Freitag, 28. September 2012

Ludwig Richter oder Über den Trost des Kitsches


Was eigentlich ist „Kitsch“? Etwa Spitzweg, Richter oder neuerdings Koons? Adrian Ludwig Richter jedenfalls wurde am 28. September 1803 in Dresden geboren. Ein noch häufig beliebter „Romantiker“; mein Elternhaus war überreich mit seinen Reproduktionen dekoriert. Daher das kleine Arrangement dort oben. Nachfolgend das Bild erneut (wenn die Abbildung auch nicht eben von guter Qualität ist), dessen ausführlicher Name: „Aufsteigendes Gewitter am Schreckenstein bei Aussig“, geschaffen 1835, in seiner böhmischen Phase, als er wieder künstlerisch auflebte, nachdem man ihm schon vorgehalten hatte, zu einem „vertrockneten Italiener“ geworden zu sein; denn Italien hatte ihn inspiriert, aber die Erinnerung verblaßte bereits.

Ludwig Richter, Der Schreckenstein bei Aussig

Das war von 1823 bis 1826 gewesen. In den Jahre zuvor hatte er zunächst von seinem Vater, einem Kupferstecher, Zeichenunterricht erhalten, es folgte ein Studium an der Dresdner Kunstakademie, nachdem sein Vater dort Professor für Landschaftszeichnen geworden war, für diesen ein merklicher Aufstieg aus handwerklich beschränkten Verhältnissen. Der Sohn über seine Jugend: „Meine Jugend war arm, verkümmert, vielfach bedrückt, und meine Lehrzeit war nur Arbeitszeit gewesen; ich lernte nichts oder wenig dabei.“ Und über die Akademiezeit: „Wenn ich an diese beengenden Zustände zurückdenke, so begreife ich wohl, wie schwer es war, sich aus den Banden solcher durch Autorität und Tradition sanctionierter Irrtümer herauszuwinden.“ Sein Drang ging zum „einfach Wahren, Naturgemäßen“, verkörpert von Malern wie Caspar David Friedrich oder Johan Christian Dahl, Friedrich seit 1798, der andere seit 1818 in Dresden. Und die ersten zaghaften nazarenischen Einflüsse machten sich bemerkbar. Friedrichs Einfluß blieb (leider) nicht von Dauer. Aber für Richter bot sich eine erste Ausflucht aus den bedrückend empfundenen Umständen als zeichnender Reisebegleiter des Fürsten Narischkin (1820/21) nach Südfrankreich und Paris. Diese Reise trug künstlerisch zwar nicht viel aus, doch erweiterte sie seinen Horizont beträchtlich.

Ludwig Richter, Überfahrt am Schreckenstein

Aber wo wir mit dem ersten Gemälde begannen, sollten wir die biographischen Notizen kurz beiseitelassen und auf ein darauf folgendes eingehen. Die nächste schlechte Abbildung (der Leser mag eine bessere finden) gibt einen Hinweis auf eine große Programmdarstellung der Romantik, so liest man, von 1837. Der Wanderbursche, der auf seinen Stock gestützt, zur Burgruine emporschaut, der zeitversunkene Harfner, das zögernd seelennahe junge Paar... eine Neufassung des alten Topos' vom Schiff des Lebens, ein Sehnsuchtsbild, und ein populäres dazu. Und wo wir beim Stichwort „populär“ sind, der „Brautzug im Frühling“ von 1847 dürfte in so mancher bescheidenen Kammer eines empfindsamen jungen Mädchens über die nächsten 100 Jahre gehangen haben. Richard Wagners Oper „Tannhäuser“ hatte die Inspiration dazu geliefert.

Ludwig Richter, Brautzug im Frühling 
Ludwig Richter, Brautzug im Frühling, Ausschnitt

Aber bevor wir zur Biographie des Künstlers zurückkehren, müssen wir unbedingt noch dieses bringen - „Genoveva in der Waldeinsamkeit“ von 1841, eine poetisch tiefempfundene, wohl innigste Waldlandschaft der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts, so lese ich. „Aus grüner Waldesdämmerung und Schattenkühle leuchtet juwelenhaft ein Stück Wiese, erstrahlt in kräftigem Rot und Weiß die Gruppe der Heiligen mit dem Kind und der Hirschkuh. Hier ist mit Fels- und Baumkulisse ein Schutzwall gegen die bedrohliche Außenwelt aufgerichtet, ein trauliches Klein-Arkadien...“ (Hans Joachim Neidhardt „Ludwig Richter“, Leipzig 1991, S. 54)

