Dienstag, 27. März 2012

Mecklenburgica

Meine Gedanken sind einfach zu langsam gegenwärtig, aber daß Otto Vitenses Geschichte von Mecklenburg (erschienen 1919) noch immer als die letzte ernstzunehmende Darstellung der Geschichte dieses Landes gilt, wirft ein bezeichnendes Licht auf den ernstzunehmenden Kern dieses Landes Mecklenburg-Vorpommern, da ist nämlich keiner. Es ist ein wenig so, wie wenn Südseeinsulaner ihre Tänze vor Touristen aufführen. Doch genug davon.


Vitense beschloß 1948, das Einwirken der im Troß der russischen Siegermacht wirkmächtigen Kommunisten auf ihn durch seinen Tod zu beenden. Die Geschichte Mecklenburgs trägt oft tragische Züge, dafür hatte er einen Sinn, und das Ergebnis dürfte häufig zu dem differieren, was sich als gegenwärtig herrschende Erzählung darstellt, also bringen wir doch einfach einen Auszug.

Das Wirken Naploleons wird gern verharmlost, schließlich empfindet man sich lieber heimlich mit als irgendwie fortschrittlich (was immer das sein soll), aber wir wollten zitieren und nicht räsonieren:

Die Franzosenzeit in Mecklenburg

Franzosenzeit - das Wort erweckt noch heute nach über hundert Jahren bei vielen Leuten, denen in ihrer Jugend einst die Eltern und Großeltern davon erzählt haben, Grauen und Entsetzen. Ja, selbst den Kindern geht es nicht viel anders. So sehr hat sich die Erinnerung an jene Zeit, die mit all ihren Schrecken eine der schlimmsten in der Geschichte unseres engeren und weiteren Vaterlandes gewesen ist, von einer Generation an die andere übertragen. Gerade bei uns in Mecklenburg ist dieser Zeit ein bleibendes Denkmal durch unseren größten plattdeutschen Dichter Fritz Reuter gesetzt worden. Wenngleich seine „Franzosentid“ eine mit köstlichem Humor geschriebene lustige Geschichte sein will, so spielt sie sich doch auf dem Grunde der Franzosenherrschaft in Mecklenburg ab, und tief muß es jeden Leser berühren, wenn er von den Leiden und Qualen hört, unter denen damals unser Volk geseufzt hat. Es mag nur an den Müller Voß von der Gielower Mühle erinnert werden, der außer dem Verlust zweier Söhne eine völlige Ausplünderung seitens der Franzosen und den Wirtschaftlichen Zusammenbruch seines Gehöftes zu beklagen hat, so daß ihm nichts anderes übrig bleibt als „Pankerott spelen“.

Wir sind heute, in einer Zeit des Friedens und der gesetzlichen Ordnung, an die wir von Jugend auf gewöhnt sind, kaum imstande, uns jene Franzosenzeit in ihrer vollen Wirklichlichkeit vorzustellen. Ja, manchmal wollen selbst die noch erhaltenen Schilderungen von Augenzeugen uns wie eine Art phantastisch ausgeschmückter Gespenstergeschichten anmuten. So groß ist der Unterschied zwischen damals und jetzt. Und ich sagen sie die reine Wahrheit. Nur einige Worte mögen genügen, um uns ein Bild von dem Zustande unseres Landes in der Franzosenzeit 1806/12 zu verschaffen.

Die Zeit der französischen Revolution und der durch sie hervorgerufenen Koalitionskriege, in denen durch Napoleons maßlose Ruhm- und Herrschsucht schließlich das ganze bisherige Staatensystem Europas umgekehrt wurde, waren, abgesehen von einigen kleinen Unruhen, die aber schnell beseitigt wurden im übrigen fast spurlos an Mecklenburg vorübergegangen. Von der Teilnahme an den Koalitionskriegen insbesondere hatte sich unser Land durch eine an das Deutsche Reich gezahlte Geldsumme befreit. Mit dem Jahre 1806 aber wurde auch Mecklenburg in die Schrecken jener Zeit verwickelt und hat dann nicht weniger als sieben Jahre unter der französischen Fremdherrschaft so sehr leiden müssen, dass es scheint, als sollte es für die vorhergehenden Friedensjahre nun noch um so mehr von der Kriegsnot heimgesucht werden.

Am 14. Oktober 1806 war das preußische Heer von Napoleon bei Jena vollständig besiegt worden. Damit ging im deutschen Volk auch die Letzte Hoffnung auf Befreiung aus dem napoleonischen Joch verloren. Unaufhörlich wälzten sich jetzt die französischen Heere über die deutschen Gefilde. Jedes deutsche Land war der Willkür Napoleons preisgegeben. Überall fürchtete man für die eigene Heimat, für Haus und Hof, Familie, Stand und Beruf...

