Freitag, 7. September 2012

See - Stücke III & die Wellen bei Brockes

(c) W. A. Aue

Barthold Heinrich Brockes
Irdisches Vergnügen in Gott

Betrachtung wallender Wasser-Wogen

Auf einem sichern Schiff, worauf ich mich befinde,
Betracht' ich jetzt die, durch die wilden Winde
Starck aufgebrachte Fluth, die sich gewaltig bäumet,
Entsetzlich wallet, braus't, und schäumet.
Die Wellen drohen sich einander zu verschlingen;
Die suchet jene zu bezwingen;
Dort sieht man Berge schnell sich neigen,
Dort tiefe Thäler plötzlich steigen.
Es wüthet, wühlt und wallt die Fluth. So weit wir sehn,
Sucht alles sich zu sencken, zu erhöhn.
Hier siehet man von unten dicke Wellen
Sich auf einmahl erheben, bäumen, schwellen.
Wenn nun in ihrer Fahrt ein' ander' ihr begegnet,
Sieht man sie sich so heftig drengen,
Daß sie, beschäumt, als wenn es regnet,
Rings um sich grosse Tropfen sprengen.
Hier wölben sich die regen Wogen,
Formiren umgekehrte Bogen;
Dann steigen graue Berg' allmählig in die Höh,
Mit weissem Schaum bedeckt, als wie mit Schnee.
Oft sincken sie, zerborsten, plötzlich nieder,
Oft heben sie sich schnell, und steigen plötzlich wieder.
Indem ich meine Blicke nun
Auf diesem Platz der Unruh liesse ruhn;
Entstunden, bey der Wellen Wancken,
Bey mir die folgenden Gedancken;

Wann aus der tiefen Fluth sich eine Well' erhebt,
Sich abgesondert, hoch zu steigen,
Vor andern schwülstig sich zu zeigen,
Oft sanft, oft ungestüm bestrebt,
Doch plötzlich sinckt, vergehet und verschwindet,
Und mit derselben Fluth, aus welcher sie entsprungen,
So bald sie von ihr eingeschlungen,
Sich wieder, wie zuvor, vermischt befindet;
So kömmt solch eine Welle mir
Als wie ein Bild von unserm Leben für.
Indem wir mit dem Stoff der Erden,
Aus welchem wir entstehen und bestehn,
Nachdem man uns hier kurtze Zeit gesehn,
Im Grabe wiederum vermischet werden.

Noch dacht' ich bey der Fluth und dem erblickten Strand:
Bestehet nicht das feste Land
Aus lauter kleinen Körnchen Sand?
So wie das tief' und weite Meer,
Aus einem grossen Tropfen-Heer?
Mir fällt bey diesem Dencken bey:
Ob nicht vor Gott die gantze Erde
Zum Sand-Korn, und das Meer zu einem Tropfen werde;
Ob beydes, gegen Gott, wohl mehr zu rechnen sey?

Ich habe eine Begabung, Bücher, die ich gerade brauche, vor mir zu verstecken. So erging es mir mit Barthold Heinrich Brockes, schlimmer noch, ich war der festen Überzeugung, Brockes, obwohl Hamburger, hätte nicht wirklich über das Meer geschrieben, was nicht stimmt. Der Herr Morgenländer, obwohl irgendwie Bremer, half meinem schwindenden Gedächtnis auf, es sei ihm gedankt. Beide Städte liegen nicht wirklich am Meer, aber fühlen sich dennoch als ob.

Tatsächlich hat unser erster großer und dazu frommer Natur-Lyriker das Meer mehrfach betrachtet (er ist hier schon gelegentlich aufgetaucht), ein anderes bedeutendes Gedicht ist schlicht zu lang für diesen Ort, man findet es im Ganzen dort, nur zwei Strophen seien zitiert:

Gottes Größe in den Wassern

Wie wunderbarlich weit, wie unbegreiflich groß,
Wie unergründlich tief ist doch des Meeres Schooß!
Wie dunckel ist sein Schlund! Wie flüssig und wie dichte
Die rege Wasser-Welt! Wie schwer ist das Gewichte
Des Wasser-Cörpers doch! Was ist dem weiten Reich
Der ungemeßnen Tief' an Weit' und Grösse gleich?
Mir schwindelt recht, wenn ich es überdencke,
Und in den finstern Pfuhl, in dieses Abgrunds Gruft
Den gantz erstaunten Geist, die bange Seele, sencke.
Mich schreckt von dieser schwartzen Kluft
Die unbegreifliche Gestalt: Der Fluthen Brausen
Erreg't mir, ob ichs gleich nicht hör', ein furchtbar Grausen.

...

Ach laß, o Grosses ALL, doch denen, so dieß lesen,
Nebst mir, Dein wunderbar allgegenwärtig's Wesen
Das uns, so wie das Meer ein Fischlein rund umschliesst,
Und in die Ewigkeit unendlich sich ergiesst,
Stets vor der Seelen Augen stehn!
Ach laß uns, da allhier des Cörpers Augen
Dein undurchdringlichs Licht nicht selbst zu schauen taugen,
Doch Deiner Allmacht Gröss' in Deinen Wundern sehn!
Es sey, o Grosser GOTT, insonderheit das Meer
Ein Prob-Stück Deiner Macht, ein Spiegel Deiner Ehr'!
Ach laß uns Geist und Blick auf Deine Wercke lencken,
Und oftermahl, wie Jesaias, dencken:
Er schilt das Meer, so fliehts von dannen,
Daß seine graue Tiefe braust,
Er misst die Wasser mit der Faust,
Er fasst den Himmel mit der Spannen.

Brockes ist ein wenig wie das Abendrot des Barock, er bewahrt den Charme dieser Dichtung und ihre Tiefsinnigkeit und bringt doch zugleich eine menschliche Wärme und Unmittelbarkeit dazu, die seinen vielfach mehr steifen Vorgängern zu oft nicht möglich war.

„So kömmt solch eine Welle mir / Als wie ein Bild von unserm Leben für.“

Die äußere Freundlichkeit, nein, nicht Gefälligkeit, täuscht leicht darüber hinweg, wie tief seine Betrachtungen reichen, die die Natur in ihm ausgelöst hat. So erblickt er in den Wogen des Meeres ein Bild des Lebens, seine Unbeständigkeit, Ortlosigkeit, die nur in Gott aufgehoben werden kann.

Das Bild der zerbrechenden Woge versteht der moderne Mensch wohl, um das andere vermag er ihn allenfalls zu beneiden.

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