Montag, 30. September 2013

Michaelis &


Wie man leicht erkennen kann, gab es diesmal zu Michaelis Ahornblätter zu Mittag. Nein, natürlich nicht, sie sind einfach in diesen unschönen Eisentopf vom Baum über uns hineingefallen, schließlich ist es Herbst und dieser Herbsttag war es ein besonders schönes Exemplar davon.


Zwei Dinge machten ihn etwas interessant. Zum einen lief gewissermaßen ein heimlicher Krimi ab, aber da ich dies gerade schreibe, hat sich alle Anspannung lange in Wohlgefallen aufgelöst. Zum anderen mußte ich insistieren, daß Norddeutsche auch im fortgeschrittenen Alter nicht so zimperlich seien, daß sie an einem sonnigen, wenn auch leicht frischen Herbsttag nicht den Fuß vor die Tür setzen könnten. Mitunter genieße ich meine Hartnäckigkeit, muß man auch.


Doch genug davon, gestern also hatte sich wieder einmal Besuch eingefunden, der einen Berg eben selbst gepflückter verschiedenartigster Pilze mitbrachte. Mir überwiegend so unbekannt wie die Dame selbst dazu, letztere allerdings wirkte vertrauenswürdig (auch wenn einige der Pilze nicht nur mir unbekannt, sondern auch merkwürdig gelb aussahen, ich kann also keinerlei Auskünfte geben, sie hat sie alle aufgezählt, ich habe die Namen vergessen). Und jetzt ergab sich die spannende Frage, wieviel Vertrauen wagen wir? Aber da der Einsatz schließlich nur Leben und eigene Gesundheit bedeutete, fiel die Entscheidung nicht wirklich schwer.


Das Rezept dazu war diesmal einfach. Schnitzelstücke, die vorher angebraten wurden, kamen in den abgebildeten Eisentopf und dann in den Ofen, zusammen mit Thymian, Oregano und Rosmarin, reichlich Kochsahne, Pfeffer und Salz, besagten Pilzen (die ich vorher kurz aufgekocht hatte, vielleicht wäre der Geschmack verräterisch gewesen, war er aber nicht). Da es wirklich ein wenig frisch wurde, kam der unschöne Topf zwecks Wärmeerhaltung auf den Tisch, und nachdem mein Ultimatum erfolgreich abgelaufen war, wurde das Ganze also vereinnahmt. Die meisten Bilder gerieten mir unerklärlicherweise leicht blaustichig, daher diese beschränkte Auswahl, motivseitig


Ich hasse es, es zu sagen, aber es war wunderbar, ich gebe den Pilzen die Schuld. Mitunter wird grundlosen Vertrauen eben auch belohnt. Mitunter.

Sonntag, 29. September 2013

St. Michael


J. S. Bach, BWV 19, "Bleibt ihr Engel"

Wie es aussieht, scheint uns der Schlaf heute Nacht zu fliehen, und damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, daß ich am Tag des Erzengel Michael (!), dem Bezwinger Satans, Anführer der himmlischen Heerscharen, Hüter des Paradieses, Schutzherrn des Heiligen Römischen Reiches, einem Gottesdienst beiwohnen werde. Zum Glück hat mir Herr Roloff bereits seine Predigt für diesen Sonntag zugeschickt, die ich, diesmal etwas vorzeitig, auch um das schlechte Gewissen einzuschläfern, jetzt anbringen will. Eine sehr schöne Stelle darin lautet wie folgt:

„Nach meiner Überzeugung sind Engel nichts anderes als Gestalt gewordenes Vertrauen auf Gott. Die Engel sind die vollkommene Fülle gegenwärtigen Vertrauens. Gerade darum sind sie unüberwindlich, sie sind stark, weil ihnen das Böse nichts mehr anhaben kann, weil sie alles Böse durch ihr Vertrauen zu Gott überwinden.“

Die Predigt wird sogleich folgen, vorher will ich nur anmerken, daß die vorjährigen Beiträge hier aufzufinden sind, wo man auch sogleich feststellen kann, daß ich dieses Bachstück schon letztes Jahr anbrachte, ich mag es aber nun mal.

