Montag, 13. April 2015

Über Günter Grass auch

Ems in Telgte

Zu den Wohlthaten, die ein konservatives Gemüth verschafft, gesellt sich nicht selten: Man erträgt es (ohne heimlichen Groll), von anderen Meinungen zu hören, die der eigenen heftig widersprechen (also naturgemäß falsch sein müssen). Ja, die Welt ist tatsächlich immer noch mit sich im Reinen, soweit sie das überhaupt vermag, auch wenn nicht jeder dasselbe für wahr hält oder zumindest sich darum bemüht.

Denn es besteht kein Zwang, jeden mit seiner Überzeugung zu überwältigen, man kann das merkwürdige andere sogar respektieren, sobald man spürt, daß mit Ernsthaftigkeit darum gerungen wurde, vermag, Unterschiede zu ertragen (ohne als Ausgleich in sich Gewaltphantasien zu erzeugen), aber glaubt deswegen bei weitem nicht, daß eh alles egal ist.

Die sehr betagte und ebenso schlichte Nachbarin überraschte jüngst mit der Neuigkeit: “Dieser Gass oder Gasser oder wie'er heißt, is ja nu auch doot, kam grad in Fernsehn’, soll ja in der SS gewesen sein oder sowas”. So rächt man sich also an jemandem, der einem schon lang auf die Nerven ging, obwohl man den sog. „Stallgeruch“ vermutlich eher geteilt hat (oder gerade deswegen, schließlich vermag der Kampf ums Rechthaben eine ganze Existenz abzustützen).

Günter Wilhelm Graß starb an diesem Tag, aus Danzig herstammend, genauer gesagt aus Langfuhr (das mütterliche Herkommen besteht auf dem Unterschied). Die Vorrede galt u.a. dem sog. Moralisten, den ich meist flach und angestrengt fand, als ebenfalls eine Art sendungsmäßiger Rechthaber (bzw. eher Links-Haber) war er schlicht unerträglich. Aber so, wie ich gelegentlich (scheinbar gehässiger-weise) über jemanden sage, er sei ein besserer Mensch, wenn er predige, gilt dies für G. G. mutatis mutandis mit Sicherheit, sobald er schrieb, also wirklich schrieb.

Es ist merkwürdig, ein sehr belesener Freund (und 'in der Wolle gefärbter' Sozialdemokrat), der verstorben ist, sprach immer wieder von dem „Treffen in Telgte“ (wo ich mich doch als Liebhaber der Barock-Literatur ausgebe), aber ich mochte nie weiterlesen. Jetzt, aus welchen Gründen immer (vielleicht ein schlechtes Gewissen), habe ich es versucht und bin diesmal durch.

"'Telge' ist eine alte Bezeichnung für Eiche"

So wie Arno Holz angesichts eines buntgrünen Quarthefts dem Einfall anheimfällt, ein paar Gedichte im Stil der Zeit zu versuchen (und schließlich den herrlichen „Dafnis“ schrieb), mag Herr Grass die Parallelität des Hintergrunds empfunden haben, als geistreiche Szenerie für sein Denkmal der Gruppe '47. Ich weiß das alles nicht. Aber Literatur macht leicht Absichten zunichte, sobald man sie nur ernst nimmt.

Und ich würde jetzt wirklich gern darlegen, wie Herr Grass in die Untiefen der Barockliteratur hinabstieg, um sie als ein hernach mit ihr Bekannter (von mir aus als unsichtbarer Gegenpart, als Folie oder was auch immer) für ein Gesprächsdenkmal seiner Gruppe '47 zu benutzen, die mich, offen gestanden, als solche herzlich wenig interessiert. Also blieben nur 2 Wege der Akzeptanz, man nimmt es als Literatur, oder sucht danach, wo einem eine Epoche lebendig wird, die man, vielleicht aus einer Laune heraus, gelernt hat zu mögen.

Beginnen wir mit dem 2.: Während bei der Lektüre des Herrn Holz sich schnell ein (vermutlich debil erscheinendes) Dauergrinsen des Einverständnisses einstellt (er hatte sich schließlich auch bis zu den Ellbogen in die Epoche eingearbeitet), schwankt man bei Herrn G. meist zwischen – 'wie schön nachempfunden' und einem verärgerten - 'das ist doch komplett ausgedacht'.

