecker Gründungsviertel, wo beabsichtigt ist, die Nachkriegsbebauung abzureißen, die historischen Straßenzüge wiederherzustellen und dazu mit Giebelhäusern unterschiedlicher Breite und einem rückwärtigen Innenhof zu bebauen

Auf dieser Seite findet man die „schlimmen“ Fassaden, die nicht schlichtes Nachbauen sind, sondern einfach zum Niederknien. Jedenfalls auch aus Dankbarkeit über einen Erkenntnisgewinn. Ich empfehle also dringend die Lektüre o.g. Artikels.

Aber eines will ich doch noch aufgreifen, der Autor schreibt, alle diese „anderen“ Neubauten, die sich der gerade bröckelnden Meinungsdiktatur entzögen, besäßen „fast alle eine Typologie, einen Charakter, eine Temperatur, die erkennen lassen, ob sie an einem Großstadtboulevard stehen oder in einer schmalen Straße, ob sie eher nach Norddeutschland gehören oder ins Rhein-Main-Gebiet“.

Sie brächten eine Verbundenheit, ja, eine Liebe der Erbauer und Nutzer zu ihrem Ort, ihrer Stadt, ihrer Region zum Ausdruck. Und über sie lasse sich auch nicht sagen, daß ihr Ort austauschbar sei.

Dieser Albtraum für Modernisten angesichts der Restauration in der Architektur unserer Zeit sei für sie vor allem ein politischer. Dabei gehe es doch, schreibt Herr Habrich etwas beschwichtigend, „vor allem um die Restauration von handwerklicher Qualität, von sprechenden Details, von Alterungsfähigkeit, es geht um die Anbindung heutiger Architektur an eine jahrhundertealte Bautradition, die von der Moderne entsorgt worden war“. Die neue klassische Fassadenkunst hierzulande sei eine Antwort auf das Elend aktuellen Bauens, das hochmütig allein für sich in Anspruch nähme,„zeitgenössisch“ zu sein.

Der Autor weiß es natürlich besser, man lese nur etwa seinen wundervollen Le Corbusier – Verriß: „Wie alle Großmeister der Moderne war Le Corbusier der Hybris verfallen, zu glauben, mit ihnen beginne eine vollkommen neue Architektur, die allem Gebauten davor weit überlegen sei.

Als Walter Gropius 1937 seine Professur in Harvard antrat, ließ er erst einmal die gesamte bauhistorische Bibliothek entsorgen. Und Le Corbusier schrieb: 'Es bleibt uns nichts mehr von der Architektur früherer Epochen, so wenig wie uns der literarisch-historische Unterricht an den Schulen noch etwas geben kann.'“

Und noch ein anderes Zitat: „Der hagere Mann mit der charakteristischen runden Brille war einer der großen Zerstörer all dessen, was über Jahrhunderte die Lebendigkeit und Schönheit traditioneller Städte ausmachte.“

Le Corbusier hatte nämlich eine Vision: „... riesige Wohnscheiben auf Stelzen in einer Parklandschaft, dazwischen breite Schnellstraßen für ungebremsten Autoverkehr. Fußgänger waren nicht vorgesehen, und öffentliche Plätze gab es auch nicht mehr“. Und dies galt natürlich für „für jeden Winkel der Welt“, ob in den Tropen oder am Polarkreis.

Für das Herz von Paris erträumte er sich eine Realisierung. „Sein 'Plan Voisin' von 1929 sah vor, die gesamte Altbausubstanz mehrerer Arrondissements nördlich des Louvre abzuräumen und durch einheitliche, 60-stöckige Hochhäuser auf kreuzförmigem Grundriss zu ersetzen.

Und er war empört, dass seine Genialität nicht erkannt wurde: 'Die Stadtverwaltung hat sich nie mit mir in Verbindung gesetzt. Sie nennt mich ,Barbar!''. Hellsichtige Leute müssen das gewesen sein. Vor allem totalitäre Systeme waren empfänglich für solche Vorschläge.“ Ja, man erinnere sich nur an das stillschweigende Einverständnis einiger Größen vor '45, als Berlin zunehmend zerstört wurde – soviel Platz für Visionen. Die sahen bei deren Nachfolgern dann so aus (es gibt schlimmere Bilder):

Mehringplatz in Berlin (Kreuzberg) 2009

wird gerade zu Ende geschrieben
___________________________________________


Nachtrag

Nun ja, der Nachtrag also, den ich zuletzt gar nicht mehr mochte, weil ich zum Anfang nur meine Freude über die Lübecker neuen Fassaden bekunden wollte:

Warum ist die gebaute Moderne überwältigend oft derart häßlich? Sie ist in ihren immer noch meinungsbestimmenden Teilen das Produkt einer Ideologie: Den Menschen für eine Utopie neu erschaffen zu müssen und zu können, unter Wegwerfen der Geschichte seiner mühsam erkämpften Menschwerdung eines Kulturwesens.

Hier geht es nicht um das Potential neuer Materialien und bisher ungekannte Aufgaben, sondern um die Auslöschung von Kultur und Tradition (letzteres ein indirektes Zitat).

Nur ist das eben auch ein Wegwerfen von in Jahrtausenden gewachsener und aufgeschichteter Erfahrung über das Angemessene des Menschlichen. Der Wille zum Bruch, abgesehen vom monströsen Selbstbild, beschreibt das Problem. Proportion, Tradition, Erfahrung, Erinnerung sind nichts. Aber etwas, das entstellen will, fällt selten angenehm auf, und das wollten sie doch, entstellen, die Tradition auslöschen, die Erinnerung, und den eigenen unterstellten Genius an deren Stelle setzen.