Menologion des Kaisers Basileios II., Erzengel Michael

Predigt zum Michaelisfest 2013

Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesu und sprachen: Wer ist doch der Größte im Himmelreich?  Jesus rief ein Kind zu sich und stellte das mitten unter sie und sprach: Wahrlich ich sage euch: Es sei denn, daß ihr umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.
Wer nun sich selbst erniedrigt wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich. Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf. Wer aber ärgert dieser Geringsten einen, die an mich glauben, dem wäre es besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft werde im Meer, da es am tiefsten ist...
Sehet zu, daß ihr nicht jemand von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit in das Angesicht meines Vaters im Himmel.
Mt 18, 1-6.10

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und von unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

dieser Text gibt uns nach meiner Überzeugung auf, zwei Fragen zu klären! Zum einen die Frage: Was sind Kinder? Zum anderen die Frage: Was sind Engel? Auf diese Fragen jedenfalls kommt man, wenn man Jesus zuhört, nachdem auch er auf eine Frage reagiert. Die Jünger waren nämlich an ihn herangetreten und wollten wissen: Wer ist doch der Größte im Himmelreich?

Die Frage ist ernüchternd und befreiend zugleich. Sie ist ernüchternd, weil sie uns Einblick gibt in die Gedankengänge der Jünger. Darüber also machen sie sich Gedanken, wer wohl der Größte im Himmelreich ist. Anstatt die Gegenwart des Herrn wirken zu lassen, um in der Beziehung zu ihm wachsen und zum eigenen Wesen vordringen zu können, sehen sie in dieser Gemeinschaft vielleicht nur so etwas wie die Vorbereitung einer „himmlischen Karriere“. Karrieren haben oft den merkwürdigen Zug, dass man weniger das eigene Fortkommen schätzt, als das man dem anderen das seine neidet. Da mache sich ein jeder seine eigenen Gedanken.

Befreiend ist die Frage aber, weil wir sehen, dass wir mit unserer Gemeinde und ihren Unzulänglichkeiten, mit ihren Unvollkommenheiten so viel hinter der Wirklichkeit der Jünger nicht zurückbleiben. Die christliche Kirche ist nie so schwach, wie man es ihr manchmal einredet. Sie steht einfach nur in der Tradition der Jünger und damit eben auch in der Tradition von ihren Unzulänglichkeiten.

Die Antwort Jesu auf die Frage der Jünger nach dem Größten im Himmelreich sieht darum auch in mehrfacher Weise paradox aus.

Er stellt ein Kind unter sie. Die Jünger sollen umkehren und wie die Kinder werden, sonst würden sie nicht ins Himmelreich kommen und das trotz ihrer scheinbaren Nähe zu Christus. Wer sich erniedrigt, wie das Kind, wer sich also klein macht, wie das Kind es ist, der ist der Größte im Himmelreich, und wer ein solches Kind aufnimmt, der nimmt Christus auf.

So sind auch die Kinder unter uns! Wir haben zum Glück immer eine schöne Zahl Kinder unter uns beim Gottesdienst. An ihnen sollen wir uns nun nicht nur ein Beispiel nehmen, sondern wir sollen werden wie sie.

Da kommen wir also wieder zu unserer Frage: Was sind Kinder?

Nach meiner Beobachtung ist das Entscheidende an Kindern diese unglaubliche Fähigkeit, erfahrungslos zu vertrauen. Kinder können naturgemäß weder mit ihren Eltern noch mit anderen Menschen Erfahrungen gemacht haben und schließen sich ihnen doch vorurteilsfrei und vertrauensvoll an. Das ist so natürlich und schön, dass es uns oft gar nicht auffällt, und es ist dennoch ein Wunder. Es ist ein Schimmer von dem, was Gott bezeichnet hat, als er davon sprach, dass alles sehr gut ist.

Das wird uns im Verhältnis von Eltern und Kindern leider immer erst in der ganzen Dramatik klar, wenn sich Eltern oder andere Menschen dieser Liebe und dieses Vertrauens als nicht würdig erweisen. Selbst misshandelte und gequälte Kinder drängen doch meistens wieder zu den Eltern zurück. Lieber reden sich die Kinder ein, dass die Strafen, die sie zu Unrecht erleiden, gute Gründe haben, als dass sie die Beziehung zu den Menschen aufgeben, die ihnen Eltern sein sollen. Kinder vermuten immer zuerst, sie haben etwas falsch gemacht, wenn ihnen das Böse begegnet. Das macht derartige Ereignisse so ganz besonders verachtenswert. Darum wohl schreibt auch der Evangelist davon, dass wer ärgert dieser Geringsten einen, oder anders übersetzt, wer einen von diesen Kleinen zum Bösen führt, dem wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft werde im Meer, da es am tiefsten ist. Die Bibel scheut sich nicht vor drastischen Worten, wo sie notwendig sind.

Umso wunderbarer ist es aber, wo dieses kindliche Vertrauen auf die unwandelbare Liebe seiner Eltern trifft.

