Sonntag, 20. März 2011

Reminiscere

Herr Roloff hatte mir seine Predigt zu Reminiscere zugesandt, die ich hiermit zur gefälligen Beachtung anempfehle:


Da antworteten etliche unter den Schriftgelehrten und Pharisäern und sprachen: Meister, wir wollten gern ein Zeichen von dir sehen. Und er antwortete und sprach zu ihnen: Die böse und ehebrecherische Art sucht ein Zeichen; und es wird ihr kein Zeichen gegeben werden denn das Zeichen des Propheten Jona. Denn gleichwie Jona war drei Tage und drei Nächte in des Walfisches Bauch, also wird des Menschen Sohn drei Tage und drei Nächte mitten in der Erde sein. Die Leute von Ninive werden auftreten am Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr denn Jona. Die Königin von Mittag wird auftreten am Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, Salomons Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr denn Salomo.
Matth. 12, 38-42

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

wie in einer Prozession wandert die Kirche, das ganze Volk Gottes, wieder auf das Kreuz ihres Herrn zu. An jedem Sonntag erinnert sie nun an eines der großen Themen der Heilsgeschichte. Am vergangenen Sonntag war es die Versuchung des Herrn, und heute ist es das großartige Bild des Weinbergs, das die Bibel durchzieht und im Mittelpunkt beider Lesungen gestanden hat. Der Weinberg war immer Ausdruck für das gute Werk Gottes, das ihm am Herzen liegt, und von dem er sich gute Frucht verspricht. Es entsteht in diesen Geschichten eine Vorstellung von Gott als Gärtner. Der Gärtner liebt seine Pflanzen, er pflegt sie, beschneidet sie, wässert und düngt sie, um Freude an ihnen zu haben und um ihre Früchte zu ernten. Der Gärtner lebt für seinen Weinberg, und meistens lebt er auch in seinem Weinberg. An jeder Rebe kann man seine Arbeit ablesen, jeder Weinstock wächst nach seinem Willen. Ein Weinberg kostet viel Mühe. Doch schon Jesaja berichtet, dass die Hoffnung des Herrn, die er in den Weinberg gesetzt hat unerfüllt blieb, dass Rechtsbruch und Schlechtigkeit waren, wo er Recht und Gerechtigkeit gewünscht hatte, und im Markusevangelium nimmt Christus diese Geschichte dann im Anfang fast wörtlich auf, und beschreibt drastisch, worin Rechtsbruch und Schlechtigkeit bestanden haben, nämlich in Unredlichkeit, in Brutalität und Beleidigung und zuletzt auch in Totschlag und Mord. So sind die Menschen und der Herr des Weinbergs lebt nicht nur für sein Werk, er sieht am Ende seinen eigenen Sohn in diesem Garten seiner Schöpfung sterben.

Vor diesem Hintergrund ist über die Zeichenforderung der Pharisäer und Schriftgelehrten zu predigen, wie sie bei Matth. 12, 38-42 beschrieben ist.

Was gibt es Harmloseres, als das man von einem großen, bedeutenden Mann ein Zeichen seines Könnens verlangt? Warum ist das, was die Schriftgelehrten und Pharisäer hier tun so verwerflich? Immerhin weist Christus sie nicht sanft zurück, sondern bezeichnet sie als „böses und abtrünniges Geschlecht“.

Es geht hier nämlich nicht um belanglose Zirkuskunststücke, wo Menschen sich, wie Kinder es manchmal tun, gegenseitig auf die Probe stellen: Kannst du das wirklich, was andere von dir behaupten? Zeig es uns, wir wollen es sehen!

Die Pharisäer und Schriftgelehrten sind darum ein böses und abtrünniges Geschlecht, weil sich in ihren Worten entweder der Zweifel daran ausspricht, dass Jesus der erwartete Messias ist, oder, was noch schlimmer wäre, sie ihm einfach nur Dinge zutrauen, die sie staunen machen, die sie belustigen sollen. Es ist dies das Verhalten von Gaffern, die sich selbst so wichtig nehmen, dass sie alles konsumieren dürfen. Es ist dies das Verhalten von Schaulustigen, die bei Bränden und Unfällen stehen bleiben, um sich an den Bildern und am Leid von Anderen zu berauschen. Es ist dies das Verhalten von Menschen, die das ganze Leben als Jahrmarkt nehmen.

Darum weist der Herr sie zurück und versagt ihnen das Zeichen nach dem sie verlangen. Christus versagt ihnen das Zeichen, aber er versagt ihnen nicht die Belehrung. Selbst jetzt ist er barmherzig und hofft, dass sie zu belehren sein werden, dass sie ein Einsehen haben werden, dass sie ihm zuhören.

