Freitag, 30. Juli 2010
Über Bismarck
Am 30. Juli 1898 starb Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen, Fürst Bismarck, der Reichskanzler, ein Freund erinnerte mich heute daran, wie wir vor 10 Jahren gemeinsam seinen Geburtsort Schönhausen in der Altmark besuchten. Bismarck ist einer der wenigen Glücksfälle der neueren deutschen Politik, und um ihn einmal selbst zu Wort kommen zu lassen:
„Als normales Produkt unsres staatlichen Unterrichts verließ ich Ostern 1832 die Schule, das Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin als Pantheist, und wenn nicht als Republikaner, doch mit der Überzeugung, daß die Republik die vernünftigste Staatsform sei, und mit Nachdenken über die Ursachen, welche Millionen von Menschen bestimmen könnten, Einem dauernd zu gehorchen, während ich von Erwachsenen manche bittre oder geringschätzige Kritik über die Herrscher hören konnte. Dazu hatte ich von der turnerischen Vorschule mit Jahn'schen Traditionen (Plamann), in der ich vom sechsten bis zum zwölften Jahre gelebt, deutsch-nationale Eindrücke mitgebracht. Diese blieben im Stadium theoretischer Betrachtungen und waren nicht stark genug, um angeborne preußisch-monarchische Gefühle auszutilgen. Meine geschichtlichen Sympathien blieben auf Seiten der Autorität. Harmodius und Aristogiton sowohl wie Brutus waren für mein kindliches Rechtsgefühl Verbrecher und Tell ein Rebell und Mörder. Jeder deutsche Fürst, der vor dem 30jährigen Kriege dem Kaiser widerstrebte, ärgerte mich; vom Großen Kurfürsten an aber war ich parteiisch genug, antikaiserlich zu urtheilen und natürlich zu finden, daß der siebenjährige Krieg sich vorbereitete. Doch blieb mein deutsches Nationalgefühl so stark, daß ich im Anfang der Universitätszeit zunächst zur Burschenschaft in Beziehung geriet, welche die Pflege des nationalen Gefühls als ihren Zweck bezeichnete. Aber bei persönlicher Bekanntschaft mit ihren Mitgliedern mißfielen mir ihre Weigerung, Satisfaction zu geben, und ihr Mangel an äußerlicher Erziehung und an Formen der guten Gesellschaft, bei näherer Bekanntschaft auch die Extravaganz ihrer politischen Auffassungen, die auf einem Mangel an Bildung und an Kenntnis der vorhandnen, historisch gewordnen Lebensverhältnisse beruhte, von denen ich bei meinen siebzehn Jahren mehr zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte als die meisten jener durchschnittlich ältern Studenten. Ich hatte den Eindruck einer Verbindung von Utopie und Mangel an Erziehung. Gleichwohl bewahrte ich innerlich meine nationalen Empfindungen und den Glauben, daß die Entwicklung der nächsten Zukunft uns zur deutschen Einheit führen werde; ich ging mit meinem amerikanischen Freunde Coffin die Wette darauf ein, daß dieses Ziel in zwanzig Jahren erreicht sein werde.“
Dies ist der Anfang aus Otto von Bismarcks Memoiren - Gedanken und Erinnerungen, aus dem Band 1. Das Verhältnis zwischen ihm und Kaiser Wilhelm I. muß ganz unwiederholbar gewesen sein.
