Donnerstag, 8. Oktober 2009

Der Geist, der standhält


Händel, Messias, ihre letzte Aufnahme
hier gefunden

Es gab heute 2 Namen, an denen ich kaum vorbei konnte. Der erste ist der von Kathleen Ferrier. Ich sage das jetzt in etwas ungeschlachter Manier, aber es gibt die kühl brillanten Sänger, deren vollkommene technische Perfektion einen letztlich ebenso kalt läßt, und es gibt Sänger wie die Callas oder eben Ferrier. Bei diesen tritt diese Art von Perfektion hinter etwas zurück, das man früher Seele nannte. Kathleen Ferrier starb am 8. Oktober 1953 in London, hier gibt es eine eher nützliche und hier eine sehr schöne Biographie über sie.




Ebenfalls Händel, wer des Englischen etwas mächtig ist, dies ist der Text dazu:

"Art thou troubled?
Music will calm thee.
Art thou weary?
Rest shall be thine.
Music, source of all gladness,
Heals thy sadness,
At her shrine.
Music, music, ever divine!
Music, music calleth
with voice divine.

When the welcome spring is smiling,
O'er the Earth with flow'rs beguiling
After Winter's dreary reign.
Sweetest music doth attend her.
Heav'nly harmonies doth lend her
Chanting praises in her train,
Chanting praises in her train."


Bach, Matthäuspassion
hier gefunden

Gut, vielleicht gibt es ein Drittes neben beiden Alternativen, das wäre dann etwa dies. Die glühenden Anhänger von Frau Ferrier mögen mir verzeihen, daß ich einen solchen scheinbaren Vergleich anbringe.



Elegie

an Marina Zwetajewa-Efron

O Die Verluste ins All, Marina, die stürzenden Sterne!
Wir vermehren es nicht, wohin wir uns werfen, zu welchem
Sterne hinzu! Im Ganzen ist immer schon alles gezählt.
So auch, wer fällt, vermindert die heilige Zahl nicht.
Jeder verzichtende Sturz stürzt in den Ursprung und heilt.
Wäre denn alles ein Spiel, Wechsel des Gleichen, Verschiebung,
nirgends ein Name und kaum irgendwo heimisch Gewinn?
Wellen, Marina, wir Meer! Tiefen, Marina, wir Himmel.
Erde, Marina, wir Erde, wir tausendmal Frühling, wie Lerchen,
die ein ausbrechendes Lied in die Unsichtbarkeit wirft.
Wir beginnens als Jubel, schon übertrifft es uns völlig;
plötzlich, unser Gewicht dreht zur Klage abwärts den Sang.
Aber auch so: Klage? Wäre sie nicht: jüngerer Jubel nach unten.
Auch die unteren Götter wollen gelobt sein, Marina.
So unschuldig sind Götter, sie warten auf Lob wie die Schüler.
Loben, du Liebe, laß uns verschwenden mit Lob.
Nichts gehört uns. Wir legen ein wenig die Hand um die Hälse
ungebrochener Blumen. Ich sah es am Nil in Kôm-Ombo.
So, Marina, die Spende, selber verzichtend, opfern die Könige.
Wie die Engel gehen und die Türen bezeichnen jener zu Rettenden,
also rühren wir dieses und dies, scheinbar Zärtliche, an.
Ach wie weit schon Entrückte, ach, wie Zerstreute, Marina,
auch noch beim innigsten Vorwand. Zeichengeber, sonst nichts.
Dieses leise Geschäft, wo es der Unsrigen einer
nicht mehr erträgt und sich zum Zugriff entschließt,
rächt sich und tötet. Denn daß es tödliche Macht hat,
merkten wir alle an seiner Verhaltung und Zartheit
und an der seltsamen Kraft, die uns aus Lebenden zu
Überlebenden macht. Nicht-Sein. Weißt du’s, wie oft
trug uns ein blinder Befehl durch den eisigen Vorraum
neuer Geburt . . .Trug: uns? Einen Körper aus Augen
unter zahllosen Lidern sich weigernd. Trug das in uns
niedergeworfene Herz eines ganzen Geschlechts. An ein Zugvogelziel
trug er die Gruppe, das Bild unserer schwebenden Wandlung.
Liebende dürften, Marina, dürften soviel nicht
von dem Untergang wissen. Müssen wie neu sein.
Erst ihr Grab ist alt, erst ihr Grab besinnt sich, verdunkelt
unter dem schluchzenden Baum, besinnt sich auf Jeher.
Erst ihr Grab bricht ein; sie selber sind biegsam wie Ruten;
was übermäßig sie biegt, ründet sie reichlich zum Kranz.
Wie sie verwehen im Maiwind! Von der Mitte des Immer,
drin du atmest und ahnst, schließt sie der Augenblick aus.
(O wie begreif ich dich, weibliche Blüte am gleichen
unvergänglichen Strauch. Wie streu ich mich stark in die Nachtluft,
die dich nächstens bestreift.) Frühe erlernten die Götter
Hälften zu heucheln. Wir in das Kreisen bezogen
füllten zum Ganzen uns an wie die Scheibe des Monds.
Auch in abnehmender Frist, auch in den Wochen der Wendung
niemand verhülfe uns je wieder zum Vollsein, als der
einsame eigene Gang über der schlaflosen Landschaft.