Das Treffen in Telgte scheint also eine Chimäre aus historischem Roman, mit allen ihm zugestandenen Freiheiten (was wissen wir schon von Amenophis IV. über das hinaus, was nicht in irgendwelchen Romanen stünde), und einer Art chiffrierter Familienzeitung zu sein, nur daß ich für derlei fremde Familiensachen nie besonders viel Aufmerksamkeit aufzubringen vermochte.

Der Grundeinfall ist zweifelsohne beachtenswert, einen Bogen von 300 Jahren zurück zu schlagen, um in einer Zeit anzukommen, die in ihrem Grad innerer und äußerer Zerstörung vielleicht von ferne mit der des letzten Weltkrieges vergleichbar ist, der für Deutschland im Grunde der 3. war.

„Wo alles wüst lag, glänzten einzig die Wörter.“ Dies wird immer noch gern zitiert und gehört zu einer längeren Passage, in der beschrieben wird, wie zu dem erfundenen Treffen in Telgte im Münsterland von dem Königsberger Simon Dach (der das Ännchen von Tharau (für menschliche Verhältnisse) unsterblich machte, zu der ich hier mehrere Übersetzungen gefunden habe) der Olymp deutscher Dichtkunst (und einige Nebengestalten) geladen wurde.

Als da etwa wären Andreas Gryphius aus Glogau, Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau aus Breslau, Johannes Scheffler, der spätere Angelus Silesius, Sigmund von Birken aus Nürnberg, der Schlesier Friedrich von Logau, der Holländer Philipp von Zesen, Georg Rodolf Weckherlin aus London. Aber auch der „Literaturprofessor“ August Buchner aus Wittenberg. Und Paul Gerhardt. Und als „Zufallsgast“ Heinrich Schütz!

Über zwanzig Herren versammeln sich also im Gasthof einer zweifelhaften Person (der Courage, der „Landstörzerin“, ja eben der, die bei Grimmelshausen und später einem Aufschreiber aus Augsburg „Ruhm“ finden sollte. Denn keiner wollte fernbleiben, niemand für sich bleiben Man traf sich, „um dem zuletzt verbliebenen Band, der deutschen Hauptsprache, neuen Wert zu geben“, und um „vom Rande her“ politisch hineinzureden. „Schließlich war man wer... Und wo sich die Fürsten erniedrigt hatten, fiel den Dichtern Ansehen zu. Ihnen, nicht den Mächtigen, war Unsterblichkeit sicher.“ Sie seien das andere, das wahrhaftige Deutschland. Nun ja, soweit der „Plot“.

Historische Telgter Wallfahrt von Münster nach Telgte - Schmerz

Von dem schlußendlich verfertigten Manifest (das dann sowieso verbrennt), erfährt man nicht wirklich Befriedigendes, immerhin beginnt eine frühe Fassung mit dem zeitlosen: „Teutschland, das herrlichste Kaiserthumb der Welt, ist nun mehr auff den Grund außgemergelt, verheeret und verderbet...“. Und später, die Deutschen hätten „fremdländischen Horden das Vaterland preisgegeben“, diese hätten sich Deutschland als Tummelplatz auserkoren, so daß es zerstückelt und nach dem „Verlust seiner Schönheit“ nicht mehr kenntlich - „ohne alte Ordnung“ sei „alle Treu verloren“.

Und abermals (viel) später - es solle mit der erwünschten Erneuerung der alten Ordnung „das altgewohnte Unrecht nicht miterneuert werden“. Und schließlich die Sorge der Patrioten: Das Reich drohe so sehr zu zerstückeln, „dass niemand mehr in ihm sein Vaterland, das einstmals deutsch geheißen, erkennen werde“. Hm. So wechseln also die Anlässe für die nämlichen Sorgen (nur daß sie womöglich vom Territorialen zusätzlich ins mehr Geistig-Physiognomische wechselten).

Um kurz noch ernsthafter zu werden, was mich bei meiner geschätzten Epoche häufig bekümmert: Warum reichte es nie zu einem Calderón, zu schweigen von einem Shakespeare. Also, warum das Mediokre, bei allen Schönheiten, unserer Literatur von dort; ich denke, es war schlicht Erschöpfung: Man hatte damit zu tun, ein Mensch von Geist zu bleiben, denn man kann das Geistige durch Barbarei tatsächlich fast zu Tode erschöpfen, auch wenn es sich nicht so zeigen wird wollen. Darum ist bei dieser Art Dichtung ihre gefällige Oberflächlichkeit ertrotzt, und ihr Spielwerk zeugt von nicht ermordetem Wissen.

