Montag, 29. Dezember 2008

Über dies und das

Es muß eine Art olfaktorisches Unbewußtes geben. Kaum erwirbt man ungewohnterweise ein paar an Weihrauch erinnernde Duftöle und schläft bei deren Ausprobieren im Arbeitszimmer ungeplant ein - wovon hat man geträumt, nachdem man sich aufgewacht in aufgeräumtester Stimmung wiederfindet – von geglückten Dämonenaustreibungen.

Einer merkwürdigen Laune folgend habe ich heute mein Mittag in einem Lokal eingenommen, bei dem die mir bekannte Inhaberin zwar reizend, deren Publikum aber zum großen Teil anstrengend ist. Prompt mußte ich das Schwadronieren eines gestrandeten frühverrenteten 68ers ertragen, der seine vergangenen Heldentaten aufzählte und sich bitter beklagte, daß das alles wieder zerstört würde, wenn es denn so wäre, sollten wir wirklich auf so etwas wie historische Gerechtigkeit hoffen.

Rilke starb am 29. Dezember 1926. Wir überleben im Schutz der Sprache, hoffe ich, und darum kann ich nicht umhin, widerstrebenderweise nochmals die Bemühungen eines anderen zu mißbrauchen, nachfolgend zwei Übersetzungen von Prof. Aue, viel mehr als nur die entsprechenden Übersetzungen findet sich hier und hier.

Rainer Maria Rilke

Sonett an Orpheus,
Zweiter Teil, XIII

Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter
dir, wie der Winter, der eben geht.
Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter,
dass, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht.

Sei immer tot in Eurydike -, singender steige,
preisender steige zurück in den reinen Bezug.
Hier, unter Schwindenden, sei, im Reiche der Neige,
sei ein klingendes Glas, das sich im Klang schon zerschlug.

Sei - und wisse zugleich des Nicht-Seins Bedingung,
den unendlichen Grund deiner innigen Schwingung,
dass du sie völlig vollziehst dieses einzige Mal.

Zu dem gebrauchten sowohl, wie zum dumpfen und stummen
Vorrat der vollen Natur, den unsäglichen Summen,
zähle dich jubelnd hinzu und vernichte die Zahl.

Sonnet to Orpheus,
Second Part, XIII

Be ahead of all leaving, as if you already
had left, much like the winter now leaving for sure.
For, among winters, there's one so winterly steady
that, having braved it, your heart will forever endure.

Be always dead in Eurydice - full of elation,
fuller of singing return to pure reference ground.
Here, midst the fading, be, in the world of cessation,
be the chalice of song that cracks in the sound.

Be, and concurrently know the terms of non-being,
know the basis supreme of your innermost seeing:
that you realize it fully, if only this time.

To the used-up, and to numbers that, torpid and dumb,
Nature still holds in reserve - to that infinite sum
add in rapture yourself and extinguish the prime.


Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.

I'm living my life in spiraling gyres

I'm living my life in spiraling gyres
that move o'er the choirs nearby.
I may never reach the top of the spires,
but still my resolve is to try.

I circle round God, the ancient expanse -
for thousands of years, pray to tell -
and still I don't know: what shall I be thence?
A falcon? A storm? A chorale?

Übersetzung / Translation
von / by Walter A. Aue

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