Mittwoch, 1. April 2015

Zum 200. Geburtstag Bismarcks

Otto Fürst von Bismarck, Gemälde von Franz von Lenbach, 1894

Predigt im Gedenkgottesdienst zum 200. Geburtstag des Fürsten Otto von Bismarck

Lk 14, 28 - 35


Gnade sei mit Euch und Friede, von dem, der da war und der da ist und der da kommt!

Amen

Liebe Gemeinde,

da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind, und war klug wie ein Kind, und hatte kindliche Anschläge;

so schreibt der Apostel Paulus am Ende seines großen Gedichtes über die Liebe im 1. Brief an die Korinther. Ich habe manche meiner kindlichen Anschläge noch in lebhafter Erinnerung. Nie habe ich beispielsweise begriffen, wie die Sonne es schaffte, uns überall hin zu begleiten, selbst wenn wir mit den Eltern im Wartburg unterwegs waren. Nur der Mond vermochte, es der Sonne gleichzutun und wurde uns zum nächtlichen Begleiter. Wenn ich nach Erklärungen verlangte, dann wurde gesagt, es läge daran, dass der Mond und noch mehr die Sonne so weit weg seien, dass man die Bewegung nicht wahrnehmen könne. Das schaffte mehr Verunsicherung als Einsicht, schließlich bemerkte ich meine Bewegung sehr wohl, die Entfernungen, die wir im Auto zurücklegten, waren enorm, denn ich war klug wie ein Kind.

Seien Sie alle beruhigt, inzwischen habe ich es verstanden. Denken musste ich aber an diese Erfahrung, als ich mir auf dem Weg zum Jubiläum Gedanken darüber machte, was uns die Geschichte soll. Warum gedenken wir Bismarcks, der vor 200 Jahren geboren wurde? Warum feiern wir heute Gottesdienst?

In der Epistel haben wir dazu gehört: „Wir hatten Herzenslust an euch, und waren willig, euch mitzuteilen nicht allein das Evangelium Gottes, sondern auch unser Leben…“

Wer also vom Glauben zeugen will, der muss nicht nur vom Evangelium reden, sondern Anteil geben an seinem Leben. Das gilt doch nun nicht nur für Apostel, Kirchenlehrer und Pastoren. Das gilt für alle getauften Christen, und es gilt für den, dessen Geburtstag wir heute gedenken, und an dessen Taufe wir am 15. Mai erinnern werden. Unter dem Siegel der Taufe ging er sein Leben in der Gemeinschaft mit Gott.

Und was für ein Leben breitet sich da vor uns aus? Schauen wir hinter all den Bildern einfach einmal auf den Menschen, der hier geboren wurde. Einer fröhlichen Kindheit folgte eine schwierige Schulzeit, denn der Junge war zwar klug aber auch unbändig, und ihm fehlte sein Zuhause in der Weite Pommerns. Die Schulen in Berlin sollten die erste Ursache dafür sein, dass er die Stadt ein Leben lang nicht mochte.

Studium, Militär und Verwaltungsdienst wurden eher lieblos absolviert. Am Erstaunlichsten ist es, wieviel Geduld seine Lehrer und Vorgesetzten jeweils mit ihm hatten. Er suchte die Aufgabe für sein Leben und stand dabei sehr in der Gefahr, sie nicht zu finden, sah sich als Pantheist  und Republikaner.

Zwei schicksalhafte Wendungen erfassten ihn dann in den 40er Jahren. Der Tod einer engen Freundin führte ihn zurück zum Glauben und öffnete ihm den Weg zu der Frau, die er nicht mehr verlassen sollte, und der seine ganze Treue gehörte. Die Revolution aber entzündete sein politisches Denken, nachdem er es als Deichhauptmann hier in unserer Gegend gelernt hatte, für Menschen und Dinge Verantwortung zu übernehmen.

Das Eintreten gegen die Revolution blieb eines seiner bestimmenden Lebensthemen. Das entscheidende Bollwerk gegen die Revolution, das heißt gegen den Umsturz der bestehenden Verhältnisse, erblickte er im preußischen Königtum, und so war es folgerichtig, dass er ein Diener des Königs wurde.

Es ist faszinierend nachzuvollziehen, mit welcher Wachheit und Auffassungsgabe Bismarck es verstand, die Wirklichkeit unverstellt zu erkennen, Gefahren auszumachen, Möglichkeiten abzuschätzen und so das Wohl Preußens zu wahren.

