Die Bäume regnen ihre Blätter herab, seit Stunden, wie in einem ewigen Moment. Das ist auch Gnade, dem zuschauen zu dürfen. Schönheit ist Gnade. Wo bleiben die betroffen machenden Bilder? So mag mancher ausrufen. Nun ich passe gerade etwas obsessiv auf die Couch auf, deshalb lege ich mich auch länger drauf, denn das muß erst einmal jemand wegtragen können. Solches schränkt die Bildmotive ein, und den Großherzog hatten wir ja gerade.
Navid Kermanis „Ungläubigen Staunen“ über das Christentum kommt mir weit weniger entgegen, als ich erwartet hatte, ich weiß nicht warum. Ich versuche es gerade zu lesen. Da bietet sich dann für heute doch noch ein Rekurs zu seiner Friedenspreisrede in Frankfurt a. M. an. Die Reaktionen waren bemerkenswert. Ich fand sie teilweise an Orten, von denen ich gar nicht wußte, daß es sie gibt. So leistet sich offenbar diese Regierung ein Internetportal für einen moderaten Islam (da muß man erst ins Impressum gehen, um sich dessen bewußt zu werden), und liest dort zu o.g. Rede unter der Überschrift „Den Islam aus den Klauen der Fanatiker befreien“ zum Schluß:
„In der Paulskirche, die heute gar nicht mehr wie eine Kirche aussieht, sondern eher wie ein Amphitheater, hat Navid Kermani uns und alle(n), die ein offenes Herz dafür haben, eine Katharsis, eine Läuterung und Waschung der Herzen geschenkt, von der wir erst in dem historischen Moment, in dem wir sie empfangen haben, erkannten, wie furchtbar lange... sie uns vorenthalten worden war.“
Auch schön gesagt. Manche rangen sich zu einer betretenen Würdigung auf, andere fühlten sich unanständig angefaßt. Aber wir wollen hier ja keine Presseschau veranstalten. Herr Knipphals von der taz, Literaturredakteur, und die Frauenrechtlerin Kelek in der Welt geben einen guten Eindruck, was die Rede alles so aufzurühren vermochte. Das muß genügen.
Diese Rede ist eine gute Lektion darüber, wie unterschiedlich eine gehörte und eine gelesene zu wirken vermag. Ich mutmaße, daß in der gehörten einfach so viel mehr mitschwingt, und das erzeugt dann wohl mitunter eine Resonanz, von der der Betroffene später gar nicht mehr recht weiß, wie sie zustande kam.
Zum irrsinnigen Syrienkrieg, der Arabellion, politischen Optionen, der Liebe von Mönchen zum Islam, dazu, und zu anderem, werde ich jetzt nichts sagen. Aber ich will einen Moment des Entsetzens verraten, der mich während der Rede befiel:
Er beschreibt, man hätte annehmen können, daß wenigstens die religiösen Fundamentalisten die eigene Kultur wertschätzen. Nein, sie taten das Gegenteil: Indem sie zu den „Uranfängen“ zurückkehren wollten, zerstörten sie das Eigene:
„Wir wundern uns nur deshalb über den Bildersturm des 'Islamischen Staates', weil wir nicht mitbekommen haben, dass in Saudi-Arabien praktisch überhaupt keine Altertümer mehr stehen. In Mekka haben die Wahhabiten die Gräber und Moscheen der engsten Prophetenangehörigen, ja selbst das Geburtshaus des Propheten zerstört. Die historische Moschee des Propheten in Medina wurde durch einen gigantischen Neubau ersetzt, und wo bis vor wenigen Jahren noch das Haus stand, in dem Mohammed mit seiner Frau Khadija wohnte, steht heute ein öffentliches Klo.“
Nein, ich bin kein heimlicher Liebhaber des Islams, tut mir leid, aber da war ich fassungslos. Über diesen Abgrund an Zerstörung, die Verachtung der Tradition, die religiöse Leere. Wir Christen sind durch Schwarmgeister, Puritaner und verwandten Unrat auch in der Vergangenheit gestraft worden. Aber das! Und so habe ich seine Rede dann auch verstanden.
Dagegen war die Klage des Quintus Aurelius Symmachus, nein, kein laues Lüftchen, aber man ahnt Dinge und Muster. Und spürt als lebendiges Wesen den Verlust und das Ungeheuerliche. Herr Kermani beschrieb den Untergang seiner Kultur, der gerade stattfindet. Und offen gestanden war es das, was mich mit Wucht getroffen hat.
„Nichts, absolut nichts findet sich innerhalb der religiösen Kultur des modernen Islams, das auch nur annähernd vergleichbar wäre, eine ähnliche Faszination ausübte, von ebensolcher Tiefe wäre wie die Schriften, auf die ich in meinem Studium stieß. Und da spreche ich noch gar nicht von der islamischen Architektur, der islamischen Kunst, der islamischen Musikwissenschaft – es gibt sie nicht mehr.“
„Es gibt keine islamische Kultur mehr, jedenfalls keine von Rang. Was uns jetzt um die Ohren und auf die Köpfe fliegt, sind die Trümmer einer gewaltigen geistigen Implosion.“
Und auf einmal spürt man, wie hinter den Tagesparolen und -trügereien eine ganz andere Wirklichkeit katastrophischen Ausmaßes stattfindet. Der Islam verendet gerade, erfahre ich, und wünsche doch das Gegenteil. Denn zu meiner Überraschung entsetzt mich die Evidenz dieser Beobachtung. Was könnte man dann noch außer Beten? Diese Rede von Herrn Kermani war ein bestürzender Wirklichkeitseinbruch.
Und jetzt kehre ich zu seinem Buch zurück und ärgere mich weiter, was dabei aber doch für ein Vergnügen angesichts des Vorigen.
nachgetragen am 29. Oktober
1 Kommentar:
I wonder if the idea, of objects of art and architecture as valuable apart from the meaning which their creators intended, is a modern one. When the Renaissance rediscovered the art of pagan antiquity, perhaps the fact that they no longer considered the religion(s) of the ancients as living competitors to their own, made it possible for them to look upon these objects merely as masterworks of beauty and not in any way as bearers of the message their creators had intended.
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