Um dieses kindliche Vertrauen geht es in unserem Predigttext. Das ist die größte Gabe, die Kinder in die Welt tragen, dass sie sich allem vertrauensvoll zuwenden und dadurch Brücken schlagen.

Wir Erwachsenen haben es gelernt, davor angst zu haben. Bevor wir uns einer Sache oder gar einem Menschen zuwenden, wollen wir ein klares Urteil haben und trennen uns doch in unserem Urteil unüberbrückbar vom Gegenüber ab.

Jesus will uns zurückführen zum ursprünglichen kindlichen Vertrauen. Das erst befähigt uns zu dem unbekümmerten Wandel, von dem im Evangelium (Lk 10) die Rede war. Das befähigt uns dazu, die Schuhe auszuziehen und zu beten, wie es uns in der alttestamentlichen Lesung (Jos 5) von Josua erzählt wird.

Das Entscheidende an der Gabe des kindlichen Urvertrauens ist es nämlich auch gar nicht, dass es eine so einzigartige Beziehung zu den Eltern herzustellen vermag. Das ist auch schön und wunderbar, und es ist für die Eltern eine Erfahrung die sie lebenslang dankbar und glücklich machen sollte.

Das Entscheidende ist, dass diese Art von Vertrauen eine Beziehung zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Menschen stiftet.

Genau hier stehen wir vor unserer zweiten Frage: Was sind Engel?

Nach meiner Überzeugung sind Engel nichts anderes als Gestalt gewordenes Vertrauen auf Gott. Die Engel sind die vollkommene Fülle gegenwärtigen Vertrauens. Gerade darum sind sie unüberwindlich, sie sind stark, weil ihnen das Böse nichts mehr anhaben kann, weil sie alles Böse durch ihr Vertrauen zu Gott überwinden.

Und es gibt eine tiefe Bindung zwischen diesen Engeln und dem Vertrauen der Kinder, von dem wir hier reden. Matthäus bringt es mit der Wendung zum Ausdruck: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit in das Angesicht meines Vaters im Himmel.

Es ist, als würde für einen kleinen Moment gleichsam die Architektur von Gottes Welt sichtbar, weil dort eine Verbindung besteht zwischen unserer Welt und der seinen. Noch besser gesagt, unsere Welt wird gerade dadurch wieder und wieder zu der seinen, wenn wir vertrauensvoll auf ihn blicken, weil er alles geschaffen hat. Das Vertrauen auf Gott erschafft und durchdringt, erhält und beseelt die Welt.

Die Vorstellungen der Menschen von den Engeln sind vielfältig. Wenn wir aber als Kirche an sie erinnern, ihr Wirken für wahr halten, mit ihnen hoffen und beten, dann wollen wir uns damit immer und vor allem an ihre verkündende, heilende und kämpfende Macht anschließen. Vor allem wollen wir selbst zu glaubwürdigen Boten werden, die ihrem Gott fest vertrauen und von ihm Zeugnis ablegen.

Amen

Wir beten mit Worten von Papst Leo XIII.:

„Heiliger Erzengel Michael,
verteidige uns im Kampfe;
gegen die Bosheit und die Nachstellungen
des Teufels, sei unser Schutz.
‚Gott gebiete ihm‘, so bitten wir flehentlich;
du aber, Fürst der himmlischen Heerscharen,
stoße den Satan und die anderen bösen Geister,
die in der Welt umherschleichen,
um die Seelen zu verderben,
durch die Kraft Gottes in die Hölle.
Amen."

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn.

Amen
Thomas Roloff

Samstag, 28. September 2013

Nächtlich, nebenbei


Glenn Gould - J. S. Bach - Goldberg-Variationen

Über das Zweifelhafte von Mustern:

Warum Demokratie eben auch nur eine Variation ist: Da gewinnt ein gewisser Radikalsozialist namens Clemenceau zu viel Handlungsfreiheit und darf am Ende einen ganzen Kontinent nahezu mit in den Abgrund stürzen (abgesehen davon betrachte man den Ausgang der attischen Demokratie und einen Gerber namens Kleon).


Über die Wahrheit und deren Bewältigung:

Die gut progressive Überzeugung, daß durch eine gute Sache jede Lüge gerechtfertigt sei.

Sie haben sich so komfortabel in der Schande der anderen eingerichtet.

Spätestens die Übertreibung macht jede Sache falsch.


Über Distanz:

Bei Mißdeutungen auf Mißverständnisse zu setzen, setzt den guten Willen des anderen unausgesprochen voraus. Wie käme man dazu?

Kultur bedarf einer gewissen Anstrengungsbereitschaft. Unter der Oberfläche verlaufen die Linien unerwartet. Eine Versammlung biologischer Entitäten generiert nicht unausweichlich Merkenswertes, ansonsten würde jede Ansammlung von Quallen ständig Geistesblitze in den Himmel schießen.


