Mittwoch, 4. September 2013

Über Rekonstruktionen und Kirchtürme





Als ich heute später am Abend nach Hause kam, konnte ich das Bedürfnis nicht unterdrücken, noch ein paar schlechte Bilder von der nächtlich beleuchteten Schloßkirche gegenüber zu machen, wovon  man nun hier einige vorfinden darf.

Ulmer Münster, Blick auf die Turmspitze von innen

Ulmer Münster im 19. Jahrhundert

Ulmer Münster, um 1854
 
Ulmer Münster heute

Und dann hatte ich vergessen, daß der Turm des Ulmer Münsters immer noch den höchsten Kirchenbau darstellt; dieses in der Elfenbeinküste dem Petersdom zu Rom Nachgebaute wäre dann wohl der zweithöchste; nun, Größe ist nicht alles, offensichtlich. Wie ich darauf komme? Auf Umwegen natürlich.

Notre-Dame de la Paix, Yamoussoukro

Zunächst las ich, daß am 4. September 1842 Friedrich Wilhelm IV. den Grundstein für die Vollendung des Kölner Doms legte, und dachte bei mir, da hast du doch vor kurzem etwas darüber geschrieben, nun das „kürzlich“ war der 15. Oktober 2009; mein Zeitgefühl scheint gerade zu verdampfen.

Aber mit der Zeit ist das sowieso eine merkwürdige Sache. Der Kölner Dom blieb also zunächst wie viele andere unvollendet, man beließ aber den wohl um 1350 errichteten Baukran auf dem Südturm bis 1868, als er endlich dem späten Baufortschritt weichen mußte. War das nun eine besondere Art von zeitabgelöstem Humor, Gleichgültigkeit, Gottvertrauen, daß er einst noch gebraucht werden würde, der Kran? Wie auch immer.

Kran auf dem Südturm des Kölner Doms, 1868

Der Bogen zu Ulm schlug sich aber vor allem deswegen, weil man beim Domfertigbauen immer erst an Köln und vielleicht noch Heine denkt mit seinem unsäglichen:

Er wird nicht vollendet, der Kölner Dom,
Obgleich die Narren in Schwaben
Zu seinem Fortbau ein ganzes Schiff
Voll Steine gesendet haben.

Er wird nicht vollendet, trotz allem Geschrei
Der Raben und der Eulen,
Die, altertümlich gesinnt, so gern
In hohen Kirchtürmen weilen.

Ja, kommen wird die Zeit sogar,
Wo man, statt ihn zu vollenden,
Die inneren Räume zu einem Stall
Für Pferde wird verwenden.

Nun, Heine irrte wieder einmal, aber das ist eher nebensächlich. Auch der Turm des Ulmer Münsters wurde also erst im 19. Jahrhundert vollendet. Und was mich jedenfalls daran immer noch fasziniert, ist der Wille, Dinge heilen zu wollen, ein altes Bestreben anzuerkennen, aufzunehmen und zu Ende zu führen, die Neugier auf das, was die eigene Eitelkeit unverzüglich beiseite schieben muß und die Größe, dieses auszuhalten.

In vielem stellt das 19. Jahrhundert eben eine Zivilisationshöhe dar, auf die wir uns hoffentlich irgendwann wieder zubewegen werden, vorerst mag es da hier und dort eine Art Wetterleuchten geben, aber vielleicht sind das auch nur Sinnestäuschungen eines überreizten Gemüts. Wir werden es irgendwann wissen.
nachgetragen am 5. September

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