Schinkel litt sicherlich nicht entscheidend an Minderwertigkeitskomplexen, aber hat er jemals behauptet, daß die Menschheit mit ihm neu begönne? Befreiung durch Zerstörung, gewohnte Arten des Sehens oder Bauens ins Nichts stoßen. (Befreiung wovon eigentlich? Und wie bei den verwandtschaftlichen Utopien fällt kein Opfer ins Gewicht, wird das Ergebnis habitusmäßig ignoriert). Dieses neue Bauen hat ideologisch vergiftete Wurzeln, und darum tritt es als Ideologie auch so wahrnehmungs- und erfahrungsimmun auf.

Die Moderne, also das, was uns seit den letzten etwa 100 Jahren unter diesem Namen beglückt, ist oft erfrischend, überraschend, interessant. Aber sobald sie keinen Counterpart mehr hat, erkennt man, wie empathielos und beziehungsgestört sie in ihrem Wesen ist. Es sei denn, sie streckt ihre Fühler aus zu dem, was vor ihr war, und in einem Rahmen von Gesittung staunt man dann über ihre Möglichkeiten.

beendet am 3. Juni

Dienstag, 24. Mai 2016

Jung in Ravenna

Mausoleum der Galla Placidia in Ravenna, Italien

„Ich.... wäre gern nach Rom gegangen, aber ich fühlte mich dem Eindruck dieser Stadt nicht gewachsen. Schon Pompeji war übergenug, die Eindrücke überschritten beinahe meine Aufnahmefähigkeit.“ So C. G. Jung in seinen Erinnerungen. Aber Ravenna hat er wiederholt besucht und dafür eine beeindruckende Geschichte zur Hand (wer eine Kurzfassung bevorzugt, findet sie auf dieser italienischen Seite).

Mausoleum der Galla Placidia in Ravenna, Italien

Mausoleum der Galla Placidia in Ravenna

Zunächst schreibt er, wie das Grabmal der Galla Placidia ihn erneut in eine eigentümlich ergriffene Stimmung versetzte. Anschließend wechselte er mit einer Bekannten in das Baptisterium der Orthodoxen. „Was mir hier zuallererst auffiel, war ein sanftes blaues Licht, das den Raum erfüllte, ohne daß ich mich jedoch darüber wunderte... Zu meinem Erstaunen sah ich dort, wo sich nach meiner Erinnerung Fenster befunden hatten, vier große Mosaikfresken von unerhörter Schönheit.“ Er ärgerte sich, daß er sich auf sein Gedächtnis so ganz und gar nicht verlassen konnte.

Baptisterium der Orthodoxen

„Das Bild auf der Südseite stellte die Jordantaufe dar; ein zweites im Norden den Durchgang der Kinder Israel durch das Rote Meer, das dritte im Osten verblaßte bald in der Erinnerung. Vielleicht zeigte es die Abwaschung des Aussatzes von Naeman im Jordan. In der alten Merianschen Bibel in meiner Bibliothek befindet sich eine ganz ähnliche Abbildung dieses Wunders. Am eindrücklichsten war das vierte Mosaik im Westen des Baptisteriums, das wir als letztes betrachteten. Es stellte dar, wie Christus dem untergehenden Petrus die Hand reicht.“

Mit seiner Bekannten unterhielt er sich vor diesem Mosaik über den ursprünglichen Taufritus, besonders über die merkwürdige Auffassung der Taufe als einer Initiation, die mit wirklicher Todesgefahr verbunden war. Derartige Initiationen seien oft mit Lebensgefahr verbunden, wodurch der archetypische Gedanke des Todes und der Wiedergeburt ausgedrückt würde. So wäre auch die Taufe ursprünglich eine richtige „Eintauchung“ gewesen, welche die Gefahr des Ertrinkens wenigstens andeutete.

Baptisterium der Orthodoxen

„Von dem Mosaik des untersinkenden Petrus bewahrte ich die deutlichste Erinnerung und sehe noch heute jedes Detail vor mir: Die Bläue des Meeres, die einzelnen Steine des Mosaiks, die Spruchbänder, die aus dem Munde Christi und Petri gingen, und die ich zu entziffern suchte.“

Der Versuch, Photographien der Mosaiken zu kaufen, mißlingt. Ein ebenfalls nach Ravenna reisender Bekannter konnte die Bilder genau so wenig auftreiben. Die geschilderten Mosaiken waren nicht auffindbar!

Er hatte über diese mittlerweile bereits ganz selbstverständlich in seinem Seminar gesprochen. Auch seine Begleiterin konnte noch lange Zeit nicht glauben, daß das, was sie „mit eigenen Augen gesehen“ habe, nicht vorhanden sei.

Baptisterium der Orthodoxen

„Das Erlebnis in Ravenna ist etwas vom Merkwürdigsten, was mir je widerfahren ist. Erklären kann man es kaum. Ein gewisses Licht fällt vielleicht von einem Ereignis aus der Geschichte der Kaiserin Galla Placidia (gest. 450) darauf. Bei einer stürmischen Überfahrt von Byzanz nach Ravenna mitten im Winter tat sie das Gelübde, eine Kirche zu bauen und die Gefahren des Meeres darstellen zu lassen, falls sie gerettet würde.“

Erfüllt habe sie das Gelöbnis durch den Bau der Basilica San Giovanni in Ravenna,  mitsamt den Mosaiken sei sie zwar durch Brand zerstört worden, in der Ambrosiana in Mailand finde sich aber noch die Skizze zu einer Darstellung Galla Placidias in einem Boot.

„Von der Gestalt der Galla Placidia war ich unmittelbar betroffen, und die Frage, was für diese hochgebildete Frau von differenziertester Kultur das Leben an der Seite eines Barbarenfürsten bedeutet haben mußte, beschäftigte mich.“ Ihr Grabmal erschien ihm wie der letzte Rest, durch den er sie noch persönlich erreichen konnte. Ihr Schicksal und ihre Art berührten ihn zutiefst, und in ihrer intensiven Wesensart fand seine Anima, so Jung, einen passenden historischen Ausdruck.