Nach der Schlacht bei Jena sucht ein Teil der geschlagenen preußischen Armee sich unter Führung des Generals, späteren Feldmarschalls Blücher nach Mecklenburg zu retten. Ihm folgen die drei französischen Generale Murat, Soult und Bernadotte, der spätere Krohprinz von Schweden, und trugen die Kriegsfackel in unser Land. Bei Feldberg betrat Blücher mecklenburgischen Boden und zog nun quer hindurch auf Lübeck zu. Bei Nossentin, zwischen Waren und Malchow, erkämpfte sich seine Nachhut unter dem Obersten, späteren General York am 1. November 1806 gegen Bernadotte den Rückzug. Am 7. mußte Blücher bei Ratkau b. Lübeck sich den Ihm folgenden Franzosen ergeben. Die drei Marschälle aber begannen nun von Mecklenburg völlig Besitz zu nehmen und das Land zwecks Einrichtung als französische Provinz, wie Napoleon befohlen hatte, zur Strafe für die 1805 den russischen Truppen gestatteten Durchzüge gleichsam unter sich zu verteilen. Überall wurden die mecklenburgischen Wappen entfernt und statt ihrer französische Adler angebracht, sodann Laval zum General-Gouverneur des Landes ernannt.

Im Januar 1807 wurde der Herzog Friedrich Franz aus seinem Schweriner Lande vertrieben; der Strelitzer Herzog Karl konnte sich durch Fürsprache des ihm verwandten Königs von Bayern bei Napoleon von dieser auch für ihn getroffenen Bestimmung noch im letzten Augenblick befreien. Einquartierungen, Truppendurchzüge, Kontributionen, Erpressungen, dazu Rauben und Plündern, Brennen und Morden seitens der das Land knechtenden Franzosen nahmen jetzt überhand. Kein Stand, kein Geschlecht, kein Alter wurde geschont. Die Städte wurden mit Einquartierungen und Forderungen an Geld und Naturalien schier überlastet.

Mitten in den Straßen wurden Wachtfeuer angezündet und alles Holz, wie Türen, Bretter, Gartenzaune, selbst Möbel als Brennmaterial verwandt. Vorräte an Lebensmitteln und Kochgerätschaften wurden den Bewohnern aus den Häusern entwendet. Vor den Bäckereien wurden mehrfach Posten aufgestellt, damit kein Brot an die Bewohner verkauft, sondern alles für die französischen Soldaten reserviert werde. Die Kirchen wurden als Vorratshäuser für Heu und Stroh gebraucht.

So wurde z. B. in der Johanneskirche in Neubrandenburg vom Sommer l807 an zwei Jahre überhaupt nicht gepredigt, die Marienkirche daselbst mehrfach als Pulvermagazin eingerichtet. In Schwerin wurden auf der dortigen Gemäldesammlung auf Napoleons Befehl über 200 Gemälde samt vielem Porzellan eingepackt und nach Paris geschickt. Auf dem Lande wurde den Bauern das Korn mit ihren eigenen Pferden aus den Scheunen fortgebracht. Männer und Frauen, Greise und Kinder wurden mißhandelt und von Haus und Hof vertrieben.

Im November 1806 hatte Napoleon von Berlin aus über England die Kontinentalsperre verhängt und so jeglichen Handel mit dem Inselreich verboten. Zwar konnte nach dem Frieden von Tilsit im Juli 1807 Friedrich Franz in sein Land zurückkehren, mußte aber mitsamt dem Strelitzer Herzog dem Rheinbunde beitreten, der unter Napoleons Protektorat stand.

Mecklenburg-Schwerin hatte 1700, Strelitz 400 Soldaten zu stellen. Die mecklenburgischen Truppen wurden nun ganz nach französischem Muster uniformiert und ausgerüstet. Zugleich kam eine große Anzahl französischer Zollbeamten, Douaniers, zur Überwachung der Kontinentalsperre ins Land. Bald stockte Handel und Wandel im Lande völlig. In Rostock lagen schließlich die Schiffe ohne Masten, Segel und Flaggen, ihr Holz begann im Schlamm zu verfaulen.

Allerdings waren die Douaniers der Bestechlichkeit seitens der Bevölkerung zugängig und vertrieben, wie die Geburtenregister mancher Kirchenbücher noch nachweisen, viele Zeit mit Liebeshändeln. Die Heiterkeit und der frohe Sinn der Seeleute aber war dahin. Kaperboote weilten auf der Reede und lauerten tagtäglich auf einen guten Fang. Überall wurde heimlicher Schleichhandel getrieben, der nur immer größeres Mißtrauen der Bürger untereinander erzeugte, denn niemand wagte ein offenes, freies Wort, geschweige denn seine eigene Meinung zu sagen aus Furcht vor der Rache der frauzösischen Beamten. Das Pascherhandwerk (Schmuggelei) nahm, wie im ganzen Lande, so besonders an der Küste immer mehr zu. Nicht selten aber befanden sich unter den eingeschmuggelten Gegenständen und Waren ungesunde, ja ekelhafte Fabrikate. Geld war überhaupt kaum noch im Lande vorhanden.