Wann zuletzt zu enden ist:

Tote nehmen in der Regel keine Vernunft mehr an.

Donnerstag, 26. September 2013

Über T. S. Eliot &


Unser kleiner Möchtegern-Garten entwickelt seine Reize, und man lernt, steckt jemand ein wenig Energie in etwas, wird er mitunter unerwartet früh belohnt. So zeigen die meisten von den rüde und unzeitig umgepflanzten Rosen Zeichen des Fortlebens, die erste fängt sogar zaghaft an zu blühen (daher das verschwommene Bild, später folgend).


„Ich werde dir zeigen Angst in einer Hand voll von Sand.“ 

„I will show you fear in a handful of dust.” 

Ich bin in den letzten Tagen um Texte von T. S. Eliot herumgetigert, nur um endlich wieder etwas Demut zu lernen. Man kann aus seinen Worten, geschweige seinen lyrischen Worten, kein leicht erbauliches Stück zaubern. T. S. Eliot sagt uns all das, wonach unsere Seelennot ruft. Er weiß davon.

Es ist überhaupt erstaunlich, der vermutlich herausragendste englischsprachige Lyriker des 20. Jahrhunderts, wenn wir Pound beiseite lassen und diese Vergleiche überhaupt eine Art von Sinn enthalten, war ein streng traditioneller Anhänger Christi, Royalist und all das andere, was jetzt logisch folgen muß. Und dazu ursprünglich Amerikaner. Nein, wir sind kein Sklave unseres Herkommens, wenn wir es denn wirklich wollen.


„In meinem Beginnen liegt mein Ende. Nacheinander
Erheben Häuser sich und bröckeln, fallen, werden erweitert,
Fortgetan, zerstört, erneuert oder an ihrer Statt
Sieht man ein leeres Feld, oder eine Fabrik, oder eine Umgehungsstraße,
Alte Steine zu Neubauten, altes Bauholz zu neuen Bränden,
Alte Brände zu Asche, und Asche zu Erde...“

„In my beginning is my end. In succession
Houses rise and fall, crumble, are extended,
Are removed, destroyed, restored, or in their place
Is an open field, or a factory, or a by-pass.
Old stone to new building, old timber to new fires,
Old fires to ashes, and ashes to the earth...“

„In meinem Beginnen liegt mein Ende. Nun fällt das Licht
Über das offene Feld, überläßt den tiefen Hohlweg
Verschlossen von Ästen dem Dunkel des Nachmittags...“

„In my beginning is my end. Now the light falls
Across the open field, leaving the deep lane
Shuttered with branches, dark in the afternoon...“

„Heimat ist das, wovon man weggeht. Wenn wir älter werden
Wird die Welt fremder, die Muster verwirrender
Von Totem und Lebendigem. Nicht der brennende Augenblick 
Los von Vorher und Später,
Sondern ein ganzes Leben, lodernd in jedem Augenblick...
Alte Männer sollten stets Kundschafter sein,
Ob dort oder hier,
Wir müssen ruhig vorausgehen
In einen anderen Aufstieg,
Zu stärkerer Vereinigung, tieferer Gemeinschaft,
Abwehrend die dunkle Kälte, die leere Trostlosigkeit,
Den Schrei der Wellen, des Windes, die unermeßlichen Wasser
Von Sturmvogel und Tümmler. In meinem Ende liegt mein Beginnen.“

„Home is where one starts from. As we grow older
the world becomes stranger, the pattern more complicated
Of dead and living. Not the intense moment
Isolated, with no before and after,
But a lifetime burning in every moment...
Old men ought to be explorers
Here or there does not matter
We must be still and still moving
Into another intensity
For a further union, a deeper communion
Through the dark cold and the empty desolation,
The wave cry, the wind cry, the vast waters
Of the petrel and the porpoise. In my end is my beginning.“


Das erste, oft gebrauchte Zitat stammt aus “The Waste Land”, die anderen aus „East Coker“ von den „Four Quartets“. Von Eliot selbst vorgetragen findet man gegenwärtig das erste hier, und das andere, falls man diesem Link folgt. Als Kommentar las ich irgendwo:

„Eliot's voice is magical. Perfectly languid and lugubrious with a lingering element of wistfulness. I could listen to it all day.“

"Eliot Stimme ist magisch. Vollkommen ermattet und schwermütig, mit einem andauernden Element der Wehmut. Ich könnte ihr den ganzen Tag zuhören.“

