Waterloo
"Blücher traute dem Frieden nicht. 'Ob uns in der Folge noch eine Fehde bevorsteht, weiß der Himmel, trauen will ich der Sache nicht, man hat zu Paris die Umstände nicht benutzt, Frankreich wird schon wieder zu laut, man hätte selbiges die Flügel besser beschneiden sollen.'
Auf Elba hatte Napoleon Kunde empfangen, daß die Mehrheit der Franzosen dem neuen König mit Mißtrauen und Abneigung gegenüberstehe, daß alle seine ehemaligen Offiziere voll Unzufriedenheit seien, und daß auf dem Wiener Kongreß die Eifersucht der Mächte den Frieden Europas bedrohe. Das alles erschien ihm günstig, den französischen Kaiserthron zurückzugewinnen. Am 26. Februar verließ er heimlich Elba, am 1. März landete er an der französischen Südküste, am 20. März zog er als Kaiser der Franzosen in den Tuilerien ein.
Die europäischen Mächte aber erklärten schon am 13. März, daß sie fest entschlossen seien, den Pariser Vertrag vom 30. Mai 1814 und die durch diesen Vertrag getroffenen Vereinbarungen unverletzt zu erhalten, daß Napoleon sich außerhalb der Gesellschaft und Gesittung gestellt und als Feind und Zerstörer der Ruhe der Welt sich der öffentlichen Rache ausgeliefert habe.
An der Maas und Schelde sollte die Entscheidung über Napoleon und Europa fallen. In den Niederlanden sammelten sich aus Engländern, Niederländern, Hannoveranern, Braunschweigern und Nassauern ein Heer unter dem Oberbefehl des Herzogs Wellington, in den Rheinlanden ein preußisches unter dem Blüchers. Beide Heere sollten den Feind gemeinsam bekämpfen... Napoleon hoffte beide Heere durch einen kühnen Durchbruch voneinander zu trennen und vereinzelt zu schlagen."
Soweit der „Bildersaal deutscher Geschichte“. Blücher verliert eine Schlacht, wird, da er, der 73jährige Greis, sich mit gezücktem Säbel selbst in das Ringen warf, verwundet, doch gerettet.
Blücherdenkmal in Rostock
Am 18. Juni wendet sich Napoleon gegen Wellington. Der verletzte Blücher kommt ihm mit seiner gerade geschlagenen Armee zu Hilfe, die dringendst benötigt wird und bescheidet zuvor noch seinen Arzt:
"Nein, Doktor, heute mag es den alten Knochen gleich sein, ob sie balsamiert oder nicht balsamiert in die Ewigkeit gehen; geht es aber heute gut, wie ich hoffe, so wollen wir nun bald in Paris waschen und baden."
Es geht um die Schlacht bei Belle-Alliance, heute eher bekannt als die
Schlacht von Waterloo am 18. Juni 1815. Darum also der ganze bisherige Schreibaufwand. Das Schildern von Schlachten gehört nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Stefan Zweig hat in seinen „Sternstunden der Menschheit“ in deren
6. Kapitel gewohnt unterhaltsam darüber geschrieben, Schuld an Napoleons weiterem Schicksal hat nämlich der überforderte Marschall Grouchy.
„Aber jenes Gewehrfeuer war bloß ein irrtümliches Geplänkel, das die anrückenden Preußen, durch die andere Uniform verwirrt, gegen die Hannoveraner begonnen: bald stellen sie das Fehlfeuer ein, und ungehemmt, breit und mächtig, quellen jetzt ihre Massen aus der Waldung hervor. Nein, es ist nicht Grouchy, der mit seinen Truppen anrückt, sondern Blücher, und damit das Verhängnis. Die Botschaft verbreitet sich rasch unter den kaiserlichen Truppen, sie beginnen zurückzuweichen, in leidlicher Ordnung noch.
Aber Wellington erfaßt den kritischen Augenblick. Er reitet bis an den Rand des siegreich verteidigten Hügels, lüftet den Hut und schwenkt ihn über dem Haupt gegen den weichenden Feind. Sofort verstehen die Seinen die triumphierende Geste. Mit einem Ruck erhebt sich, was von englischen Truppen noch übrig ist, und wirft sich auf die gelockerte Masse. Von der Seite stürzt gleichzeitig preußische Kavallerie in die ermattete, zertrümmerte Armee: der Schrei gellt auf, der tödliche: »Sauve qui peut!« Ein paar Minuten nur, und die Grande Armee ist nichts mehr als ein zügellos jagender Angststrom, der alles, auch Napoleon selbst, mitreißt.