Im Jahre 1809 zwar ging in Österreich eine mächtige freiheitliche Bewegung durch das Volk. Man hoffte Preußen und ganz Norddeutschland mitzureißen zum Kampf gegen den Volksbedrücker Napoleon. Nicht fehlte es in verschiedenen Orten in Deutschland an Beifallskundgebungen...

Hand in Hand mit der österreichischen Bewegung lief der Kampf der Tiroler unter Andreas Hofer sowie der Versuch des tapferen preußischen Majors von Schill, der ohne Wissen seines Königs auf eigene Hand von Berlin aus sich mit seinen Husaren und Jägern gegen Napoleon wandte, um in Preußen und ganz Deutschland für eine allgemeine Erhebung zu wirken. Aber Preußen rührte sich nicht, sein König blieb neutral. Schill mußte vor den Franzosen fliehen, durcheilte Mecklenburg von Dömitz bis Ribnitz und fiel schließlich in heldenmütigem Straßenkampfe in Stralsund. Seine Offiziere wurden in Wesel erschossen. Ein ähnliches Schicksal hatte der unerschrockene Tiroler Volksführer, und die Österreicher selbst wurden in mehreren Schlachten von Napoleon völlig besiegt. Die ganze Bewegung war niedergedrückt, das fremde Joch wurde schwerer, als es zuvor gewesen.

Mitten in dieser Unglückszeit, die nächst dem Dreißig-Jährigen Kriege in der Geschichte kaum ihresgleichen findet, starb am 19. Juli 1810 im Schlosse zu Hohenzieritz bei Neustrelitz die Königin Luise von Preußen, geborene Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz. Sie war es gewesen, die ihren Gemahl, den König Friedrich Wilhelm III., in all der Not, besonders auf seiner Flucht nach Königsberg und Memel, in seiner Verzweiflung stets getröstet und wieder aufgerichtet hatte. Eine große Trauer um diese hehrste aller Frauen, die je auf einem Fürstenthron gesessen haben, durchzog die Herzen aller Deutschen und besonders der Mecklenburger, deren Ruhm und Stolz sie stets gewesen.

Das Jahr 1811. aber bildete gleichsam den Höhepunkt der Not. Die eigenen Landesprodukte mußten an die Franzosen für einen Spottpreis abgegeben werden, dagegen stiegen ausländische Waren im Preise so hoch, daß sie kaum mehr zu bezahlen waren. So galt ein Pfund Zucker ebensoviel als ein Scheffel Weizen, d. h. 2 bis 3 Taler. Im Jahre 1810 schon hatte Mecklenburg etwa 280.000 Taler außerordentliche Kontribution leisten müssen, im Jahre 1811 wurden es sogar 340.000 Taler. Unter dem Vieh trat die Rinderpest auf. Der Kredit war vollständig gesunken, und so mußten in diesem Jahre etwa 60 Landgüter den Konkurs anmelden.
Wie aber um diese Zeit die Franzosen unter den Bewohnern im Lande hausten, davon mag ein Augenzeuge selber Berichten:

,,Die Einwohner wurden barbarisch vom Feinde gemißhandelt, wenn kein Geständnis verborgener Schätze mehr zu erpressen war; Kisten und Schränke wurden zerschlagen, alles mutwillig zerstört und die unglücklichen Familien halb nackt verjagt; Väter, denen Rock und Stiefel ausgezogen waren, wurden mit Kindern unter den Armen und auf dem Rücken, Mütter mit wimmernden Säuglingen an der Brust in kalte Hölzungen und unzugängliches Röhricht getrieben. Hier im Dickicht standen auch zum Teil die Pferde und Kühe der armen Geflüchteten; Höhlen unter der Erde bargen vor Sturm und Kälte. Die Wohnungen in den Dörfern standen leer oder waren zum Teil ein Raub der Flammen geworden. Die Plünderung ward besonders auf dem Lande mit empörender Grausamkeit betrieben. Die Marketenderwagen fuhren vor die Haustüren und wurden hoch mit Betten, Leinenzeug, Kleidern, Silbergeschirr und kostbarem Hausgerät beladen. Murat’s Kürassiere schütteten nach vollbrachtem Tagewerk das Geld scheffelweise auf den Scheundielen aus, um es nach ungefährem Augenmaß unter sich zu teilen. Ihre gesattelten Pferde standen auf dem Dreschkorn und verdarben die hingebreiteten Lagen. Im Hause, wo die besten Sachen verborgen waren, ward geschmaust und gezecht; betrunken lagen die Räuber auf der Erde und drohten das Haus anzuzünden, wenn der nach Wein zur nächsten Stadt geschickte Bote nicht zur rechten Zeit einträfe. Herr und Frau lagen auf den Knieen, die Kinder winselnd in einem Winkel.“

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