Zumindest habe ich dies zwar nicht den ganzen Tag, aber in der Tat wiederholt getan. Übrigens ist es nicht das erste Mal, daß mir zu ihm nichts Rechtes einfallen wollte, wie man an dieser Stelle sehen mag, auch an einem 26. September, er wurde nämlich heute vor 125 Jahren geboren.




nachgetragen am 29. September

Dienstag, 24. September 2013

1914 - Über Geschichtspolitik & seriöse Wissenschaft

Ankunft des Reichspräsidenten Hindenburg und des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun zur Feier anlässlich des Endes der alliierten Besatzung des Rheinlands in Koblenz am 22. Juli 1930

Mitunter kommt einem dann doch noch die pure Galle hoch. Eben stolpere ich per Zufall über eine „Dokumentation“ im Hessischen Rundfunk, genauer gesagt, stand ich in der Küche, hörte aus der Ferne unfreiwillig irgendwelches Fernsehprogramm und dann fiel mir bei einer ziemlich dreisten Lüge quasi der Unterkiefer herunter.

Bekanntlich war eine der Folgen des schamlosen „Friedensvertrages“ von Versailles u.a. die Besetzung des linken Rheinlands (dessen Einverleibung übrigens ein alter französischer Traum, den nicht erst Napoleon geträumt hatte). Der Autor des bewußten Beitrages („So war das alte Hessen – Rheingau“ - Ein Film von Jörg-Adrian Huber) mokierte sich nun über die „Befreiungsfeiern“ von 1930: Da sei nichts befreit worden, das Deutsche Reich habe einfach nur seine Reparationen erfüllt. Richtig ist, das Deutsche Reich hatte in den sogenannten „Young-Plan“ eingewilligt, der deutsche Reparationszahlungen bis 1988 (!) vorsah; bekanntlich lief die Geschichte dann etwas komplizierter ab.

Und auch noch eine andere Bemerkung soll nicht vorenthalten werden: Die Region habe sich trotz vieler Rudimente aus der Vorkriegszeit stark verändert, der alte Rheingau existiere nur noch in den Köpfen der Älteren und werde mit ihnen untergehen. In Gesprächen mit Rheingauer Bürgern würde deutlich, daß vor allem die 1943 bis 1945 geschlagenen Wunden - der vom Naziregime selbst herbeigeführte Untergang deutscher Städte und Dörfer im alliierten Bombenhagel - nie verheilt seien. Das lassen wir für sich so stehen.

Ach übrigens begründete Ministerpräsident Clemenceau bei den Versailler „Friedensverhandlungen“ 1919 den französischen Anspruch auf die Rheingrenze wie folgt, Frankreich benötige Sicherheit vor Deutschland, schließlich habe dieses in nur 100 Jahren Frankreich viermal überfallen - 1814, 1815, 1870 und 1914 (sic!).

Denkmal für die belgische Besatzung am Niederrhein,
Kleve-Schmithausen

Es gibt eine Grunderzählung des gegenwärtig herrschenden Milieus, die geht etwa so: Die Deutschen, spätestens seit Luther mit einem heftigen überwiegenden Hang zum Bösen affiziert (nicht, daß diese Mileuanhänger alle Kryptokatholiken wären, aber den Namen „Luther“ hatten sie womöglich irgendwo mal gehört), haben auch den 1. Weltkrieg ausgelöst und damit verschuldet, in Gestalt des eitlen, großsprecherischen, wahngesteuerten und überhaupt völlig überforderten Wilhelm II. nämlich, weshalb die etwas harsche Behandlung durch die Sieger mit Versailles vollauf berechtigt gewesen wäre (eine Untergruppe - in diesem Milieu liebt man Aufsplitterungen - bestreit, daß Versailles letztlich so grundschlecht gewesen wäre, nein, das sei ein völlig angemessener Friedensvertrag gewesen).

Es läßt sich relativ leicht ein Psychogramm der oben erwähnten Personengruppe zeichnen. Dazu gehört, daß man etwas, genauer, einen bestimmten geographischen Raum und seine Geschichte, besetzen, aber ihm nicht wirklich angehören will. Man sollte dem einfach gar nicht mehr widersprechen. Sie wollen nicht dazugehören. Sei es so.

