Freitag, 8. Mai 2015

Zum 8. Mai

Peter Pöppelmann, Allegorie der Güte
Blick vom Rathausturm, Dresden

Kürzlich überraschte mich Frau Mutter mit der Bemerkung, sie hätte eben fast nach dem Fernseher „geschmissen“, zum Glück tat sie es nicht, sonst hätten wir jetzt einen weniger. Was war geschehen? Sie hatte dem Herrn G. zugehört und ihr war wohl schlagartig dessen völlige Verweigerung von Empathie für sie und ihr Schicksal klar geworden, das für so unzählige steht; vertrieben aus Weichselmünde, ihrem Heimatort; der Großteil der engeren Familie danach tot, ihren Vater, der als Invalide nicht einmal gekämpft hatte, luden die „Befreier“ als erstes auf ihr Gewissen, das sie kaum besessen haben dürften.

Nun letzteres dürfte mutatis mutandis wieder sehr aktuell geworden sein, deshalb wollte ich diesen Tag eigentlich mit Schweigen übergehen und sinnlose Übungen meiden. Zwei Dinge hielten mich davon ab. Einmal las ich noch einmal die „berühmt-umstrittene“ Rede Richard von Weizsäckers zum „40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa“, die vielleicht einige geringschätzen, weil sie sie nicht gelesen haben, und andere emporhalten mögen, aus dem nämlichen Grund.

Denn da finden sich doch so erstaunliche Sätze wie: „Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern.“ Unser Schicksal habe in der Hand der Feinde gelegen. Dennoch sei der 8. Mai ein Tag der Befreiung gewesen. Er habe uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Aber: „Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten.“ Also benennt er sie immerhin, die Leiden; sieht jedoch nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit. Sie liege vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte. Soweit, so richtig. Nur wo setzt man diesen Anfang?

Es sei Hitler gewesen, der zur Gewalt griff. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bleibe mit dem deutschen Namen verbunden. Während dieses Krieges habe das nationalsozialistische Regime viele Völker gequält und geschändet.

Am Ende wäre nur noch ein Volk übriggeblieben, um gequält, geknechtet und geschändet zu werden: das eigene, das deutsche Volk. Aber: Schuld oder Unschuld eines ganzen Volkes gäbe es nicht. „Schuld ist, wie Unschuld, nicht kollektiv, sondern persönlich.“

Herr Roloff hat heute eine Andacht aus diesem Anlaß gehalten. Das war der andere Grund. Er selbst bedauerte, zu wenig Zeit für die Verfertigung des Textes gehabt zu haben; inzwischen ist er auf dem Weg nach Bützow, seinem ursprünglichen Heimatort, um beim Aufräumen der Verwüstungen des Tornados zu helfen.

Andacht zum 70. Jahrestag des Kriegsendes in Europa in der Kirche St. Marien und Willebrord Schönhausen
am 8. Mai 2015

Friede sei mit euch!

Mehr als an anderen Tagen lässt sich heute vielleicht ermessen, was es bedeutet, sich Frieden zu wünschen.

70 Jahre ist es her, dass endlich die Waffen schwiegen, das Morden aufhörte, die Nächte in den Bombenkellern nicht mehr notwendig waren. Es war Frieden. Hier in unserer Gegend an der Elbe hatten die Kämpfe bis in diese ersten Tage des Mai gedauert.

Die Erschütterung, die der Krieg und die nun unwiderruflich eingetretene Niederlage in unserem Volk ausgelöst haben, ist in vielem noch bis heute zu spüren. Die Weise, wie wir uns erinnern, diese Mischung aus Ritual und Fassungslosigkeit über ein tiefes, bleibendes Unverständnis darüber, wie es mit einer großen Nation so weit kommen konnte. Die Art, wie wir selbst aus unserer ganzen Geschichte geradezu eine Vorgeschichte des Verhängnisses machen, liegt wie ein Alp auf dem Land und prägt unsere Trauer.

Der Prophet Amos schreibt:

10 Ich will eure Feiertage in Trauern und alle eure Lieder in Wehklagen verwandeln; ich will über alle Lenden den Sack binden und alle Köpfe kahl machen, und will ihnen ein Trauern schaffen, wie man über einen einzigen Sohn hat; und sie sollen ein jämmerlich Ende nehmen. 11 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, HERR, daß ich einen Hunger ins Land schicken werde, nicht einen Hunger nach Brot oder Durst nach Wasser, sondern nach dem Wort des HERRN, zu hören; 12 daß sie hin und her von einem Meer zum andern, von Mitternacht gegen Morgen umlaufen und des HERRN Wort suchen, und doch nicht finden werden.
[Kap. 8 ff.]

Stößt uns dieses Prophetenwort nicht geradezu noch einmal hinein in die ersten Tage, Wochen und Monate nach dem Tag der Niederlage?

Die Waffen schwiegen zwar, aber Unrecht, Vertreibung, Verfolgung, Vergewaltigung nahmen nun ihren Lauf.

Trotzdem begannen die Menschen wieder, ihr Land aufzubauen, ihr Leben neu zu ordnen. Erst noch wie betäubt, dann aber mit einem Elan und Erfolg, der noch heute staunen lässt.

Aber hat das, wovon der Prophet neben der Trauer auch noch redet, nämlich der Hunger und der Durst nach dem Wort Gottes, sich tatsächlich so entfaltet, wie es nach jener Katastrophe notwendig gewesen wäre?

