Dienstag, 15. Juni 2010

See-Lektüre



„Dies Schweigen, das wir wahren, hat ernste Folgen. Ich halte es für die Ursache der normalen, aber darum nicht weniger sonderbaren Tatsache, daß wir voneinander, je älter wir werden, um so weiter entfernt, um so abgründiger getrennt sind, bis zu einer schmerzlichen Vereinsamung. Uns scheidet von dem Nächsten, was wir von ihm wissen und ihm verschweigen. Je mehr wir wissen, um so tiefer schweigen wir und um so hoffnungsloser vereinsamen wir. Es türmen sich zwischen uns Gebirge des Schweigens. Junge Menschen dagegen leben einander näher, weil sie noch keine Meinung übereinander haben.“

José Ortega y Gasset „Schweigen, der große Brahman“, 1930

2 Kommentare:

Walter A. Aue hat gesagt…

Eine interessante Bemerkung (und scharfe Beobachtung) Ortegas, der die mit den Alten zu Grabe gehenden Erkenntnissen sehr beklagte und sie mit Tagebuechern und aehnlichem fuer die Menschheit retten wollte.

Da ich selber alt bin, kann ich dazu etwas sagen:

Wenn die Jungen wueszten, was wir Alten wissen, koennten sie nicht mehr jung sein.

Und: Wir koennen von anderen nur lernen, was wir selbst schon wissen (oder ahnen).

Ich fuerchte, ein wirklicher Wissenstransfer von Alt zu Jung wuerde dem Evolutionsintent von Mutter Natur zuwiderlaufen.

Vielleicht ist die Situation aehnlich der, die J.B. Shaw einmal beschrieben hat (aus meinem alten, daher fehlerhaften aber und Gottseidank verschoenenden Gedaechtnis):

Auf der Welt gibt es die Gescheiten und die Dummen. Die Gescheiten wissen, dasz sie die Welt nicht aendern koennen. Die Dummen wissen das nicht. Daher haengt aller Fortschritt (progress) in der Welt von den Dummen ab...

naturgesetz hat gesagt…

If I understand Ortega correctly, I want to believe what is says is possible, even likely, true in many instances, but not necessarily. But maybe I missed something significant in what he says, and it's not as bad as I think.