Und dann hört man auf einmal die Stimme der Vernunft aus unerwarteter Richtung, aus Australien gewissermaßen. Zunächst über das völlig Unangemessene inzwischen gewohnter  Zuschreibungen:

„Was mich überrascht hat, ist, dass der Unterschied zwischen demokratischen und autokratischen Regierungen in sich zusammenfällt, wenn man sich ansieht, wie Außenpolitik und Rüstung organisiert sind.“

Es geht, wie man denken kann, um den Ausbruch des 1. Weltkrieges, dessen Ursachen sich etwas komplexer darstellen, als daß es in ein gängiges Meinungsformat passen könnte:

„England hat in Österreich immer einen Faktor der Stabilität in Europa gesehen. Um 1900 ist es auf einmal bereit, die Habsburger auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. Die Russen und ihr Klient Serbien denken genauso. Die grundsätzliche Solidarität zwischen den Monarchien erlischt. Eine Nation spricht der anderen die Existenzberechtigung ab.“

„[Die Briten] ... überlassen den Balkan den Russen. Sie lassen zu, dass an dieser geopolitischen Grenze eine Zündladung installiert wird. Damit schaffen sie die Verzahnung, die zum Weltkrieg führt.“

Die Zitate stammen aus einem Interview mit Christopher Clark, das heute endlich in der FAZ erschien, anläßlich seines neuesten Buches „Die Schlafwandler“. Ich quäle mich seit einiger Zeit damit, es ist wie eine Geschichte, wo man ständig hofft, sie könne noch irgendwie gut ausgehen, obwohl man das Ende längst kennt, der Unterschied: Er erzählt diese Geschichte wahr (soweit wir Menschen das nach unserem aufrichtigen Bemühen überhaupt können), ernsthaft und angemessen.

„Wir müssen weg vom James-Bond-Muster, in dem es einen Guten und einen Bösewicht gibt. Sie können alle diese Staaten als Bösewichte sehen. Sie sind allesamt aggressiv, beutegierig, kolonialistisch, paranoid, sie zeigen Stärke, weil sie sich schwach und angreifbar fühlen.“

Die Geschichte geht bekanntlich etwas verwickelter weiter, die moralsicheren Anmaßungen der Siegermächte, der Versuch, ein kollektives moralisches Versagen in einen Akt zu exekutierender Gerechtigkeit umzudeuten und diesen dem Unterlegenen zuzuschieben, damit das Heranzüchten eines Monsters etc. etc., es wird neue Variationen davon geben, aber das ist ein zu weites Feld.

Was Clark hoch anzurechnen ist, daß er aufzeigt, von welcher Zivilisationshöhe all diese infantilen, deplazierten Psychotiker einen Kontinent herabgestürzt haben (und der Fall ist nach meinem Eindruck noch nicht beendet).

„Der Erste Weltkrieg ist das worst-case scenario des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Welt von 1913 mit ihrem globalen Handel, ihrem kulturellen Austausch, ihren friedlichen Veränderungen wird in einer Folge von Desastern zertrümmert, vergeudet. Man kann sich keinen schlechteren Start für das Jahrhundert vorstellen. Der Stalinismus mit all seinen Opfern, Hitler, der Holocaust, die Zerstörung der deutschen Städte im Luftkrieg: Das meiste davon kann auf die Giftdosis zurückgeführt werden, die dieser Krieg Europa injiziert hat.“

Wenn man all die zum Habitus gewordenen Lügen abwerfen kann und dann auf einmal ein Gefühl für die erlittenen Verluste gewinnt, in einem solchen Augenblick mag Europa neu zu atmen beginnen, heute können wir das nur erhoffen. Danke, Mr Clark!

Albrecht Dürer, "Melancholia"

Sonntag, 22. September 2013

Sonntag &


Hm, also abgesehen von der speziellen Stimmung kam mir das „Sabinchen“ aus dem vorigen Post vor allem wegen der einen Zeile in den Sinn: „Der Krug, der geht so lange zum Wasser / Bis daß der Henkel bricht.“ Das nur dazu.

Der kurze übliche Sonntagsbericht wurde bereits streng angemahnt und soll jetzt endlich auch folgen. Das Wetter war dem astronomischen Herbstbeginn mehr als angemessen und also wechselhaft. In der Nacht wurde es sogar recht stürmisch, so daß ich wohl die kleineren Töpfe besser von der Balustrade räumen sollte, an Essen auf der Terrasse war folglich gar nicht zu denken. Was lag darum näher, als mit dem Sonntagsessen bereits die Winteraromen in die Erinnerung zurückzurufen?




Dies geschah in der Gestalt eines Schweinekrusten-Bratens, gespickt mit Nelken und Wacholderbeeren, gepfeffert und gesalzen, und geschmort in viel Rotwein; zu dem dem Fond kam für die Sauce dann noch Sauerrahm hinzu (und etwas Honig).

Auf der anderen Seite des Tisches überwog darüber erneut die Skepsis, aber einen Tag später sind die Reste schon erheblich geschrumpft. Ich fand es auch nicht eben übel. Dazu Blumenkohl.