Aber ich wollte noch etwas Wohlwollendes zu Herrn Grass loswerden. Nicht darüber, wie er die Kontroverse von damals darüber andeutet, daß der Dichtung überhaupt zu mißtrauen sei, da sie sich zum einen entfreche, sich Gott als Nachschöpferin an die Seite zu drängen, und zum anderen mit ihren Erfindungen die wahre Natur der Dinge verrate. Nein, dazu nichts.

Und auch ein anderes Detail soll unbeachtet bleiben, wie nämlich die Dichter sich zwangsläufig und unwissend wohl mitschuldig machen an der Hinmordung einer Bauersfamilie (von wegen der Verstrickungen, die das Leben so schicksalshaft bereithält).

Nein, ein Ärgernis soll dann doch angesprochen werden, die erfundene Kontroverse zwischen Paul Gerhardt und Heinrich Schütz. Wenn nicht neue Quellen auftauchen, haben sich beide nie gesehen oder über einander gesprochen. Aber ihr Kunstwollen war in der Tat verschieden. Die Gründe dafür hat Herr Grass wohl mehr als Vehikel für Zeitgenössisches erdacht bzw. dessen völlig berechtigte Zurückweisung ('Die Kunst ist tot' und ähnlicher Magerquark).

Aber dennoch vermag er eine berückende Beschreibung der Wirkung Schütz'scher Musik zu geben, wie er „der Menschen Jammer und Freude habe tönen lassen können: ihr banges Stillewerden und ihren Zorn, ihr müdes Wachen… und ihre Furcht vor Gott." Und dagegen für Paul Gerhardt in einem Loblied von dessen Vertoner Johann Krüger: „Dem rage nicht die Kunst vor allem...“ Nicht der „Fürsten glänzende Hofkapellen“ seien ihm teuer „sondern des gewöhnlichen Mannes Nöte“ und „daß ihm Trost zuteil werde in schimmer Zeit“.

Da hat Herr Grass seine eigene Kunstauffassung womöglich schön illustriert, aber irgendetwas fehlt uns dann doch in all diesem, aber darüber wollen wir schweigen. Und Herr deBuhr, diese Schuld jedenfalls ist nun abgetan.

Historische Telgter Wallfahrt von Münster nach Telgte - Freude

Doch halt, unterhaltsam war es schon mitunter. Daß es hier vor allem um „protestantische Besserwisserei“ ging, bezweifle ich zwar; doch der Hut paßt auf viele Köpfe: „Denn fromm waren sie alle... Jedermann glaubte sich näher an Gott. Keiner erlaubte dem Zweifel, sein Glaubensdach abzuklopfen“. Wie schön, daß wir alle, die geschätzten Leser insonderheit eingeschlossen, in derlei Dingen anders sind.

abgebrochen am 26. April

2 Kommentare:

Walter A. Aue hat gesagt…

Knapp vor seinem Tode also schrieb Grass sein Gedicht "Was gesagt werden muss". Es war kein Gedicht, es war ein zweiseitiger Spiegel. Af der einen Seite Grass, der sagte, was er nicht sagen wollte, aber sagen musste.

Auf der anderen Seite Deutschland, zumindestens das offizielle, das unbedingt sagen wollte, was es sagen musste.

Meine Achtung gilt in diesem Falle Grass. Moege ihm die Erde leicht sein, die nicht leicht fuer ihn war.

MartininBroda hat gesagt…

Ja, ich kenne das natürlich, und als G. G. starb, dachte ich, 'nimm dir eines seiner Bücher noch einmal gründlich vor und schreibe darüber', weil ich das Gefühl hatte, ihm dieses zu schulden. (Das andere, das in Frage kam, wäre „Ein weites Feld“ gewesen.) Unter anderem eine Paul Gerhardt Biographie weiter sind meine Kenntnisse des Barock wieder deutlich aufgefrischt und diese Würdigung ist abgerungen und das buchstäblich.