Baptisterium der Orthodoxen

Wir hätten schon einige Sätze vorher abbrechen können, weil die Geschichte für sich schon recht wunderbar ist. Aber da es Jungs Geschichte ist, wollen wir seine Interpretation des Ganzen doch nicht vorenthalten.

„Mit dieser Projektion war jenes zeitlose Element des Unbewußten und jene Atmosphäre erreicht, wo das Wunder der Vision stattfinden konnte. Sie unterschied sich im Augenblick nicht im geringsten von der Wirklichkeit.“

Die Anima des Mannes trage einen eminent historischen Charakter. Als Personifikation des Unbewußten sei sie getränkt mit Geschichte und Vorgeschichte. Sie enthalte die Inhalte der Vergangenheit und ersetze das im Manne, was er von seiner Vorgeschichte wissen sollte. Alles schon gewesene Leben, das noch in ihm lebendig sei, sei die Anima.

„Im Verhältnis zu ihr bin ich mir immer vorgekommen wie ein Barbar, der eigentlich keine Geschichte hat - wie ein eben aus Nichts Gewordener, ohne Vorher, ohne Nachher. Bei der Auseinandersetzung mit der Anima bin ich tatsächlich den Gefahren begegnet, die ich in den Mosaiken dargestellt sah. Beinahe wäre ich ertrunken. Es ist mir gegangen wie Petrus, der um Hilfe geschrien hat und von Jesus gerettet wurde. Es hätte mir gehen können wie dem Heer des Pharao. Wie Petrus und wie Naeman bin ich heil davongekommen, und die Integration der unbewußten Inhalte hat Wesentliches zur Vervollständigung meiner Persönlichkeit beigetragen.“

Was einem geschehe, wenn man vordem unbewußte Inhalte dem Bewußtsein integriere, könne mit Worten wohl kaum beschrieben werden. Man könne es nur erfahren. Es sei eine indiskutable subjektive Angelegenheit.

„Es gibt unseres Wissens keine Instanz, welche die wahrscheinlichen Unstimmigkeiten der Eindrücke und Meinungen zu bereinigen vermöchte. Ob und was für eine Veränderung durch die Integrierung stattgefunden hat, ist und bleibt subjektive Überzeugung.“

Obschon sie kein wissenschaftlich zu qualifizierendes Faktum darstelle und damit ohne Verlust aus einem „offiziellen Weltbild“ herausfallen könnte, bleibe sie doch eine praktisch ungemein wichtige und folgenreiche Tatsache.

„Die Erfahrung im Baptisterium von Ravenna hat mir einen tiefen Eindruck hinterlassen. Seitdem weiß ich, daß ein Innen aussehen kann wie ein Außen und ebenso ein Außen wie ein Innen. Die wirklichen Wände des Baptisteriums, welche meine physischen Augen sehen mußten, waren überdeckt und verwandelt durch eine Vision, die ebenso real war wie das unveränderte Taufbecken. Was war in jenem Augenblick real?“

Sein Fall sei keineswegs der einzige in seiner Art, aber wenn solches einem selber zustoße, könne man nicht umhin, es ernster zu nehmen, als wenn man davon höre. „Im allgemeinen hat man bei solchen Erzählungen allerhand Erklärungen rasch zur Hand. Ich bin jedenfalls zum Schluß gekommen, daß wir in bezug auf das Unbewußte noch vieler Erfahrungen bedürfen, bevor wir uns auf Theorien festlegen.“

Aus  C.G. Jung, Erinnerungen, Träume und Gedanken, Zürich und Stuttgart

Sant'Apollinare in Classe,  Symbol des Evangelisten Markus

Die Gestalt der Galla Placidia ist in der Tat faszinierend, eine Figur am Abgrund. Und von welcher Höhe war der Fall! Ich habe mich in der ersten Hälfte eines Beitrages einmal etwas mit Ravenna und dem Untergang Westroms beschäftigt und will mich hier nicht wiederholen.

Ihr Mausoleum (sie mag darin jemals bestattet gewesen sein oder nicht), ist zu einer Art Mahntempel für den ersten Untergang des Abendlandes geworden. Ihr eigenes Schicksal, brutaler und verworrener als Jung es andeutet. Aber dennoch in den Bildern jenes Ortes - eine geistdurchwirkte Lebendigkeit inmitten anbrandender Barbarei. Das zu behaupten, wo das andere längst existentiell und auch physisch erfahren war...

Kein Wunder also, wo Jung seine Erlebnisse zustießen.

Sant'Apollinare in Classe,  Apsis

nachgetragen am 26. Mai

Sonntag, 22. Mai 2016

Sonntag & (nachgetragen)


Es verwildert gerade ein wenig, wie man dem Eingangsbild entnehmen kann. Diesem Eindruck wollen wir uns noch etwas hingeben.






Zum Essen. Die Dinge werden gerade nicht besser, aber auch nicht schlechter, und man sollte die Vorzüge des Stillstands durchaus nicht unterschätzen. Die Saison ruft: Spargel! Frau W. verträgt ihn zudem, außer dem üblichen Kartoffel- oder Grießbrei (muß eine nostalgische Note dabei sein).


Das Prozedere wie letzten Sonntag. Allein als Beilage gab es einfach nur Schinken. Das kann man zwar machen, und es ist durchaus angenehm zu essen, aber er ist natürlich eher nicht von breiiger Konsistenz, deshalb als Friedensangebot Kochschinken außerdem, nun ja.


Die Sauce wie üblich aus dem Spargelwasser mit Eigelb, Kochsahne, Butter und Muskat.


Mir war der Tag einen Tick zu warm. Deshalb verbrachte ich den Nachmittag danach dann auf der Couch und genoß unfreiwillig die mitunter recht übertriebene Theatralik des Unbewußten. Stimmt, ich wollte am Jung weiterschreiben (neben einigem anderen, immerhin war es der Sonntag Trinitatis, nun bleibt das alles vorerst eben im Zwischenreich des Fast-Ungeschriebenen).

Wir werden sehen.

nachgetragen am 26. Mai

Mittwoch, 18. Mai 2016

Misanthropisches II


Bis zur Kante des Abgrunds wächst das grüne Gras und verspricht Vertrautheit; dahinter nicht mehr.

Man denkt sich gern hinter dem Horizont die Unendlichkeit, aber da ist auch nur dasselbe vom Gleichen. Vielleicht jedoch ist der Horizont ein berechtigter Vorwand für Ausflüchte.


Andersartige Ausflüchte: Wenn eine distinkte Gruppe der Menschheit bei etwas „erwischt“ wird, machen deren Angehörige Ausflüchte, sind verletzt, beleidigt, erheben Gegenvorwürfe oder lenken anders ab, die Sache ist völlig gleichgültig.

Manche Frauen fühlen die Idee der Wahrheit als etwas, das sich Männer ausgedacht haben, um sie zu demütigen. Feminismus - eine der Formen des Gegenwarts-Irre-Seins.


Wahrheit ohne Menschlichkeit ist Fanatismus, Menschlichkeit ohne Wahrheit Sentimentalität.

Manche sind perfekt in der Darstellung eines angenehmen und liebenswürdigen Charakters. Vor derart charmanten Gestalten sollte man sich in Acht nehmen. Denn bei so vorzüglichen Anlagen müßte die Anhängerschaft kaum noch zu bewältigen sein, wenn aber ersichtlich kein solcher Anhang mitgeschleppt wird, wo sind sie alle geblieben?


Was linke und andere Spießer gegen authentische Kunst einnimmt, ist ihr „Transzendenz-Plus“, das sie auf sich selbst zurückwerfen würde, nähmen sie sie ernst.

Kultur entsteht durch die Einsicht, daß Distinktionsfähigkeit eine Gesellschaft lebendig erhält. Wie alles Menschliche ist auch sie zwiespältig, diesen Zwiespalt aber nivellieren zu wollen, greift das Menschliche in seinem Wesenskern an. Das Humane ist immer von einer gewissen Qualität.

Der Behauptung einer verifizierbaren Tatsache, etwa jemand sei mathematisch unmusikalisch, wird heute gern reflexhaft entgegengehalten, damit habe der Behauptende gerade etwas besonders Böses und Menschenverachtendes gesagt. Beobachtungen werden mit einer eigens kreierten Moral abgewehrt. Derlei Leute mögen keine Fakten und finden sie im Zweifel unmoralisch.


Das Linke läßt sich auf eine, vielleicht überraschende, Formel bringen: Schafft die Gesetze ab, und es gibt keine Verbrechen mehr.

Freimaurerei war die kommunistische Partei des 18. Jahrhunderts; wozu letzterer die „soziale Gerechtigkeit“ nützlich war, dazu bediente sich erstere der „Vernunft“, verkleidet als Tugend; da sie aber klug waren oder jedenfalls sich so fühlten, setzten sie zunächst nicht auf Rebellion und gewaltsamen Umsturz, sondern, wohl in realistischer Einsicht in die Verhältnisse, auf Fürstenerziehung (das hatten sie sich von den Jesuiten abgesehen, die sie naturgemäß nicht mochten). Gewissermaßen versuchte man es zuerst mit einer Revolution von oben.

Das Mittelalter wirkt oft so merkwürdig geschrumpft, da gibt es die wildesten Geschichten, und auf den Bildern sieht man gleichsam Kinder.


Religion und Monarchie leben beide von einem Transzendenzversprechen, letztere ist dabei aber eindeutig auf der unkomfortableren Seite.

Der Mensch ist in eine auf Schönheit hin geordnete Welt hineingeboren, von diesem Seins-Grund kann er sich zu lösen suchen, gar ihn bekämpfen, oder daraus leben, indem er seine Resonanz zu ihm findet.

Die zeitgenössische Schwafelsprache sagt mit Absicht nicht „ja“ oder „nein“, sondern etwa, „das ist früher nicht immer in gleichem Maße erfolgt“. Man versprüht einen verunklarenden Nebel, unter dem man seine tatsächlichen Intentionen meint um so besser durchsetzen zu können.


Lustige Verleser:

Man sollte nicht immer mit ethischen Scheuklappen leben.

Neuer Freiraum für gescheiterte Ideen.

Montag, 16. Mai 2016

C. G. Jung „Antwort auf Hiob“ - 7

Monreale, Apsis, Pantokrator

Das Erscheinen Jesu Christi

Eine kurze Vorbemerkung. Nach meinem Wahrnehmen fällt das Christus-Kapitel ab (deshalb auch als Nachtrag dargeboten, hindurchgemüht habe ich mich vergangene Nacht dennoch, eine Zusammenfassung des Bisherigen hier). Fast gewinnt man den Eindruck, er fühle sich dabei reichlich unwohl. Aber wenn man von der Singularität des Christus-Ereignisses ausgeht, sind alle, die von Vorbildern, zeitgenössischen Parallelen u.ä. leben, also ins Bekannte einordnen müssen, sowieso im Nachteil.