Wären aber nicht genau dieser Hunger und dieser Durst notwendig gewesen, damit tatsächlich Frieden werden könnte?

Darum sage: Siehe, ich gebe ihm meinen Bund des Friedens; 13 und er soll haben und sein Same nach ihm den Bund eines ewigen Priestertums, darum dass er für seinen Gott geeifert und die Kinder Israel versöhnt hat. So lesen wir es im 4. Buche Mose.

Frieden hängt an dem Bund, den wir mit unserem Gott haben, und den wir nicht verlassen dürfen.
Blicken wir unter dieser Forderung auf die Geschichte unseres Volkes und der Völker Europas.

Richard von Weizsäcker hat 1985 zurecht gemahnt, den 8. Mai 1945 nicht losgelöst vom 30. Januar 1933 zu betrachten. Wir dürfen hinter dem 8. Mai 1945 aber auch nicht das Jahr 1914 vergessen. In ihm wurde sichtbar, wie sehr sich der Nationalismus gleichsam zur beherrschenden und gleichzeitig verblendenden Religion unter den europäischen Völkern entwickelt hatte. Der Gottesdienst war oftmals zur bloßen Dekoration des Dienstes an der Nation geworden. Auch für unsere eigene Kirche müssen wir das leider so feststellen. Der christliche Glaube verlor rasant an Kraft, die Völker miteinander zu verbinden. Statt zu erkennen, dass Gott sein Volk aus allen Völkern ruft, begann man zu glauben, der christliche Gott würde sich zwischen den Völkern entscheiden.

Der Nationalismus führte außerdem einen vergifteten Freiheitsbegriff mit sich. Im Selbstbestimmungsrecht der Völker sah er etwas, was die Völker gegeneinander durchsetzen mussten. Ein einfacher Blick auf die Völkerkarte Europas hätte unter normalen Umständen ausgereicht, um zu erkennen, dass dieses Ziel ohne Vertreibung und Vernichtung nicht würde erreichbar sein. Unter dieser Erwartung mussten alle Grenzen in Europa ungerecht sein.

Dennoch wurde geradezu eine Lehre daraus, dass die Völker ihre Freiheit gegeneinander durchsetzen müssten. Freiheit wurde etwas, dass man voneinander erlangen aber keinesfalls miteinander gestalten wollte. Für die sozialistische Ideologie, die dasselbe lehrte, traten an die Stelle der Nationen eben nur die Klassen, die gegeneinander kämpfend Freiheit erringen sollten. Was zunächst nur eine geistige und immer auch geistliche Verirrung gewesen ist und geglaubt wurde, obgleich es allen kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Erfahrungen widersprach, wurde im Krieg zum Vernichtungswahn, der am Ende keine Sieger kannte. Menschen, die den Realitäten ins Auge schauten, und denen der unchristliche Geist offenbar war, die warnten sehr früh, dass der Krieg keine Sieger haben, sondern nur die Revolution in mehr als einem Land mit sich führen würde. Genau das geschah, und die Revolution, vor allem die in Russland, wurde zum Brandbeschleuniger der Vernichtung.

Und auch der dann geschlossene Frieden, der diesen Namen nicht verdient, vollstreckte weiter dieselbe Ideologie der Zerstörung.

Man kann jenen, die, wenn sie über die Jahre zwischen 1914 und 1945 reden, von einem zweiten 30jährigen Krieg sprechen, nur beipflichten. Er sollte für unser Volk noch vernichtender werden, als es der erste war.

Es ist der Kern der Tragödie, dass die Kräfte, die am ehesten in den Friedensnobelpreisträgern des Jahres 1926 personifiziert sind, das waren Aristide Briand und Gustav Stresemann, zu schwach blieben, um der Versöhnung – sie nämlich ist das Gegenteil der Ideologie der Vernichtung – einen Weg zu bahnen. Stattdessen wurde die Ideologie der Vernichtung perfektioniert. Das war der besondere deutsche Beitrag Sozialismus und Nationalismus miteinander verbunden und ihr gemeinsames Zerstörungs- und Vernichtungspotential ganz entfesselt zu haben.

Aus diesem Abgrund des Hasses suchen die Völker Europas seit jenem 8. Mai 1945 einen Ausweg. Er kann dauerhaft nur gefunden werden, wenn wir den vergifteten Ideologien abschwören und uns den Hunger und dem Durst nach dem friedenstiftenden Wort Gottes wieder ganz überlassen.

Hass erregt Hader; aber die Liebe deckt alle Übertretung zu. Und wo nicht weiser Rat ist, da geht das Volk unter;

Der Ausweg aus den Abgründen des Hasses liegt in der Wahrheit. Darum muss die Kirche voller Vertrauen beten:

Du bist Gott und deine Worte sind Wahrheit.
Sende dein Licht und deine Wahrheit, denn seine Wahrheit ist Schirm und Schild.

Unter diesen Schirm wollen wir uns stellen, dieses Schild soll die einzige Waffe sein, mit der wir den Gefahren der Welt trotzen, denn dann wird Frieden sein.

Amen

Dieser Friede bleibe alle Zeit bei Euch! Amen

Thomas Roloff

2 Kommentare:

naturgesetz hat gesagt…

Wise words from Mr. Roloff.

MartininBroda hat gesagt…

I told him so as well.