Mit seinen Worten entlarvt er zunächst den ersten Irrtum dieser Leute, die immer meinen, es müsste ihnen gegeben werden in die Zukunft blicken zu können. Zeichen werden doch immer dann verlangt, wenn man für das Morgen schon heute etwas wissen will, um es zum eigenen Vorteil zu gestalten. Es kann aber kein Mensch in die Zukunft blicken. Dieses Wissen ist vermutlich die Ursache dafür, dass die Hebräische Sprache, im Gegensatz zu vielen anderen Sprachen, die Zukunft eben nicht für das hält, was uns vor Augen liegt, sondern die Zukunft ist die Zeit in unserem Rücken. Der Mensch schaut immer nur in das, was war. Der Mensch sieht nur Vergangenes. Am deutlichsten wird uns das, wenn wir unseren Blick zum Himmel wenden. Alles was wir dann in tiefer Nacht sehen ist nicht nur fern, sondern (unermeßlich verschieden lang) unterschiedlich lange vergangen. Unser Bild von der Sonne ist noch nur ein paar Minuten alt, das Bild ferner Sterne und Galaxien manchmal Millionen von Lichtjahren, die Jahre, die das Licht brauchte, um zu uns zu gelangen. Der Mensch hat immer nur das Vergangene vor Augen.

Aber es ist darum auch das nur Vergangene, woraus der Mensch lernen kann. Es ist das Vergangene, was den Menschen beeinflussen kann. Es ist das Vergangene, das uns aufklärt. Darum erzählt der Herr vom Zeichen des Jona. Seit Jahrhunderten haben sich die Juden diese Geschichte erzählt. Jona war ein Mann, der seiner eigenen Bestimmung ausweichen wollte, der fortgelaufen ist vor dem Auftrag, den Gott ihm erteilt hatte. Es steckt in der Handlung dieses Prophetenbuches etwas von der Vorstellung, dass ein Mensch, der seiner Bestimmung nicht folgt, die Ordnung der Welt stört und dadurch auch Unglück und Unheil über andere bringt. Das Schiff, mit dem Jona vor seinem Auftrag fliehen will, gerät in schwere See und auch die Mannschaft ist nun bedroht. Als Jona nun als Ursache des wütenden Meeres erkannt wird, fordert er selbst von der Mannschaft, ihn in das Meer zu werfen, um es zu stillen. Ein Wal verschlingt ihn und gibt ihn nach drei Tagen wieder frei.

Dieses Zeichen war den Juden gegeben und kein anderes soll ihnen gegeben werden. Der Herr weist auf seinen eigenen Tod hin und macht gleichzeitig deutlich, dass sich in diesem nur erfüllen wird, was lange schon verheißen war. Drei Tage und drei Nächte wird des Menschen Sohn im Schoß der Erde sein.

Die Leute von Ninive werden beim Gericht auftreten und werden die Heuchler verdammen, denn sie haben der Predigt des Propheten geglaubt, obgleich sie vom Wunder im Bauch des Fisches gar nicht wussten. Auch die Königin von Saba wird auftreten, denn sie hat bei Salomo Weisheit gefunden. Jesus aber ist die Erfüllung all dessen, wofür Jona und Salomo nur Verheißungen waren.

Ihr habt einen Gott unter euch und verlangt nach Zeichen?

Die Reaktion Jesu auf die Zeichenforderung der Pharisäer und Schriftgelehrten entlarvt aber noch einen zweiten Irrtum und dieser betrifft das Wesen des Lebens selbst.

Wie will ich mich beispielsweise einem Menschen in Freundschaft verbinden, wenn ich zunächst von ihm verlange, er solle erst mit anderen beweisen, dass er zur Freundschaft überhaupt fähig ist?

Wie will ich mich einem Menschen in Liebe zu einer Familie verbinden, wenn ich verlange, es solle zunächst mit anderen Menschen nachweisen, dass er dazu in der Lage ist?

Wie will ich gerettet werden, wenn ich dem Retter sage, ich will erst noch warten, bis er andere gerettet hat?

Das Wunderbare am Leben ist seine Einmaligkeit. Es gibt kein Leben auf Probe. Man muss dieses Leben annehmen und darf sich nicht durch den Zweifel regieren lassen, sondern der Mensch muss vertrauen, wenn er leben will.

Uns ist in diesen Tagen Japan sehr nahe geworden. Um aus der Ansprache des japanische Kaisers zu zitieren:
„Mir wurde berichtet, dass im Ausland nun oft betont wird, wie die Menschen in Japan inmitten ihres großen Leids mit großer Gefasstheit einander helfen und mit der Situation in großer Ordnung umgehen. Ich hoffe von Herzen, dass auch weiterhin alle einander stützen, füreinander sorgen und so diese unglückliche Zeit überstehen.“
Wir dürfen in allem Respekt darüber hinaus sagen:

Vertraut doch darauf, wenn ihr in diesen wunderbaren Garten der Welt treten, wenn ihr auf diesen Weinberg geht, dem, der das alles geschaffen hat. Vertraut dem Schöpfer auch grade dann, wenn ihr dem Leid begegnet. Es gibt nicht nur das Leid, das Menschen übereinander bringen. Es gibt auch das unendliche Leid, das wie eine Urgewalt über die Menschen kommt und das wir noch weniger verstehen. Dennoch dürfen wir uns einem Gott anvertrauen, der zwar das Leid, aus Gründen, die wir nicht kennen, nicht immer abwendet, der aber immer an ihm teilnimmt, und der uns rufen hört: Gedenke; Gott; an deine Barmherzigkeit.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.
Thomas Roloff

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