Da sind die Vertreter der sog. historisch-kritischen Methode, so sie nichts anderes kennen, kurioserweise in einer ähnlichen Situation, sie betreiben ihre Vivisektionen und wundern sich am Ende allenfalls, daß nunmehr alles doch sehr tot sei (oder werden ehrlicherweise gleich Atheisten). Jung sieht überall Reinkarnationen, was am Ende aber auch auf eine gewisse Monotonie hinausläuft. Wir brechen ab.

Monreale,  Christus Pantokrator

Nachdem Jung also so forsch vorangeschritten war, macht sich eine gewisse Vorsicht bemerkbar. Er greift nach vorhandenen Bildern, sprich Archetypen, etwa dem des göttlichen Helden: „Er ist ja nicht bloß als nationaler Messias, sondern als universaler Menschenerretter gedacht, infolgedessen kommen auch die heidnischen Mythen bzw. Offenbarungen in bezug auf das Leben eines von den Göttern ausgezeichneten Mannes in Betracht.“

Die Geburt Christi sei daher gekennzeichnet durch die bei Heldengeburten üblichen Begleiterscheinungen... Das Motiv des Heldenwachstums sei noch erkennbar in der Weisheit des Zwölfjährigen im Tempel etwa.

Aus den erhaltenen Traditionen ein biographisches Bild Christi zu rekonstruieren, sei aber ungemein schwierig, die als historisch verifizierbaren Tatsachen äußerst spärlich. Der Hauptgrund hierfür - Christus erleide neben menschlichem Schicksal auch göttliches. Die beiden Naturen durchdrängen sich derart, daß ein Trennungsversuch beide Naturen verstümmele.

„Die Göttlichkeit überschattet den Menschen, und der Mensch ist als empirische Persönlichkeit kaum erfaßbar.“ Auch die Erkenntnismittel der modernen Psychologie genügten nicht, um alle Dunkelheiten aufzuhellen. Jeder Versuch, einen einzelnen Zug der Klarheit halber herauszuheben, vergewaltige einen anderen, der entweder hinsichtlich der Göttlichkeit oder hinsichtlich der Menschlichkeit ebenso wesentlich sei.

„Das Alltägliche ist vom Wunderbaren und Mythischen dermaßen durchwoben, daß man seiner Tatsachen nie ganz sicher ist. Was wohl am meisten stört und verwirrt, ist der Umstand, daß gerade die ältesten Schriften, nämlich diejenigen des Paulus, für die konkrete menschliche Existenz Christi nicht das mindeste Interesse zu haben scheinen.“

Die „Philanthropie“ trete besonders deutlich hervor. Dafür werden sogleich Verbindungen bis hin zur Liebesgöttin als Mutter des frühsterbenden Gottes gefunden. Mit anderen Worten, Jung stochert im Nebel.

Die Philanthropie Christi werde aber nicht unwesentlich eingeschränkt durch eine gewisse prädestinatianische Neigung. Fasse man sie psychologisch auf, so bewirke die Anspielung auf Vorherbestimmung leicht ein Gefühl der Ausgezeichnetheit.

„Wenn einer weiß, daß er seit Anfang der Welt von göttlicher Wahl und Absicht ausersehen ist, so fühlt er sich herausgehoben aus der Hinfälligkeit und Belanglosigkeit der gewöhnlichen menschlichen Existenz und versetzt in einen neuen Stand der Würde und der Bedeutsamkeit eines, der am göttlichen Weltdrama teilhat. Damit wird der Mensch in die Gottesnähe entrückt, was dem Sinne der evangelischen Botschaft durchaus entspricht.“

Neben der Menschenliebe mache sich im Charakter Christi eine gewisse Zornmütigkeit bemerkbar, und ebenso ein Mangel an Selbstreflexion. Nirgends finde sich ein Anhaltspunkt dafür, daß Christus sich je über sich selber gewundert hätte. „Von dieser Regel gibt es nur eine bedeutende Ausnahme: der verzweiflungsvolle Aufschrei am Kreuz: 'Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?'

Hier erreicht sein menschliches Wesen Göttlichkeit, nämlich in dem Augenblick, wo der Gott den sterblichen Menschen erlebt und das erfährt, was er seinen treuen Knecht Hiob hat erdulden lassen. Hier wird die Antwort auf Hiob gegeben, und, wie ersichtlich, ist auch dieser supreme Augenblick ebenso göttlich wie menschlich, ebenso 'eschatologisch' wie 'psychologisch'.“

Auch hier, wo man restlos den Menschen empfinden könne, sei der göttliche Mythus ebenso eindrucksvoll gegenwärtig. Und beides sei eines und dasselbe. Wie wolle man da die Gestalt Christi „entmythologisieren“? „Ein solcher rationalistischer Versuch würde ja das ganze Geheimnis dieser Persönlichkeit herauslaugen, und was übrig bliebe, wäre nicht mehr die Geburt und das Schicksal eines Gottes in der Zeit, sondern ein historisch schlecht beglaubigter religiöser Lehrer, ein jüdischer Reformator, der hellenistisch gedeutet und mißverstanden wurde - etwa ein Pythagoras oder meinetwegen ein Buddha oder ein Mohammed, aber keinesfalls ein Sohn Gottes oder ein Mensch gewordener Gott.“

Überdies scheine man sich nicht genügend darüber Rechenschaft zu geben, zu was für Überlegungen ein von aller Eschatologie desinfizierter Christus Anlaß geben müßte. Zu was für einem Schlusse müsse man etwa notwendigerweise gelangen, wenn man z. B. die Aussage: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich“, auf eine persönliche Psychologie reduziere? „Was soll eine Religion ohne Mythus, wo sie doch, wenn überhaupt etwas, eben gerade die Funktion bedeutet, die uns mit dem ewigen Mythus verbindet?“ (!)

