Erzengel Michael am Völkerschlachtdenkmal zu Leipzig
„Dumpf und düster beherrscht das 91 Meter hohe Völkerschlachtdenkmal den Leipziger Südosten. Ein Monument der Nekrophilie und des Verfolgungswahns der Deutschen, die 'stets zu Schutz und Trutze' gegen irgendeinen Feind brüderlich zusammenhalten müssen, wie es im Lied der Deutschen heißt.“
„Sprengmeister Alfred Linden indes wollte den Koloss im Roman 'Völkerschlachtdenkmal' von Erich Loest einfach in die Luft jagen. Warum nicht!“
„GEHT`s noch???“ fragte einer der Kommentatoren dieses Artikels. Doch wir wollen zunächst weitere Zitate herbeibringen. Zumal besagter
taz-Artikel eigentlich nur unsere Erwartungen erfüllt, es ist ihm folglich erst einmal wenig vorzuwerfen.
Zum
„Focus“: Der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) laut eben dieser illustrierten Zeitung: „Wir wollen einen würdigen Rahmen setzen, an diese Schlacht erinnern und zu Freiheit und Frieden aufrufen. Zugleich aber wollen wir auch ins Gedächtnis rufen, dass infolge der Völkerschlacht Europa zu einer neuen Ordnung gefunden hat. Und auch (sic! MiB) wenn Napoleon in Leipzig geschlagen wurde, so hatten die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit doch ihren Weg durch Europa gefunden; und der Bogen ist über den Wiener Kongress, über zwei schreckliche Weltkriege bis zum Elysée-Vertrag gespannt.“
Und noch einmal besagtes Blatt: „Wie ein Raubvogel blickt der steinerne Erzengel Michael, Schutzpatron der Deutschen, den Besuchern des Völkerschlachtdenkmals in Leipzig entgegen. Über der Statue erhebt sich das massige Denkmal. 1913 fertiggestellt, sollte es an den vermeintlichen (sic! MiB) Aufstand des deutschen Volkes gegen Napoleons Vorherrschaft und an den Sieg in der Völkerschlacht 1813 erinnern. 'Dabei' sagt Steffen Poser, Leiter des Völkerschlachtdenkmals, 'war die Völkerschlacht nichts weniger als ein deutscher Volksaufstand. Mit viel gutem Willen könnte man von einem preußischen Volksaufstand sprechen'“.
Erzengel Michael am Völkerschlachtdenkmal
Wir haben inzwischen eine Vorstellung von Charakter und Umfang dieses „guten Willens“. Außerdem hat der Satz eine heimliche Pointe, denn er übernimmt sozusagen eine unterstellte „dynastische“ Perspektive, nur spiegelverkehrt. Denn, wenn er alles als einen Restaurationskrieg deutet, affirmiert er sozusagen die Perspektive gewisser Fürsten und wischt die Hoffnungen und die Tapferkeit eines ganzen Volkes beiseite. Warum das? Nun es soll eben nicht anders sein.
„Hier geht es nicht um Revanchismus, hier geht es nicht um die Nationenwerdung der Deutschen, nicht um die Abstreifung der Repression unter Napoleon“, sagt Koordinator Rodekamp. „Hier geht es um Aufklärungsarbeit, hier geht es um ein neues Verständnis für Vergangenheit. Wir müssen eine Brücke bauen, aus dem Wissen der Vergangenheit heraus, in eine bessere, zumindest friedvolle und nicht mehr kriegerische Zukunft der Menschen in Europa.“ Ebenfalls Focus. (Es klingt nach dem Kohl'schen: 'Wer nicht für den Euro ist, ist nicht für den Frieden.' In Nachahmung des vorigen: „Wer nicht für den Sozialismus...“, nur so nebenbei)
Es geht also um nichts von dem, was war, sondern nur um das, von dem man gegenwärtig will, daß es sein sollte. Aber schön, daß er das Wort „Aufklärung“ benutzt, wir hatten da schon immer unsere Vorurteile.
Allerdings,
diese Meldung der Leipziger Volkszeitung barg etwas Rührendes irgendwie, wie da die Schatten einstiger Herrscherhäuser auf die Bühne treten (übrigens wurde das
Schloß Rötha, von dem implizit die Rede ist, ein
frühbarocker Bau, der während der in Rede stehenden Völkerschlacht eine nicht unbedeutende Rolle spielte, 1969 abgeräumt):
„Mit zahlreichen Veranstaltungen ist auch am Samstag der Völkerschlacht bei Leipzig vor 200 Jahren gedacht worden. Am Vormittag kamen Vertreter von 15 europäischen Fürstenhäusern zu einem ökumenischen Gottesdienst in Rötha zusammen.“
Und ein gewisser Martin Schulz (SPD), Präsident des Europäischen Parlaments warnte bei
der Gelegenheit vor einem Wiedererstarken des Nationalismus: "Mit großer Sorge beobachte ich, wie sich in Europa wieder eine Re-Nationalisierung ausbreitet". Und zuvor noch so
optimistisch: „Wir stehen in einem beklemmenden Denkmal“. „Es ist auch der Ausdruck einer ultranationalistischen Geisteshaltung, die wir in Europa glücklicherweise überwunden haben.“ Nun ja. Man könnte so weiter vor sich hin zitieren, von der „Zeit“ bis zu den „tagesthemen“ (und würde allenfalls auf angestrengte Nuancierungen treffen). Aber gehen wir einfach ein wenig zurück:
Das neuere deutsche Bewußtsein seiner selbst ist in den Befreiungskriegen entstanden, und es waren Kriege zur Befreiung, von Ausplünderung, ja der Gefahr des bloßen Hungertods, der
man ausgesetzt war im Namen von Fortschritt, Brüderlichkeit und französischer Humanität. Daß dieses Eruptive selbstbezogen degenerierten deutschen „Fürsten“ (es waren nicht alle, aber zuviel) nicht geheuer sein konnte, was ein Wunder.