Wie in wehrloses, fühlloses Wasser schlägt die nachspornende Kavallerie in diesen rasch und flüssig rückrennenden Strom, mit lockerem Zug fischen sie die Karosse Napoleons, den Heerschatz, die ganze Artillerie aus dem schreienden Schaum von Angst und Entsetzen, und nur die einbrechende Nacht rettet dem Kaiser Leben und Freiheit. Aber der dann mitternachts, verschmutzt und betäubt, in einem niedern Dorfwirtshaus müde in den Sessel fällt, ist kein Kaiser mehr. Sein Reich, seine Dynastie, sein Schicksal ist zu Ende: die Mutlosigkeit eines kleinen, unbedeutenden Menschen hat zerschlagen, was der Kühnste und Weitblickendste in zwanzig heroischen Jahren erbaut.“
Nun ja.
Das Monument auf dem ersten Bild oben ist übrigens der sog. Löwenhügel. „They have spoiled my Battlefield, soll Wellington gesagt haben.“ Das sagt der Blogger Jay, der dem Ganzen einen seiner gewohnt farbigen
Bilderbogen gewidmet hat.
Löwe von Waterloo
"Schon am 22. Juni dankte Napoleon ab, die Dynastie der Boubonen kehrte bald zurück, und am 9. Juli rückte Blücher zum zweiten Male in Paris ein; am 15. Juli trafen in Paris auch die preußischen Staatsmänner ein, an ihrer Spitze der Staatskanzler Hardenberg und der Minister Wilhelm v. Humboldt. Blücher liebte sie nicht; vorahnend sprach er: 'Mögen die Federn der Diplomaten nicht verderben, was durch die Schwerter der Heere mit so viel Anstrengung gewonnen worden.'
Er tat Hardenberg und Humboldt bitteres Unrecht; die beiden wollten das Glück der neu errungenen Siege ausnutzen und Deutschland Elsaß-Lothringen zurückgewinnen. Aber der Neid der Verbündeten gab es nicht zu; Frankreich behielt die Grenzen von 1790. Das Vaterland war schwer getäuscht; und doch
schaute der Dichter Friedrich Rückert vorahnend die Zeit, da die alten Lande an Deutschland zurückfallen sollten. Die Straßburger Tanne, die bei der frohen Kunde von Blüchers Siegen umsonst gehofft, daß aus ihrem Holze eine deutsche Kaiserpfalz gezimmert werde, die nun aber zu neuen Treppen in Mairie und Präfektur verwendet ward, prophezeite doch sterbend ihren jüngeren Waldgeschwistern:
'Einst einer von euch allen,
Wenn er so altergrau
Wird, wie ich falle, fallen,
Gibt Stoff zum andern Bau,
Da wohnen wird und wachen
Ein Fürst auf deutscher Flur;
Dann wird mein Holz noch krachen
Im Bau der Präfektur.'
Das Vaterland war getäuscht, zum zweiten Male in einem kurzen Jahre, denn der Wiener Kongreß hatte bereits alle Hoffnungen der Deutschen auf ein einiges mächtiges Reich vernichtet. Als Napoleons Weltherrschaft zertrümmert worden, hatte Max von Schenkendorf die deutschen Fürsten gefragt: Wollt ihr keinen Kaiser küren?
Der Wiener Kongreß antwortete mit einem kalten Nein."
Und hier verlassen wir endgültig den „Bildersaal deutscher Geschichte“, ersparen uns die Erzählungen vom Geschachere auf besagtem Kongreß. Auch Napoleon überlassen wir seiner unwirtlichen Atlantikinsel, auf die er verbannt worden war.
Mit ihrem Zynismus, den sie Napoleon gut abgeschaut hatten, wenn sie ihn nicht schon vorher besaßen, hat die Mehrheit der deutschen Fürsten dann nicht nur den Enthusiasmus zu Grabe getragen, der in den Befreiungskriegen zu Tage getreten war, sie vergifteten zugleich die Wurzel ihrer eigenen Legitimität. Es sollte noch 100 Jahre dauern, bis dieses Gift seine ganze Wirkung entfaltete, aber es geschah dann um so gründlicher.
"Ich rauche und beweine meine Sünden"
nachgetragen am 4. Juli