Zwei Dinge erreichte er auf seiner ersten Station als Bundestagsgesandter Preußens in Frankfurt. Er stellte die Gleichberechtigung seines Königs mit der Präsidialmacht Österreich her, und er vermochte es mit viel Geschick, die Neutralität Preußens im Ringen der Westmächte mit Russland im sogenannten Krimkrieg zu wahren. Der Zar hatte das nicht vergessen und gewährte Bismarck herzliche Aufnahme, als dieser 1859 Botschafter in Sankt Petersburg wurde.

Im Zuge des Verfassungskonflikts über die Heeresreform wurde der Aufstieg des Diplomaten dann schwindelerregend. 1862 ernannte der König Bismarck zum Ministerpräsidenten. In schneller Folge wurden gravierende Hindernisse, die der Nationalstaatswerdung der Deutschen entgegenstanden, militärisch beseitigt. Zunächst gelang dies im noch gemeinsam mit Österreich geführten Krieg gegen die Ansprüche Dänemarks auf Schleswig-Holstein, später bei der Entscheidung des Dualismus im Deutschen Bund gegen Österreich und dann 1870/71 im schwersten Kampf gegen Frankreich. Keinen dieser Kriege hat Bismarck verschuldet, oder gar mutwillig herbeigeführt. Seine Haltung war es auch damals schon, dass „man Krieg nicht führen darf, wenn es mit Ehren zu vermeiden ist; die Chance günstigen Erfolges ist keine gerechte Ursache, einen großen Krieg anzufangen!“

So hat er den Krieg denn nach Abwägung bestehender Möglichkeiten hingenommen und dazu beigetragen, dass er für Preußen entschieden werden konnten. Das war allerdings seine Aufgabe, und es war die notwendige Folge des Rechtes jeder Nation, die Verhältnisse unter denen sie lebt, selbst zu gestalten.

Es ist notwendig, klar auszusprechen, dass die anderen Mächte hingegen auf militärische Gewalt setzten, um genau dieses Recht zu bestreiten. Wir dürfen uns, durch die vielfältigen Legenden die in die Geschichte Eingang gefunden haben, und an denen Bismarck durchaus eifrig mitgestrickt hat, nicht täuschen lassen. Es bleibt eine Tatsache, dass die Emser Depesche in Paris noch nicht bekannt war, als dort der Krieg längst beschlossene Sache und die Mobilisierung ausgelöst war. Bismarck wollte mit der gekürzten Depesche lediglich unterstreichen, dass sich sein König nicht hat demütigen lassen, um so die Kampfbereitschaft der süddeutschen Staaten zu festigen.

Die Folgen des Krieges wären auch bei weitem nicht so bedrückend gewesen, wenn die französische Seite sich unmittelbar nach der Niederlage Napoleons III. in Sedan zum Frieden hätte durchringen können. Die für Frankreich zweifellos demütigende Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles hätte es dann nicht gegeben.

Nun entstand mit militärischen Mitteln in der Mitte Europas ein Nationalstaat, der durch „moralische Eroberungen“ nicht hätte durchgesetzt werden können, wie die Gegnerschaft Frankreichs hat deutlich werden lassen. Es entstand aber auch ein Staat, der den Bürgern bemerkenswerter Weise von Anfang an das allgemeine Wahlrecht gewährte. Damit war die Tektonik der  Mächte Europas innerhalb von nur neun Jahren grundlegend verändert worden. Es gab aber auch für die Bürger des Landes in einer Breite Mitwirkungsmöglichkeiten, auf die sie in den meisten anderen Staaten Europas noch sehr lange, meist bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, warten mussten.

Blicken wir noch einmal auf diese neun Jahre von der Ernennung Bismarcks zum Ministerpräsidenten bis zur Reichsgründung, dann fällt auf, dass vor allem die Kriege das Bild dieser Zeit bestimmen. Weitgehend vergessen ist es, dass es einen weiteren entscheidenden Faktor gab, ohne den die Deutsche Einheit wahrscheinlich nicht gelungen wäre. Das war die Mitwirkung Russlands durch seine verlässliche Neutralität. Erwartet hat Russland nur, dass diese Verlässlichkeit eine gegenseitige bleibt, und das war für Bismarck ein gesetzter Umstand seiner Politik.

