Sonntag, 16. November 2014

Zum Volkstrauertag


Predigt am Volkstrauertag 2014 in Schönhausen/Elbe

Friede sei mit euch!

Der Predigttext steht im 2 Kor 5, 1-10:

Sehnsucht nach der himmlischen Heimat

1 Wir wissen aber, so unser irdisch Haus dieser Hütte zerbrochen wird, daß wir einen Bau haben, von Gott erbauet, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist, im Himmel. 
2 Und darüber sehnen wir uns auch nach unsrer Behausung, die vom Himmel ist, und uns verlangt, daß wir damit überkleidet werden; 3 so doch, wo wir bekleidet und nicht bloß erfunden werden. 4 Denn dieweil wir in der Hütte sind, sehnen wir uns und sind beschwert; sintemal wir wollten lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet werden, auf daß das Sterbliche würde verschlungen von dem Leben. 5 Der uns aber dazu bereitet, das ist Gott, der uns das Pfand, den Geist, gegeben hat. 6 So sind wir denn getrost allezeit und wissen, daß, dieweil wir im Leibe wohnen, so wallen wir ferne vom HERRN; 7 denn wir wandeln im Glauben, und nicht im Schauen. 8 Wir sind aber getrost und haben vielmehr Lust, außer dem Leibe zu wallen und daheim zu sein bei dem HERRN. 9 Darum fleißigen wir uns auch, wir sind daheim oder wallen, daß wir ihm wohl gefallen. 10 Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richtstuhl Christi, auf daß ein jeglicher empfange, nach dem er gehandelt hat bei Leibesleben, es sei gut oder böse.

Amen.


 Schloßgarten, Gefallenen-Denkmal, 1923

Liebe Gemeinde,

Marcel Paris – Ich weiß nichts über diesen Menschen, kenne nur seinen Namen und das Datum seines Sterbens. Er fiel am 23. September 1917 vor Verdun und wurde beigesetzt auf dem Soldatenfriedhof am Douaumont. Nur seinen Namen habe ich als eine Form des persönlichen Gedenkens von unserer Gemeindereise nach Nordfrankreich mitgebracht. Seinen Namen habe ich nach Schönhausen gebracht, in den Geburtsort des Mannes, der das Reich gegründet hatte, gegen das Marcel Paris kämpfen sollte. Er starb für sein Vaterland, bekundet die Aufschrift auf dem Kreuz über seinem Grab.

Vielleicht ereignete sein Sterben sich so, wie der Engländer Richard Aldington es in dem Roman „Heldentod“ zehn Jahre nach dem Ende des Weltkrieges beschreibt:

„Die deutschen Maschinengewehre tackten gegen sie los, und Kugelgarben pfiffen unausgesetzt über sie hin. Er kam an einem Haufen von Leichen seiner Leute vorüber. Eine Gruppe war weggewischt durch eine einzige schwere Granate. Andere Gefallene lagen einzeln umher. Jameson lag tot; Halliwell tot; Sergeant Morton, Tayler und Fish tot nebeneinander. Er gelangte an die Hauptstraße, die dreihundert Meter vor der ihm bestimmten Einbruchstelle lag. Seine Kompanie wurde durch ein rasendes Maschinengewehrfeuer aufgehalten. Offiziere und Mannschaften lagen platt am Boden, schossen mit ihren Gewehren, auch die eigenen Maschinengewehre ratterten kurze Lagen. Winterbournes zweiter Melder wurde getroffen, wand sich am Boden und schrie: „Um Gottes Willen, macht ein Ende mit mir, tötet mich. Ich kann´s nicht mehr ertragen. Diese Qualen! Macht mich tot!“ Etwas schien zu zerbrechen in Winterbournes Kopf. Er fühlte, dass er wahnsinnig wurde, und sprang auf die Füße. Die Geschoßgarbe traf seine Brust wie der wütende Schlag einer stählernen Peitsche. Das Universum zerbarst in Nacht und Vergessen.“


Dies ist der Tag, an dem wir darauf blicken, was Menschen dem Menschen antun können, und wir schauen vor allem darauf, was sie sich damit selbst antun. Nicht allein auf die Gefallenen des eigenen Volkes blicken wir heute, sondern auf die Toten aller Völker.

Wer über die Gräberfelder wandert, wie sie auf unserem Kontinent leider so allgegenwärtig sind, der wird gewahr, das Sterben war auf allen Seiten das gleiche. Das Leiden wuchs ins Unvorstellbare.

Da kommt mir als erstes folgendes in den Sinn. Die europäische oder sollte ich bereits sagen die Neuzeit der westlichen Welt ist nicht unwesentlich geprägt durch ihren Glauben an eine der Religion gegenüber strengen und kritischen Vernunft. Die Vernunft sollte das Zusammenleben der Menschen und Völker bessern. Der Vernunft traute man zu, die Gerechtigkeit zu erkennen und sie auch durchzusetzen. Die allgemeine Unterwerfung unter die Vernunft sollte Frieden stiften.


Wie konnte es geschehen, dass trotz dieser vernünftigen Grundlagen ein Jahrhundert, das 20. nach Christus, heraufzog, das an Grausamkeit, an Gewalt, an Schrecken, Blut und Sklaverei alle vorherigen in den Schatten stellen sollte? Nicht nur die beiden Weltkriege mit ihren Zerstörungsorgien, die bis zum Abwurf von Atombomben reichten, sondern auch die großen Mordtaten in deutschen KZs, russischen GULAGs und während der Kulturrevolution in China und der Umgestaltung in Kambodscha gehören in das 20. Jahrhundert. Reich ist es scheinbar nur an technischen Fortschritt, der aber allzu schnell und gern ins Unheil führte.

Immer wieder sehen wir uns der Frage gegenüber: Wie können Menschen so sein? So herzlos, so böse, so  treulos und ohne Liebe?

Blicken wir auf das, was der Apostel uns im Predigttext sagen will:
1 Wir wissen aber, so unser irdisch Haus dieser Hütte zerbrochen wird, daß wir einen Bau haben, von Gott erbauet, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist, im Himmel.
2 Und darüber sehnen wir uns auch nach unsrer Behausung, die vom Himmel ist, und uns verlangt, daß wir damit überkleidet werden; … auf daß das Sterbliche würde verschlungen von dem Leben.


Liebe Gemeinde,

das ist eben nicht das vielfach und am bekanntesten durch Heinrich Heine verspottete Eiapopeia vom Himmel, in dem alle durch große Freuden entschädigt werden, die hier auf Erden zu leiden hatten. Was Paulus hier ausspricht ist vielmehr die große Hoffnung, die wir haben dürfen, dass alles in seinen Ursprung zurückkehren wird. Es gibt einen nicht zu lösenden Zusammenhang zwischen dieser Welt und ihrem Schöpfer, und es gibt die nicht zu fassende Vorstellung davon, dass alles Sterbliche vom Leben verschlungen wird. Dort wo Gott alles in allem ist, da wird auch alles endgültig durch das Leben beherrscht. Aus dem lebendigen Gott ist alles was ist hervorgegangen, und darum kehrt es auch zu ihm zurück.

Darum glauben wir, dass wer dem Leben dient, der wird auch das Leben empfangen, und wer dem Tode dient, der wird im Tod enden. Will man es noch deutlicher und im Zusammenhang des christlichen Glaubens ausdrücken, dann könnte man auch sagen, das Urteil über unser Handeln in dieser Welt fällt dort, wo entschieden wird, ob wir Christus töten wollen, oder ob wir mit ihm leiden. Da wir nun aber wiederum alle nicht frei von der Sünde sind, so müssen wir wissen, dass wir durch sie den Herren töten, und umso größere Hoffnung finden, wo wir dann mit ihm leiden.

Denn das ist es, was durch die Menschwerdung Gottes und durch sein Leiden und Sterben ganz neu in die Welt getreten war: Durch sein Leiden versöhnte Gott die Welt mit sich selbst und gab darin jedem menschlichen Leiden den Charakter der Anteilnahme an Gott. Es gab nun kein sinnloses Leid mehr, weil alles menschliche Leid das Leiden des Mensch gewordenen Gottes geradezu verherrlicht. Genau darin war die Macht des Bösen aber nun tatsächlich gebrochen. Das Böse in der Welt kann sein Ziel nicht mehr erreichen, und jeder Mensch, der dieser Tatsache im Glauben gewahr wird, der muss sich geradezu zwangsläufig zum Guten, zu seinem Erlöser bekehren. Hier verbinden sich Glaube und Vernunft in einzigartiger Weise, weil das, was wir wissen dürfen ganz dem dient, was wir in Sehnsucht hoffen.


Vielleicht liegt nun gerade darin eine der Ursachen für das verzweifelte und vernichtende Aufbäumen des Bösen in der Neuzeit. Wenn sich nämlich der Zusammenhang zwischen Glauben und Vernunft, wie er in der Christustheologie deutlich wird, im Menschen verliert, dann beginnt die reine Vernunft gegen den Glauben zu rebellieren und wird zur Dienerin des Bösen. Diese Revolte haben wir im 20. Jahrhundert erlebt, und sie ist noch nicht zu Ende!

In immer neuen Verkleidungen kommt diese kalte Vernunft, diese Vernunft ohne Glauben daher und versucht uns in die Kultur des Todes hinein zu ziehen. Antwortet ihr durch unser entschiedenes Bekenntnis zum lebendigen Gott und zum Leben selbst. Der christliche Glaube richtet immer und überall die Kultur des Lebens auf, und er verteidigt das Leben vom Anfang bis an sein Ende, „auf dass das Sterbliche würde verschlungen von dem Leben“. So glauben und bekennen wir. Im Glauben beugen wir uns nicht dem Zerbersten des Universums in Nacht und Vergessen, sondern richten es neu auf im wunderbaren Licht Gottes und in dem Vertrauen darauf, dass kein Name ins Vergessen fällt, auch der nicht von Marcel Paris.

Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richtstuhl Christi, auf dass ein jeglicher empfange, nach dem er gehandelt hat bei Leibesleben, es sei gut oder böse.

Amen

Der Friede Gottes, welcher höher ist denn unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn.

Amen

Thomas Roloff

nachgetragen am 17. November

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