Dienstag, 19. Februar 2013

In memoriam



Christian Morgenstern

Täuschung

Menschen stehn vor einem Haus, --
nein, nicht Menschen, - Bäume.
Menschen, folgert Otto draus,
sind drum nichts als - Träume.

Alles ist vielleicht nicht klar,
nichts vielleicht erklärlich,
und somit, was ist, wird, war,
schlimmstenfalls entbehrlich.

„Schlimmstenfalls“ entbehrlich? Ist das Resignation, Realismus oder das Sprechen von jemandem, den das Leben, die Wirklichkeit unauflösbar verwirrt hat? Lassen wir Morgenstern für diesmal beiseite und schreiben ein wenig von uns selbst, auch wenn das unpassend erscheinen muß.

Als ich in jüngerer Vergangenheit an diesen Ort „zurückkehrte“, stand ich für mindestens das erste Jahr unter einer Art Schockstarre. Ich glaubte wohl auch, den Aufenthalt kürzer gestalten zu können, jedenfalls hielt ich mich von allem „Gesellschaftlichen“ draußen peinlich getrennt. Durch meine Neigung zur Lyrik geriet ich zögerlich dann doch in einen „Lyriksalon“, der im „Le Chat Noir“ - sonst ein Salon für italienische Mode – von der kultiviert-liebenswürdigen Gastgeberin Frau Klim regelmäßig gehalten, vor allem aber von Herrn de Buhr, einem Rechtsanwalt im „Ruhestand“, bestimmt wurde.

Es wurde also über Lyrik gesprochen - persische, romantische, englische, barocke, russische, expressionistische.., Gedichte von Achmatowa..., Bachmann, Benn, Bobrowski, Brockes, Brecht...

De Buhr, ein „Herr“ im Auftreten, erwies sich als ein bisweilen knorriger, meist gewinnender, lebhaft konzentrierter, in der Tiefe gebildeter Mann, dessen Literatur-Neigungen nicht nur breit angelegt, sondern auch von Jahrzehnte währender sorgsamer Lektüre geprägt waren. Meine Teilhabe an diesem Literaturkreis wurde intensiver, und unser Verhältnis von dem sich respektierender Gesprächspartner zu einem aufrichtig und tief freundschaftlichen.

Wir trafen uns regelmäßig, stritten über Politik oder Architektur, Carl Schmitt und Goethe, das Recht oder den Papst, tauschten Bücher aus und vieles andere. In naiveren Zeiten hatte ich die Illusion, Interesse für Literatur oder die Antike, überhaupt Geistiges würde automatisch Verbindendes erschaffen, aber das ist nicht so, auch schwachere Geister bedienen sich täuschend solcher Dinge. All dies ist eher eine Charakterprüfung, und wer damit in Kontakt gerät, entblößt vor allem sein Selbst. Ich aber hatte zu meinem Glück einen erhellenden Geist kennengelernt, in dieser oft so geistestrüben Stadt.

Als ich Silvester letzten Jahres im Hause Klim/de Buhr zu Gast war, muß er schon erhebliche Schmerzen gehabt haben, hielt sich aber tapfer und antwortete ausweichend höflich, einzig eine gewisse Mattigkeit war ihm anzumerken. Es war sehr angenehm, wenn ich zurückblicke. Er kündigte allerdings einen Krankenhausaufenthalt im Januar an, die Diagnose später war besorgniserregend, doch die Operation schien erfolgreich, nicht nur meine Besorgnis schwand und gab einer großen Erleichterung Raum.

In der Nacht auf diesen Dienstag ist Jürgen de Buhr verstorben.

Am schlimmsten:
nicht im Sommer sterben,
wenn alles hell ist
und die Erde für Spaten leicht.

aus Gottfried Benn - „Was schlimm ist“

Benn sollte das nächste Thema werden. Wenn man eigentlich nichts sagen mag oder kann, bleibt noch immer die Möglichkeit, sich auf Texte zurückzuziehen, wie diesen eben. Benn selbst hat eine Art Abschiedsgedicht geschrieben und es merkwürdigerweise auf den Epiphaniastag datiert, auf den 6. Januar 1956, er starb dann am 7. Juli desselben Jahres; nachfolgend die Endverse daraus (überraschenderweise sah ich das ganze Gedicht bei der taz).

Ich selbst finde in solchen Momenten eigentlich nur Antwort in den großen Worten der Tradition, wie denen, die in den für eine evangelische Bestattung vorgesehenen erscheinen, und das findet sich dann auf höchst eigentümliche Weise zusammen mit Herrn Benn:

Kann keine Trauer sein. Zu fern, zu weit,
zu unberührbar Bett und Tränen,
kein Nein, kein Ja,
Geburt und Körperschmerz und Glauben,
ein Wallen, namenlos, ein Huschen,
ein Überirdisches, im Schlaf sich regend,
bewegte Bett und Tränen -
schlafe ein!

aus Gottfried Benn - „Kann keine Trauer sein“


Zum Paradies mögen Engel dich geleiten, die heiligen Märtyrer dich begrüßen und dich führen in die heilige Stadt Jerusalem.
Die Chöre der Engel mögen dich empfangen, und durch Christus, der für dich gestorben, soll ewiges Leben dich erfreuen.


nachgetragen am 26. Februar

2 Kommentare:

naturgesetz hat gesagt…

You have my condolences, dear Martin. Requiescat in pace.

MartininBroda hat gesagt…

I believe and hope he will, thank you Joe.