So vollbrachte der nunmehrige Reichskanzler in gewaltigen Anstrengungen die Sicherung des Reiches durch seine Bündnispolitik nach außen und durch die Sozialpolitik im Inneren. Dabei bleibt es unbestritten, dass er durch Kulturkampf und Sozialistengesetze auch tiefe Konflikte in das Gefüge des Reiches getrieben hat.

Bismarck in Friedrichsruh, 1891

Eine gerechte Bewertung dieser Zeit setzt aber nun voraus, dass wir begreifen, für wie zwangsläufig Bismarck den Zusammenhang zwischen Krieg, der durch feindliche Bündnisse drohte, und Revolution, die durch die sozialistischen Bewegungen vorbereitet wurde, gehalten hat. Selbst gewonnene Kriege versprachen für keine Macht mehr wirkliche Vorteile. Vielmehr drohte jeder Krieg, die traditionelle Welt und jede konservative Ordnung  im Innersten zu zerstören.

Die entscheidenden Auseinandersetzungen würden nicht mehr so sehr „zwischen Russen, Deutschen, Italienern und Franzosen wie zwischen der Revolution und der Monarchie“ geführt. "Der Krieg, sei er nun siegreich oder nicht, wird die Revolution in mehr als in einem Lande entfesseln“, stellte der Kanzler 1887 gegenüber seinem Kaiser fest. Hier deutet sich ein allgemeiner Konsens an, auf dessen Grundlage vielleicht bereits im 19. Jahrhundert das Zusammenwachsen Europas hätte beginnen können, wenn versucht worden wäre die Interessen der Völker miteinander auszugleichen und nicht gegeneinander durchzusetzen.

Für Bismarck war es ganz und gar unverständlich, wie die Revolutionäre aller Zeiten es tun, von einem Umsturz der bestehenden Ordnungen eine Besserung der Verhältnisse zu erwarten. Mit dem Blick über den Verlauf des 20. Jahrhunderts muss man nüchtern fragen, wer denn mit seinen Erwartungen vor der Geschichte Recht behalten hat.

Dennoch gibt es noch immer, nicht nur in der Geschichtsschreibung, eine große Begeisterung für fast jede Form der Revolution, denken wir nur an den „arabischen Frühling“, und ich frage mich manchmal, ob wir nicht genau das dringend überdenken müssen.

So hatte Bismarck denn zwei Ziele: Er wollte wie er sich ausdrückte „der sozialistischen Bewegung in ihrer gegenwärtigen Beirrung Halt gebieten, indem realisiert wurde, was in den sozialistischen Forderungen als berechtigt erscheint“. Dadurch sollte ein innerer Reformprozess eingeleitet werden, den der Fürst sich nicht scheute Staatssozialismus zu nennen.

Zum anderen wollte der Kanzler das Einvernehmen der konservativen Mächte Russland, Österreich-Ungarn und Deutschland erhalten. Nur in dieser Konstellation wäre es dauerhaft möglich, weder in einseitige Abhängigkeiten zu geraten, noch zu riskieren, dem schwächeren Bündnis anzugehören. Bis zu seiner Entlassung im März 1890 gelang es ihm, diese alles entscheidenden Interessen des Reiches zu wahren. Beides war freilich mühselig und mit enormen Anstrengungen verbunden, es versprach vor allem nicht den ganz schnellen Erfolg, wie eine glorreiche Revolution oder ein ruhmreicher Krieg es taten. Der Kanzler habe „nicht den Schneid zum Präventivkrieg“ wurde ihm darum auch vorgeworfen.

Heinrich Mann urteilte: „Bismarck hat das Reich nicht nur geschaffen: es zu erhalten war schwerer. Die Deutschen haben ihrem einzigen Staatsmann seine vornehmsten Verdienste nie gedankt, sie kennen sie gar nicht. Er eroberte seinem Reich - nicht Provinzen, die hat er kaum gewünscht, sondern Dauer für seine eigene Lebenszeit. Nach ihm war es sofort in Frage gestellt.“

Der ehemalige Botschafter Ulrich von Hassel wiederum schreibt nach einem Aufenthalt in Friedrichsruh im Juli 1944 in sein Tagebuch, bevor er am 8. September des gleichen Jahres in Plötzensee gehenkt wurde: „Ich habe mich in den letzten Tagen viel mit ihm beschäftigt, und er wächst als Außenpolitiker dauernd bei mir. Es ist bedauerlich, welch falsches Bild wir selbst von ihm in der Welt erzeugt haben, als dem Gewaltpolitiker mit Kürassierstiefeln, in der kindlichen Freude darüber, dass jemand Deutschland endlich wieder zur Geltung brachte. In Wahrheit war die höchste Diplomatie und das Maßhalten seine größte Gabe.
Er hat es verstanden, die Gegner auszumanövrieren und trotzdem in einziger Weise in der Welt Vertrauen zu erwecken, genau umgekehrt wie heute.“

Bismarck Denkmal im alten Elbpark in Hamburg

Dies also ist das Lebenswerk und war das Vermächtnis eines auch bei allen seinen Gegnern respektierten Staatsmannes. Heute wollen wir es einfach in Beziehung setzen zu dem Evangelium, das wir vorhin gehört haben, und in dem es heißt:

„Wer ist aber unter euch, der einen Turm bauen will, und sitzt nicht zuvor und überschlägt die Kosten, ob er's habe, hinauszuführen? auf daß nicht, wo er Grund gelegt hat und kann's nicht hinausführen, alle, die es sehen, fangen an, sein zu spotten, und sagen: Dieser Mensch hob an zu bauen, und kann's nicht hinausführen. Oder welcher König will sich begeben in einen Streit wider einen andern König und sitzt nicht zuvor und ratschlagt, ob er könne mit zehntausend begegnen dem, der über ihn kommt mit zwanzigtausend? Wo nicht, so schickt er Botschaft, wenn jener noch ferne ist, und bittet um Frieden.“
Lk 14, 28 - 32

Die entscheidende Frage, die hier im Evangelium gestellt wird, ist die nach dem, was ist, und nicht nach dem, was man sich vielleicht wünscht, erhofft und für möglich hält. Ist dies nicht ein eindrucksvolles Plädoyers für Realpolitik, wie Bismarck sie getrieben hat?
Ist es nicht vor allem eine bestechende Erwiderung an alle, die behaupten, das Neue Testament und Politik hätten nichts miteinander zu tun und wären ganz verschiedene Reiche? Es ist vor allem aber eine Ermahnung an alle Menschen zur Klugheit, Mäßigkeit, Weisheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit. Es gab eine Zeit, da nannte man diese schlicht Tugenden. Bismarck hat sie in seiner Politik zur Anwendung gebracht.

Es war klug, sich der Mühe zu unterziehen, immer wieder um Verständigung mit den beiden Nachbarreichen Russland und Österreich zu ringen und ihre Gemeinsamkeiten zu betonen,
es war ein Ausdruck von Mäßigung, das Reich unmittelbar nach seiner Gründung für saturiert zu erklären,
es war weise, zu erkennen, dass die Rolle Deutschlands nur noch darin gefunden werden konnte, Mitte und Vermittler Europas zu sein,
es war gerecht, Grundlagen sozialer Systeme zu schaffen und
es war tapfer, sich den Gefahren der Zeit zu stellen und Feinden mit offenem Visier zu begegnen.

Aber darum nenne ich Bismarck gerade nicht genial und überragend groß.
Ich nenne ihn einen Menschen, der eins und eins zusammenzählen konnte, und der davon auch Gebrauch machte. Bismarck ist kein Ideal, sondern ein menschliches Vorbild. Nicht die Ideale von Menschen bewegen etwas in der Welt, sondern der unbeugsame menschliche Wille zur praktischen Ordnung. Diesen Willen auch durchzusetzen macht freilich Mühe.

Bismarcks politisches Vermächtnis bestand in ganz wenigen Aussagen:

In einer Welt von fünf Mächten muss es unser Bestreben sein, ein Partner von dreien zu bleiben und nicht einer von zweien zu werden.

Ein künftiger Krieg hält auch für den Sieger keinen Preis mehr bereit, der es sinnvoll erscheinen lässt, ihn zu führen und

einen Konflikt mit Russland sollte man unter allen Umständen vermeiden.

Wie sonderbar und befremdlich mutete es an, dass man Bismarcks 100. Geburtstag mitten im 1. Weltkrieg mit großer Geste feierte, den Reichsgründer gleichsam zum Kriegsgott der Deutschen stilisierte, nachdem sein Vermächtnis in der praktischen Politik so ganz außer Acht gelassen worden war. Es wurde behauptet, Bismarcks Bündnissystem sei zu kompliziert und darum untauglich gewesen, dem Reich zu dienen. Es wurde unterstellt, seine vieldeutige Geheimdiplomatie hätte dem Reich geschadet.