Ludwig Richter,  Genoveva in der Waldeinsamkeit

Nun, bevor Richter bei dieser Innigkeit anlangte, nahm er ein paar Umwege. Von 1821 bis 1823 hielt er sich wieder in Dresden auf, aber dann gelangte er für nahezu 3 Jahre nach Rom, die wohl am meisten erfüllte, hoffnungversprechende Zeit seines Lebens. Er schloß zahlreiche Freundschaften dort, mit Julius Schnorr von Carolsfeld etwa. Richter war immer noch vor allem Landschaftsmaler, die Darstellung des Menschen mußte er mühsam nachholen, wie dieser leicht linkische Akt später anzeigt. Italien gab ihm nicht nur Ideen ein, es belebte auch seine künstlerischen Fähigkeiten. Zu den Ideen sei nur seine Absicht genannt (1824), „deutsche Natur zu einem Ideal, zu edler Größe zu erheben, damit sie nicht wie bisher den untergeordneten Rang der Idylle behält, sondern zum Epischen sich erhebt… Der Gegenstand ist groß und erhaben genug.“

Zurück aus Italien, lehrte er von 1828 bis 1835 an der Staatlichen Zeichenschule in Meißen, die der mangelhaften Qualifikation der dortigen Porzellanmaler aufhelfen sollte. Ende 1836 wird er nach deren Auflösung an die Dresdner Kunstakademie versetzt und Professor für Landschaftsmalerei. Obwohl er sich längst auf die Buchillustration verlegt hatte. Richter hat vielleicht sechzig Ölgemälde geschaffen gegenüber etwa 2600 Holzschnitten. Richter illustrierte z. B. die berühmten „Volksmärchen der Deutschen“ von Johann Karl August Musäus, und einiges anderes, das ihn tatsächlich populär machte.

Ludwig Richter, Der erste Schnee

Ludwig Richter, Kindersegen

Ludwig Richter, "Mein Nest ist das Best"
Ludwig Richter, Kinderorchester

Es fällt schwer, etwas zu diesen Darstellungen zu sagen. Sie haben etwas von der Art von Lack- oder Lebkuchenbildern, die man spontan mag, weil sie in einen wohltuenden Seelenzustand befördern, und man würde sich falsch fühlen, sollte man beginnen, an ihnen herum zu kritteln. Aber doch fühlt man sich, wenn man ehrlich ist, nicht unbedingt in der Art ermutigt und angeregt, wie man sie von wirklicher Kunst erwarten darf. Dennoch. Seine italienischen Zeichnungen deuten an, was groß hätte werden können. In seiner Hinwendung zum Böhmischen und Sächsischen mag man das Bemühen erkennen, absterbende Erinnerung gegen etwas Lebendiges einzutauschen und ihm gerecht zu werden, auch wenn es merkwürdig geschlossen erscheint. Man vergißt zu leicht, wie sehr ein Künstler aus dem Ort heraus wirken muß, an den er gebunden ist.

Ludwig Richter, Brunnen bei Ariccia

Ludwig Richter, St.-Annen-Kirche zu Graupen in Böhmen

Ludwig Richter, Aktstudie

Eigentümlich erscheint, daß diese geschlossenen und dabei gewissermaßen auch zurückgenommenen späten Darstellungen durchaus charaktervoll auftreten. Man würde sie sofort wiedererkennen. Im Titel warf ich die Frage auf, inwieweit das schon „Kitsch“ wäre, eine vertrackte Frage, die diesen Beitrag erheblich verzögert hat. Ich will meine Gedanken dazu, ein paar wenige existieren tatsächlich, auf einen nachfolgenden Beitrag verschieben. Ich  höre schon zeitgenössische Maler reden, Kitsch sei, was jemand für Kitsch halte, aber diese erkennbar belanglose Floskel lassen wir besser beiseite.

Und Richter? Er, der hätte ein großer Künstler werden können, vermutlich, zog es vor, ein geliebter zu sein, vielleicht war dabei eine Art Zwang im Spiel, aber davon wissen wir nichts.

Ludwig Richter, Die Christnacht

nachgetragen am 7. Oktober
Teil 2 folgt

Keine Kommentare: