Freitag, 29. Mai 2015

Nicht über den Abend


Ich bin den Abendstimmungen gegenwärtig eher abgewandt, vielleicht eine Art von Trotz, doch hier gehören sie her. Als ich diese Bilder ansah und zugleich auf den Herrn Loerke, dessen Sämtliche Gedichte nun einmal ständig vor mir stehen, neben anderen, warf ich einen eher „sachlichen“ Blick auf das, was sich hier von ihm bereits findet (ich mochte mich nicht wiederholen). Nur war der Effekt ein völlig unerwarteter.

Wenn man lange genug über aufgefundene Dinge schreibt, ist man sich beim Wieder-Finden längst derart fremd geworden, daß man das „Eigene“ so überrascht sieht, daß es bisweilen wieder nachdenkenswert erscheint. Selbst dazu gibt es etwas von unserem Dichter:

Erstaunlich war es und schwer,
Wieder dieses Buch zu lesen:
Der es schrieb – ich bin es nicht mehr,
Ich bin es nie gewesen.

(aus "Tagebuchblatt - Eigenes frühes Buch")

[Ach übrigens verirrt sich Herr Scholten m.E. ein wenig, wenn er die Anführungszeichen als Hinweis auf Ironie, sonstige innere Distanzierung u.dgl verboten wissen will; ich glaube, es war an dieser Stelle.] Aber wir schwatzen.

„Wenn ich Bäume verehre, bin ich keine Ausnahme, Menschen haben das seit undenklichen Zeiten getan, und das Empordringen des Stammes aus dem Erdreich, wo sich die Wurzeln befinden, über unsere mittlere Dimension, bis hinauf zum Himmel, wo sich die Blätter wiegen, gab immer deutliche Kunde davon, daß die Teilung des Seins in drei Sphären richtig sei.“

Oskar Loerke ist ein großer Naturlyriker, so hört man es gelegentlich. Eigentlich ist er ein eminenter Gedankenlyriker, fast so maßlos wie Rilke, aber während dessen Dichtung zwar weltenreich, aber eher naturarm erscheint, ist Loerkes Dichtung voll von Natur (irritierenderweise hat ihn das nicht populär gemacht, im Gegensatz zum vorgenannten) und hochkonzentriert, vielleicht macht sie das so sperrig mitunter.

Es ist Dichtung, die den Dingen dienen will und im Eintauchen in die Natur eine Art von Halt findet. Die Sendung der Bäume birgt einen Sinn, „der stumm uns beisteht“ (aus „Nächtliche Kiefernwipfel“). Das ernsthafte Sprechen von Natur rührt an unseren Lebensgrund und damit an das Ewige. Aber jetzt nur noch Oskar Loerke, d.h. zuvor noch eine Leseempfehlung: Oskar Loerke. Sämtliche Gedichte. Herausgegeben von Uwe Pörksen und Wolfgang Menzel. Mit einem Essay von Lutz Seiler. Göttingen, Wallstein Verlag 2010


BESUCH

Bisweilen kommt der Knabe mich besuchen,
Der einst mit meinem Namen hieß.
Er kommt und schweigt; nur seine Brauen fluchen,
Weil ich so viel aus ihm verderben ließ.

Von Grame glühend, gleicht er keinem Schemen,
Doch mir welkt gramverwandelt die Gestalt.
Ein Dritter aus uns, minder jung und alt
Als wir, ist da, uns bei der Hand zu nehmen.

Das Leben wie das Jahr hat seine Mitte,
Den schönen Monat haben wir versäumt.
Das Leben wie der Tag hat seine Mitte,
Da haben wir von früh und spät geträumt.
Das Leben wie der Nu hat seine Mitte,
Davon zu kosten haben wir versäumt.
Vergeßt es nun, vergeßt, und seine Mitte
Hat euch das Leben wieder eingeräumt.


(aus „Atem der Erde, Sieben Gedichtkreise – Die Tage Milch und Blut“ -1930)


MYSTISCHE SICHT

So steigt die dumpfe Erde in den Baum,
Der aus ihr wächst,
Und wiegt die starren Glieder in den schwanken Gliedern.
Und er sieht, der schwarze Stern,
Aus grüner Seele brausend,
Nach hellen hinüber
Und streichelt brüderlich und scheu nach ihnen hin,
Als wären sie ganz nahe.
So wohnt die Erde denn im Wipfel ihrer Bäume? –
Sie sinnt sich aus in allen Wesen,
Wird nie zu Ende kommen.

(aus „Atem der Erde, Sieben Gedichtkreise – Atlas“ - 1930)


ABSEITS

Abseits bin ich nicht gegangen.
Abseits hält mich doch umfangen
Zittergras,
Schrot und Schutt.

Von Erstreben und Gebühren,
Schicksalschube, Lebensführen
Schweigt der Tod
Auf der Statt.

Babylon ist oft vergangen,
Sonne wärmt im Schutt die Schlangen –
Bei dem Klang
Schlief ich ein.

(aus „Atem der Erde, Sieben Gedichtkreise – Die Weiten“ - 1930)


STROM

Du rinnst wie melodische Zeit, entrückst mich den Zeiten,
Fern schlafen mir Fuß und Hand, sie schlafen an meinem Phantom.
Doch die Seele wächst hinab, beginnt schon zu gleiten,
Zu fahren, zu tragen, - und nun ist sie der Strom,
Beginnt schon im Grundsand, im grauen,
Zu tasten mit schwebend gedrängtem Gewicht,
Beginnt schon die Ufer, die auf sie schauen,
Spiegelnd zu haben und weiß es nicht.

In mir werden Eschen mit langen Haaren,
Voll mönchischer Windlitanei,
Und Felder mit Rindern, die sich paaren,
Und balzender Vögel Geschrei.
Und über Gehöft, Wiese, Baum
Ist viel hoher Raum;
Fische und Wasserratten und Lurche
Ziehn, seine Träume, durch ihn hin -.
So rausch ich in wärmender Erdenfurche,
Ich spüre schon fast, daß ich bin:

Wie messe ich, ohne zu messen, den Flug der Tauben,
So hoch und tief er blitzt, so tief und hoch mir ein!
Alles ist an ein Jenseits nur Glauben,
Und Du ist Ich, gewiß und rein.

Zuletzt steigen Nebel- und Wolkenzinnen
In mir auf wie die göttliche Kaiserpfalz.
Ich ahne, die Ewigkeit will beginnen
Mit einem Duft von Salz.

(aus "Pansmusik" - 1916)


PANSMUSIK

Ein Floß schwimmt aus dem fernen Himmelsrande,
Drauf tönt es dünn und blaß.
Wie eine alte süße Sarabande.
Das Auge wird mir naß.

Es ist, wie wenn den weiten Horizonten
Die Seele übergeht,
Der Himmel auf den Ebnen, den besonnten,
Aufhorcht wie ein Prophet

Und eine arme Weise in die Ohren
Der höhern Himmel spricht:
Das Spielen wankt, im Spielen unverloren,
Das Licht wankt durch das Licht.

Heut fährt der Gott der Welt auf einem Floße,
Er sitzt auf Schilf und Rohr,
Und spielt die sanfte, abendliche, große,
Und spielt die Welt sich vor.

Er spielt das große Licht der Welt zur Neige,
Tief aus sich her den Strom
Durch Ebnen mit der Schwermut langer Steige
Und Ewigkeitsarom.

Er baut die Ebenen und ihre Städte
Mit weichen Mundes Ton
Und alles Werden bis in dieses späte
Verspieltsein und Verlohn:

Doch alles wie zu stillendem Genusse
Den Augen bloß, dem Ohr.
So fährt er selig auf dem großen Flusse
Und spielt die Welt sich vor.

So fährt sein Licht und ist bald bei den größern,
Orion, Schwan und Bär:
Sie alle scheinen Flöße schon mit Flößern
Der Welt ins leere Meer.

Bald wird die Grundharmonika verhallen,
Die Seele schläft mir ein,
Bald wird der Wind aus seiner Höhe fallen,
Die Tiefe nicht mehr sein.

(aus "Pansmusik" - 1916)


INBRUNST

Die Sterne sind zu groß und mußten wohl deshalb
So weit hinaus, und sie erhellen nichts bei uns.
Der Wind stieg tastend aus der Nacht des Weltenbrunns.
Er sitzt den Heimathügeln auf der Brust als Alp.

Die Wolken fahren auf wie Schiffe vor der Schlacht.
Ist mir die Sehnsucht ferner Welten zugeirrt?
Du, Erde, bist mein Saal, doch meine Seele wird
Auf einem andern Sterne schlafen diese Nacht.


(aus "Pansmusik" - 1916)


NIRWANA

Das Tal ist wie aus klarem Golde,
Es stehn im Tale ohne Hauch
Die Bäume schief wie Trunkenbolde
An Seen diamantenen Lichts.

Das Tal vergeht zu goldnem Rauch
Und dann zu goldnem Traume
Und dann zu goldnem Raume
Und dann zu goldnem Nichts...

(aus "Wanderschaft" - 1911)

nachgetragen am 10. Juni

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