Was am Vorgenannten ist kompliziert, was doppeldeutig oder geheim? Alle diese Aussagen waren auch den Zeitgenossen zur Genüge bekannt, weil Bismarck sie wie ein Mantra vortrug. Überhaupt hat er lebenslang immer dadurch das größte Staunen erregt, dass er seine Absichten und Ziele offen aussprach. Aber genau dadurch gewann er Vertrauen.

Sein ununterbrochenes Mühen um die Bündnisse beweist vor allem eines, dass er die Kräfte des Reiches für begrenzt hielt. Jedes Jahr im Frieden, so war Bismarck fest überzeugt, werde es dem Kontinent einfacher machen, das neue Machtzentrum in seiner Mitte, die völlige Verschiebung der politischen Tektonik Europas, das heißt schlicht, die Wirklichkeit zu akzeptieren, wie sie sich nach dem Frankfurter Frieden gestaltet hat. Alles was ruht, sollte man darum auch keinesfalls wecken, das war sein Bekenntnis der späten Tage.

Aus diesem Bekenntnis sprach ein ganz bemerkenswerter Realismus. So konnte er denn fast bescheiden sagen: „Ich bin nicht so anmaßend, dass ich Geschichte machen könnte. Meine Aufgabe ist, die Strömungen der letzteren zu beobachten und in ihnen mein Schiff zu steuern, wie ich kann. Die Strömungen selbst vermag ich nicht zu leiten, noch weniger hervorzubringen.“

Darin spricht sich auch ein Respekt vor der Geschichte aus, der nach meinem Eindruck verloren zu gehen scheint. Heute will man, statt das Schiff auch durch Stürme zu steuern, allezeit für gutes Wetter sorgen und maßt sich an, sogar Herr über das Klima zu sein.

Bismarck verdanken wir das allgemeine Wahlrecht und die Sozialgesetzgebung. Darin wiederum drückt sich der Zusammenhang zwischen Eigenverantwortung für den Staat und Fürsorge des Staates aus, den der Fürst in einem bereits sehr modernen Sinne formte. Allerdings hätte er mit größtem Unverständnis darauf geblickt, wie wir heute beginnen zu glauben, man könne auch über die Wahrheit abstimmen und gegebenenfalls sogar die Wirklichkeit abwählen.

Wenn nicht mehr auch die Mehrheit grundlegenden Regeln unterworfen ist, sondern jede Regel nur noch von der augenblicklichen Mehrheit abhängt, dann wird dem Parlamentarismus nicht gedient.
Es ist jeder Generation notwendig nach den eigentlichen Grundlagen des Gemeinwesens zu fragen.

Bismarcks Bekenntnis war ganz klar. Schon 1847 am Anfang seines politischen Weges sagte er: „Erkennt man die religiösen Grundlagen des Staates überhaupt an, so glaube ich, kann diese Grundlage bei uns nur das Christentum sein. Entziehen wir diese Grundlage dem Staate, so behalten wir als Staat nichts als ein zufälliges Aggregat von Rechten, eine Art Bollwerk gegen den Krieg aller gegen alle… Seine Gesetzgebung wird sich dann nicht mehr aus dem Urquell der ewigen Wahrheit regenerieren, sondern aus den vagen und wandelbaren Begriffen von Humanität, wie sie sich gerade in den Köpfen derjenigen, die an der Spitze stehen, gestalten.“

Hier ist derselbe Gedanke ausgesprochen, den ein anderer mit folgenden Worten ins 21. Jahrhundert übersetzt hat: „Von der Überzeugung eines Schöpfergottes her ist die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln entwickelt worden. Diese Erkenntnisse der Vernunft bilden unser kulturelles Gedächtnis.

Es zu ignorieren oder als bloße Vergangenheit zu betrachten, wäre eine Amputation unserer Kultur insgesamt und würde sie ihrer Ganzheit berauben.“ Das sagte Benedikt XVI. im Reichstag.

Das ist die Auseinandersetzung, die bis in unsere Tage geführt wird, und in der auch wir uns entscheiden müssen, nachdem wir die Bewegungen unseres Lebens und unserer ganzen so schnelllebigen Welt geprüft haben vor dem Firmament der Geschichte, denn ihr entkommen wir genauso wenig wie der Autofahrer am Tage der Sonne und nachts dem Mond.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

Amen

Thomas Roloff

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