Blick in die Krypta des Völkerschlachtdenkmals mit Totenwächter
Ein Gegenzitat (aus dem
„Bildersaal deutscher Geschichte“):
"Noch in Tilsit berief der König auf Hardenbergs Rat den Freiherrn v. Stein an die Spitze des Ministeriums, damit unter seiner Führung das Staatsgebäude neu errichtet werde. Es gelang. "Indem der Staat sich innerlich zusammenraffte, machte er sich alles zu eigen, was Deutschlands Dichter und Denker während der letzten Jahrzehnte über Menschenwürde und Menschenfreiheit, über des Lebens sittliche Zwecke gedacht hatten. Er vertraute auf die befreiende Macht des Geistes, ließ den vollen Strom der Ideen des neuen Deutschlands über sich hereinbrechen. Jetzt erst wurde Preußen in Wahrheit der deutsche Staat; die Besten und Kühnsten aus allen Stämmen des Vaterlandes, die letzten Deutschen sammelten sich unter den schwarz-weißen Fahnen. Der schwungvolle Idealismus einer lauteren Bildung wies der alten preußischen Tapferkeit und Treue nun Pflichten und Ziele, erstarkte selber in der Zucht des politischen Lebens zu opferfreudiger Tatkraft. Der Staat gab die kleinliche Vorliebe für das handgreiflich Nützliche auf; die Wissenschaft erkannte, daß sie des Vaterlandes bedurfte, um menschlich wahr zu sein. Das alte harte kriegerische Preußentum und die Gedankenfülle der modernen deutschen Bildung fanden sich endlich zusammen, um nicht wieder voneinander zu lassen. Diese Versöhnung zwischen diesen beiden schöpferischen Mächten unserer neuen Geschichte gibt den schweren Jahren, welche dem Tilsiter Frieden folgten, ihre historische Größe.' (Treitschke)".
Wenn man das deutsche Selbstbewußtsein im Kern treffen will, muß man bei den Befreiungskriegen beginnen. Dort schien die Idee eines neuen Deutschland auf, wovon Treitschke (ja eben der, man hört förmlich die begeisterte Empörung) gerade so schön schrieb; mehr Vision als Wirklichkeit, und vor allem der damaligen Gegenwart heftig ins Stammbuch geschrieben, aber etwas, auf dem sich hätte aufbauen lassen können, wenn man denn wollte.
Es ist die häufiger zu beobachtende Mißachtung dessen, worin zu einer bestimmten Zeit die Gnade Gestalt gefunden hat. Das gilt für Schlösser, Dome, Institutionen & Gewohnheiten, wie eben auch Nationen. Das Gedenken daran kann in eine arge Schräglage geraten, wenn es sich bspw. an einer neu erschaffenen Mythologie verhebt. Aber das ist lange vorüber, heute sieht man eine andere Meinungs - Clique, die alles in Geiselhaft hält. Sie haben keine Liebe zu diesem Land, sie suchen nicht seine Kenntnis, geschweige denn ein Einverständnis, ihnen ist überhaupt die Fähigkeit zu höherer Liebe lange abhanden gekommen. Es ist ein wiederholter Mißbrauch eines alten Landes, nur diesmal von anderer Seite.
Ich bin immer noch ratlos, woher dieses rührt. Eine Verstörtheit? Eine Art Regression? Denn dann wüßte man, woran man wäre. Die Variation eines Atavismus z.B. (Das Körperliche lebt nach Gegebenheiten, die älter sind als der Geist, also auch anderes als passendes Verhalten wollen; wer sich dem Körperlichen ausliefert, indem er sich vom Geist fernhält, wird auch wie ein Hund sein Revier markieren, nur eben mit anderen Mitteln, indem er etwa Bäume abhackt oder Schlösser einreißt oder scheußliches Betonzeugs auf die Erde stellt).
Wovon ich bisher geschwiegen habe, ist, daß dieses Gedenken an die Befreiungskriege, anläßlich der
Schlacht bei Leipzig vor 200 Jahren, völlig von einer dortigen Initiative ausging, unter Abstinenz der gegenwärtigen Zentralregierung (die interessiert Derartiges schlicht nicht). So ist einem, als müßte man einen Spinnwebwald durchwandern, und wenn man hinter sich ein verstörendes lautes Geräusch hörte, sähe man vor sich bloß jemanden, der dazu eine schlüpfrige Bemerkung machte.
Nur ein paar nächtliche Gedanken, wie man sieht. Dazu auch noch nachgetragen, widerwillig, eingestandenermaßen.
Völkerschlachtdenkmal in Leipzig
nachgetragen am 23. Oktober