Das Licht war für die Kamera entschieden zu schummerig. In diesem letzten Bild wird zwar der Farbton des kleinen Rosenarrangements nahezu getroffen, dafür sieht der aufgeschnittene Krustenbraten aus, als müßte man das Gesundheitsamt zu Hilfe rufen, nein, das mußte man nicht. Es war alles gut, jedenfalls im Rahmen dieser bescheidenen mehrfachen vier Wände.

nachgetragen am 24. September

Nicht über Politisches


Claire Waldoff: Sabinchen war ein Frauenzimmer

Nein, ich werde hier heute nichts über Politisches schreiben, nur als kleine Andeutung, mein Gemütszustand schwankt irgendwo zwischen Claire Waldoff und dem nachfolgenden Marsch; nicht weil mir gerade so preußisch-militärisch zumute wäre, sondern weil der Fehrbelliner Reitermarsch vor etwas mehr als hundert Jahren einen inoffiziellen Text bekam namens „Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wiederhaben...“, was sich aber damals zunächst auf Wilhelm I. bezog (hat mir als Kind sogar noch meine „Stief“-Großmutter vorgesungen).

Ich notiere dies unter dem gestrigen Tag, weil der übliche Sonntags-Essenspost bald folgen soll, also etwas Geduld.


Fehrbelliner Reitermarsch

Sonntag, 15. September 2013

Sonntag &


Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten...





So beginnt bekanntlich eines der berühmten Herbstgedichte Rilkes. Und es ist eigentümlich, als ich diesen Sonntag-Morgen auf der Terrasse saß, vor und über mir unsere beiden recht alten Ahornbäume, da wurde mir plötzlich die Wahrheit dieser Verse bewußt. Die auffallend gefärbten Blätter, die von hoch oben aus den Ästen langsam in weiten Bögen auf den Boden segelten, schienen tatsächlich von einem weiter entfernten Ort her zu kommen.

Obwohl der Herbst erst in ein paar Tagen astronomisch offiziell beginnt, so ist er doch schon mit Händen zu greifen. Ich habe dieses Herbstgedicht von Rilke übrigens vor langer Zeit einmal im Ganzen gebracht, zusammen mit einer Übersetzung von Prof. Aue, die ich noch immer sehr schätze, wer mag, kann das dann hier nachlesen.


Das soll es mit den Abschweifungen vom Thema diesmal auch schon sein. Das Wetter blieb nicht so vorhersehbar, daß man es hätte wagen können, draußen zu essen, und folglich geschah das im nach ihrer Auffassung viel zu kleinen Wohnzimmer meiner Frau Mutter, das gleichzeitig auch als Eßzimmer herhalten muß. Im Bild sieht man ihr altes Klavier, das nächste Woche endlich gestimmt werden wird, derzeit klingt es noch wie aus einem minderklassigen Gespenster- und Schauerfilm entsprungen.


Und nun wirklich zum Essen, es war Lachs, im Ofen geschmort mit Butterschmalz und Kräutern, als da wären reichlich Dill, dazu Thymian und Oregano und etwas Rosmarin, nach einer Viertelstunde kam Weißwein dazu. Für die Sauce wurde dem Fond dann nur noch Crème fraîche  hinzugefügt (neben derselben sieht man übrigens eine der Rosenkerzen, wie sie hier im Hause gern selbst gebastelt werden). Als Gemüse in Butterschmalz geschmorte Mohrrüben und Petersilienwurzeln.



So in etwa wurde das an diesem Ort schon des öfteren beschrieben, daher bleiben wir für diesmal auch eher knapp. Das Rezept hat sich in der Art (bei den Kräutern kann man durchaus variieren) fast schon zu einem Standardgericht entwickelt, und nicht nur ich war diesmal wieder einmal recht zufrieden. Ja, derartige Gemütszustände kommen mitunter durchaus vor.

Und so wäre das wöchentliche Lebenszeichen nachgetragen, vielleicht kommen vor dem nächsten Sonntag sogar noch welche hinzu. Aber allzu deutlich ausgesprochene Ankündigungen führen in der Regel nur zu Schuldgefühlen, und die mögen wir nicht so.



nachgetragen am 17. September

Samstag, 14. September 2013

Im Nebel

 Heute Morgen rund um die Schloßkirche




 am ehemaligen Standort des Schlosses sind die Mauern sichtbar gemacht

 Tau am Fuß einer der Töchter der Niobe



 Denkmal für Großherzog Georg auf dem ehemaligen Paradeplatz vor dem Schloß  






Sonntag, 8. September 2013

Sonntag &

Diese gestrenge Dame ist eine der beiden Karyatiden, die den Zugang zu unserer Küche bewachen (links unten in der Ecke sieht man die Kaffeedose); von innen betrachtet steht sie zur Linken und hält offensichtlich einen Eichenzweig in der Hand.