Auf Grund dieser eindrucksvollen Unmöglichkeiten habe man gelegentlich angenommen, Christus sei überhaupt nur ein Mythus, oder eine Fiktion. „Der Mythus ist aber keine Fiktion, sondern besteht in beständig sich wiederholenden Tatsachen, die immer wieder beobachtet werden können. Er ereignet sich am Menschen, und Menschen haben mythische Schicksale so gut wie griechische Heroen. Daß das Christusleben in hohem Grade Mythus ist, beweist daher ganz und gar nichts gegen seine Tatsächlichkeit; ich möchte fast sagen, im Gegenteil, denn der mythische Charakter eines Lebens drückt geradezu die menschliche Allgemeingültigkeit desselben aus.“

Es sei psychologisch durchaus möglich, daß das Unbewußte, bzw. ein Archetypus einen Menschen völlig in Besitz nähme und sein Schicksal bis ins kleinste determiniere. Dabei könnten objektive, d. h. nichtpsychische Parallelerscheinungen auftreten, welche ebenfalls den Archetypus darstellten. Er erfülle sich dann nicht nur psychisch im Individuum, sondern auch außerhalb desselben objektiv. Das Christusleben sei gerade so, wie es sein müsse, wenn es das Leben eines Gottes und eines Menschen zugleich sei.

„Es ist ein Symbolum, eine Zusammensetzung heterogener Naturen, etwa so, wie wenn man Hiob und Jahwe in einer Persönlichkeit vereinigt hätte. Jahwes Absicht, Mensch zu werden, die sich aus dem Zusammenstoß mit Hiob ergeben hat, erfüllt sich im Leben und Leiden Christi.“

Eine Argumentationführung, die gespenstisch wirken mag, aber wir wollten ja vor allem referieren, und möglichst wenig urteilen.

Jung fragt anschließend – wo bleibt Satan, trotz gelegentlicher Cameoauftritte?

Monreale,  Christi Versuchung

Seine relative Unwirksamkeit erkläre sich einesteils gewiß aus der sorgfältigen Vorbereitung der Gottesgeburt, andererseits aber auch aus einem merkwürdigen metaphysischen Ereignis, welches Christus wahrgenommen habe: „Er sah, wie Satan wie ein Blitz aus dem Himmel fiel. Dieses Gesicht betrifft das Zeitlichwerden einer metaphysischen Begebenheit, nämlich die historische (vorderhand) endgültige Trennung Jahwes von seinem dunkeln Sohn. Satan ist aus dem Himmel verbannt und hat keine Gelegenheit mehr, seinen Vater zu zweifelhaften Unternehmungen zu überreden.“

Dieses „Ereignis“ dürfte erklären, warum Satan, wo immer er in der Menschwerdungsgeschichte auftauche, eine so unterlegene Rolle spiele, die in nichts mehr an das frühere Vertrauensverhältnis zu Jahwe erinnere.

Er habe die väterliche Geneigtheit offenbar verscherzt und sei ins Exil geschickt worden. Er werde nicht direkt in die Hölle, sondern auf die Erde geworfen und solle erst in der Endzeit eingeschlossen und dauernd unwirksam gemacht werden.

Der Opfertod Christi als ein von Jahwe gewähltes Schicksal bedeute die Wiedergutmachung für das Hiob geschehene Unrecht einerseits, und andererseits eine Leistung zugunsten der geistigen und moralischen Höherentwicklung des Menschen. Denn zweifellos werde der Mensch in seiner Bedeutung gemehrt, wenn sogar Gott selber Mensch werde.

Infolge der relativen Einschränkung des Satan sei Jahwe durch Identifikation mit seinem lichten Aspekt zu einem guten Gott und liebenden Vater geworden. Er habe zwar seinen Zorn nicht verloren und könne strafen, aber mit Gerechtigkeit. Fälle in der Art der Hiobstragödie seien anscheinend nicht mehr zu erwarten.

Obwohl: Obschon Christus ein vollkommenes Vertrauen in seinen Vater habe und sich sogar eins mit ihm wisse, könne er doch nicht umhin, im Vaterunser eine vorsichtige Bitte (und Warnung) einzuflechten. „Das heißt, Gott möge uns nicht direkt durch Verlockung zum Bösen veranlassen, sondern uns lieber davon erlösen. Die Möglichkeit, daß Jahwe, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen und trotz seiner ausgesprochenen Absicht, zum Summum Bonum zu werden, wieder auf frühere Wege zurückgeraten könnte, liegt also nicht so fern, als daß sie nicht im Auge behalten werden müßte.“

„Die sechste Bitte des Vaterunsers läßt in der Tat tief blicken, denn angesichts dieser Tatsache wird die immense Sicherheit Christi hinsichtlich des Charakters seines Vaters etwas fraglich.“ Es sei ja leider eine allgemeine Erfahrung, daß besonders positive und kategorische Behauptungen namentlich dort aufträten, wo ein leiser Zweifel, der sich im Hintergrund bemerkbar mache, aus der Welt geschafft werden solle.

Dieser Zweifel Christi werde in der Apokalypse des Johannes bestätigt. Dort liefere sich nämlich Jahwe wiederum einer unerhörten Zerstörungswut gegenüber der Menschheit aus.

„Man ist in der Tat in Verlegenheit, wie man eine derartige Reaktion mit dem Verhalten eines liebenden Vaters, von dem man erwarten müßte, er werde seine Schöpfung mit Geduld und Liebe schließlich verklären, in Einklang bringen könnte. Es hat sogar allen Anschein, als ob gerade der Versuch, dem Guten endgültig und absolut zum Siege zu verhelfen, zu einer gefährlichen Aufstauung des Bösen und damit zu einer Katastrophe führen müßte. Neben dem Weltende ist die Zerstörung von Sodom und Gomorrha, ja sogar die Sintflut, reines Kinderspiel; denn dieses Mal geht die Schöpfung überhaupt aus den Fugen.“

Dem Weltende gehe die Tatsache voraus, daß selbst der Sieg des Gottessohnes Christus gegen seinen Bruder, den Satan, nicht wirklich und endgültig erfochten sei, denn es sei zuvor noch eine letzte machtvolle Manifestation Satans zu erwarten.

