Dienstag, 11. Februar 2014

Ein wenig Gegenwart sozusagen, 1914 etc.

Eduard Gaertner: Schlüterhof des Berliner Schlosses, 1830

Es ist schon sonderbar. Da will man sich mit einer speziellen Frage der unseligen Französischen Revolution beschäftigen (gut, die hatten ja so ungefähr alle 30 - 40 Jahre eine, und wenn sie ausfiel, dann hatten sie gerade Krieg, ich meine die erste davon); landete zwischen vielem beim Kommentar eines Journalisten einer „Qualitätszeitung“, der die Massenmorde in der Vendée final damit relativierte (nachdem er die Hauptvorwürfe eher oberflächlich referierte, aber damit immerhin anzeigte, sie zu kennen), schließlich habe man beim Kreuzzug gegen die Katharer auch ganze Städte ausgelöscht; ah ja.

Wir wollten das schon alles als weiteres Produkt des formatierten Mainstream-Denkens dieser Tage abtun, und lasen dann eine Philippika gegen einen Artikel aus dem eigenen Haus, die von gleicher Güte und Schematik war. Nur des Interesses halber lesen wir den auch, und uns fällt quasi der Unterkiefer herunter („Der Beginn vieler Schrecken - Warum die Vorstellung von der friedensstiftenden Wirkung der europäischen Einigung, insofern sie das Nationale überwindet, auf falschen Prämissen beruht. Ein Beitrag zur Schulddebatte 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 - Von Dominik Geppert, Sönke Neitzel, Cora Stephan, Thomas Weber“ - „Die Welt“ 3. Januar 2014). Klarer und wahrer kann man es kaum sagen, und das in diesen Zeiten (und an diesem Ort!).

(Übrigens bringe ich die Verweise nicht unbedingt immer als Leseempfehlung, ich mag es nur nicht, wenn man für mich denkt und urteilt (außer in Sachen des heiligen Glaubens natürlich, aber das ist eine andere Spielwiese), also sehe jeder selbst.)

Bewußter Artikel stellt erst  einmal das Offensichtliche fest, nämlich, daß Deutschland sich schwer tue mit dem öffentlichen Gedenken an den Beginn des Ersten Weltkriegs, der sich 2014 zum hundertsten Mal jährt.  Das liege an der seit den 60er Jahren durchgesetzten These, Deutschland habe auch den 1. Weltkrieg zu verantworten. Neuere historische Forschungen würden dieser Vorstellung widersprechen, „wonach das Deutsche Reich durch sein Weltmachtstreben Großbritannien provoziert habe und in seiner Machtgier mit vereinten Kräften gestoppt werden musste“. Diese Sicht aber liege dem Europakonzept zugrunde, demzufolge Deutschland supranational "eingebunden" werden müsse, damit es nicht erneut Unheil stifte. „Die Vorstellung von der friedensstiftenden Wirkung der europäischen Einigung, insofern sie das Nationale überwindet, wie sie besonders in Deutschland verbreitet ist, beruht jedoch unserer Meinung nach auf falschen Prämissen.“

Anschließend wird nicht nur Christopher Clark mit seinem Maßstäbe setzenden Buch „Die Schlafwandler“ angeführt und der unheilvolle Fritz Fischer (dem die bewußte Legende maßgeblich zu „danken“ ist) in seine Grenzen verwiesen. Man skizziert die Interessen und Motive der damals handelnden Großmächte, um für das Deutsche Reich festzustellen: „Die deutsche Führung schließlich verfolgte, getrieben von Abstiegsängsten und Einkreisungssorgen, das defensive Ziel, jene prekäre Situation einer begrenzten Hegemonie auf dem europäischen Kontinent wieder zu errichten, die das Reich unter Bismarck besessen hatte, weit entfernt davon, übermütig und größenwahnsinnig nach der Weltmacht zu greifen.“

Die Schulddebatte aber erscheine „ein wenig wie die Fortführung jener kriegsüblichen Propaganda, der das Deutsche Reich damals kaum etwas entgegenzusetzen wusste, das sich in der Rolle des "Barbaren", der belgische Frauen und Kinder schändete, vorgeführt sah“. Der Erste Weltkrieg sei der Beginn vieler Schrecken und einer von ihnen die Moralisierung des Krieges.

Die multipolare Welt von heute habe mehr mit 1914 gemein, als viele sich eingestehen wollten. Gerade dieser Gefahren wegen sei es entscheidend, realpolitisch zu denken und zu handeln und nicht aus moralistischen Konstrukten heraus.

In England und Frankreich würden viele gern an der Schwarz-Weiß-Version eines "gerechten Krieges" festhalten, in dem Liberalismus gegen Militarismus, Demokratie gegen Autokratie und nationale Selbstbestimmung gegen Fremdherrschaft standen. Umgekehrt hätten wir uns in Deutschland „einen negativen Exzeptionalismus angewöhnt: das Gefühl, heute besonders gut dazustehen, weil wir in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besonders schlecht gewesen seien.“ Manchem behagten die neueren Einsichten nicht. Schuldstolz stehe uns aber genauso wenig zu wie ein triumphierender Freispruch.

