Ich hatte kürzlich einem befreundeten Blogger versprochen, etwas über Johann Peter Hebel zu schreiben, der am 10. Mai 1760 in Basel geboren wurde. Dies war etwas vorwitzig (und wird am heutigen Donnerstag auch nur mit ärgerlicher Verspätung nachgeholt), denn ich hatte ziemlich wenig von ihm gelesen, zu meinem Nachteil, wie ich zugebe. Gut, daß er ein bedeutender alemannischer Mundartdichter ist, wird man interessant finden, wenn man Alemanne ist, aber er ist in der Tat außerdem ein grandioser Erzähler. Was ich durch eigene Lektüre inzwischen nur bestätigen kann, denn ich habe mich mittlerweile durch einen Band Erzählungen und Anekdoten gekämpft, der kürzlich nach dem Tod eines befreundeten Pastors den Weg in meine Büchersammlung fand, leider nur war der gute Mann ein starker Raucher, so daß mir von jeder neuaufgeschlagenen Seite der Tabakgeruch mit der Kraft einer Pestilenz entgegenschlug (und zwar wörtlich).
Ich will hier keine Biographie Hebels wiedergeben, nur soviel, daß er, der in seinem Leben kleinste Verhältnisse und große Häuser gleichermaßen kennengelernt hatte, sich stets eine Sehnsucht nach einem überschaubaren Glück erhalten hatte, so schrieb er mit 52 nach Hausen bei Schopfheim im badischen Wiesental, wo das elterliche Haus seiner Mutter stand: „O wie schön muß es jetzt bei Euch sein, wo es immer so schön ist, und wie ahndungs- und koseselig für den auswendigen und inwendigen Menschen in dem schönen, einzigen Tal voll Schnielen und Kettenblumen, lustigen Bächlein und Sommervögeln, wo es immer duftet wie aus einem unsichtbaren Tempel herausgeweht, und immer tönt wie letzte Klänge ausgelüttener Festtagsglocken mit beginnenden Präludien mangeliert und verschmolzen, und wo jeder Vogel oberländisch pfeift und jeder, selbst der schlechteste Spatz ein Pfarrer und heiliger Evangelist ist, und jeder Sommervogel ein gemutztes Chorbüblein, und das Weihwasser träufelt unaufhörlich und glitzert an jedem Halm…“
Die nachfolgende Erzählung ist wohl seine bekannteste, vielleicht hätte ich daher etwas anderes bringen sollen, aber was frappiert, ist, wie ganz erstaunlich konzentriert und in ihrer Knappheit eindringlich sie erscheint. Ich erinnere mich dunkel an eine Besprechung, die ich aber jetzt nicht wiederfinde, in der vor allem die Beschreibung, wie 50 Jahre vergehen, gerühmt wird. Nicht allein die Auswahl der Ereignisse angesichts der französischen Besetzung (als diese Erzählung erschien) ist aufschlußreich, auch dieser Refrain des Todes, der dort geradezu beiläufig auftaucht.
Unverhofftes Wiedersehen
In Falun in Schweden küßte vor guten fünfzig Jahren und mehr ein junger Bergmann seine junge hübsche Braut und sagte zu ihr: „Auf Sankt Luciä wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann sind wir Mann und Weib, und bauen uns ein eigenes Nestlein.“ – „Und Friede und Liebe soll darin wohnen“, sagte die schöne Braut mit holdem Lächeln, „denn du bist mein einziges und alles, und ohne dich möchte ich lieber im Grab sein, als an einem andern Ort.“ Als sie aber vor St. Luciä der Pfarrer zum zweitenmal in der Kirche ausgerufen hatte: „So nun jemand Hindernis wüßte anzuzeigen, warum diese Personen nicht möchten ehelich zusammenkommen“ – da meldete sich der Tod. Denn als der Jüngling den andern Morgen in seiner schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbeiging, der Bergmann hat sein Totenkleid immer an, da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster, und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend mehr. Er kam nimmer aus dem Bergwerk zurück, und sie saumte vergeblich selbigen Morgen ein schwarzes Halstuch mit rotem Rand für ihn zum Hochzeittag, sondern als er nimmer kam, legte sie es weg, und weinte um ihn und vergaß ihn nie. Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugal durch ein Erdbeben zerstört, und der Siebenjährige Krieg ging vorüber, und Kaiser Franz der Erste starb, und der Jesuitenorden wurde aufgehoben und Polen geteilt, und die Kaiserin Maria Theresia starb, und der Struensee wurde hingerichtet, Amerika wurde frei, und die vereinigte französische und spanische Macht konnte Gibraltar nicht erobern. Die Türken schlossen den General Stein in der Veteraner Höhle in Ungarn ein, und der Kaiser Joseph starb auch. Der König Gustav von Schweden eroberte russisch Finnland, und die Französische Revolution und der lange Krieg fing an, und der Kaiser Leopold der Zweite ging auch ins Grab. Napoleon eroberte Preußen, und die Engländer bombardierten Kopenhagen, und die Ackerleute säeten und schnitten. Der Müller mahlte, und die Schmiede hämmerten, und die Bergleute gruben nach den Metalladern in ihrer unterirdischen Werkstatt. Als aber die Bergleute in Falun im Jahr 1809 etwas vor oder nach Johannis zwischen zwei Schachten eine Öffnung durchgraben wollten, gute dreihundert Ehlen tief unter dem Boden gruben sie aus dem Schutt und Vitriolwasser den Leichnam eines Jünglings heraus, der ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unverändert war; also daß man seine Gesichtszüge und sein Alter noch völlig erkennen konnte, als wenn er erst vor einer Stunde gestorben, oder ein wenig eingeschlafen wäre, an der Arbeit. Als man ihn aber zu Tag ausgefördert hatte, Vater und Mutter, Gefreundte und Bekannte waren schon lange tot, kein Mensch wollte den schlafenden Jüngling kennen oder etwas von seinem Unglück wissen, bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns kam, der eines Tages auf die Schicht gegangen war und nimmer zurückkehrte. Grau und zusammengeschrumpft kam sie an einer Krücke an den Platz und erkannte ihren Bräutigam; und mehr mit freudigem Entzücken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder, und erst als sie sich von einer langen heftigen Bewegung des Gemüts erholt hatte, „es ist mein Verlobter“, sagte sie endlich, „um den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte, und den mich Gott noch einmal sehen läßt vor meinem Ende. Acht Tage vor der Hochzeit ist er unter die Erde gegangen und nimmer heraufgekommen.“ Da wurden die Gemüter aller Umstehenden von Wehmut und Tränen ergriffen, als sie sahen die ehemalige Braut jetzt in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen Alters und den Bräutigam noch in seiner jugendlichen Schöne, und wie in ihrer Brust nach 50 Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe noch einmal erwachte; aber er öffnete den Mund nimmer zum Lächeln oder die Augen zum Wiedererkennen; und wie sie ihn endlich von den Bergleuten in ihr Stüblein tragen ließ, als die einzige, die ihm angehöre, und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab gerüstet sei auf dem Kirchhof. Den andern Tag, als das Grab gerüstet war auf dem Kirchhof und ihn die Bergleute holten, schloß sie ein Kästlein auf, legte sie ihm das schwarzseidene Halstuch mit roten Streifen um, und begleitete ihn alsdann in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeittag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: „Schlafe nun wohl, noch einen Tag oder zehen im kühlen Hochzeitbett, und laß dir die Zeit nicht lange werden. Ich habe nur noch wenig zu tun, und komme bald, und bald wird's wieder Tag. – Was die Erde einmal wiedergegeben hat, wird sie zum zweitenmal auch nicht behalten“, sagte sie, als sie fortging, und noch einmal umschaute.
Montag, 10. Mai 2010
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4 Kommentare:
That is certainly a touching story.
Interesting, how he shows the passage of time by reference to events of some historical importance.
Indeed and this is typical for Hebel, Gomad (Urs) asked me for the post & it was really interesting for me to read Hebel again. This part of the story is famous for this reason, it seems simple on first sight, but it's completely not. Thanks for visiting.
Jenseits der Dunkelheit gibt es einen Silberstreif am Horizont. Hängen Sie an der Hoffnung, bis zum Ende, um die Helligkeit zu sehen. Frohes Neues Jahr.
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Der Wunsch wird sehr gern erwidert, und man ist ein wenig beschämt und erfreut im gleichen Moment (und leicht irritiert natürlich), an solche Beiträge erinnert zu werden, so als ob dies alles doch nicht ganz ohne Sinn sei, nun ja.
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