Man könne kaum annehmen, dass die Inkarnation Gottes in seinem einen Sohne Christus vom Satan ruhig hingenommen würde. „Sie muß gewiß seine Eifersucht aufs Höchste erregt und in ihm den Wunsch wachgerufen haben, Christus nachzuahmen.“

Dieser Plan werde durch die Gestalt des Antichristus zur Ausführung gebracht. Ein Zweifel werde laut an der unmittelbaren Endgültigkeit oder der universalen Wirksamkeit des Erlösungswerkes. Leider, müsse man sagen, bildeten diese Erwartungen unreflektierte Offenbarungen, die mit der sonstigen Heilslehre nirgends auseinandergesetzt oder gar in Einklang gebracht würden.

Jung droht jetzt schon mal, sich später der Apokalypse ausführlicher zuwenden zu wollen, ein Versprechen, das er leider (ist man versucht zu sagen) einlösen wird.

Zuvor aber müßten wir uns der Frage zuwenden, wie es sich mit der Menschwerdung Gottes über Christi Tod hinaus verhalte. Schließlich habe man seit alters gelehrt, daß die Menschwerdung ein einmaliges historisches Ereignis sei. Man könne keine Wiederholung desselben und ebenso wenig eine weitere Offenbarung des Logos erwarten, denn auch diese sei in der Einmaligkeit der vor bald 2000 Jahren erfolgten Erscheinung des Mensch gewordenen Gottes auf Erden beschlossen. (sic!)

Monreale,  hier gefunden

Mit dem Schluß des Neuen Testamentes hörten die authentischen Mitteilungen Gottes auf. Soweit die protestantische Sicht. Die katholische Kirche als direkte Erbin des historischen Christentums erweise sich in dieser Frage vorsichtiger, denn sie nähme an, daß das Dogma mit Beihilfe des Heiligen Geistes sich weiterentwickeln und entfalten könne.

Diese Auffassung stehe in bester Übereinstimmung mit Christi Lehre vom Heiligen Geiste und damit der weiteren Fortsetzung der Inkarnation. Christus sei der Ansicht, daß, wer glaube, daß er der Sohn Gottes sei, der könne die Werke, die er tue, auch tun und noch größere als diese. Er erinnere seine Jünger daran, daß ihnen gesagt sei, sie seien Götter.

„Wenn Christus den irdischen Schauplatz verläßt, so wird er den Vater bitten, den Seinen einen 'Beistand' (den 'Parakleten') zu senden, der in Ewigkeit bei und in ihnen bleibt. Der Beistand aber ist der Heilige Geist, der vom Vater her gesendet wird. Dieser 'Geist der Wahrheit' wird die Gläubigen lehren und 'in die ganze Wahrheit leiten'.“

Christus habe sich demnach eine beständige Verwirklichung Gottes in dessen Kindern und daher in seinen Geschwistern im Geiste gedacht.

„Da der Heilige Geist die dritte Person der Trinität darstellt, und in jeder der drei Personen jeweils der ganze Gott gegenwärtig ist, so bedeutet die Einwohnung des Heiligen Geistes nichts weniger als eine Annäherung des Gläubigen an den Status des Gottessohnes. Man begreife daher unschwer den Hinweis: „Ihr seid Götter.“

„Dieser deifizierenden Wirkung des Heiligen Geistes kommt natürlich die dem Erwählten eigentümliche Imago Dei entgegen. Gott in der Gestalt des Heiligen Geistes schlägt sein Zelt bei und in den Menschen auf, denn er ist offenbar gesonnen, nicht nur in den Nachkommen Adams, sondern auch in einer unbestimmt großen Anzahl von Gläubigen, oder vielleicht in der Menschheit überhaupt, sich fortschreitend zu verwirklichen. „

Es sei daher symptomatisch bezeichnend, daß Barnabas und Paulus in Lystra mit Zeus und Hermes identifiziert wurden: „'Die Götter sind den Menschen ähnlich geworden und zu uns herabgestiegen'. Das war allerdings die naivere heidnische Auffassung der christlichen Transmutation, aber eben gerade deshalb überzeugt sie.“

Die Inkarnation Gottes in Christo bedürfe insofern einer Fortsetzung und Ergänzung, als Christus infolge der Parthenogenesis und der Sündlosigkeit kein empirischer Mensch gewesen sei und daher, wie es bei Joh. 1 heiße, ein Licht darstelle, das zwar in die Finsternis leuchtete, aber von dieser nicht begriffen würde. Er bliebe außerhalb und oberhalb der wirklichen Menschheit.

„Hiob aber war ein gewöhnlicher Mensch, und deshalb kann nach göttlicher Gerechtigkeit das ihm und, mit ihm, der Menschheit geschehene Unrecht nur durch eine Inkarnation Gottes im empirischen Menschen wieder gut gemacht werden. Dieser Sühneakt wird durch den Parakleten vollzogen, denn wie der Mensch an Gott, so muß Gott am Menschen leiden. Anders kann es keine 'Versöhnung' zwischen den beiden geben.“

Die fortlaufende, unmittelbare Einwirkung des Heiligen Geistes auf die zur Kindschaft berufenen Menschen bedeute de facto eine in die Breite sich vollziehende Menschwerdung. Christus, als der von Gott gezeugte Sohn, sei ein Erstling, der von einer großen Anzahl nachgeborener Geschwister gefolgt würde.