Und schließlich, ein Europa, das auf Fiktionen beruhe, müsse scheitern. „EU oder Krieg“ sei eine alberne Alternative. Das „albern“ stammt von mir.  Dazu ließe sich sehr viel sagen, was wir uns diesmal versagen (nur soviel, das ist keineswegs übertrieben dargestellt, ich erinnere mich noch lebhaft, wie vor langer Zeit mir einmal ein ganz ein wichtiger Funktionär einer deutschen Volkspartei erklärte, wenn ich nicht für den Euro sei, wäre ich nicht für den „Frieden“; mir kam die Wendung irgendwie vertraut vor, mit leicht anderen Worten (aber wohl derselben Denkstruktur)).

Nein, wir wollen noch knapp auf etwas anderes verweisen. Und das ist wirklich so gemeint, denn zu der ganzen Schloßrekonstruktion in Berlin, die gar keine sein will, ließe sich ebenso viel sagen, aber ich mag nicht (je mehr man sich in die Details vertieft, um so mehr schaudert's einen).

Modell des "Humboldt-Forums"

Also, der unterlegene Architekt Stephan Braunfels gibt den Stänkerer, und während die Fundamente des „Schlosses“ und das Kellergeschoß und die Planungen längst fertig sind, und wahrscheinlich auch schon die Möbel bestellt, zeigt, er, wie die Ostfassade auch anders als ein Schlachthof oder dgl. aussehen könnte. Das Art -Magazin hat das recht hübsch und vor allem kurz zusammengefaßt und findet dabei hübsche Wendungen wie:

„Was also will seine Impertinenz? Braunfels' fast volljähriger Vorschlag von 1996 sieht vor, die Ostfront des Schlosses einfach wegzulassen. Das soll keine späte Strafe für die Rotfront aus Ostberlin sein, die das Schloss samt seinem Renaissance- und Apothekenflügel an dieser Stelle 1950 aus niedersten Motiven gesprengt hatte. Braunfels will das Schöne. Einen offenen Hof Richtung Alexanderplatz, der sich sanft hinabtreppt zu Spree und eine freie Sichtachse zum Fernsehturm bietet, so wie in Paris...“

Das Stichwort ist gefallen: Er will das „Schöne“, ich bezweifle, daß das den meisten Raumplanern, Städteentwicklern, Architekten usw. heutzutage noch viel sagt, ist halt eine altmodische Kategorie. Der Art-Artikel sagt zurecht es sei zu spät, das fürchte ich auch, und hofft, vielleicht gäbe es wenigstens „eine neuerliche Diskussion über Franco Stellas schlimme Ostwall-Architektur“. Für diese Strafmauer mit ihren 115 monoton eingeschnittenen Rasterlöchern sei "dröge" ein Kompliment. Und schließlich: Wem es gelänge, dieses Monstrum vom Schloß rechtzeitg wieder wegzudenken, dem gebühre ein Denkmal an der Spree – und hieße er auch Stephan Braunfels.

Ansonsten hat dieser Autor noch nette Bilder, die das Ganze verständlicher machen (die Argumentation fand ich eher anstrengend, aber mein Horizont ist, wie man weiß, beschränkt). Doch man bekommt Ahnungen von dem, was möglich wäre. Gut, man müßte eine Fassade des Schlüterhofes drehen, aber das ganze Schloß ist so eh ein Konstrukt, gerade an dieser Stelle auf Authentizität zu pochen, ist reichlich dubios.

In der Bilderserie dieses Artikels findet man eine Aussicht aus dem dann offenen Hof auf das neu-alte Zentrum Berlins, dieser zerstückelten Stadt - atemberaubend; und von dem Schlüterhof ist gar nicht mal viel zu sehen. Das wäre echte Stadtheilung. Da würde das wiedergewonnene Alte sich mit dem schwierigen Neuen zusammenfinden und siehe da, das Ergebnis wäre überraschend und erstaunlich. Aber die wird nicht kommen, mit diesem Personal und seinen überschaubaren Denkstrukturen sowieso nicht.

2 Kommentare:

Walter A. Aue hat gesagt…

Die ersten Anzeichen einer Umkehr des Pendels?

MartininBroda hat gesagt…

Dann wär's ja nur anders falsch, aber ich habe natürlich eine Idee, was Sie meinen, möglicherweise. Jedenfalls, wenn der Lügen- und Ideologie-Wall brechen sollte, dann genau an dieser Stelle (weil es auch einfach zu haarsträubend ist). Ein wenig pedantische Geschichtswissenschaft reicht da schon aus, um das „Fundament“ zu perforieren. Natürlich ist alles folgende darauf gebaut. Wobei ich immer noch über die „Natur“ dieses „verfaßten Milieus“ grübele, daß diese Dinge als „Gruppenkitt“ braucht; ein sedimentiertes Ressentiment, das sein Ziel verloren hat und darum ständig neue Surrogate braucht? Ich weiß es nicht, aber es lohnt wohl auch nicht.

Ich hatte diesen einen Vertreter so ausführlich erwähnt, weil er so wunderbar holzschnittartig die Sach- und Interessenlage illustriert, man beachte etwa einen Satz wie: „...dass sich die deutsche Nationalstaatsbildung seit Anfang des 19. Jahrhunderts in erklärtem Gegensatz zu den politisch-zivilisatorischen Prämissen der klassischen westlichen Demokratien entwickelte“. Man beachte übrigens das Wörtchen „zivilisatorisch“ hier; an dem Satz ist ansonsten so ziemlich alles falsch, was denkbar ist, bis hin zur „klassischen westlichen Demokratie“, die er da bereits im 19. Jahrhundert verortet, derartiges ist wirklich fast unterhaltsam.