Muzot, 8. Juni 1926

Damit hätten wir also den anderen Namen: Marina Iwanowna Zwetajewa, die am 8. Oktober 1892 (nach gregorianischer Zählung) geboren wurde. Mein Interesse an ihr speist sich aus 3 Quellen, erstens als Rilke-Verehrer durch ihre Beziehung zu eben diesem, dann durch ihr (mir nur aus Übersetzungen zugängliches) Werk und dann von ihrem (hier wird jetzt das Wort Interesse falsch) herzeinschnürenden Schicksal.

(Dieser Post ist wie Hefeteig). Man mag das Biographische anderswo genauer nachlesen, aber was für ein Leben, geboren 1892 als Tochter einer Pianistin und des Begründers des späteren Puschkin-Museums, eine anregende und behütete Kindheit, als Teenager wird sie mit ihrem ersten Gedichtband berühmt, sie heiratet ihre erste Liebe Sergej Efron und wird von der Revolution getroffen, die ihr Leben zerstören wird, und der sie sich widersetzt. Am 31. August 1941 nahm sie sich das Leben. Welch menschenverachtende Barbarei hat hier versucht, den menschlichen Geist zu zerstören.

Man möge bitte hier und hier weiteres über sie lesen.

Wenn der Mensch die Sehnsucht Gottes ist, dann sage ich, die Verse Zwetajewas und der Gesang Ferriers, das ist das Schöne am Menschen, das längst vor Gottes Thron gelangt ist und auf das er in erlösender Gnade geblickt hat, in einem Moment gegenseitigen Erkennens.

Ich habe vor ein paar Stunden versprochen zu begründen, warum ich nichts über den Literaturnobelpreis schreiben mag, den Herta Müller soeben erhalten hat. Das ist einfach, ich tue mich schwer damit, sie zu lesen, nicht weil sie keine großartige Schriftstellerin wäre. Ich habe selten ein so exquisites Gegenwartsdeutsch gelesen. Aber das, was sie beschreibt, rückt beim Lesen einfach zu nah. Dieser verdrehte Irrsinn, dem nicht nur sie entkommen ist, wird beim Lesen zu übermächtig wieder lebendig, insofern liegt hier wohl mehr ein Versagen des Lesers vor als denn eines des Autors. Denn letztlich ist ihr zu konzedieren, hat sie mit ihrem Werk dem Irrsinn standgehalten. Ist das nicht staunenswert, das mordbewehrte Grauen wird vom Wort überlebt.

Ach so, Heinrich Schütz wurde am 18. Oktober 1585 (auch hier nach gregorianischer Zählung) geboren, aber bei ihm muß man ja nicht so auf die Jahrestage achten, irgendwie ist er doch einer der, die immer gegenwärtig sind.


7 Kommentare:

Pilgrim hat gesagt…

There is no alternative to Ferrier, she was uniquuie! Not even Callas would have reached her if she had lived in Callas´s times!

MartininBroda hat gesagt…

Of course she was unique, it is not really a comparison here, besides I love both, (I thought you were already sleeping) I guess I can finish this in a few minutes, but surely no immediately following translation, btw. it has impressed me from the very first moment you like her.

Butch hat gesagt…

I think "Erbarme dich" has got to be one of my favorite Bach arias. That he wrote it for the mezzo-soprano voice or better yet, the contralto, gives it the pathos required. One can hear the tears dropping throughout the aria in the cello and at times, the bass section of the orchestra. This was quite lovly.
Thanks.

MartininBroda hat gesagt…

Hello Butch, I'm more than glad to have you here, yes this aria is indeed touching and it's always interesting for me to see how different an interpretation can be, but you are the expert in such things (I should more comment at your place, sorry, but I read), Have a good day.

Butch hat gesagt…

Martin: Not a problem. I have been remiss not visiting all my friends and their blogs myself. I've been busy composing and recording lately. I realize there is no excuse, but it's the best one I have.

Recently, I've taken a break to "recharge my batteries."

naturgesetz hat gesagt…

It's always good to be reminded of Ferrier and of Schütz. Her singing is so beautiful and his music is so powerful.

Thank you.

MartininBroda hat gesagt…

Hello John, I’m glad you like it, but I’m so behind with my translations, I know it’s a shame, I hope Japan was a good experience, just wanted to sent the comp and me to sleep, so good night.