Diese tiefgreifenden Änderungen im menschlichen Status seien direkt durch das Erlösungswerk Christi bewirkt. Die Erlösung oder Errettung habe verschiedene Aspekte, so vor allem den einer durch Christi Opfertod geleisteten Sühne für die Verfehlungen der Menschheit. Sein Blut reinige uns von den bösen Folgen der Sünde. Er versöhne Gott mit dem Menschen und befreie diesen von dem ihm drohenden Verhängnis des Gotteszornes und der ewigen Verdammnis.

„Es leuchtet unmittelbar ein, daß derartige Vorstellungen Gottvater immer noch als den gefährlichen und deshalb zu propitiierenden Jahwe voraussetzen: der qualvolle Tod seines Sohnes muß ihm Genugtuung für eine Beleidigung leisten: er hat einen 'tort moral' erlitten und wäre eigentlich geneigt, sich dafür furchtbar zu rächen. Wir stolpern hier wiederum über das Mißverhältnis zwischen einem Weltschöpfer und seinen Geschöpfen, die sich zu seinem Ärger nie so benehmen, wie es seiner Erwartung entspräche.“

Es sei, wie wenn jemand eine Bakterienkultur anlegte, welche ihm mißrate. Er würde doch besser einen passenderen Nährboden auswählen. „Das Verhalten Jahwes gegenüber seinen Geschöpfen widerspricht allen Anforderungen der sog. 'göttlichen' Vernunft.“ Zudem komme, daß ein Bakteriologe in der Wahl seines Nährbodens sich irren könne. Gott aber, vermöge seiner Allwissenheit, könne sich nie irren, wenn er diese befrage. Er habe allerdings seine menschlichen Geschöpfe mit einem gewissen Bewußsein und daher mit einem entsprechenden Grade von Willensfreiheit ausgestattet. Aber er könne auch wissen, daß er dadurch den Menschen in Versuchung führe, einer gefährlichen Selbständigkeit zu verfallen.

Das wäre insoweit kein zu großes Risiko, wenn der Mensch es mit einem nur gütigen Schöpfer zu tun hätte. Aber Jahwe übersähe seinen Satanssohn, dessen List sogar er selber gelegentlich erläge. Wie sollte er da erwarten können, daß der Mensch es besser mache? „Zudem übersieht er, daß, je mehr Bewußtsein ein Mensch besitzt, er desto mehr von seinen Instinkten, die ihm wenigstens noch eine gewisse Witterung von der verborgenen Weisheit Gottes geben, abgetrennt und jeder Irrtumsmöglichkeit preisgegeben ist. Satans List ist er schon gar nicht gewachsen, wenn nicht einmal sein Schöpfer diesem mächtigen Geiste Einhalt gebieten kann oder will.“

Wir brechen hier besser ab, immerhin sind wir beim Heiligen Geist, jedenfalls nach dem Verständnis Jungs, angelangt. Das war schließlich die ursprüngliche Intention. Dem nächsten Abschnitt werde ich mich wohl eher wieder nur nächtlich zuwenden können. Da erscheint einem anderes wirklicher und man ist bereit, die verstiegensten Dingen nachzuverfolgen, vermutlich, da man selbst schon leicht entrückt ist.

Monreale, hier gefunden

nachgetragen am 19. Mai

Sonntag, 15. Mai 2016

Pfingsten &


Pfingsten hat ,wie ersehbar, „essensmäßig“ stattgefunden. Beschränken wir uns darauf. Ostern wurde eben abgeräumt, daher die Bilder. Daß Pfingsten ein schwieriges Thema ist heutzutage, habe ich schon irgendwo erwähnt. Nur Ostern geht danach wirklich nicht mehr. Es besteht natürlich immer, aber wenn man sich einmal dem abendländischen Festkreis des Jahres anvertrauen will...


Die rot blühende Kastanie muß als Überleitung herhalten.


Da es die Saison ist, also Spargel (der wurde auch überraschend gut vertragen), mit viel brauner Butter und Muskat... Keine Überraschungen. Dazu nimmt man traditionellerweise gern Schnitzel (paniert etc.), ich habe es auch gut verhauen, es blieb dennoch ein wenig – zäh, wie ich einräume, unter der sehr geschmackvollen Kruste.






Schon springen wir in den Montag, den ich eigentlich unerwähnt lassen wollte. Aber die Rosmarin-Kartoffeln waren ganz nett (Resteverwertung), und das Steak, das ich mir für meine Person briet, auch. Frau W. schnitzelte an ihrem übriggebliebenen Schnitzel vom Vortag herum...


Nur hatte ich ein kurioses Erlebnis, oder so. Ich mag mein Steak ja gern innen rosa, um das mindeste zu sagen (ich habe schon mal einen Bekannten in einem Restaurant durch den unschuldig rosafarbenen Fleischsaft an die Grenze der Beherrschung gebracht, ach diese seligen Erinnerungen). Der Rauchpunkt des Öls war erreicht, ich wurde abgelenkt, und als ich das Ding wenig später hineintat, sah es mehr nach einem gemütlichen Lagerfeuer aus. Nichts ist angebrannt, selbst das Steak nicht, wie man sieht. Aber ein wenig riß einen das doch aus der üblich gewordenen Lethargie.


Ich habe zum Ausgleich einmal mehr das große örtliche Antiquariat besucht (zu Pfingsten gab es Lesungen, Musik u.dgl.), das nur ehrenamtlich betrieben werden kann (wer kauft schon über-abgehangene Schinken), und habe mir noch mehr 19. Jahrhundert zugelegt, interessant bisweilen, auch wenn die Eitelkeit den Menschen schon damals mitunter doch zu sehr den Stil verdarb (ich bringe später (nicht heute) Proben davon, womöglich). Und das muß jetzt auch so genügen.

nachgetragen am 17. Mai