Mittwoch, 22. Mai 2013

Richard Wagner - ein anderer Nachtrag


Palazzo Vendramin-Calergi 

Ich glaube nicht, daß in diesem Leben noch ein Wagner – Jünger aus mir werden wird (Menschen, die mich näher kennen, wurden schon mit diversen, natürlich sich wiederholenden Anekdoten dazu gequält). Außerdem ist aus Anlaß des 200. Geburtstags von Richard Wagner hinreichend viel Unsinn geschrieben worden, das muß von mir nicht auch noch vermehrt werden.

Aber ich hatte mich aufgerafft, ins Bücherregal zu greifen und in Friedrich Dieckmanns „Richard Wagner in Venedig“, Leipzig 1983, zu lesen, merkwürdige Lektüre. Mehr über jemanden zu erfahren, macht ihn häufig nicht sympathischer, aber ist „Sympathie“ nicht sowieso ein Kriterium für schlichter angelegte Gemüter? Nein, wir werden diese schlüpfrige Bahn nicht betreten.

Das besagte Buch endet sehr ergreifend (und darum dieser beiläufige Beitrag); zunächst mit einer Passage aus den „Erinnerungen an Richard Wagner“ von Angelo Neumann, der u.a. als erster für die Aufführung des gesamten Rings in Italien 1883 im Teatro La Fenice in Venedig zwei Monate nach Wagners Tod verantwortlich zeichnet; hier aber geht es darum, wie Venedig von Wagner Abschied nahm:

„Das Munizipium von Venedig  hatte uns für die Aufstellung des Orchesters  die nur für besondere festliche Gelegenheiten bestimmte große Prachtbarke zu Verfügung gestellt: da nahm Anton Seidl mit seinem Orchester Platz. Die Künstler und Künstlerinnen folgten in sechs der wohlbekannten langgestreckten Gondeln nach, während viele hundert andere dieser schlanken Boote uns den Canal Grande entlang das Geleite gaben, bis zum Palazzo Vendramin, wo sich alle rings um uns anreihten, der gesamte venezianische Adel in den eigenen prächtigen Fahrzeugen, in Flor verhangen, dann alle die Fremden, die noch Gondeln hatte finden können: eine fast unübersehbare, reich bewegte, ernst ergreifende Trauergemeinde…

Anton Seidl unten auf dem Wasser setzte mit den mächtigen Klängen des Trauermarsches  aus der Götterdämmerung ein. Wir entblößten das Haupt: und alle rings umher zu Wasser und zu Lande – alle Dächer im Umkreis des Canal Grande waren mit Menschen besät – folgten unserem Beispiele. In tiefer Ergriffenheit wurde nun dieses  unvergleichliche Tonstück vernommen,… während wohlige laue Düfte aus den blühenden Gärten und Inseln wie von fern herübergeweht kamen.

Nach einer Pause folgte auf den Heroenmarsch  die Tannhäuser–Ouvertüre, die einen brausenden Jubel erregte und vieltausendfaches Echo in aller Herzen fand, während das erste Stück unter andächtigem Schweigen verklungen war. Hiermit war die Feier beendet. Unter den Klängen der Marcia reale verließ die ganze Flotille in langsam gleitendem Zuge den Spiegel des großen Canals und die Gondeln kehrten auf den mancherlei Canaletti heim.“

Wie tiefsinnig. Venedig, das Abendleuchten des Abendlands, die fiebrige Folie für Bewegtheiten mancherlei Art, erkennt und erweist seinen Respekt. Wo auch hätte Wagner seinen Tod finden können als in Venedig?


Tristan - Isoldes Liebestod

Dieckmann fügt dann an, daß sich der Kunstgeist dieser Stadt - „ein Geist der Späte, des Herbstes, leuchtender Erinnerung“ - noch einmal in ihm erfüllt habe. Monteverdi habe sie hier begonnen, die Oper, zweieinhalb Jahrhunderte zuvor, und Wagner einem Endpunkt zugeführt, soviel Neues er auch ausgelöst hätte. Wagner habe dies ebenso gesehen, sagt er, Cosima zitierend, aus dem Jahre 1882, Liszt hatte wieder einmal aus Beethovens späten Klaviersonaten vorgespielt:

„Aber es ist zu Ende mit der Musik, und ich weiß nicht, ob meine dramatischen Explosionen das Ende aufhalten können. Es hat so kurz gedauert. Aber diese Dinge haben mit Zeit und Raum nichts zu schaffen.“

Wohl gesprochen. Ob wir am Ende sind? Wir können uns auch dessen nicht gewiß sein. Gefühlte Sicherheiten trügen oft. Aber an Wagner vermögen wir, neben anderem, ergriffen lernen, wenn es denn sein muß, wie es sich anfühlen wird, dieses Ende.

Daß der Palazzo Vendramin-Calergi heute ein Spielkasino beherbergt, wie ich lese, einst im Besitz eines Henri d’Artois, der nicht König von Frankreich wurde, weil er die Trikolore zu sehr verabscheute - der Mann hatte zumindest Charakter - ist nicht ohne Pointe. Wir jedenfalls enden hier, für heute.


Wagner Tannhäuser-Ouvertüre und Venusberg
hier gefunden

nachgetragen am 25. Mai

3 Kommentare:

Walter A. Aue hat gesagt…

Interessant! Danke!

Uebrigens habe ich in den letzten Tagen etliche Artikel gelesen, die sich mit Wagner beschaeftigen. Das heisst - und ihr Beitrag ist hier eine lobenswerte Ausnahme - nicht wirklich mit Wagner. Womit sich die Autoren beschaeftigten, so scheint es mir, ist ihre eigene Gemuets- um nicht zu sagen Gutmenschenverfassung.

Ich muss gestehen, viel mehr ueber Deutschland aus diesen Artikeln gelernt zu haben als ueber Wagner. T'schuldigen schon...

MartininBroda hat gesagt…

Lieber Herr Prof. Aue!

Es tröstet mich, daß ich Sie etwas zu unterhalten vermochte. Das ist eines der Probleme dieser Zeiten (ich habe auch dergleichen zuviel gelesen und gehört).
Die Leute machen sich aus "Gedanken(?)"-Fetzen einen Ballon und blasen ihn immer weiter auf, um sich am Volumen ihrer Präsenz zu delektieren. Der Rest dürfte dann den Regeln der Physik nachfolgen, von denen Sie maßlos mehr verstehn als ich.
Wir wollen hoffen, daß aus dieser häßlichen Larve Deutschland dennoch vielleicht noch einmal ein Schmetterling... Aber das wäre ja auch nur ein kurzes Glück. Immer diese Mühsal mit den passenden Bildern...
Ich enteile jetzt zur Chorprobe, vielleicht finden Sie später hier noch etwas Belustigendes.

Ihr ergebender etc. (Sie wissen schon)

M.W.

MartininBroda hat gesagt…

Nun vor dem "Ergeben" steht man in der Tat mitunter, gemeint war aber "Ihr ergebener..."