Die andere Dame (tatsächlich war der Baumeister kultiviert genug, nicht einfach zwei Kopien nebeneinander zu stellen, sie unterscheiden sich also durchaus, so man genauer hinschaut oder dazu in der Lage ist) trägt nach meiner Auffassung einen Lorbeerzweig in der Hand. Andere meinen anderes, wie auch immer.

Wie schon erwähnt, befindet sich übrigens hinter dem anmutigen säulenumstandenen Erker mein bescheidenes Arbeitszimmer; inzwischen habe ich mir doch Jalousien zugelegt, als Schaufensterobjekt bin ich erkennbar denkbar ungeeignet.

Wer sich dunkel seiner klassischen Bildung erinnert, dem kommt bei Karyatiden das Erechtheion der Athener Akropolis in den Sinn, oder auch ein vornehmes Haus des 19. Jahrhunderts, an dem er vielleicht vorbeilief, sie waren dazumalen sehr beliebt, wie man sieht.

Ich dachte, ich erläutere heute erst einmal die Szenerie, bevor ich weiter zum langweiligen Hauptgericht voranschreite.

Die Rückfront wäre also zur Genüge beschrieben, zur einen Seite gibt es noch diese ansprechende Vase. Daneben ein Säulenfragment von einem aufgegebenen Friedhof, als junger Student sammelt man solche Trophäen gern, und nun ist es eine Art „Memento mori“ geworden.

Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.

Der Prophet Jesaja spricht so im 40. Kapitel, es kam mir gerade in den Sinn; wir müssen angesichts all dieser Zeichen der Vergänglichkeit schließlich rechtzeitig nach Auswegen suchen.

Und im Schatten einer gewesenen "Schloß-Kirche", nunmehr eine Skulpturengallerie, auf die wir jeden Morgen wie Abend schauen dürfen, braucht es kaum mehr Zeichen des Vergänglichen (wiewohl ein Gebäude, wenn es von gewisser Qualität ist, sich seiner Entwidmung auch widersetzt, aber das ist eine andere Geschichte).

Recht eigentlich sitzen wir hier im Schatten eines alten Ahorn, wir sind überhaupt umringt von alten Bäumen, und was fand ich unter demselben? Eine Herbstzeitlose, rührend, nicht?

Und wo wir gerade bei Blumen sind, im nächsten Bild sieht man ein bescheidenes Ergebnis meines Bemühens, auf dem traditionsreichen Flecken auch noch einen kleinen Garten anzulegen. Wie ich gerade gelernt habe, liegen unter diesem Areal (die Terrasse ist nicht ursprünglich), beträchtliche Trümmermengen vom Schloßabriß(!)




Und nach 2 Töpfen von der Terrasse mein Versuch, ein Gitter für zwei Rankrosen zu bauen (ich bin darauf wohl in der Achtung einer hochbetagten Bewohnerin des Hauses deutlich gestiegen, sie war davon überzeugt, ich säße den lieben langen Tag nur vor dem Computer...).



Wir leiten langsam über zum langweiligen Essen. Wie gesagt, befindet sich neben und über uns ein alter Ahorn, der gerade die ersten Zeugnisse des herannahenden Herbstes herabwirft (das Blatt stammt von ihm), was mich auf die Idee für die Tischdekorierung brachte. Daß wir würden draußen essen können, blieb länger ungewiß, die Sonne kämpfte unermüdlich gegen die herannahende Regenfront und verlor zum Glück erst fast zur Nacht.



Es waren Stücke Lachsfilet, im Ofen in Kochsahne gegart (und einer Fertigsauce, ich gestehe), mit frisch gehacktem Dill, Pfeffer und Salz, frischem Muskat und zur Abrundung Zitronen-Basilikum obenauf. Dazu Blumenkohl. Das Rezept war nicht übel, aber den Lachs hole ich beim nächsten Mal besser nicht vom Discounter. Doch kleinere Städte haben da manchmal wirklich ihre Tücken, *seufz.


Und angesichts soviel sonntagsessens-untypischer Bemerkungen und Betrachtungen über Vergängliches und Vergangenes wollen wir auch fromm enden, zumal ich den Gottesdienst geschwänzt hatte, nämlich mit Psalm 119, Vers 37:

Halte meine Augen davon ab, nach Nichtigem zu schauen.

nachgetragen am 9. September