„Neben dem Fleiße, zu dem ihn sein hohes Pflichtgefühl trieb, kam ihm in Erfüllung seiner Regentenpflicht ein ungewöhnliches Maß von klarem, durch Erlerntes weder unterstützten noch beeinträchtigten gesunden Menschenverstande, common sense, zu Statten. Hinderlich für das Verständnis der Geschäfte war die Zähigkeit, mit der er an fürstlichen, militärischen und localen Traditionen hing; jeder Verzicht auf solche, jede Wendung zu neuen Bahnen, wie sie der Lauf der Ereignisse nothwendig machte, wurde ihm schwer und erschien ihm leicht im Lichte von etwas Unerlaubtem oder Unwürdigem. Wie an Personen seiner Umgebung und an Sachen seines Gebrauchs, so hielt er auch an Eindrücken und Überzeugungen fest, unter der Mitwirkung der Erinnerung an das, was sein Vater in ähnlichen Lagen gethan hatte oder gethan haben würde; insbesondre im französischen Kriege hatte er die Erinnrung an den parallelen Verlauf der Freiheitskriege immer vor Augen.“
Bekanntlich waren sich Bismarck und die Gemahlin Wilhelms I. Augusta in herzlichster Abneigung verbunden. Und um so aus dem 2. Band seiner Erinnerungen zu zitieren:
„Ich hatte durch langjährige Gewohnheit allmälig ziemliche Sicherheit in Beurtheilung der Frage gewonnen, ob der Kaiser Anträgen, die mir logisch geboten erschienen, aus eigner Überzeugung oder im Interesse des Hausfriedens widerstand. War ersteres der Fall, so konnte ich in der Regel auf Verständigung rechnen, wenn ich die Zeit abwartete, wo der klare Verstand des Herrn sich die Sache assimiliert hatte. Oder er berief sich auf das Minister-Conseil. In solchen Fällen blieb die Discussion zwischen mir und Sr. Majestät immer sachlich. Anders war es, wenn die Ursache des königlichen Widerstrebens gegen ministerielle Meinungen in vorhergegangnen Erörterungen der Frage lag, die Ihre Majestät beim Frühstück hervorgerufen und bis zu scharfer Aussprache der Zustimmung durchgeführt hatte. Wenn der König in solchen Momenten, beeinflußt durch ad hoc geschriebene Briefe und Zeitungsartikel, zu raschen Äußerungen im Sinne antiministerieller Politik gebracht war, so pflegte Ihre Majestät den gewonnenen Erfolg zu befestigen durch Äußerung von Zweifeln, ob der Kaiser im Stande sein werde, die geäußerte Absicht oder Meinung »Bismarck gegenüber« aufrecht zu erhalten. Wenn Se. Majestät nicht auf Grund eigner Überzeugung, sondern weiblicher Bearbeitung widerstand, so konnte ich dies daran erkennen, daß seine Argumente unsachlich und unlogisch waren. Dann endete eine solche Erörterung, wenn ein Gegenargument nicht mehr zu finden war, wohl mit der Wendung: »Ei der Tausend, da muß ich doch sehr bitten.« Ich wußte dann, daß ich nicht den Kaiser, sondern die Gemahlin mir gegenüber gehabt hatte.“
Und um das Ganze ins Humorvolle hinüberzuretten:
„Als ich einmal den geärgerten und darüber erkrankten Kaiser des Morgens aufsuchen mußte, um über eine höfische Demonstration zu Gunsten des Centrums eine unter den obwaltenden Umständen dringliche Beschwerde zu führen, fand ich ihn im Bette und neben ihm die Kaiserin in einer Toilette, die darauf schließen ließ, daß sie erst auf meine Anmeldung herunter gekommen war. Auf meine Bitte, mit dem Kaiser allein sprechen zu dürfen, entfernte sie sich, aber nur bis zu einem dicht außerhalb der von ihr nicht ganz geschlossenen Thüre stehenden Stuhle und trug Sorge, durch Bewegungen mich erkennen zu lassen, daß sie Alles hörte. Ich ließ mich durch diesen, nicht den ersten, Einschüchterungsversuch nicht abhalten, meinen Vortrag zu erstatten. An dem Abende desselben Tags war ich in einer Gesellschaft im Palais. Ihre Majestät redete mich in einer Weise an, die mich vermuthen ließ, daß der Kaiser meine Beschwerde ihr gegenüber vertreten hatte. Die Unterhaltung nahm die Wendung, daß ich die Kaiserin bat, die schon bedenkliche Gesundheit ihres Gemahls zu schonen und ihn nicht zwiespältigen politischen Einwirkungen auszusetzen. Diese nach höfischen Traditionen unerwartete Andeutung hatte einen merkwürdigen Effect. Ich habe die Kaiserin Augusta in dem letzten Jahrzehnt ihres Lebens nie so schön gesehn wie in diesem Augenblicke; ihre Haltung richtete sich auf, ihr Auge belebte sich zu einem Feuer, wie ich es weder vorher noch nachher erlebt habe. Sie brach ab, ließ mich stehn und hat, wie ich von einem befreundeten Hofmanne erfuhr, gesagt: »Unser allergnädigster Reichskanzler ist heut sehr ungnädig.«“
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